Seit jeher ist die Unterbringung und Betreuung psychisch erkrankter Menschen Gegenstand heftiger Diskussionen. Das spiegelte sich auch in der Debatte über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Rahmenbedingungen einer zwangsweisen Fixierung aufgrund von Selbst- oder Fremdgefährdung wider. Eine ärztliche Anordnung für die Fünf- oder Sieben-Punkt-Fixierung reicht nach der Karlsruher Entscheidung nicht mehr aus. Die Fixierung muss richterlich angeordnet werden, wenn sie länger als 30 Minuten dauert und darf nur ultima ratio sein. Wie ist diese Neuregelung zu bewerten? Die Podiumsteilnehmer begrüßten das Urteil grundsätzlich. Der verstärkte Schutz psychisch kranker Menschen entspreche dem, was sich die Ärzteschaft wünsche, so der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke. Die detaillierten Vorgaben der Karlsruher Richter brächten ein hohes Maß an Klarheit in der Vorgehensweise bei Fixierungen. Ebenfalls zufrieden zeigte sich die Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin Prof. Ulrike Kostka: „In der Praxis ist die Entscheidung zu begrüßen und aus ethischer Perspektive finde ich diese Klarstellung extrem gut“.
Doch der Teufel steckt im Detail. So gab der Kölner Staatsrechtler Prof. Höfling, der auch Mitglied des Ethikrates ist, zu bedenken, dass die minutiösen Vorgaben dem Gesetzgeber enge Grenzen zögen und finanziell folgenreich seien. Aus dem Publikum vermeldete eine kritische Stimme „Entsetzen bei Familienrichtern“. Schließlich müsse die Justiz nun zwischen sechs Uhr morgens und 21 Uhr abends einen Bereitschaftsdienst organisieren, was zu erheblichen Mehraufwand führe. Darüber hinaus identifizierte die Runde eine Reihe von Herausforderungen im psychiatrischen Alltag. Nicht überall sei eine reibungslose Kommunikation zwischen Amtsgericht und Psychiatrie gewährleistet. Zuweilen würden Patienten in der Fixierung von Hilfskräften oder Studenten beaufsichtigt, weil das Fachpersonal fehle. Grundsätzlich stelle sich die Frage, wie eine adäquate Betreuung im psychiatrischen Bereich in Zukunft gewährleistet werden könne, da die Zahl der Patienten zunehme: „Wir registrieren, dass es wieder ein Wachstum an Bettenbedarf gibt“, so MdB Henke.
Paternalisierung des Zivilrechts?
Auf dem zweiten Panel stand die Stadionverbots-Entscheidung des Ersten Senats von April 2018 zur Debatte. In dem Fall wurde die Verfassungsbeschwerde eines mit einem bundesweiten Stadionverbot belegten Fußballfans als unbegründet zurückgewiesen. Dabei hat der Senat festgestellt, dass das Verbot am Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen sei. Prof. Gerhard Wagner von der Humboldt-Universität zu Berlin zeigte sich mit dem Ergebnis der Entscheidung einverstanden, übte jedoch deutliche Kritik an der Begründung. „Wenn man die Vertragsfreiheit an den Gleichheitssatz bindet, hat man sie ins Mark getroffen“, bemerkte er mit Hinweis darauf, dass die Karlsruher Richter die Verweigerung des Stadionbesuchs an einen sachlichen Grund und Rechtsschutzpflichten geknüpft hatten. Prof. Friederike. Wapler von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz entgegnete, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung ganz bewusst die Bedeutung der mittelbaren Drittwirkung betont und konturiert habe. Dass das Gericht ein neues Kapitel aufschlage, in dem von der Privatautonomie nichts mehr übrig bleibe, sehe sie nicht. Die Entscheidung werfe vielmehr Fragen dazu auf, wie gesellschaftliche Teilhabe zu definieren sei oder wie öffentliche Kommunikation und Begegnungsstätten in der Hand von Privaten verantwortet werden sollten. Der Trend zur Kommerzialisierung öffentlicher Räume nehme weiter zu. Wie die Rechtsprechung darauf reagiere, werde mit der Stadionverbots-Entscheidung noch nicht abschließend beantwortet.
Rechtsstaat und Gerechtigkeitsempfinden
Das Schlusspanel behandelte die Spannungslage von Rechtsstaat und Gerechtigkeitsempfinden. Ausgangspunkt der Diskussion waren die NPD-Stadthallen-Kontroverse von Wetzlar und ein Verfahren wegen überlanger Untersuchungshaft in Sachsen. Im ersten Fall ignorierte die Stadtverwaltung von Wetzlar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die örtliche Stadthalle der NPD für eine Wahlkampfveranstaltung zu vermieten sei. Im zweiten Fall führte eine Überlastung des zuständigen Gerichts dazu, dass ein Verdächtiger aus der Untersuchungshaft entlassen werden musste, weil das Strafverfahren zu lange dauerte. Beide Fälle verstanden die Podiumsteilnehmer als Weckruf für den Rechtsstaat. Während Wetzlar einen mangelnden Rechtsgehorsam bis hinein in staatliche Institutionen zu Tage fördere, offenbare die Entscheidung zur Untersuchungshaft Defizite in der Ausstattung und Organisation der Justiz. Beides unterminiere den Rechtsstaat und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in seine Funktionsfähigkeit. Dr. Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter, betonte, dass rechtsstaatliche System erodiere, wenn jeder versuche, seinen Gerechtigkeitssinn durchzusetzen. Die Politik, aber auch die Presse dürften nicht zulassen, dass Widerstand gegen den Rechtsstaat als Robin-Hood-Taten verklärt würde. Prof. Günter Krings, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, lobte die jüngste Einigung über den „Pakt für den Rechtsstaat“ als wichtiges Signal, dass man verstanden habe, „wir müssen etwas für die Justiz tun“. Es bleibe aber die Aufgabe, die Bedeutung des Rechtsstaates besser zu vermitteln und Verstöße konsequent zu ahnden, forderte der frühere bayerische Staatsminister der Justiz, Prof. Winfried Bauback.
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