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Country reports

Der Weg für neue Parteien ist offen

by Hans-Jürgen Weiss
Zwanzig Jahre nach dem Beginn der Demokratisierungswelle in Lateinamerika stellt sich jetzt, infolge des sozialen und wirtschaftlichen Niedergangs, eine tiefgehende politische Krise ein. Die Demokratie muss institutionell, strukturell und konzeptionell repariert bzw. erneuert, in jedem Fall aber gefestigt werden, um in Zukunft weiter Gültigkeit zu haben.

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Diese Notwendigkeit muss allerdings anderen und neuen Wegen folgen, denn auch die traditionellen, nicht-militärischen Staatsstreiche sind auf Grund einer Mischung von fehlenden internen Popularität und internationaler Zurückweisung heute nicht mehr anwendbar. Die Problemstellung ist ernster Natur, denn die politischen Parteien sind ihrer Verantwortung nicht nachgekommen und werden in hohem Grade von den Bevölkerungen zur Seite geschoben. Aber ohne politische Parteien gibt es auch keine vernünftige Alternative.

Guatemala ist das lateinamerikanische Land, in dem das Auf und Ab der politischen Parteien und ihre Anzahl ständig heftigen Veränderungen ausgesetzt war und ist. In Wirklichkeit sind es mehrheitlich politische Ansammlungen, sie folgen einem Wortführer und verschwinden wieder, wenn dieser, aus welchen Gründen auch immer, die politische Bühne verlässt. Der "Partido Revolucionario" und das "Movimiento de Liberación Nacional" waren in der politischen Vergangenheit des Landes die am längsten lebenden Parteien, sie verschwanden aber, als die Generation der Erstmitglieder ausstarb und eine innere Erneuerung nicht stattfand.

Die Christliche Demokratie verlor ihre einstige Bedeutung u. a. auch durch entscheidende Fehler ihrer Führung und lebt heute im Schatten der politischen Aktualität. Das Ende der "Unión del Centro Nacional" wurde mit dem Mord an Jorge Carpio Nicolle eingeleitet, und die heutige Mehrheitsregierungspartei "Frente Republicano Guatemalteco" (FRG) steht an der Schwelle ihres politischen Endes, sollte sie die Wahl 2003 nicht gewinnen.

Der "Partido de Avanzada Nacional" und auch die Linke scheinen wegen innerer Zerwürfnisse nicht die Kraft zu haben, die sich bietende Gelegenheit zu nutzen. Von daher das Auftauchen neuer politischer Gruppierungen, die sich Chancen ausrechnen, in diesem politischen Vakuum - allein oder in Wahlbündnissen - politisches Gewicht zu finden.

Die Gelegenheit, aus der aktuellen verworrenen politischen Situation Nutzen zu ziehen, ergibt sich in Guatemala, weil die Gesellschaft in eine Protest- und Abwehrhaltung eingetreten ist, sei es über den Zusammenschluss der Institutionen und Organisationen der Zivilgesellschaft, z.B. im "Foro Guatemala" (unter Ausschluss der politischen Parteien), in "Barómetro" (eher eine Gruppierung renommierter Einzelpersonen) und neuerdings im "Movimiento Cívico", das unter Führung der "Unidad de la Esperanza" und deren Generalsekretär Alvaro Colom 1999 (ehemaliger Präsidentschaftskandidat der "Alianza Nueva Unión") den Versuch unternimmt, Politik und Zivilgesellschaft zusammenzuführen.

Das Problem allerdings besteht darin, dass zwar Vorschläge zur inneren Veränderung der gegebenen Situation gemacht werden, aber anfangs auf Regierungsseite keine Bereitschaft und inzwischen sogar auf der Seite des "Foro" kein Interesse mehr besteht, in zukunftsweisende Gespräche einzutreten.

Die traditionellen Machtgruppen, wie z.B. die Unternehmer und ihre Verbände, weisen inzwischen auch Anzeichen innerer Auseinandersetzungen und Schwächen auf als Folge von Meinungsverschiedenheiten, die in bestimmten Fällen nicht mehr zusammengeführt werden können.

