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Nach den vorläufigen Endergebnissen der Parlamentswahlen vom 15. Mai 2002 in den Niederlanden haben die Christdemokraten (CDA) mit ihrem Spitzenkandidaten Jan Peter Balkenende einen klaren Wahlsieg errungen. Sie erreichten 42 von 150 Mandaten. Gegenüber der letzten Wahl von 1998 legten sie damit 13 Sitze zu. Die Partei des ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn (LPF) gewann auf Anhieb 26 Mandate und wird zur zweitstärksten Kraft im Parlament. Der 46-jährige christdemokratische Politiker Balkenende hat damit gute Chancen, neuer Ministerpräsident der Niederlande zu werden. Die Koalitionsverhandlungen dürften sich allerdings schwierig gestalten; einer Koalition von CDA, dem rechtsliberalen VVD und LPF werden zwar Chancen eingeräumt, es wird jedoch bezweifelt, daß eine solche Koalition dauerhaft Bestand haben wird.
Schwere Verluste für die Regierungskoalition
Die regierende sozial-liberale Koalition von Ministerpräsident Wim Kok verlor dramatisch. Von ehemals 45 Mandaten erhält die sozialdemokratische "Partei der Arbeit" (PvdA) nur noch 23. Koks
Der liberale Koalitionspartner VVD verlor ebenfalls stark und kam nur auf 23 Sitze. Einige VVD - Politiker kündigten bereits den Gang in die Opposition an. Die linksliberale Partei D66 konnten von ihren ehemals 14 Mandaten nur acht retten. Zu den Gewinnern der Wahl kann sich auch die sozialistische Partei (SP) zählen, die von fünf auf neun Sitze wuchs. Die Partei "Leefbaar Nederland" konnte beim ersten Antritt drei Mandate erringen.
Stabil sind die niederländischen Grünen "Groen/Links" (GL) aus der Wahl hervorgegangen; sie mußten nur ein Mandat abgeben und kommen im neuen Parlament auf 10 Sitze. Sowohl die "Christunie" (CU) als auch die streng religiöse Partei SGP verloren Mandate.
Die Wahlbeteiligung war höher als noch vor vier Jahren. Bereits eine Stunde vor Schließung der Wahllokale um 21 Uhr war eine Beteiligung von 78 Prozent (1998: 73,2 Prozent) registriert worden.
Entsetzen im Regierungslager
Vor allem bei der sozialdemokratischen Partei der Arbeit des bisherigen Ministerpräsidenten Wim Kok löste das Ergebnis helles Entsetzen aus. Die stärkste Regierungspartei der letzten acht Jahre hat von ihren zuletzt 45 Mandaten nur noch 23 erhalten können. Die Niederlage ist damit schwerer ausgefallen, als nach dem bereits angekündigten Rückzug Koks aus der Tagespolitik erwartet worden war. Kok hatte noch am Wahltag im Fernsehen davor gewarnt, durch Wahl einer -jetzt möglich gewordenen - Mitte-Rechts-Regierung die in den vergangenen acht Jahre erreichten Erfolge zu verspielen.
Der sozialdemokratische Parteichef Ad Melkert übernahm die Verantwortung für das schlechteste Ergebnis der PvdA und kündigte noch in der Wahlnacht seinen Rücktritt an. Der liberale VVD-Chef Hans Dijkstal sprach von einem "schwarzen Tag für die Niederlande". Kok erklärte, die Sozialdemokraten in Europa erlebten "schwere Zeiten".
LPF-Sprecher Mat Herben zeigte sich dagegen sehr zufrieden. Er kommentierte das Wahlergebnis mit den Worten, Fortuyns Ideen lebten trotz seiner Ermordung weiter.
Sicherheit und traditionelle Werte
In den vergangenen Monaten war der Unmut über die Koalition der Sozialdemokratischen "Partei der Arbeit" (PvdA), der liberalen Volkspartei für "Freiheit und Demokratie" (VVD) und der kleinen linksliberalen Reformpartei Demokraten 66 (D66) gewachsen. Die Partei des CDA-Vorsitzenden Balkenende hatte den Wahlkampf mit dem zentralen Thema Sicherheit geführt und eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte propagiert.
Nach dem Mordanschlag auf Fortuyn, der am 6. Mai von einem radikalen Tierschützer erschossen worden war, richtete sich jedoch die Aufmerksamkeit ganz auf das Abschneiden der LPF. Der Rechtspopulist Fortuyn hatte sich vor allem gegen die weitere Einwanderung ausgesprochen und den Islam als rückständige Kultur charakterisiert. Bekanntlich brachen die Parteien den Wahlkampf nach dem Mord sofort ab, hielten allerdings am gestrigen Wahltermin fest. Fortuyn hatte seine LPF erst vor drei Monaten gegründet.
Die Regierung von Ministerpräsident Kok war im April kurz vor Ende ihrer Amtszeit zurückgetreten. Sie hatte damit die Konsequenzen aus dem kritischen Bericht über die Rolle niederländischere UNO-Soldaten beim Massaker bosnischer Serben an Muslimen 1995 in Srebrenica gezogen. Dieser politisch-strategische Schachzug fand seinerzeit, gut einen Monat vor der Wahl, große Akzeptanz und erhöhte die Aussichten auf Wiederwahl in allen Meinungsumfragen. Der Mord an Fortuyn stellte freilich die Situation kurz vor der Wahl auf den Kopf und führte zu dem aktuellen Ergebnis.