Issue: Sonderausgabe 2020/2020
Allerdings sah es schon vor dem Ausbruch von COVID-19 nicht danach aus, dass beide Weltregionen der Globalisierung neue Dynamik verleihen könnten. Protektionismus, Nationalismus und letztlich fundamental divergierende Politik-auffassungen belasteten schon vor Corona das euro-amerikanische Verhältnis. Ein Trend, der sich im US-amerikanischen Wahljahr nun fort-setzt und sowohl im republikanischen wie demokratischen Lager zu beobachten ist. Auch in Brüssel kreisen die Diskussionen in jüngster Vergangenheit noch stärker um Begriffe wie strategische Souveränität, Decoupling, Reshoring oder Selfsufficiency. Begleitet von industrie- und wettbewerbspolitischen Vorschlägen schlagen beide Weltregionen damit einen wohlstandsgefährdenden Weg ein.
Dabei zielen die Maßnahmen nicht in erster Linie auf den jeweils anderen. Vielmehr wollen sich die USA wie die EU stärker von der chinesischen Volkswirtschaft abgrenzen, die sich in den vergangenen Dekaden – geschützt durch den Staat und mit wettbewerbswidrigen Praktiken – zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten auf den Weltmärkten und geopolitischen Akteur entwickelt hat. Im bilateralen Verhältnis herrscht seit einem Treffen des damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker mit US-Präsident Donald Trump im Juli 2018 eine Art handelspolitischer Waffenstillstand. Seither laufen immerhin formal Verhandlungen über die Beseitigung von Zöllen auf Industrieerzeugnisse. Allerdings könnten Meinungsverschiedenheiten im US-Wahlkampf jederzeit wieder aufbrechen, weil sich Präsident Trump gerade bei schwächelnder US-Wirtschaft als harter Verhandlungsführer präsentieren möchte und es diametrale Positionen von EU-Kommission und US-Administration in der Wirtschafts-, Handels- und Klimapolitik gibt.
Entwicklung konträrer Interessen
Die ambitionierte Freihandelsagenda der Europäer steht seit 2017 in starkem Kontrast zur Linie des US-Präsidenten Trump. Gleiches gilt für die Klimapolitik, die die Kommission mit ihrem Green Deal zu einem prioritären Ziel gemacht hat. Auch im Umgang mit multilateralen Organisationen (VN, WHO, WTO) zeigt sich, dass der transatlantische Konsens zerbrochen ist. Während man aus Washington zunehmend die ideelle und materielle Unterstützung versagt, ist man in Europas Hauptstädten bemüht, diese Nachkriegsordnung im Kern zu erhalten und wo nötig zu reformieren.
Gerade die WTO ist zu einem Kristallisationspunkt unterschiedlicher Auffassungen zwischen den USA und Europa geworden. Die Institution und das offene Handelssystem, das ihr zugrunde liegt, erleben dadurch eine Phase beispielloser Instabilität, weil – unter anderem – der Streitschlichtungsmechanismus der WTO nur noch eingeschränkt handlungsfähig ist. Die US-Regierung verhindert schlicht die Benennung von Mitgliedern in das Berufungsgremium, womit die zentrale Entscheidungsinstanz zur Lösung von Handelskonflikten ausfällt. Die EU hat darauf mit einer Überarbeitung der Durchsetzungsverordnung geantwortet und sich mit Handelspartnern auf eine Berufungsinstanz für eine „Koalition der Willigen“ verständigt.
Paradoxerweise haben Europäer und Chinesen derzeit größere Schnittmengen auf wichtigen globalen Politikfeldern als Europäer und US-Amerikaner. Allein diese Tatsache sollte verantwortliche Politiker in Europa und den USA motivieren, den transatlantischen Dialog schleunigst wieder in Gang zu setzen und evidenzbasierter Politikberatung zu vertrauen. Letztlich können die Europäer sich nur bemühen, mit großer Beharrlichkeit für drei wichtige Positionen zu werben, die wissenschaftlich abgesichert sind:
- Die Transformation hin zu CO2-armen Volkswirtschaften ist angesichts des Klimawandels zwingend.
- Die weltweite Arbeitsteilung in einer globalisierten Welt erzeugt Innovationen und Wohlstand.
- Multilaterale Organisationen stellen sicher, dass Staaten weltweit ihre berechtigten Interessen artikulieren können und sind damit Stabilitätsanker.
Die USA bleiben ein zentraler Partner für Politik und Wirtschaft in Deutschland. Möglicherweise können die politischen Spannungen der letzten Monate überwunden werden, wenn die Trump-Administration abgewählt ist und Zukunftsaufgaben dann wieder gemeinschaftlich angegangen werden können. Falls dem 45. Präsidenten der USA eine zweite Amtszeit zugebilligt wird, müssen Berlin und Washington natürlich im Gespräch bleiben, aber es würde noch schwerer werden, die Weltgemeinschaft im Sinne westlicher Werte zu prägen. Neue Allianzen würden wachsen und die Wertepartnerschaft zwischen den USA und Europa dauerhaften Schaden nehmen.
David Gregosz war bis August 2020 Referent für Wirtschaft und Handel und ist seither Leiter des Auslandsbüros Polen der Konrad-Adenauer-Stiftung.