Vielfach wurden die diesjährigen Zwischenwahlen als die wichtigsten in der US-amerikanischen Geschichte bezeichnet. 62 Prozent aller Amerikaner halten sie einer kürzlichen Umfrage zufolge in ihrem Leben zumindest für bedeutsamer als alle früheren „Midterms“. Für die US-Regierung unter Präsident Donald Trump gelten sie zwei Jahre nach dessen Amtsantritt als Bewährungsprobe, politische Gegner sprechen von „Referendum“.
Abgestimmt wird am 6. November aber nicht über den Präsidenten, sondern über die künftige Zusammensetzung der beiden Kammern des US-Kongresses. Zur Wahl stehen alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses und ein Drittel des Senats. In 36 Bundesstaaten finden überdies Gouverneurswahlen statt.
Im Repräsentantenhaus sitzen 435 stimmberechtigte Abgeordnete. Dort stellt die Republikanische Partei mit 235 Abgeordneten die Mehrheit. Die Demokratische Partei kommt auf 193 Abgeordnete. Sieben Sitze sind derzeit vakant.
Der Senat hat 100 Sitze, jeweils zwei für jeden US-Bundesstaat. 51 Sitze entfallen derzeit auf die Republikaner, 47 auf die Demokraten. Zwei Senatoren sind parteilos, stimmen im Regelfall aber mit den Demokraten.
Möglich ist nun einerseits, dass die Republikaner ihre Mehrheit sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat verteidigen. Möglich ist auch, dass sie ihre Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses verlieren. Als wahrscheinlichste Variante gilt hingegen, dass die Republikaner ihren knappen Vorsprung im Senat verteidigen oder sogar noch ausbauen, die Demokraten aber im Repräsentantenhaus die Mehrheit übernehmen. Was nun bedeutet der Wahlausgang für das Regierungshandeln?
Eine Antwort auf die Frage nach den möglichen Auswirkungen der Zwischenwahlen liefern die Macht- und Entscheidungsbefugnisse von Senat, Repräsentantenhaus und Präsident. Sie unterscheiden sich zum Teil deutlich von denen anderer Demokratien.
Gesetzgebungsverfahren und Regierungsstillstand
Anders als beispielsweise in Deutschland, müssen alle Bundesgesetze in den USA gleichlautend mit einfacher Mehrheit sowohl vom Repräsentantenhaus als auch vom Senat verabschiedet werden. Der Präsident muss durch Unterzeichnung jeweils seine Zustimmung erteilen. Das betreffende Gesetz ist auch dann rechtskräftig, wenn der Präsident binnen zehn Tagen nicht darauf reagiert hat.
Der Präsident kann gegen ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz aber auch sein Veto einlegen. Dafür gilt ebenfalls eine zehntägige Frist. In diesem Fall treten die Bestimmungen nur dann in Kraft, wenn beide Kammern des Kongresses das Gesetz in namentlicher Abstimmung mit Zweidrittelmehrheit erneut beschließen. Sollte der Kongress dazu beispielsweise aufgrund einer längeren Sitzungspause fristgerecht nicht in der Lage sein, zählt das Veto des Präsidenten und das betreffende Gesetz ist hinfällig.
Der US-Präsident darf selbst keine Bundesgesetze initiieren; dieses Recht steht nur dem Kongress zu. Der Senat wiederum darf keine Fiskal- oder Haushaltsgesetze einbringen; das darf nur das Repräsentantenhaus. Dort müssen diese Gesetze zunächst auch verabschiedet werden, bevor sie an den Senat weitergeleitet werden. Alle sonstigen Gesetzgebungsverfahren kann der Senat vor der weiteren Befassung durch das Repräsentantenhaus auch selbst in die Wege leiten.
