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Mit 3 zu 2 Stimmen hat das Direktorium der Obersten Wahlbehörde (C.N.E.) beschlossen, ca. 1,5 Millionen Unterschriften einer erneuten Prüfung und Bestätigung zu unterziehen. C.N.E.-Mitglieder, die der Regierung nahe stehen, haben keinen Zweifel daran gelassen, dass ihrer Meinung nach große Teile der Unterschriften ungültig erklärt werden müssen, weil sie den extrem detaillierten Vorschriften der C.N.E. nicht entsprechen. Die beiden der Opposition zugerechneten Direktoren der C.N.E. nehmen derzeit –aber ohne von ihrem Amt zurückgetreten zu sein- nicht mehr an den Entscheidungen der Wahlbehörde teil, weil sie sich an keiner demokratischen Scheinfassade beteiligen wollen.
Streitpunkt ist vor allem die Frage, ob Daten, die von Dritten in die Unterschriftslisten eingetragen wurden, aber mit eigenhändiger Unterschrift und Daumenabdruck von den Unterschriftswilligen bestätigt wurden, anerkannt werden können. Die beiden Direktoren Sobella Mejías und Ezequiel Zambrano sind für die Anerkennung, die Mehrheit des Direktoriums dagegen. Die Bestimmung, dass die Unterschrift ein personalisierter Vorgang ist, interpretiert man so, dass alle Angaben auch persönlich in die Unterschriftenliste eingetragen werden müssen.
Die Oberste Wahlbehörde plant, vom 11. bis 15. März den Personen, deren Daten angezweifelt werden, die Gelegenheit zur persönlichen Bestätigung vor der Wahlbehörde zu geben. Dazu werden zunächst alle angezweifelten Angaben publiziert. In 600 Bestätigungszentren sollen dann an 5 Tagen 1,5 Millionen Menschen ihre Daten identifizieren und bestätigen. Theoretisch sind dies „nur“ 500 Personen pro Tag und Zentrum. Tatsächlich aber wir die Aufteilung anders sein und die Opposition befürchtet, dass allein aus administrativen Gründen die Bestätigung zur „Farce“ wird.
Deshalb lehnt sie diesen Weg ab und fordert die Anerkennung aller Daten, die eindeutig durch Unterschrift und Daumenabdruck bestätigt sind. Nach ihren Angaben sind das etwa 3,1 Millionen der 3,4 eingesammelten Unterschriften.
Bei aller Anerkennung der souveränen Entscheidungsvollmacht der Obersten Wahlbehörde und der Notwendigkeit der Überprüfung zweifelhafter Angaben, haben OAS und Carter-Zentrum eine Prüfung des „Guten Willens“ gefordert. Sie haben vorgeschlagen, ein international anerkanntes Verfahren der repräsentativen Stichproben vorzunehmen.
Die Mehrheit der Obersten Wahlbehörde hat den Vorschlag zurückgewiesen. In keinem Land der Welt könnten Wahlbeobachter Vorschläge machen und erst recht diese nicht veröffentlichen, monierte das Direktoriumsmitglied Oscar Bataglini. Abgesehen davon, dass die Aussage „in keinem Land der Welt“ nicht richtig ist, fragt man sich, wie dann OAS und Carter-Zentrum ihre Funktion der Beobachtung und Vermittlung erfüllen können. Offensichtlich will man in seinen Planungen nicht „gestört“ werden.
Für die Opposition steht fest, dass die „Planung“ die Feststellung der Ungültigkeit von soviel Unterschriften sein wird, dass „als devotes Geschenk an den Präsidenten“ das Abberufungsreferendum gegen Präsident Chávez nicht stattfinden kann. Ein von Anfang an „abgekartetes Spiel“ vermutet die Opposition, weil Präsident Chávez schon vor Ende der Unterschriftenaktion vom „Superbetrug“ der Opposition sprach, Infrastrukturminister Diosdado Cabello vor Ende der Überprüfung bereits das Streichen von notfalls 2 Millionen Unterschriften ankündigte und Vizepräsident Rangel im Parlament den 3. Versuch der Opposition zum Staatsstreich unter Ausnutzung aller Möglichkeiten einschließlich der Manipulation des Referendums feststellte.
