Country reports
In einem Zirkuszelt im Bois de Boulogne erläuterte er vor rund 2.000 Anhängern seine Motivation und seine Ziele.
Er bedauert die seit 1995 verlorene Zeit,
will den status quo aufbrechen,
habe gelernt, sei gereift, habe Erfahrung gesammelt,
hofft, aus dem Scharz-Weiß-Schema der aktuellen Politik auszubrechen,
will die schwammige, konturlosen Politik der Kohabitation beenden,
propagiert eine liberale Politik für Frankreich: Senkung der Staatsausgaben; Senkung der Steuern; Verringerung der Anzahl der öffentlich Bediensteten; freie Wahl der Zahl der Arbeitsstunden; Schaffung von Pensionsfonds; freie Wahl der Schule (Abschaffung der carte scolaire);
fordert aber auch eine Reform und damit Stärkung der Autorität der staatlichen Institutionen: Verringerung der enormen Machtkonzentration an der Spitze des Staates; Bereinigung der Machtbefugnisse und Zuständigkeiten der verschiedenen Institutionen; Einrichtung einer wirklich unabhängigen Justiz; Verlagerung von mehr Machtbefugnissen und Zuständigkeiten auf die französischen Regionen; Ausweitung der Wahl- und Vertragsfreiheit der französischen Bürger.
Von den Beobachtern wurde indes vermerkt, dass Madelin nicht expressis verbis seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten der französischen Republik erklärt habe. Vielmehr habe er nur seine Kampagne eröffnet. Jenseits aller Spitzfindigkeit ist jedoch offenkundig, dass Madelin in den nächsten Monaten die Zustimmung zu seiner Person und zu seiner Politik testen wird, um dann zu einem späteren Zeitpunkt darüber zu entscheiden, ob er wirklich seine Kandidatur offiziell erklären wird.
Ähnlich wird im übrigen auch François Bayrou verfahren: Er wird sich am ersten Dezemberwochenende auf einem Parteitag der UDF absegnen lassen, dass die UDF einen eigenen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Republik aufstellen wird. Seine eigene Kandidatur dürfte er aber erst im Herbst 2001 offiziell erklären. Auch wenn schon heute jeder weiß, dass Bayrou Kandidat ist.
Damit nicht genug: Charles Pasqua (Rassemblement pour la France) hat bereits seine Kandidatur erklärt. Philippe de Villiers denkt ebenfalls darüber nach. Christine Boutin träumt davon. Schon spricht man von "Stau auf der rechten Fahrspur". Und man fühlt sich an ein Wort von Charles de Gaulle erinnert: "Après mois je ne crains pas le vide, mais le trop-plein".
Jacques Chirac hat es offenbar aufgegeben, zu versuchen, die zahllosen Kandidaturen der "petits chefs" zu verhindern. Die Zeichen stehen auf "Herunterspielen". Denn über Mittel, sie davon abzuhalten, verfügt er nicht. Schon wird die These von einer "pluralité constructive" ausgegeben. Ein breiteres Angebot beim ersten Wahlgang könne die Basis für den zweiten Wahlgang verbessern, so glaubt man.
Aber auch auf der Linken muss Jospin mit mehreren Konkurrenten rechnen. Traditionell wird jedoch eine Aufspaltung des linken Lagers in der französischen Politik als Ausweis von Offenheit und Demokratie angesehen, der Linken also eher nutzt, während die Spaltung des rechten Lagers als Anzeichen von Zerwürfnissen und Niedergang betrachtet werden, der Rechten also schadet.
Für beide, Madelin und Bayrou, sind - aus heutiger Sicht - die Aussichten bei den Präsidentenwahlen im Frühjahr 2002 indes eher bescheiden. Nach einer Umfrage im Auftrage von Paris Match-BVA (Paris Match vom 22. 11. 2000) erhielte Bayrou im ersten Wahlgang 6% der Stimmen, Madelin 3%. Beide, Madelin und Bayrou, werden in ihren Ambitionen auch nicht von ihrer gesamten Partei unterstützt.
Bayrou sieht sich mit dem Chirac-Getreuen Philippe Douste-Blazy, dem Vorsitzenden der UDF-Fraktion in der Assemblée Nationale konfrontiert. Jean-Pierre Raffarin, stellvertretender Vorsitzender der Partei Démocratie Libérale und enger Vertrauter von Chirac, nennt die Kandidatur von Madelin gar "eine riskante Übung auf dem Hochseil".
"Wenn der erste Wahlgang der Präsidentenwahlen am nächsten Sonntag stattfinden würde und wenn Sie die Auswahl unter den folgenden Kandidaten hätten, für welchen würden Sie am ehesten stimmen?"
Danach läuft alles auf einen Zweikampf zwischen Jacques Chirac und Lionel Jospin hinaus. Nach den Ergebnissen der gleichen Umfrage erhielte Jospin im zweiten Wahlgang 53% der Stimmen, Chirac nur 47%.
Der nächste französische Präsident hieße demnach Lionel Jospin.
Wieder einmal werden deshalb die Rufe nach einer Union der bürgerlichen Parteien nach dem Vorbild von CDU und PP laut. Besonders Edouard Balladur hat sich in den letzten Wochen nachhaltig für dieses Ziel engagiert und Politiker von RPR, UDF und DL um sich gesammelt, die dieses Ziel unterstützen. Die Vorsitzenden der Fraktionen RPR (Jean-Louis Debré), UDF (Philippe Douste-Blazy) und DL (Jean-François Matteï) haben ihre Fraktionskollegen aufgerufen, einen Aufruf zur Union der drei Parteien zu unterzeichnen. 364 von insgesamt 462 Parlamentariern (Sénat und Assemblée Nationale) haben in den letzten Tagen diesen Aufruf unterzeichnet (Figaro, 24. November 2000).