Das erhebliche Mitspracherecht des Kongresses in Haushaltsfragen berührt auch die Bewilligung von Finanzmitteln für die Bundesbehörden. Verweigert der Kongress dazu seine Zustimmung, droht ein „Government Shutdown“. In diesem Fall besteht das Risiko, dass den Regierungsangestellten für die Dauer der Auseinandersetzung die Löhne gestrichen werden. Die Folge ist, dass Ämter und Behörden, bundeseigene Museen und Nationalparks die Arbeit niederlegen und geschlossen bleiben.
Einen solchen „Shutdown“ haben die USA zuletzt im Januar 2018 erlebt, davor unter Ex-Präsident Obama im Jahr 2013. Kern der Auseinandersetzung war jeweils die Höhe der Staatsausgaben, wenn diese die vom Kongress bewilligte Obergrenze für die Aufnahme neuer Schulden überschreitet.
Ein neuerlicher „Shutdown“ Ende April 2018 konnte nur wenige Stunden vor Ablauf der Verhandlungsfrist abgewendet werden, nachdem sich beide Kammern des Kongresses auf das erforderliche Ausgabengesetz hatten einigen können. Voraussetzung war, dass Präsident Trump auf die Finanzierung der von ihm geplanten Mauer an der Grenze zu Mexiko (einstweilen) verzichtete.
Das Oberste Gericht kann Gesetze des Kongresses ebenso wie präsidiale Dekrete wiederum für verfassungswidrig erklären. Beispielsweise hat das Oberste Gericht vor gut zwei Jahrzehnten eine Bestimmung rückgängig gemacht, nach der dem US-Präsidenten erlaubt war, Gesetze nicht gänzlich, sondern nur in Teilen anzunehmen oder abzulehnen.
Amtsenthebungsverfahren und Stellenbesetzung
Wiederholt war in den vergangenen zwei Jahren der Ruf nach einem Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Trump laut geworden. Starten könnte ein solches „Impeachment“ gegen den Regierungschef ebenso wie gegen Bundesbeamte, darunter auch Richter des Obersten Gerichts, aber nur das Repräsentantenhaus. Dazu müssen ausreichende Anhaltspunkte für Verbrechen gegen den Staat wie Verrat oder Korruption vorliegen. Für den Start eines solchen Verfahrens ist im Repräsentantenhaus die einfache Mehrheit erforderlich. Anschließend wird damit der Senat befasst. Dort muss eine Zweidrittelmehrheit der Verurteilung zustimmen. Der Präsident des Obersten Gerichts führt die Verhandlung, wenn sich das Verfahren gegen einen Präsidenten richtet.
Die vom Präsidenten vorgeschlagenen Kandidaten für höhere und höchste Regierungsämter, darunter Minister, die Chefs von Bundesbehörden, Botschafter und Bundesrichter, müssen vom Senat bestätigt werden. Voraussetzung für die Ernennung ist, dass sich die Kandidaten einer Anhörung im Senat stellen und dort mehrheitlich Zustimmung finden.
Längst nicht alle der mehreren tausend höher- und hochrangigen Regierungsmitarbeiter müssen mit einer solchen Anhörung rechnen, und nur wenige Anhörungen schlagen in der US-amerikanischen Öffentlichkeit so hohe Wellen wie erst vor wenigen Wochen die von Brett Kavanaugh, damals Kandidat für einen Richterposten am Obersten Gericht. Immer wieder wird die Besetzung vakanter Posten vom Senat aber zumindest verzögert. Beispielsweise musste US-Botschafter Richard Grenell nach seiner Nominierung im September letzten Jahres mehr als ein halbes Jahr warten, bevor der Senat seinem Wechsel nach Berlin mehrheitlich zugestimmt hatte.