Andererseits trifft die autoritäre Regierungsform der FRG fortschreitend auf mehr Ablehnung in der Bevölkerung. Es wäre dringend notwendig, dass die Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft und der Politik zu einem Konsens gelangten, ohne den die Gesellschaft aus den Fugen gerät.

Der Weg für neue politische Parteien ist offen, nur muss diese Option dazu führen, dass nicht nur, wie bisher, lediglich die Köpfe ausgetauscht werden und sonst alles beim Üblichen bleibt, sondern klare Grundsätze, ernsthafte Zielvorstellungen und neue Arbeitsweisen Platz greifen.

Der grundlegende Gedanke muss sein, neue Parteien zu schaffen oder einige der bestehenden so umzuformen, dass sie modernen Erfordernissen als Instrumente der Repräsentation des Bürgerwillens voll gerecht werden. Ein allgemein verbreitetes und gerechtfertigtes Vorurteil gegenüber der Politik und den politischen Parteien darf nicht zu dem Schluss führen, dass man sie nicht benötigt. Dies stellt eine weitreichende Herausforderung dar, die schnellstens in Programme und Aktionen umzusetzen ist.

Ein Schritt in die richtige Richtung wurde mit der Neuwahl der 5 ordentlichen Mitglieder und der 5 Stellvertreter des "Tribunal Supremo Electoral" (TSE) - Oberstes Wahlgericht getan. Keiner der bisherigen Amtsinhaber wurde wiedergewählt, was sich gegen die Vorstellung weiter Kreise richtet. Es waren von einer Nominierungskommission 30 herausragende Persönlichkeiten des Rechtsbereichs dem Kongress zur Wahl vorgeschlagen worden.

Den ungeschriebenen Regeln entsprechend fand keine Persönlichkeitswahl, sondern eine Listenwahl statt. 4 Kandidatenlisten wurden auf der Grundlage der 30 Nominierten von den Parteien DCG, PLP, UD und ANN dem Kongress eingereicht, wobei die Kandidaten auf mehreren Listen erscheinen durften. Der Kongress ließ ohne weitere Aussprache abstimmen. Den Zuschlag erhielt - zur Überraschung vieler - die Liste der Partei der Christlichen Demokratie Guatemalas, mit 76 Stimmen von 83 anwesenden Abgeordneten (von 113 insgesamt), die sich aus denen der FRG, der DC und der Unionistas, einer weiteren Oppositionspartei, zusammensetzten.

Bei den 10 ordentlichen und stellvertretenden neu gewählten Mitgliedern des TSE, die ab 20. März 2002 ihr Amt antreten, handelt es sich um anerkannte und integre Persönlichkeiten, darunter als stellvertretendes Mitglied der Vorsitzende des KAS-Partners ASIES, Carlos Escobar Armas. Das Vorgehen und die Handlungsweisen des TSE in der Zukunft haben eine herausragend wichtige Funktion im Rahmen der Konsolidierung der guatemaltekischen Demokratie.

Im Rahmen einer Reihe von mehr oder minder umfangreichen und gleichzeitig äusserst negativen Begleiterscheinungen des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, soll auf zwei davon eingegangen werden.

Die zwei Tage andauernde Entführung des Präsidenten der Zentralbank Guatemalas, Lizardo Sosa López, ein ehemaliger Stipendiat der Konrad Adenauer Stiftung, und der gute Ausgang dieser Gewaltaktion bestätigen die persönliche Unsicherheit, der man sich allenthalben ausgesetzt sieht, wobei es nicht nur um hochgestellte Persönlichkeiten geht.

Das organisierte Verbrechen, im Unterschied zur Allgemeinkriminalität, greift immer mehr um sich und ruft umfangreiche Schutzmaßnahmen privater Natur hervor. Selbst wenn die Gründe für Entführungen und Gewalt in hohem Maße an ökonomischen Motiven ausgerichtet sind, darf nicht verkannt werden, dass im Einzelfall auch politische Beweggründe dahinter stecken können.

