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Tote und Verletzte nach friedlichen Protesten und harter Reaktion der Sicherheitskräfte

by Michael Lingenthal

Politische Lösung des Konflikts mit der Wahlbehörde in letzter Minute?

Venezuela ist von Protesten gegen Präsident Chávez gekennzeichnet. Die Opposition drängt auf die verfassungsmäßige Lösung der Krise über das Abberufungsreferendum gegen den Präsidenten. Sie hat für die nächsten Tage Dauerproteste angekündigt, die in den Nachtstunden des 27./28. Februar begonnen haben. Die „Bolivarianische Revolution“ ruft für den 29. Februar ihre Anhänger auf die Straße, um gegen die Einmischung der USA zu protestieren. Venezuela steht vor einem weiteren „politisch heißen“ Wochenende.

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2 Tote und mindestens 21 Verletzte forderten die Proteste der Opposition bislang. Die Opposition hatte zu friedlichen Massenkundgebungen in Caracas und den Regionen aufgerufen, um ihre „Unterschriften zu verteidigen“. Es geht um die 3,4 Millionen Voten der Venezolaner, die mit ihrer Unterschrift ein verfassungsmäßiges Abberufungsreferendum gegen Präsident Chávez fordern. 2,4 Millionen Unterschriften sind das Mindestmaß (20% der Wahlberechtigten). 1,5 Millionen Unterschriften werden durch die Oberste Wahlbehörde in einer 3:2 Entscheidung ihres Direktoriums einer erneuten Prüfung und Bestätigung unterworfen. Die Zahlen sind klar. Wenn „Überprüfung“ Nichtanerkennung bedeuten würde, hätte Präsident Chávez sein Ziel - kein Referendum gegen ihn - erreicht.

Auch in den Nachtstunden werden die Proteste gegen den Präsidenten fortgeführt. Barrikaden brennen, spontane Protestzüge bilden sich um Häuserviertel. Für Samstag und Sonntag hat die „Coordinadora Democrática“ zu weiteren gewaltlosen Protesten aufgerufen. Man will die Straßen einnehmen und ausharren, bis einer politischen Lösung des Konfliktes zugestimmt wird.

Der Protest in Caracas begann ausgelassen, heiter mit einem der schon bekannten Oppositionsmärsche, auch wenn klar war, dass die Opposition ihr Marschziel, das Tagungsgebäude des G-15 Gipfels, nicht würde erreichen können. Es war zur Sicherheitszone erklärt und wurde von massiv ausgerüsteten Truppen abgeriegelt. Dies wühlte ungeheuere Emotionen bei den Demonstranten auf. Führer der Opposition, die zur Mäßigung aufriefen, wurden als „Verräter“ und „Feiglinge“ beschimpft. Der Versuch, dennoch in die Nähe des Gipfels zu kommen, wurde von der „Guardia Nacional“ mit Einsatz höchster Gewalt und andauerndem Tränengaseinsatz vereitelt. Über 7 Stunden dauerten die Kämpfe an.

Wieder stellte sich die Frage, ob die Verhältnismäßigkeit der Mittel von der Regierung gewahrt wurde. An diese Verhältnismäßigkeit sind auch in Venezuela die Sicherheitskräfte gesetzlich gebunden. Zudem sagt die Verfassung in Art. 68, dass alle Venezolaner das Recht haben, sich friedlich zu versammeln und zu demonstrieren. Feuerwaffen und toxische Mittel sind ausdrücklich verboten, um gegen friedliche Demos eingesetzt zu werden. Diese Bestimmung würdigte Präsident Chávez seinerzeit besonders, weil nie wieder Militär gegen berechtigte Proteste der Bevölkerung eingesetzt werden sollte. Er bezog sich dabei auf die exakt vor 15 Jahren erfolgten „Hungerproteste“, als Polizei und Armee mit Härte und Waffeneinsatz die Unruhen erstickten.

An diesem Tag zählte dieses Versprechen nicht mehr. Auch deshalb, weil die Regierung durch ihren Innenminister feststellte, dass die Gewalt von den Demonstranten ausging. Und auch der Generalstaatsanwalt bestätigte diesen Sachverhalt, noch während die Proteste liefen.

Wieder wurde von Chávez-Anhängern ein Parteilokal der „COPEI“ (Christdemokraten) eingenommen, verwüstet und in Brand gesetzt. Die Opposition fragt deshalb, wer Gewalt ausübt.

