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Yves Herman, Reuters

International Reports

Die EU als globaler Akteur und transatlantischer Partner

Warum das Bündnis mit den USA unersetzlich ist – und die Europäische Union ihre Haltung gegenüber China konkretisieren muss

Die Rahmenbedingungen für die Europäische Union als globaler Akteur haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Die Partnerschaft mit den USA bleibt dabei ein Hauptfaktor für die Gestaltung der Außenbeziehungen der EU. Für Washington allerdings ist die Systemrivalität mit China längst das prägende Motiv seiner Außenpolitik und der Wert der transatlantischen Partnerschaft zunehmend abhängig von deren Nutzen im Wettbewerb mit Peking.

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Die Rahmenbedingungen für die EU als globaler Akteur haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Aus den Entwicklungen im unmittelbaren Umfeld, etwa in der östlichen Peripherie, mit Bezug auf Russland, in der Arktis oder im Mittelmeerraum, aber auch aus den globalen Machtverschiebungen ergibt sich eine neue Dringlichkeit, die Rolle der EU sowie ihre Interessen im globalen Kontext zu definieren und ihre Handlungsfähigkeit zu stärken. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betont deshalb immer wieder die globale Rolle der EU und ruft zu einer strategisch ausgerichteten außenpolitischen Kultur auf. Gleichzeitig ist die Handlungsfähigkeit der EU aber nach außen durch unterschiedliche nationalstaatliche Interessen sowie eingeschränkte Kompetenzen der Institutionen auf intergouvernementaler Ebene begrenzt.

Die transatlantischen Beziehungen bleiben ein Hauptfaktor für die Gestaltung der Außenbeziehungen der EU. Dies gilt schon allein deshalb, weil es weltweit keinen anderen Wertepartner von diesem Gewicht gibt. Wenn die EU also ihre Interessen und Werte weltweit vertreten möchte, ist eine enge transatlantische Partnerschaft von vitalem Interesse. Kerninteressen wie die Klimapolitik, die Stärkung des multilateralen Systems oder die globale Bewältigung der COVID-19-Pandemie lassen sich ohne die USA nicht effektiv verfolgen. Doch auf welchen transatlantischen Partner mit welchen Prioritäten muss sich die EU in Zukunft einstellen?

 

Kollektives Aufatmen

Die transatlantischen Beziehungen haben in den vergangenen Jahrzehnten sehr unterschiedliche Phasen durchlaufen. In der jüngeren Vergangenheit war es nicht zuletzt die strategische Neubewertung Asiens und vor allem Chinas unter Barack Obama, welche in Europa zu der Frage geführt hat, inwiefern die USA überhaupt weiterhin an engen transatlantischen Beziehungen interessiert seien. Gleichzeitig konnten wichtige gemeinsame Projekte wie TTIP auch unter Präsident Obama nicht erfolgreich umgesetzt werden. Die Verunsicherung hat während der Präsidentschaft Donald Trumps zugenommen.

Die Wahl Joe Bidens zum Präsidenten hat in Europa zwar zu einem kollektiven Aufatmen geführt. Allerdings ziehen sich auch in dieser neuen Atmosphäre wichtige Linien durch, insbesondere der Fokus der US-Außenpolitik auf Asien und vor allem China. Biden führt die harte Haltung Trumps gegenüber China fort und hat dafür breite Unterstützung über alle politischen Lager.

Neu sind jedoch mindestens zwei Punkte in Bezug auf China, aus denen sich Chancen für eine neue transatlantische Kooperation ergeben:

  • Die Auseinandersetzung mit China wird als Auseinandersetzung konkurrierender Gesellschaftsmodelle (Demokratie vs. Autokratie) gesehen – und nicht primär als Auseinandersetzung um Handels- und Wirtschaftsfragen wie noch unter Präsident Trump. Das rückt EU und USA als Demokratien näher zusammen und unterstützt das Bemühen der EU, demokratische Werte wie auch Menschenrechte global zu stärken.
  • Der Wert von Partnerschaften wird von Präsident Biden wieder als sehr hoch betrachtet, sei es im bilateralen oder multilateralen Kontext. Auch das bringt die transatlantischen Partner wieder näher zusammen. Diese Partnerschaften haben dennoch aus Washingtoner Perspektive vor allem eine funktionale Bedeutung – nicht zuletzt bei der Bewältigung der Herausforderung eines aufstrebenden Chinas.

 

Die EU muss sich bei der Gestaltung der transatlantischen Beziehungen also vor allem auf diese Sichtweise in Washington einstellen. Die transatlantischen Beziehungen könnten so zunehmend zur Funktion der Beziehung USA-China werden. Dies hätte eine Reihe von ambivalenten Konsequenzen für die EU. Bei der Bewertung der Beziehungen aus Washingtoner Perspektive wird immer wieder die Frage im Raum stehen, was die transatlantischen Beziehungen zur Bewältigung der Herausforderungen durch China beitragen können: auf den Konfliktfeldern Technologie, Handel und Wirtschaft sowie zunehmend auch im Bereich Sicherheit. Das bedeutet beispielsweise, dass langfristig die auch durch die USA immer wieder eingeforderte Übernahme von mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit und die Nachbarschaft der EU zwar eine notwendige, aber letztlich noch keine hinreichende Voraussetzung für eine profilierte Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten darstellt. Weitergehende Überlegungen der EU zu einem sicherheitspolitischen Engagement im asiatisch-pazifischen Raum sind ein erster Schritt in diese Richtung. Es bleibt aber die Frage, was die EU tatsächlich substanziell leisten kann.