Im Falle Sosa López ist das Motiv der Entführung nie bekannt geworden. So wie die Entführung professionell durchgeführt wurde, so funktional war auch die Handhabung der Auslösung des Entführten. Ob seine klare Haltung in der Frage der Haushaltsgestaltung und - sanierung wie auch im Zusammenhang mit der Verabschiedung der vier Finanzgesetze als Vorbedingung für den Mittelfluss aus den Vereinbarungen der Konsultiv-Gruppe vom 12. und 13. Februar 2002 in Washington, oder ob das Gerücht, er könnte der Präsidentschaftskandidat des Portillo-Flügels der FRG werden, damit etwas zu tun haben, kann niemand bestätigen.

Das Auftauchen von anderen Gerüchten im Zusammenhang mit " dunklen" Finanzgeschäften und Konten führender Regierungsmitglieder (darunter der Präsident selbst in Panamá) haben die allgemein negative Stimmung im Land weiter angeheizt. Die investigative und unbarmherzige Presse hat sich in diesen intransparenten Fall verbissen und setzt alle Hebel in Bewegung, um Licht ins Dunkle zu bringen, wobei ihr Ziel ist, die Regierung - sollten die Gerüchte stimmen - weiter ins Abseits zu bringen.

Eine bedeutsame Entscheidung, die großen Eindruck im Land hinterlassen hat, wurde vom ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten und späteren Staatspräsidenten ( 1993-1996 ), Ramiro de León, am 12. März 2002 getroffen, nämlich auf alle seine politischen Ämter (Dritter Vize-Präsident des Kongresses, das Abgeordnetenmandat und die Mitgliedschaft im Vorstand der FRG) zu verzichten und die Politik zu verlassen. Seine Begründung für den unwiderruflichen Rücktritt begann mit den Worten: Ich habe mich geirrt.

Er nannte 5 Gründe, die ihn zu diesem Schritt bewogen haben:

  • Ich glaubte, dass die Geschicke des Landes ( mit der FRG ) anders gestaltet würden, aber ich habe mich geirrt und deswegen erkläre ich in aller Bescheidenheit meinen Rücktritt.

  • Irren ist menschlich: ich bekenne, den Irrtum begangen zu haben, mich erneut an der Politik zu beteiligen, in dem Glauben, dem Land meine Erfahrung zuteil werden zu lassen.

  • Ich kann durch meine Präsenz einen Regierungsstil nicht gutheißen, den ich nicht für richtig erachte. Deshalb trete ich zurück.

  • Korruption: ich fühle mich unwohl und die Hinweise auf Korruption machen mich besorgt. Korruption ist meiner Meinung nach der Feind Nummer 1 unserer zerbrechlichen Demokratie.

  • Konfrontation: die ständige Konfrontation, was die Regierungsfähigkeit des Staates angeht, ist meiner Auffassung nach nicht positiv für Guatemala. Ich habe immer daran geglaubt, dass die Macht auf der Grundlage umfassender Kompromisse und weitreichender Vereinbarungen auszuüben ist.

Ramiro de León schloss mit den Worten: Ich werde wieder zu einem CCC (Ciudadano Común y Corriente), zu einem ganz gewöhnlichen Staatsbürger.

Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2003 und unter der Voraussetzung, dass zumindest der Verfassungsartikel 187 und der gleichlautende Artikel 3 des Wahl- und Parteiengesetzes mit qualifizierter Mehrheit des Kongresses geändert wird (was die Möglichkeit der Wiederwahl eines ehemaligen verfassungsgemäß an die Macht gekommenen Präsidenten bedeuten würde) bliebe nach den Absagen von Arzú und jetzt Ramiro de León als einziger Vinicio Cerezo Arévalo übrig.

Mit welcher Strategie würde die Wahlauseinandersetzung gehen -allein oder im Verbund mit anderen und dann mit wem? Die Antwort wird bald gegeben werden, die Voraussetzung für die Kandidatur gab der Wahlparteitag der DCG vor 2 Wochen mit sein Wiederwahl als Generalsekretär mit 216 von insgesamt 296 Stimmen.

Die Tatsache, dass die Dinge in Bewegung geraten, zeigt der landesweite Aufruf des "Movimiento Cívico" für einen Protestmarsch am 13. März 2002 in die Hauptstadt, um die Regierung zu Gesprächen zu zwingen und eine allgemeine Solidarisierung zu erzeugen.

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Prof. Dr. Stefan Jost

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