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Damir Sagolj, Reuters

International Reports

­Der ­gefährliche ­Wandel der ­Globalisierung

by Alexander Armbruster

Müssen wir uns zwischen Amerika und China entscheiden? Vielleicht gibt es nur einen Ausweg

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.06.2020, Nr. 130, S. 17

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Der Dollar schlägt sich wacker. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist er ziemlich unangefochten die am häufigsten verwendete Währung des Planeten, obwohl der Anteil der Vereinigten Staaten an der Weltwirtschaftsleistung heute viel kleiner ist als vor fünfzig oder sechzig Jahren. Öl und andere Rohstoffe werden weiterhin wesentlich mit Dollar bezahlt. Vor allem aber kaufen Zentralbanken von Westeuropa bis nach Fernost rege amerikanische Schuldtitel, um für Notfälle gewappnet zu sein: Auf mehr als sechseinhalb Billionen Dollar belaufen sich die entsprechenden Währungsreserven derzeit – ein durchaus ansehnliches internationales Anleihekaufprogramm gerade auch zu amerikanischen Gunsten.

Der Status des Dollars hat den Vereinigten Staaten als Land ermöglicht, eine expansivere Finanzpolitik zu betreiben, und den Amerikanern, nachhaltig mehr zu konsumieren, als sie selbst erwirtschaften. Gleichwohl ist es ganz und gar nicht so, als hätte dieses „exorbitante Privileg“ (Valéry Giscard d’Estaing) die übrigen marktorientierten Länder stark benachteiligt. Im Gegenteil: Sie konnten sich bislang darauf verlassen, dass der amerikanische Steuerzahler ein überall einsatzfähiges Militär finanzierte, das für sichere Handelsrouten sorgte und letztlich garantierte, dass auch Autokratien ohne funktionierende Rechtsstaatlichkeit vertraglich vereinbarte Geschäfte überwiegend einhielten. Das ist wichtig. Und gerade die an Verkäufen in aller Welt so gut verdienenden Deutschen sollten das nicht vergessen, all den Irritationen über die amtierende amerikanische Regierung zum Trotz.

In diesem institutionellen Arrangement hat sich ein weltumspannendes Wirtschaftswunder ereignet, das wir schlicht Globalisierung nennen. Unternehmen haben ihre Fertigungsprozesse kostensenkend aufgespalten und verteilt. Sie haben neue Absatzmärkte erschlossen, auf denen Kunden infolgedessen aus einem vielfältigeren Angebot auswählen können. Unter dem Strich war und ist das eine tolle Sache für die meisten Beteiligten. Neu hinzugekommen ist nach der Jahrtausendwende ein bisher erfolgreich verlaufendes libertäres Experiment: Gewinn-orientierte Unternehmen errichten, betreiben und verbessern digitale Infrastruktur, die zig Millionen Menschen aller Altersklassen täglich nutzen, beruflich wie privat, Kommunikationskanäle, Organisationssoftware, Datenzentren. Mitunter müssen sie sogar – gleich einem internationalen Gemeinwesen – darüber entscheiden, was gesagt werden darf und was nicht.

Leider wird die Globalisierung künftig eine andere sein. Amerika als (noch) größte Volkswirtschaft und China als zweitgrößte sind auf Konfrontationskurs, politisch, wirtschaftlich, technologisch. Hoffnungen auf eine vorteilhafte Symbiose, wie sie einst in der Wortschöpfung „Chimerica“ steckten, sind verflogen. Prototypisch stehen dafür der Griff nach Hongkong auf der einen und das Vorgehen gegen Huawei auf der anderen Seite. Gerade erprobt Peking zudem eine neue Digitalwährung, die nicht nur in Washingtoner Denkfabriken die Frage aufwirft, was für den Dollar folgt, wenn sie ihren Zweck erfüllt und das Beispiel Schule macht – übrigens auch mit Blick darauf, wie gut sich künftig internationale Finanzströme nachverfolgen und bei Bedarf kontrollieren lassen.

Wird sich wenigstens das Verhältnis zwischen Amerika und Europa wieder bessern? Offenkundig sind die Interessen viel weniger deckungsgleich als in der Vergangenheit. Nicht leicht ist es für Deutschland, mit den amerikanischen Forderungen umzugehen, ebenfalls auf chinesische Technologie oder die fast fertiggebaute zweite Nord-Stream-Gasleitung nach Russland zu verzichten. In Berlin, Paris und Brüssel hat schon vor Ausbruch der Pandemie die Ansicht Zulauf erfahren, etwas mehr Souveränität (nicht zu verwechseln mit Autarkie) in Schlüsseltechnologien könne sinnvoll sein angesichts des rauheren geopolitischen Umfelds. Das ist nachvollziehbar. Nicht zufällig hat die Europäische Union, auch dies schon vor der Corona-Krise, außerdem das Ansinnen vorgebracht, die internationale Bedeutung des Euros stärken zu wollen. Wenn sie zugleich bereit ist, mehr für ihre eigene Sicherheit zu leisten, muss das wiederum nicht zwangsläufig unattraktiv sein auch für Washington.

Mehr Abstimmung vor allem mit den anderen beiden großen europäischen Volkswirtschaften Frankreich und Großbritannien kann Deutschland zudem helfen, sich im Konflikt zwischen Amerika und China nicht irgendwann ausschließlich für eine Seite entscheiden zu müssen. Denn darin liegt, noch zu wenig thematisiert, die womöglich größte Globalisierungsgefahr – gerade für die oft auf beiden Märkten so erfolgreichen deutschen Unternehmen. Sie ist traurigerweise eine reale.

 


 

Alexander Armbruster ist Wirtschaftsredakteur der F.A.Z. und Leiter der Wirtschafts-Onlineredaktion.

 


 

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