Country reports
Unter diesem Titel veröffentlichte Le Figaro kürzlich mehrere Artikel zur Analyse der Vergangenheit und Zukunft der kommunistischen Parteien in Frankreich. Eine "exception française" scheint in Frankreich auch für die kommunistischen Parteien zu gelten, vermutet Marc Lazar: "In den mittel- und osteuropäischen Ländern ist der Kommunismus seit über zehn Jahren zusammengebrochen, Frankreich hingegen scheint zu einem Zufluchtsort für dieses Gedankengut geworden zu sein. Vier (!) Präsidentschaftskandidaten präsentieren sich als Kommunisten".
Die folgenden Beiträge beleuchten den kontinuierlichen Niedergang der PCF seit den siebziger Jahren, die Rolle der marxistischen Idee, die auch heute noch in Frankreich eine wichtige Rolle spielt und die Konkurrenz zwischen PCF und den übrigen kommunistischen Parteien. Diese Konkurrenz hat wird einen wichtigen Einfluss auf die anstehenden Präsidenten- und Parlamentswahlen ausüben.
Stéphane Courtois meint: "Die chronische Schwächung der PCF scheint unabwendbar. Diese Marginalisierung gehört zu einem tiefgreifenden Trend, der sämtliche kommunistische Parteien in Europa trifft, seitdem das internationale kommunistische System im August 1991 in Moskau implodierte. Sollte Robert Hue am 21. April hinter Arlette Laguiller stehen und die 5%-Hürde nicht nehmen, wird die PCF wahrscheinlich in die Schlussphase ihres Sterbens eintreten."
Die kommunistische Idee indes scheint in Frankreich weiterhin lebendig und populärer als in manchem Land des ehemaligen Ostblocks.
Chronik einer Agonie
Von Stéphane Courtois, Forschungsleiter im staatlichen Wissenschaftszentrum CNRS, Leiter der Zeitschrift "Communisme"
1978 gehörte der PCF zu den stärksten Parteien und erreichte bei den Parlamentswahlen 20,7% der abgegeben Stimmen (5.800.000 und 16,9% der eingetragenen Wähler). Seitdem muss der PCF schwere, unaufhaltsame Einbußen hinnehmen; bei den Präsidentschaftswahlen 1981 erhielt Georges Marchais 15,5%; bei den Wahlen 1988 erreichte André Lajoinie nur mehr 6,7%. Als Robert Hue 1994 den Vorsitz übernahm, ließ er mit seinem neuen Stil und Diskurs, seiner Ankündigung eines "Wandels" auf ein vielversprechendes "aggiornamento" hoffen.
Dieser Imageeffekt schlug sich auch teilweise auf Hues Wahlergebnisse nieder: Bei den Präsidentschaftswahlen 1995 bekam er 2.632.460 Stimmen (6,5%der eingetragenen Wähler und 8,6% der abgegebenen Stimmen) und überflügelte das Ergebnis von André Lajoinie aus 1988 um 576.465 Stimmen und 1,8%. Trotz dieser augenscheinlichen Stabilisierung ist der PCF nicht mehr überall in Frankreich einflussreich.
Bei den Parlamentswahlen 1997 überstieg die Partei nur noch in einem einzigen Departement die 25%-Marke. 1978 erreichte sie dieses Ergebnis noch in 28 Departements. Das kommunistische Votum hat heute eine Cluster-Form. Der PCF konnte seinen Einfluss in 26 Departements wahren (3 in der Ile-de-France, 8 im Norden, 8 in Mittelfrankreich und 7 im Mittelmeerstreifen); in den verbleibenden 69 Departements erreichte die Partei marginale Ergebnisse.
Bei der Europawahl 1999 hatte die Partei große Hoffnungen auf die Liste mit dem Motto "Europa bewegen" gesetzt. Dabei wies sie das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte aus, bekam nur 6,8% der abgegebenen und vor allem nur 3,2% der eingetragenen Wählerstimmen (1.184.576 Stimmen).