Präsidiale Dekrete und internationale Abkommen
Vor laufenden Kameras hat Donald Trump in den letzten beiden Jahren wiederholt präsidiale Anordnungen unterzeichnet. Zumeist ist die Rede von „Executive Order“, bisweilen handelt es sich tatsächlich um sogenannte „Presidential Memoranda“. Diese Erlasse markieren einen wichtigen Teil der Befugnisse des Präsidenten. Denn entweder treten die Dekrete in Kraft, ohne dass dafür die Zustimmung des Kongresses insgesamt erforderlich ist, oder sie gelten für die Exekutive bereits dann als rechtsbindend, wenn nur das Repräsentantenhaus zugestimmt hat, nicht aber zusätzlich auch der Senat (mit Zweidrittelmehrheit bei internationalen Verträgen). In anderen Fällen ist für die Ratifizierung die einfache Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses erforderlich. Je nachdem, wird zwischen „Executive Order“, „Executive Agreement“ und „Congressional-Executive Agreement“ unterschieden.
Unter welchen Voraussetzungen der Präsident ohne Zustimmung des Kongresses ein Dekret erlassen kann, ist umstritten. Fest steht jedoch, dass die Befugnisse beispielsweise für Importzölle bereits seit Jahrzehnten schrittweise von der Legislative an die Exekutive verlagert wurden. So konnte sich die „Executive Order“ für höhere Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium auf die sogenannte „Section 232” des “Trade Expansion Act” von 1962 berufen. Demnach darf die US-Regierung die Auswirkungen von Importen auf die nationale Sicherheit prüfen und bewerten und der Präsident hat das Recht, entsprechend die Zölle anzupassen.
Anders als bei internationalen Verträgen, ist an die “Executive Agreements” nur der jeweils amtierende US-Präsident gebunden, während sich dessen Nachfolger nur sehr eingeschränkt daran halten müssen. Beispiele für „Congressional-Executive Agreements“ sind wiederum der Beitritt der USA zur World Trade Organization (WTO 1995) und die Mitgliedschaft im North American Free Trade Agreement (NAFTA 1992).
Um nicht auf die Zweidrittelmehrheit im Senat angewiesen zu sein, wird die Bezeichnung „Vertrag“ bei so mancher internationalen Übereinkunft vermieden. So sprach Ex-Präsident Obama 2015 bewusst immer nur von einem „Abkommen“ mit Iran.
Kontinuierliches Kräftespiel aus „Checks and Balances“
Die Beispiele verdeutlichen, dass die Gewaltenteilung im Dreieck zwischen Präsident, Senat und Repräsentantenhaus (erweitert auch den Gouverneuren mit weitreichenden Einspruchsrechten) auf einem komplizierten, von der US-Verfassung häufig nur schemenhaft vorgezeichneten Geflecht aus Rechtspraxis, Übereinkünften und Konzessionen basiert.
Dieses System der „Checks and Balances“ wird schon dadurch geprägt, dass die Abgeordneten im Repräsentantenhaus zwar stärker von ihren jeweiligen Parteien abhängig sind als die Senatoren, die Fraktionsdisziplin auch im Repräsentantenhaus aber eine geringere Rolle spielt als in vielen anderen Parlamenten weltweit. Auch gehören die Vorsitzenden der Ausschüsse im Repräsentantenhaus stets der Mehrheitspartei an. Sie bestimmen die Tagesordnung. Grundsätzlich entscheidet sich bereits in den Ausschüssen, ob ein Gesetz zur Abstimmung ins Plenum kommt. Der Präsident wiederum ist jeweils darauf angewiesen, Senatoren oder Abgeordnete des Repräsentantenhauses davon zu überzeugen, Gesetzesvorhaben entweder abzublocken oder voranzutreiben.
Sollten die Demokraten, was nur wenige Tage vor der Wahl als das wahrscheinlichste Ergebnis gilt, die Mehrheit im Repräsentantenhaus übernehmen, der Senat aber weiterhin in republikanischer Hand bleiben, dürfte Präsident Trump mit einer ganzen Reihe an Vorhaben politisch gegen Wände laufen. „Wir werden dann“, so sinngemäß kürzlich ein regierungskritischer Gewerkschaftsführer in New York, „einiges verhindern können“. Gleichzeitig werde sich bei diesem Wahlergebnis, und auch das gehört zum amerikanischen System der „Checks and Balances“, „nicht viel grundsätzlich verändern lassen“.