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Kim Kyung-Hoon, Reuters.

International Reports

Vom Biss des Bären lernen, den Drachen zu bändigen?

Implikationen des russischen Angriffskrieges für Deutschlands neue Chinastrategie

Seit Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine steht Deutschland vor den Trümmern einer gescheiterten Russlandpolitik. Von Naivität, Blauäugigkeit und der misslungenen Einhegung Russlands durch enge Wirtschaftsbeziehungen ist die Rede. Gleichzeitig haben Chinas ambivalente Haltung zum Krieg in Europa sowie Drohungen einer militärischen Einverleibung Taiwans eine Debatte zum Umgang mit der Volksrepublik entfacht. Unter Federführung des Auswärtigen Amts erarbeitet die Bundesregierung derzeit erstmals eine Chinastrategie. Welche Lehren kann man dafür aus dem russischen Angriffskrieg und dessen Folgen ziehen?

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„Die Erfahrungen der vergangenen Monate haben Deutschland gelehrt, wie gefährlich es ist, von einzelnen Handelspartnern abhängig zu sein. Und auch wenn sich dieser Tage alles darum dreht, wie möglichst schnell möglichst viel Ersatz für russisches Gas beschafft werden kann – es steht immer auch die Frage im Raum, ob Deutschland nicht an anderer Stelle viel verwundbarer ist. Das Land, aus dem Deutschland mit Abstand die meisten Waren importiert, ist China“, analysiert Julia Löhr für die FAZ. Derweil mehren sich die Anzeichen, dass sich die Bundesregierung auf ein Zeitalter der verstärkten systemischen Rivalität vorbereitet. „Just in time hat ausgedient. Unser Leitbild sollte just in case sein“, fasst die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner, den Ansatz zusammen. Im Klartext: Unvorbereitet, wie im Falle Russlands, möchte man keinesfalls in einen möglichen Konflikt mit China hineingeraten.

Seit einigen Jahren inszenieren, ja zelebrieren Russland und China eine Annäherung in den bilateralen Beziehungen. Um ein formelles Bündnis zwischen den beiden Autokratien handelt es sich jedoch – noch – nicht. Zweifellos versucht Peking, die aktuelle Situation bestmöglich auszunutzen: So hat China die Bundesrepublik Deutschland im Juni 2022 als größter Importeur russischer Energieträger überholt. Aber nahezu gleichzeitig verkündeten offizielle Quellen aus den USA laut Tagesspiegel, dass es bislang „keine Hinweise darauf (gibt), dass China Russland direkte militärische Unterstützung im Ukraine-Krieg gibt oder dabei hilft, Sanktionen zu umgehen“. China, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, glaubt, sich nicht eindeutig positionieren zu müssen.

Unter Präsident Xi Jinping, der seine Herrschaft innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas spätestens auf deren 20. Parteitag im Oktober 2022 dauerhaft zementiert hat, ist die Volksrepublik in den vergangenen zehn Jahren wohlhabender und autoritärer, selbstbewusster und aggressiver geworden. Drohungen gegenüber Taiwan haben Ängste vor einem offenen militärischen Konflikt geschürt. Gebietsansprüche erhebt Peking auch darüber hinaus in der direkten Nachbarschaft. So erkennt China einen Spruch des Ständigen Schiedshofs in Den Haag aus dem Jahr 2016 nicht an. Im Südchinesischen Meer beansprucht China praktisch das gesamte Gebiet für sich, erschafft künstliche Inseln und errichtet militärische Infrastruktur.

Wohin Xi sein Land steuert, hat er früh dargelegt: Die chinesische Journalistin Gao Yu leakte nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt das so genannte Dokument Nummer 9. In dem Schreiben warnt die Parteispitze ihre Kader vor „antichinesischen Kräften“ aus dem Westen, vor dem Glauben an „universelle Werte“, vor der „Zivilgesellschaft“ sowie der „westlichen Vorstellung von Journalismus“. Unter Chinafachleuten gilt das Dokument als politische Roadmap Xis. So verdeutlicht das Schreiben, dass China seine Rivalen im Westen verortet, mit Washington als Garanten einer Weltordnung, deren Untergrabung und Überwindung erklärtes Ziel Pekings ist. Somit stellen Xis Ambitionen den Westen vor immense Herausforderungen, denen zu begegnen auch Aufgabe Deutschlands und der EU ist.