TV-Bilder belegen außerdem, wie die „Guardia Nacional“ ohne angegriffen zu sein, Demonstranten niederknüppelt und mit Schlagstöcken, Fußtritten und Gewehrkolben agiert, als die Opfer bereits wehrlos auf dem Asphalt liegen. Der Verteidigungsminister bedauerte in einer nationalen Zwangsschaltung aller Radio- und TV-Sender (sog. cadena) die Opfer und rief zu Ordnung und Ruhe auf. Er lobte ausdrücklich den Einsatz der „Guardia Nacional“. Unter den 6 Festgenommenen sollen 2 Polizeiangehörige der Polizei des Distrikts „Baruta“ sein.

Die Führung der Opposition ist gefordert, wenn sie weiter die Bevölkerung auf die Straße ruft

Auch wenn die Opposition über die „Unterschriftenmanöver“ aufgebracht ist und die Menschen in friedlicher Absicht auf die Straße gingen, muss sich ihre Führung fragen lassen, ob sie die Ziele der Kundgebungen richtig gewählt hat. Sicherheitszonen sind heute „Normalität“ bei Gipfeltreffen. Die Oppositionsführung muss sich fragen lassen, ob das Festhalten am ursprünglich genehmigten Marschziel –innerhalb der Sicherheitszone- zu verantworten war. Konfusion herrschte wieder an den Brennpunkten der Marschzüge.

Es ist auch zu fragen, ob man sich genügend auf den „Rückzug“ vorbereitet hatte. Ein Teil der Demonstranten fühlte sich allein gelassen und nahm daher die Dinge auf ihre Weise in die Hand. Dies reichte bis zum Abfeuern von Feuerwerksraketen gegen die Sicherheitskräfte der Regierung. Festzuhalten ist aber, dass diese Ausschreitungen erst erfolgten, als die „Guardia Nacional“ mit aller Härte gegen die Demonstranten vorging. Wenn die Oppositionsführung weiter zu Protesten aufruft, muss sie unbedingt dafür sorgen, dass eigene Ordnungskräfte für die Opposition schädliche Aktionen und Übergriffe verhindern. Es reicht nicht aus, die Tapferkeit und das Durchhaltevermögen der eigenen Anhänger zu feiern. Es muss eine Strategie ersichtlich sein, die den friedlichen Charakter der Proteste garantiert.

Und die Opposition darf auch nicht vergessen, dass sie auf OAS und Carter-Zentrum angewiesen ist, sollte tatsächlich das Referendum trotz genügender Anzahl von Unterschriften durch „Tricks“ (Expräsident Jimmy Carter zur Wahlbehörde „no tricks“) verhindert werden. Der am 29. Mai 2003 begonnene verfassungsmäßige Weg, wird nicht mit dem Spruch der Obersten Wahlbehörde enden. Den Schlusspunkt wird das Oberste Gericht setzen. Es sei denn, schon vorher wird gewaltsam der Verfassungsweg von einer der beiden Seite beendet.

Politische Lösung des Konflikts mit der Wahlbehörde in letzter Minute?

Die Mehrheit der Wahlbehörde hat in den Morgenstunden des 27. Februar der Opposition Gespräche angeboten, um eine einvernehmliche Lösung für die Überprüfung sowie die Bestätigung der in Zweifel gezogenen Unterschriften zu erreichen (siehe vorherigen Bericht). Wenn sie überhaupt zustande kämen, würden dies extrem schwierige Gespräche, weil die Opposition darauf beharrt, genügend gültige Unterschriften eingereicht zu haben und die nachträgliche Veränderung der Prüfkriterien durch die Oberste Wahlbehörde mehr als fraglich ist. Trotz der Angriffe auf die internationale Wahlbeobachtung, sind OAS und Carter-Zentrum wieder bereit, eine schwierige Vermittlungsrolle zu übernehmen.

Das Gipfeltreffen der G-15 hat politisch bislang keinen herausragenden Stellenwert. Total abgeschirmt begann das Treffen. Neben den internationalen Delegationen waren erhebliche Kontingente der Regierungsparteien, des Militärs und der Revolutionsjugend vertreten. Sie skandierten in Richtung ihres Präsidenten frenetisch „ordénde“.

Präsident Mugabe, besonders von Präsident Chávez hofiert, forderte „Venezuela den Venezolanern“ und „Afrika den Afrikanern“ und wollte damit gegen die wirtschaftliche und politische Interventionspolitik der 1. Welt, besonders der USA, protestieren.

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