Für eine transatlantische Kooperation zu China gibt es eine Reihe von Anknüpfungspunkten und Chancen. Gleichzeitig gibt es fundamentale Unterschiede: Sehen die USA das Verhältnis zu China vor allem als Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Großmächten (häufig als Nullsummenverhältnis), so gilt dies für die EU nicht in gleicher Weise. Das bedeutet, dass bei allem Dialog grundsätzliche Differenzen bleiben werden, die es gut zu managen gilt.

Will die EU ein relevanter Partner sein, muss sie ihre Position gegenüber China und vor allem ihre praktische Politik gegenüber der Volksrepublik auf verschiedenen Feldern noch weiter klären und sich stärker koordinieren, sowohl innerhalb der EU als auch im transatlantischen Dialog. Das wird die EU indes vor weitere Probleme stellen. Der Umgang mit China ist innerhalb der Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich und verstärkt Konfliktlinien, etwa zwischen Ost- und Westeuropa. Auf Brüsseler Ebene gab es in jüngster Vergangenheit einige Bewegungen in Bezug auf China. Dazu gehört das Bemühen, der Belt and Road Initiative Chinas substanziell etwas entgegenzusetzen – etwa durch die Weiterentwicklung der Asia-EU Connectivity Strategy von 2018 hin zu einer globalen Konnektivitätsstrategie unter Einbeziehung Afrikas und Lateinamerikas.

Wichtig ist eine verstärkte Verständigung der EU mit den transatlantischen Partnern USA und Kanada. Wie in der Kommunikation vom Dezember 2020 zu einer umfassenden „New EU-US agenda for global change“ schon angekündigt, wurde auf dem EU-US-Gipfel im Juni 2021 von Kommissionspräsidentin von der Leyen und US-Präsident Biden ein EU-US Trade and Technology Council gegründet. Ziel ist es, gemeinsam Möglichkeiten für transatlantische Kooperation zu schaffen, um die technologische und industrielle Führerschaft auszubauen und bilateralen Handel und Investitionen zu stärken.

 

Neue Chancen

Wichtige Anknüpfungspunkte ergeben sich auch im multilateralen Rahmen, wo durch das erneuerte Engagement der USA gemeinsame Positionen sowie das Bemühen um Reform und Stärkung der Institutionen und Normen wieder neue Impulse erhalten könnten. Die EU-Kommission hat dazu im Februar 2021 erst ihre Vorstellungen in einer Mitteilung zur „Stärkung des Beitrags der EU zum regelbasierten Multilateralismus“ vorgelegt. Ein gemeinsames Vorgehen hat auch Auswirkungen auf das Verhalten Chinas in multilateralen Institutionen und trägt zum Zurückdrängen chinesischer Ambitionen bei. Besonders greifbar ist dies im Menschenrechtsrat, wo die Positionen von EU und USA eng beieinanderliegen. Neue Chancen bestehen auch darin, in verschiedenen Gremien gemeinsam auf potenzielle – etwa afrikanische und lateinamerikanische – Partner und Regionalgruppen zuzugehen, um gemeinsame Positionen voranzubringen.

Gleichzeitig wird aber auch unter Präsident Biden deutlich, dass die Interessen der USA mit denen europäischer Staaten nicht immer identisch sind: Das gilt etwa aktuell bei der Zurückhaltung der USA (und Chinas), wenn es um Forderungen nach einem Pandemievertrag geht. Auch die amerikanische Kehrtwende bei der Frage der Aussetzung des Schutzes der Urheberrechte für Vakzine und andere COVID-19-Produkte (sogenannte TRIPS-Waiver) hat auf europäischer Seite für Verärgerung gesorgt. Nach wie vor gibt es auch keine Bewegung innerhalb der WTO bei der – vor allem von den USA seit Jahren behinderten – Wiedereinsetzung eines Streitschlichtungsmechanismus. Im Hintergrund stehen hier nicht zuletzt Fragen unfairer Handelspraktiken Chinas.

Inwiefern ein stärkeres globales Engagement der EU, in enger Partnerschaft mit den USA und anderen bilateralen und multilateralen Partnern und mit einer differenzierten Positionsbestimmung gegenüber China, von den Bürgern in der EU mitgetragen wird, wird sich auch an der vor allem von Frankreich vorangetriebenen Konferenz zur Zukunft Europas zeigen. Eine breite politische Unterstützung für eine stärker global und strategisch handelnde EU ist alles andere als sicher. Insofern muss auch die Vermittlung der Notwendigkeit einer solchen politischen Ausrichtung integraler Teil der Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU sein.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die EU ihre globale Rolle ohne die USA nicht effektiv spielen kann. Das transatlantische Verhältnis wird jedoch zunehmend von der Frage bestimmt sein, was die EU in Bezug auf China in die transatlantischen Beziehungen einbringen kann. Dies birgt neue Chancen, etwa in der multilateralen Kooperation, aber auch Konfliktpotenzial. Auch der Umgang mit diesem Konfliktpotenzial entscheidet darüber, wie effektiv und glaubwürdig die EU als transatlantischer Partner und globaler Akteur auftreten kann.

 


 

Dr. Lars Hänsel ist Leiter der Abteilung Europa und Nordamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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