Die Kommunalwahlen im März 2001 bestätigten diesen Rückgang. 1982 war die Blütezeit des "kommunalen" Kommunismus: der PCF leitete damals 72 Städte mit mehr als 30.000 Einwohnern. 1983 wurde der Einbruch eingeläutet: nur mehr 1.464 Kommunen, davon 52 mit über 30.000 Einwohnern, waren kommunistisch. Dieser Trend bestätigte sich 1989, nur noch 1.098 Kommunen, davon 46 mit mehr als 30.000 Einwohnern, wählten die Kommunisten. 1995 verlor der PCF mit Le Havre, ihre einzige Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern. 2001 hat die Partei nur noch 25 Städte mit über 30.000 Einwohnern. (Anm. d. Übersetzers: Frankreich hat 36.000 Kommunen).
Diese chronische Schwächung konnte Robert Hue nur zeitweilig bremsen und verweist auf politische und soziologische Faktoren. Das kommunistische Votum war lange von einer starken Stabilität geprägt und wurde ab 1981 unterhöhlt. In den Arbeiterkreisen, die vom PCF nicht von den Auswirkungen der Umstrukturierung in den Basisindustriezweigen geschützt werden konnten, setzte ein Enthaltungsphänomen ein. Hinzu kommt die Bewegung der "nützlichen" Stimmabgabe für den sozialistischen Kandidaten. Die kommunistischen Wähler "mausern" sich und stimmen je nach Wahl und Wahlebene (national, kommunal, europäisch) sehr differenziert ab.
Die soziologischen Faktoren scheinen noch bestimmender zu sein. Jahrzehntelang verstand sich der PCF als "die große Partei der Arbeiterklasse"; diese soziologische Determinante wird jedoch mit sinkenden Arbeiterzahlen zum Handikap. 1988 waren 43% der kommunistischen Wähler Arbeiter, 1997 nur noch 31%; 1995 hatten nur 10% der Arbeiter Robert Hue ihre Stimme gegeben, 17% dagegen wählten Jean-Marie Le Pen. Bezeichnend für die mangelnde Dynamik des PCF ist auch der Verlust der jungen Wähler zwischen 18 und 24 Jahren, die kommunistische Wählerschaft leidet unter ihrem Alter, 1995 gaben 5% der jungen Wähler den Kommunisten ihre Stimme - 1981 waren es noch 24%. Auch bei den Parteikadern und aktiven Mitgliedern ist dieses Alterungsphänomen feststellbar.
Trotz der tiefgreifenden Veränderungen im Land und insbesondere in den kommunistischen Einflussgebieten seit zwanzig Jahren hält der PCF an ihrem herkömmlichen Ansiedlungsmodell und ihren ideologischen Optionen fest. Der Partei fehlt das Verständnis für die neue wirtschaftliche Gemengelage, in der das traditionelle produzierende Gewerbe zugunsten der Dienstleistungsbranche und der New Economy abnimmt. Es fehlt ihr ebenfalls das Verständnis für die neue soziale Gemengelage, in der die stark ausgeprägte und positiv besetzte Arbeiteridentität allmählich verschwindet. Der PCF hat auch das neue urbane Gefüge mit dem hohen "Bevölkerungs-Turnover" und der sich deshalb auflösenden Wählerbindung nicht verstanden. Die Partei hat auch die territoriale Neuordnung, d.h. die wachsende Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort nicht erkannt. Außerdem hat sie sich auf die Kommunalstruktur versteift, obwohl die moderne Städteverwaltung nach Städtegemeinschaften ruft.
Die chronische Schwächung des PCF scheint unabwendbar. Diese Marginalisierung gehört zu einem tiefgreifenden Trend, der sämtliche kommunistische Parteien in Europa trifft, seitdem das internationale kommunistische System im August 1991 in Moskau implodierte. Sollte Robert Hue am 21. April hinter Arlette Laguiller stehen und die 5%-Hürde nicht nehmen, wird die PCF wahrscheinlich in die Schlussphase ihres Sterbens eintreten.
