Wie sich Italien vor dem „römischen“
Papst Benedikt XVI. verneigt
Italiens Staatschef Sergio Mattarella und Premierministerin Giorgia Meloni waren die ersten, die dem verstorbenen Pontifex Emeritus kurz nach seiner Aufbahrung am Montagmorgen im Petersdom ihre Reverenz erwiesen. Das ist nicht ungewöhnlich: Italiens Staatsspitze demonstriert traditionell ihre Nähe zu den Nachfolgern Petri. Und doch war es ein Symbol dafür, wie warmherzig und geradezu liebevoll die italienische Öffentlichkeit von „Papa Ratzinger“ Abschied nimmt. Die Medien aktivierten ihre Sonderberichterstattung, wie sie beim Tod eines amtierenden Papstes üblich ist – das Leben Benedikts XVI. in Dauerschleife, Sondersendungen auf allen Kanälen.
Es waren vor allem die Römer und Gläubige aus allen Teilen des Landes, die nach Sankt Peter strömten, um am aufgebahrten Leichnam zu beten. Sie haben den vormaligen Kardinal Joseph Ratzinger, der fast die Hälfte seines Lebens in der Ewigen Stadt verbracht hat, längst als einen der ihren adoptiert. Sein ausgezeichnetes Italienisch, seine Liebe zu Rom und seine elegante Erscheinung – das schlohweiße Haar und der stets von seinen Spaziergängen sonnengebräunte Teint sowie seine makellose Würde – taten das Übrige. Die Römer hatten ihren „Papa Professore“, wie sie ihn nannten, ins Herz geschlossen.
Zudem sahen sie im engsten Vertrauten von Johannes Paul II. stets den logischen Nachfolger von „Papa Wojtyla“. Die Vorstellung, dass über all den täglichen Kontroversen (die in Italien verbal oft raubeiniger ausgetragen werden als in Deutschland) ein gütiger, alter Herrscher thront, mag zudem einer gewissen Mentalität auf dem Stiefel entsprechen; nicht umsonst ist auch Staatspräsident Mattarella derart beliebt. „Umstritten“ oder „kontrovers“ (jene Attribute, mit denen Benedikt gerne in deutschen Medien belegt wurde und die auch posthum nicht fehlen) war er in Italien nie.
Unter dem Klerus und den Theologen des Landes hat er nach wie vor eine große Anhängerschaft, die sein theologisches Lebenswerk als unermesslichen Schatz betrachtet. Dass der Papst aus Deutschland ausgerechnet in seinem Heimatland so oft Geringschätzung erfuhr, können die Italiener nicht verstehen; sie verbuchen es unter dem auch hier geläufigen Spruch: “Der Prophet gilt im eigenen Land nichts.“ Papst Franziskus hat es mit schlichten Worten auf den Punkt gebracht: „Danken wir dem Herrn für seine Güte, dass er seiner Kirche einen Josef Ratzinger zum Geschenk gemacht hat.“
Welches Erbe Josef Ratzinger
seiner Heimat hinterlässt
Das geistliche Testament von Benedikt XVI., das noch am Tage seines Todes von dessen Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein veröffentlicht wurde, ist bemerkenswert kurz und knapp gehalten. Doch was sollte ein Kirchenlehrer, der ein derart umfangreiches Schriftwerk hinterlassen hat, noch hinzufügen? Seiner deutschen und bayerischen Heimat hinterlässt er einen Appell:
„… danken möchte ich dem Herrn für die schöne Heimat im bayerischen Voralpenland, in der ich immer wieder den Glanz des Schöpfers selbst durchscheinen sehen durfte. Den Menschen meiner Heimat danke ich dafür, daß ich bei ihnen immer wieder die Schönheit des Glaubens erleben durfte. Ich bete darum, daß unser Land ein Land des Glaubens bleibt und bitte Euch, liebe Landsleute: Laßt euch nicht vom Glauben abbringen! Endlich danke ich Gott für all das Schöne, das ich auf den verschiedenen Stationen meines Weges, besonders aber in Rom und in Italien erfahren durfte, das mir zur zweiten Heimat geworden ist.“
Diese letzten Sätze des überzeugten Europäers lassen sich auch politisch deuten: Für ein grenzenloses, offenes Europa, in dem es möglich ist, sein eigenes Vaterland genauso zu lieben wie das Gastland, das zur zweiten Heimat geworden ist. Es ist das Gegenteil von antieuropäischem Populismus und Nationalismus. Schon die Wahl seines Papstnamens „Benedikt“, der als Patron Europas verehrt wird, war Programm. Vehement stemmte er sich in den fast acht Jahren seines Pontifikats gegen jeden Versuch, Gott und den christlichen Glauben aus dem öffentlichen Raum zugunsten eines undefinierten „humanistischen“ Laizismus zu verbannen. Bei einer Audienz für die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament mahnte er etwa: „Nur wenn sich Europa seiner christlichen Wurzeln bewusst bleibt, wird es seinen Völkern eine sichere Orientierung für die Zukunft weisen können.“ Seine Worte könnten aktueller nicht sein.
