Issue: Sonderausgabe 2020/2020
Viel ist in den vergangenen Wochen darüber spekuliert und räsoniert worden, wie die Corona-Pandemie wohl die internationale Politik verändern und ob es wohl einen neuen Anstoß zu globaler Zusammenarbeit geben werde. Die meisten Betrachtungen fielen pessimistisch aus; das gilt in Sonderheit für das amerikanisch-chinesische Verhältnis, das sich weiter auf eine offene Konfrontation zubewegt, und zwar auf vielen Feldern der Politik. Auch im transatlantischen Raum wird die politische Temperatur, also die Konfliktintensität, gemessen: Wie wird sich das europäisch-amerikanische Verhältnis verändern, und wie wird es in der „Nach-Corona-Zeit“ aussehen? Nicht gerade überraschend, fallen die Prognosen auch für dieses Beziehungsbündel eher düster aus: „Trumps Covid-19-Antwort vertieft die transatlantische Kluft“, lautet das Fazit Luigi Scazzieris in einem Beitrag für das Londoner Centre for European Reform. „Die Pandemie macht die transatlantischen Beziehungen noch toxischer“ ist das Ergebnis, zu dem Erik Brattberg für die „Carnegie-Denkfabrik“ schon vor ein paar Wochen gekommen ist.
Hätten die beiden Autoren ihre Analysen zu Beginn dieser Woche verfasst, also in Kenntnis der Proteste gegen Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten sowie der Äußerungen und der Auftritte des amerikanischen Präsidenten Trump, die transatlantische Kluft, in die sie blickten, wäre wohl noch tiefer gewesen. Die Europäer seien „entsetzt und schockiert über den Tod George Floyds“, sagte der EU-Außenbeauftragte Borrell und äußerte Unterstützung für die legitimen Proteste gegen Machtmissbrauch und Polizeigewalt. In diesem Sinne äußerte sich auch der deutsche Außenminister Maas. Es sei dahingestellt, ob in den europäischen Reaktionen auf das Geschehen in den Vereinigten Staaten auch hier und da routinierter Antiamerikanismus und eine Portion Selbstgerechtigkeit zum Ausdruck kommen, zumal im Vergleich etwa zu Reaktionen auf den Repressionsaufwand, den China tagtäglich betreibt und demnächst in Hongkong betreiben will.
Doch zweifellos tragen Donald Trumps Rhetorik und Politik des Spaltens nicht dazu bei, die beiden Seiten politisch einander näherzubringen. Und je mehr die Europäer von den Schattenseiten der amerikanischen Gesellschaft und Kultur erfahren, desto mehr werden viele von ihnen ins Grübeln kommen, wie es sich mit der oft beschworenen Wertegemeinschaft tatsächlich verhält. Aber auch da gilt: Rassismus, auch in seiner institutionellen Form, gibt es auch diesseits des Atlantiks! Unter dem Strich aber bleibt: Während die einen erschreckt feststellen, wie groß die Risse im Fundament der amerikanischen Gesellschaft sind, registrieren andere die fortschreitende Entfremdung, nicht zuletzt im deutsch-amerikanischen Verhältnis.
Die Frage also drängt sich auf, wer oder was diesem Prozess Einhalt gebieten oder ihn zumindest abschwächen kann. Natürlich ist die naheliegende Antwort: ein Personalwechsel im Weißen Haus. Unter einem Präsidenten Joe Biden würden sich die Streitpunkte im europäisch-amerikanischen oder im deutsch-amerikanischen Verhältnis nicht in Luft auflösen, jedenfalls nicht alle. Auch der Demokrat Biden würde auf weiter steigenden europäischen Verteidigungsausgaben beharren – was wegen der coronabedingten schweren Wirtschaftskrise und der großen Konjunkturpakete zumindest zweifelhaft ist. Auch er würde über deutsche Exportüberschüsse mosern und generell die wirtschaftliche Enge im europäisch-chinesischen Verhältnis mit Skepsis betrachten – die amerikanisch-chinesische Systemrivalität treibt nicht nur die Republikaner um.
Aber Biden wäre ein Präsident, auf den die Europäer sich allianz- und ordnungspolitisch stützen könnten. Obamas Vizepräsident verachtet nicht die Bündnisse Amerikas, er schätzt sie, auch als Instrument amerikanischer Interessenpolitik. Er verhöhnt nicht den Multilateralismus, sondern würde amerikanische Verpflichtungen erneuern, vermutlich auch in Organisationen und zu Verbindungen und Verträgen zurückkehren, die Trump verlassen, zerrissen und aufgekündigt hat. Er würde auch, das ist vielleicht das Allerwichtigste, versuchen, die Zerrissenheit in der amerikanischen Gesellschaft sowie die strukturellen Verwerfungen und Defizite abzubauen. Um die Grundlagen Amerikas zu erneuern und zu stärken, bedarf es wahrscheinlich weitaus mehr als nur einer neuen Führung. Aber ohne einen Wechsel an der Spitze dürfte es nicht gehen. Denn Trump, der sich als letzter Hoffnungsträger des weißen Nationalismus inszeniert, feuert die Kräfte der Spaltung und des Ressentiments an. Das tun zwar auch andere, aber er ist der Präsident.
Sollte er dennoch eine zweite Amtszeit erringen – trotz der schrecklichen Corona-Bilanz, trotz düsterer Wirtschaftsdaten, trotz Regierungschaos –, dann hätten die Propheten des Untergangs keinen Mangel an Material. Das europäisch-amerikanische Verhältnis könnte dann wirklich den Bach runtergehen. Trump würde den Europäern nur noch ihre angebliche Nichtsnutzigkeit und Schäbigkeit vorhalten, und diese würden das Vertrauen in das Amerika des Donald Trump dann vollends verlieren. Der Impuls, eigene Wege zu gehen, wäre dann nahezu unwiderstehlich. Trump würde sein Werk der Zerstörung der internationalen Ordnung fortsetzen – und somit China, das er ja eindämmen will, weitere Gelegenheit geben, sich als berechenbarer Hüter des Multilateralismus in Szene zu setzen.
„Eine zweite Amtszeit für Trump birgt das Risiko, das transatlantische Verhältnis dauerhaft zu beschädigen und den Westen als Ganzes zu schwächen.“ Der Ausblick des Europa-Fachmanns Luigi Scazzieri ist ziemlich düster. Über das transatlantische Verhältnis wurden schon oft Grabreden gehalten, und an Büchern über den Niedergang des Westens mangelt es auch nicht. Zu früh, zu viele! Und doch hat man heute ein ungutes Gefühl. Die Kräfte politischer Resilienz sind nun gefragt.
Klaus-Dieter Frankenberger ist Mitglied der politischen Redaktion der F.A.Z. und verantwortlich für Außenpolitik.
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