Country reports
Ohne den Staat als Kreditnachfrager nämlich, so die Kalkulation, sinken die Zinsen für den privaten Sektor, gleichzeitig stiege das Vertrauen an den internationalen Finanzmärkten, dass Argentinien seinen Verpflichtungen nachkommen und die Währungsparität zum Dollar halten kann. Die große Unbekannte bleibt allerdings, ob aus vollmundigen Ankündigungen auch tatsächlich Realität wird. Vor drei Monaten nämlich musste bereits der Vorgänger des jetzigen Wirtschaftsministers Cavallo, Ricardo Lopez Murphy, nach der Verkündung ungleich ausgefeilterer und weniger improvisierter Sparmaßnahmen seinen Hut nehmen. Zu stark wehte ihm der Wind aus den eigenen Reihen ins Gesicht, Präsident de la Rúa in seiner bekannten Ambivalenz konnte ihn nicht mehr halten.
Und auch jetzt wieder sind die Stimmen aus dem Regierungslager stark zu vernehmen, die nach Modifikationen des Sparpakets rufen. "Das Land", so verteidigte sich Präsident de la Rúa in seiner Ankündigung, "muss lernen, mit dem auszukommen, was es hat. Mit diesen Wirtschaftsmaßnahmen verteilen wir die Ressourcen gleich und gerecht. Die Anpassung erfolgt durch vorrübergehende Einsparungen, die einen Sektor der Bevölkerung treffen, von dem ich eine patriotische Anstrengung erwartet, dies aber, um Anpassungen für alle Bürger zu vermeiden."
Besonders betroffen von den Plänen sind diesmal - immerhin handelt es sich bereits um das achte "Anpassungsprogramm" der aktuellen Staatsführung in eineinhalb Jahren - der Öffentliche Dienst und die Rentner. Gehaltskürzungen von 13 Prozent im Dritten Quartal drohen, die ebenso auf die Renten angewendet werden sollen, die den Wert von 300 Pesos - dies entspricht im Rahmen der Konvertibilität genau der gleichen Summe in US-Dollar - monatlich erhalten. Gleichzeitig sollen die Steuerhinterziehung massiv bekämpft, die staatlichen Strukturen auf überflüssige Behörden hin durchforstet und Ausgangsdisziplin verbessert werden. "Willkommen im Club der Realität" titelt ironisch die Wirtschaftszeitung "El Cronista".
Ein Signal, dass die Regierung die Probleme endlich anzugehen versucht, war auch dringend erforderlich. Den Anfang hatte der Präsident selbst am Nationalfeiertag, dem 9. Juli, in Tucumán gemacht, als er forderte, nicht mehr auszugeben, als man einnehme. Gemeinsam mit seinem Wirtschaftsminister Domingo Cavallo folgte dann bei der Feier des 147. Geburtstages der Börse von Buenos Aires die Fortsetzung, allerdings, wie so vieles im Regierungshandeln der zurückliegenden Monate, flau und zweischneidig. Während Cavallo die mangelnde politische Unterstützung der Allianz-Parteien für de la Rúa kritisiert, widersprach ihm der Präsident zehn Minuten später auf offener Bühne. Hängen blieb aber Cavallos zentrale Aussage: "Dieses Land hat keinen Kredit mehr."
Neben der Regierung und den sie tragenden Parteien ist auch die Opposition gefordert, zumal sie im Senat, der zweiten Parlamentskammer, über die Mehrheit verfügt und zwei Drittel der argentinischen Provinzen regiert. Erkennbar ist der Wille, Verantwortung zu übernehmen, nicht aber der, als "Ersatzspieler" immer dann einzugreifen, wenn die eigentliche Mannschaft nicht mehr weiter weiß. "Es kann doch nicht sein", so erregt sich der PJ-Gouverneur der Provinz Córdoba, José Manuel de la Sota, "dass sich dort alle mit allen streiten, das die FREPASO-Leute sich wie die Opposition gebärden, während sie Regierungsämter begleiten und entsprechende Gehälter beziehen.