Warum Papst Franziskus derzeit nicht an Rücktritt denkt
Es war Papst Franziskus selbst, der die Gläubigen während der Generalaudienz am 28. Dezember vom bedrohlichen Gesundheitszustand seines Vorgängers informierte und sogleich an dessen Sterbebett eilte. Das Signal war klar: Das Ende ist nahe. Sobald Benedikt XVI. in den vatikanischen Grotten beigesetzt ist, wird sich auch für Franziskus die Frage stellen, ob er einmal dem Modell eines Papstes im Ruhestand folgen soll. Die bisherige Meinung, dass zwei pensionierte Päpste einer zu viel sind, fällt in Zukunft jedenfalls weg. Doch wird der Argentinier Jorge Mario Bergoglio tatsächlich diesen Weg für sich wählen, wie manche Journalisten geradezu herbeischreiben? Sollte sich die physische und mentale Gesundheit des 86jährigen Pontifex nicht deutlich verschlechtern, ist davon in naher Zukunft kaum auszugehen. Zu dicht das Programm, zu anspruchsvoll die gegenwärtigen Herausforderungen, zu viele offenen Baustellen, um einfach die Kommandobrücke zu verlassen.
Da ist das geplante Reiseprogramm für das angelaufene Jahr 2023. Schon in vier Wochen geht es auf Afrika-Reise. Stationen sind die Krisenländer Südsudan und Kongo. Im Herbst beginnt im Vatikan die erste Phase der internationalen Bischofssynode zum Thema Synodalität, ein Kernthema seines Pontifikats. Im Herbst 2024 folgt die Abschlussrunde; die Ergebnisse wird der Papst werten und seine Schlüsse daraus veröffentlichen. An Heiligabend 2024 schließlich wird Franziskus die Heilige Pforte für das Jubiläumsjahr 2025 öffnen. Zudem erwarten sich Beobachter ein wichtiges Dokument: Es soll für die Zukunft kanonisch verbindlich festschreiben, wie der eventuelle Rücktritt und der Status eines pensionierten Papstes geregelt werden. Dabei ist zweifelhaft, ob es in Zukunft überhaupt noch einmal die Figur eines „Pontifex Romanus Emeritus“ in weiß geben wird. Auch die wirklichen Gründe für die spektakuläre Abdankung Benedikts dürften dabei nochmals heiß diskutiert werden.
Warum Benedikts Tod eine neue Phase markiert
Der Tod von Benedikt XVI. markiert auch für Franziskus einen Einschnitt: Sein Pontifikat geht in die Endrunde. Das „Vorkonklave“ hat begonnen. Wie will er diese Phase gestalten? Er wird sich fragen müssen, wie er die kommenden Jahre des Übergangs moderieren möchte. „Steht im Glauben zusammen“, war der letzte Aufruf seines Vorgängers. Eine Kirche, die mehr denn je in Flügel zerrissen ist und zunehmend einen kontroversen Debattenstil untereinander pflegt, wieder zusammenführen und zerbrochenes Porzellan kitten – das könnte beispielsweise einer der Vorsätze von Franziskus für die Endphase seiner Amtszeit werden.
Die möglichen Kandidaten für seine Nachfolge werden sich dabei in Stellung bringen – oder gebracht werden. Spannend wird, welchen Purpurträgern Franziskus welche Führungsaufgaben anvertraut oder wen er bei künftigen Konsistorien etwa mit dem roten Hut bedenkt. Im Hintergrund werden bereits Stimmen laut, die sich nach einer klaren Linie statt des häufigen Zickzack-Kurses sehnen; und gleichzeitig nach mehr Milde und Integrationskraft eines Pontifex, der seit seiner Wahl vor bald zehn Jahren oftmals Freund und Feind vor den Kopf gestoßen hat.
Ein Gradmesser wird sein, wie er mit Benedikts langjährigem Privatsekretär Georg Gänswein umgeht, der von ihm als Präfekt des Päpstlichen Hauses wegen interner Spannungen auf unbestimmte Zeit beurlaubt worden war. Erzbischof Gänswein dürfte mehr denn je zu einer Symbolfigur und einer Art geistigem Nachlassverwalter der „Ratzingerianer“ im Vatikan und darüber hinaus werden. Wird ihn Franziskus in Zukunft wieder einbinden oder vom Hof verbannen? Man wird viel daran ablesen können.
Autoren:
Michael Feth ist freier Korrespondent und Vatikan-Experte.
Nino Galetti leitet seit 2020 das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom mit Zuständigkeit für Italien, Malta und den Heiligen Stuhl.
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