Neue Kraftprobe Regierung – Opposition zum „G-15“
Venezuela ist am Wochenende vom 27. bis 29. Februar Schauplatz des G-15-Gipfels. Die Präsidenten von Argentinien und Brasilien werden anwesend sein. Diese Gelegenheit wird die Regierung nutzen, um sich demokratisch darzustellen und Opposition und die USA der Umsturzpläne gegen die legitime Regierung zu bezichtigen. Soziale Ungerechtigkeit, Armut und Hunger werden die Themen des Gipfels sein.
Die Regierung ruft für den 29. Februar zu einer Massenkundgebung auf, um gegen die Einmischung des Auslandes in die inneren Angelegenheiten Venezuelas zu protestieren. Hauptziel dieses Protestes werden die USA sein, denen unterstellt wird, den Staatsstreich vom 12. April 2003 unterstützt zu haben und auch aktuell gegen die legitime Regierung Chávez zu arbeiten.
Die Opposition will dieses Ereignis nutzen, um ihre Sorge um den Bestand der Demokratie direkt dem Gipfel vorzutragen. Sie plant daher zeitgleich mit der offiziellen Eröffnung des Gipfels, das Tagungszentrum zu erreichen. Die Regierung lehnt dies aus Sicherheitsgründen ab. Wie auch bei anderen internationalen Gipfeln üblich hat sie das Gebiet und den Gipfel weiträumig zur Sicherheitszone erklärt. Mit massivem Einsatz von Militär und Sicherheitskräften will man diese Zone frei halten.
Merkwürdig nur, dass wieder in dieser Zone Regierungsanhänger andere Rechte als die Opposition zu haben scheinen. Anhänger von Lina Ron stehen mit Zelten und Transparenten in der Sicherheitszone, um ihre Verbal-Angriffe auf die USA führen zu können. Der Verlauf des Gipfels wird zeigen, ob „gleiches Recht für Alle“ gilt.
Die Emotionen innerhalb der Opposition sind durch die Entscheidungen der Obersten Wahlbehörde aufgewühlt. Proteste mit Verletzten und Festgenommenen hat es in den letzten Tagen in den Regionen bereits gegeben. Jetzt ruft die Mehrheit der Opposition dazu auf, bis zum Ort des Gipfels vorzudringen. Der Oberbürgermeister, ehemaliger Chávez-Vertrauter und heute entschiedener Gegner, hatte eine Erlaubnis gegeben. Das Innenministerium hatte diese Verfügungen aus Sicherheitsgründen aufgehoben.
Es wäre wichtig, dass die Opposition „kühlen Kopf“ bewahrt. Wie ist der Weg des Referendums bislang und zukünftig? Das Referendum beruht auf einem Vorschlag vom ehemaligen US-Präsidenten Carter und ist Ergebnis des Abkommens Regierung/Opposition vom 29. Mai 2003, welches auf Vermittlung von OAS und Carter-Zentrum zustande kam. Dieser verfassungsmäßige Weg zur Ablösung von Präsident Chávez wird erst enden, wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sein werden. Dabei sind die Entscheidungen der Obersten Wahlbehörde zwar wichtig, aber letztlich nur „Zwischenstationen“.
Das Referendum wird vor der „Kammer für Wahlfragen“ des Obersten Gerichtes enden. Chávez selbst hat angekündigt, dass er Rechtsmittel einlegen wird, sollte die Wahlbehörde gegen ihn entscheiden. Bleibt es beim absehbaren Trend der Wahlbehörde gegen die Opposition, bleibt ihr innerhalb des Rechtssystems auch nur der Weg vor das Oberste Gericht. Für die Opposition wird es überlebenswichtig sein, dass OAS und Carter-Zentrum letztlich eine Wertung der Ereignisse vornehmen können.
Eine „Unterbrechung des Rechtsweges“ durch vorschnelle Aktionen der Opposition würde eventuell den internationalen Organisationen die Möglichkeit rauben, eindeutig Stellung zu beziehen. Außerdem hätte die „Bolivarianische Revolution“ wieder eine Möglichkeit, die Opposition national und international zu diskreditieren und gegen sie „rechtlich vorzugehen“.
Angesichts der aufgeheizten Stimmung keine leichte Situation für die Führer der Opposition. Es könnte sich unter diesen Umständen aber auch zeigen, dass nur der eine wirkliche Führungsrolle in der Opposition beanspruchen kann, der das Gesamtziel nicht zu Gunsten eines kurzfristigen „Krawalls“ opfert.