Und es kann auch nicht sein, dass die Parteiführer der Radikalen ihrem eigenen Präsidenten ständig widersprechen, während sie ebenfalls ihre Regierungstantiemen einstreichen. Wenn sie nicht einverstanden sind, sollen sie doch gehen!" Diese Auffassung und die Suche nach "neuen Mehrheiten" stößt offenbar auch im engeren Zirkel des Präsidenten auf Sympathie, Szenarien, wie dies geschehen könnte, machen die Runde. Mit seiner Unterstützung für den Cavallo-Plan und deutlicher Kritik in eigene Reihen - vor allem gezielt auf den UCR-Vorsitzenden und Ex-Präsident Raúl Alfonsin - setzt de la Rúa jedenfalls viel auf diese Karte und hofft, dass eine Parteispaltung und ein drohender Regierungsverlust seinen internen Kritikern denn doch als zu hoher Preis erscheinen könnte.
Auch weiß er sich einig mit der öffentlichen und veröffentlichten Meinung, die im politischen Hick-Hack das größte Entwicklungshindernis sieht und entschiedenes Durchgreifen erwartet. "Die Entscheidung ist nicht etwa die zwischen Anpassen und Nicht-Anpassen", so etwa der angesehene Kommentar der Zeitschrift "Noticias", James Neilson am 14. Juli, "sondern die zwischen einer von der Politik handhabbaren wenn auch drastischen Ausgabensenkung einerseits oder dem chaotischen Zusammenbruch durch fehlende Mittel anderseits."
Sorgen bereitet das "argentinische Problem" mittlerweile nicht nur den unmittelbaren Nachbarn. Spanische Firmen, die vor allem seit der Privatisierung zu Beginn der neunziger Jahre stark in Argentinien engagiert sind, merken die Reaktion der Finanzmärkte unmittelbar an ihrem Aktienkurs.
Der amerikanische Präsident George Bush sah sich veranlasst, den argentinischen Präsidenten seiner Solidarität zu versichern und Brasilien modifizierte den Ton einer aktuellen Auseinandersetzung: Nachdem Argentinien einseitig den gemeinsamen MERCOSUR-Außenzoll für Kapitalgüter verlassen und niedrigere Grenzen festgesetzt hatte - damit entfielen Präferenzen für die brasilianische Industrie - hatte man dort zunächst mit der Suspendierung argentinischer Getreide- und Ölimporte reagieren wollen, dies aber inzwischen mindestens aufgeschoben. Brasiliens Präsident Fernando Enrique Cardoso allerdings hatte noch vor wenigen Tagen ein düsteres Bild Argentiniens gemalt. Dort, so Cardoso, sehe er Risiken für die institutionelle Stabilität der Demokratie und eine "Paralyse politischer Entscheidungen" durch ein Aufeinanderprallen gegensätzlicher Kräfte.
Mit seinen Warnungen steht der brasilianische Präsident keineswegs allein. Für die "Financial Times" steht fest, dass die Ökonomen sich nur noch fragten, wann Argentinien die Bedienung der Auslandsschulden einstelle, keineswegs aber, ob dies der Fall sein könnte. "Wie zum Ende der achtziger Jahre", so auch MIT-Ökonom Rudiger Dornbusch, "verlässt das Humankapital parallel zum Finanzkapital das Land. Auf Argentinien wartet eine lange Periode der Entbehrungen, ob mit oder ohne Konvertibilität, und die Gläubiger werden dabei sicher betrogen." Dem Land werde es schwer fallen, den augenblicklichen Lebensstandard zu halten. Domingo Cavallo sei möglicherweise ein Zauberer, "auch ihm allerdings gingen langsam die Kunststückchen aus."
Dieser Domingo Cavallo, auf dem nach wie vor alle Hoffnungen ruhen, feierte derweil die Hochzeit seiner Tochter Sonia. Die aktuelle Krise holte ihn dabei mindestens zum Teil ein: Protestierende Mitarbeiter der nationalen Fluggesellschaft "Aerolíneas Argentinas" erschwerten den Weg von Braut und Brautvater zur Kirche durch Eierwürfe, beschädigte Autoreifen und einen infernalischen Lärm. Über einen Hinterausgang am Friedhof Recoleta erst gelangten Teile der Festgesellschaft im Anschluss an die Zeremonie ins vornehme Hotel Alvear, wo mehrere hundert Gäste aus der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Elite warteten, unter ihnen Präsident de la Rúa.
Lange vor der aktuellen Krise, so war aus dem Umfeld Cavallos angesichts der teuren Gala entschuldigend zu hören, sei der Termin festgelegt worden, von einer Verhöhnung der von drastischen Sparmaßnahmen betroffenen Bevölkerung könne keine Rede sein. Gleichwohl: als Mann mit besonderem Fingerspitzengefühl hat Cavallo noch nie auf sich aufmerksam gemacht