„Wie kommen wir von China los?“, titelte in diesem Zusammenhang Mitte August die Wochenzeitung Die Zeit. Und gerade vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine scheint derweil kaum eine andere Frage die Chinastrategen im Auswärtigen Amt und im Bundeswirtschaftsministerium stärker umzutreiben. So zeigt ein Blick auf die Statistik, wie wichtig China als Handelspartner für Deutschland ist: Das Gesamtvolumen des Außenhandels mit China lag im Jahr 2021 bei knapp 246 Milliarden Euro – jenes mit Russland bei unter 60 Milliarden. Damit nicht genug: Die Abhängigkeit Deutschlands ist im Falle Chinas viel komplexer als im Falle Russlands. „Sie betrifft wichtige Rohstoffe (etwa Seltene Erden und die Grundstoffe für den Bau von Batterien), neue Technologien (wie künstliche Intelligenz und 5G-Funktechnik) und schließlich den riesigen chinesischen Markt, an dem vor allem deutsche Großkonzerne hängen“, heißt es in der Zeit.

Die Folgen eines Totalausfalls – etwa im Falle einer militärischen Auseinandersetzung um Taiwan – wären verheerend. Dabei ist absehbar, dass der deutschen Volkswirtschaft ein immenser Schaden entstehen würde. Deshalb ist die starke Fokussierung einzelner Großkonzerne auf den chinesischen Absatzmarkt nicht nur ein unternehmerisches Risiko. Die Politik hat das Problem offensichtlich erkannt, aber ihre Mittel sind begrenzt. So verweigerte das Bundeswirtschaftsministerium im Juni erstmals dem Automobilhersteller Volkswagen Hermes-Bürgschaften für die Teilerneuerung seiner Werke in Xinjiang.

Darüber hinaus gilt es, die Lieferketten und Abhängigkeiten systematisch zu überprüfen. In einem Positionspapier wirbt das ifo Institut insbesondere dafür, dass Deutschland und die EU sich verstärkt um Freihandelsabkommen bemühen, um die Diversifizierungsbestrebungen deutscher Unternehmen politisch wirkungsvoll zu unterstützen. Das Ende Juni geschlossene EU-Abkommen mit Neuseeland kann da nur der Anfang sein.

Eine neue deutsche Chinastrategie sollte aber über den wirtschaftlichen Bereich hinaus mehr leisten. Es gilt, deutsche und europäische Interessen klar zu definieren und China die immensen Kosten aufzuzeigen, die im Konfliktfall folgen würden. Darüber hinaus sollte die Chinastrategie entschlüsseln, in welchen Bereichen das Land tatsächlich Rivale oder gar Gegner des Westens ist und in welchen Bereichen Wettbewerb besteht – der im Zweifel beiden Seiten nützt. Auch sollte der Frage nachgegangen werden, wo wir China als Partner brauchen, etwa beim globalen Kampf gegen den Klimawandel.

Zweifellos zielen China und Russland darauf, die westliche Ordnung zu untergraben. Dennoch handelt es sich bei dem Verhältnis zwischen Peking und Moskau um kein formales Bündnis. Und alle innewohnenden Chancen dieser Uneindeutigkeit auszuloten, sollte weiterhin Ziel deutscher und europäischer Bemühungen sein. Dass die erste Asienreise Bundeskanzler Olaf Scholz nach Japan führte, ist als ein deutliches Signal verstanden worden – sowohl an China als auch an die Wertepartner in der Region. Und so liegt es zweifellos vor allem in den Händen Pekings, einen Systemkonflikt mit den USA und dem Westen abzuwenden. Dennoch: Der sogenannte Kompromiss um den Einstieg des chinesischen Staatsunternehmens Cosco im Hamburger Hafen, den Scholz gegen das Ansinnen von sechs Bundesministerien durchgeboxt hat, ist in diesem Zusammenhang ein fatales Signal – eine Absage an die von ihm eigens verkündete Zeitenwende. Nebenbei hat er auch sämtliche Bemühungen um eine Reduzierung von Abhängigkeiten, die Kern des Chinapapiers des Auswärtigen Amts sein sollen, untergraben. Denn nur eine konsequente Haltung hätte auch gegenüber Peking deutlich gemacht, dass es ein „Weiter so“ in der deutschen Chinapolitik nicht geben wird. Statt die richtigen Lehren zu ziehen, steht die Bundesregierung strategisch mit leeren Händen da. Dabei werden wir den Wettbewerb um unsere Werte nur mit weniger Naivität, noch mehr Dialog und einer gehörigen Portion Härte bestehen.

 


 

Johann Fuhrmann ist Leiter des Auslandsbüros China der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Peking.

 

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