Die marxistische Nebelgestalt - eine französische Ausnahme
PCF, LO, LCR, PT: ihre Macht ist kultureller Art
Von Marc Lazar, Professor am Institut für Politikwissenschaft in Paris
In den mittel- und osteuropäischen Ländern ist der Kommunismus seit über zehn Jahren zusammengebrochen, Frankreich hingegen scheint zu einem Zufluchtsort für dieses Gedankengut geworden zu sein. Vier (!) Präsidentschaftskandidaten präsentieren sich als Kommunisten: Robert Hue für den PCF, Arlette Laguiller für Lutte Ouvrière (LO), Olivier Besancenot vertritt die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und Daniel Gluckstein für Parti des Travailleurs (PT). Diese Viererbande ist sich nicht grün, aber zusammen stellt sie eine mehrgestaltige kommunistische Linke, die rund 15% der Stimmabsichten vereinigt. Bereits bei den Europawahlen von 1999 erhielt die Liste des PCF 6,8% und die Liste von LO und LCR 5,2%.
Unser Land hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts das in Westeuropa einzigartige Privileg, die Ausläufer des Bruderkriegs zu beherbergen, der von tragischen und blutigen Ereignissen geprägt war und den sich seit den Zwanziger Jahren die beiden großen gegensätzlichen, aus der russischen Revolution entstandenen Strömungen des Kommunismus liefern, d.h. der Zweig Stalins und der Zweig Trotzkis mit seinen späteren Verästelungen. Die französische kommunistische Partei ist aus dem ersten Zweig entstanden, hat sich erst spät entstalinisiert und kann ihren Niedergang trotz der von den Parteikadern eingeleiteten Wandlungsbestrebungen nicht aufhalten. Außerdem haben die Bemühungen um ein ideologisches und politisches "aggiornamento" und die Beteiligung an der Jospin-Regierung am linken Rande eine Lücke eröffnet, die von den Trotzkisten besetzt wurde. Diese ernten seit einiger Zeit zwar kleine, aber unbestreitbare Wahlerfolge und drohen gar den PCF zu überholen.
Über ihre Divergenzen und Rivalitäten hinaus besitzt die kommunistische Linke auch einige Gemeinsamkeiten. Jede Komponente bekämpft auf eigene Art die gleichen Gegner, die sich, wenn auch mit wechselnden Namen, nicht geändert haben. Kommunisten und Trotzkisten prangern den Imperialismus an (heute bevorzugt man den Begriff der Globalisierung), den Kapitalismus (heute spricht man vom Neoliberalismus), den ewig wieder aufflackernden Faschismus, den Rassismus als reines Produkt des Kapitalismus und die Sozialdemokratie, die beschuldigt wird, die gerechte Sache der Arbeiter zu verraten.
Die Existenz einer derartigen kommunistischen Linken ist für den Parti Socialiste eine Herausforderung. Die sozialistische Partei agiert vor allem nach taktischen Erwägungen und geht einer ideologischen Konfrontation wissentlich aus dem Weg: die Sozialisten fingen den PCF lieber in einem Bündnis ein als sie einer Allianz mit radikaleren, feindlichen und vor allem unkontrollierbaren Kräften zu überlassen. Die Schüchternheit der Sozialisten gegenüber der kommunistischen Linken zeigt die wahre, kulturell geartete Macht dieser Galaxie. Denn diese bearbeitet Themen, die für gewöhnlich von der Linken besetzt sind und von einer Reihe von Wählern und Anhängern der Sozialisten unterstützt werden: die hartnäckige Ablehnung der Marktwirtschaft, die zwanghafte Aversion gegen die Vereinigten Staaten, das tiefe Misstrauen gegen Reformismus, die nie gestillte Leidenschaft für Egalitarismus, die unwiderstehliche Attraktion gegenüber simplistischen Lösungen für komplexe Probleme, die deklarierte Vorliebe für permanenten Protest, die unmäßige Konfliktbereitschaft oder die stete Neigung zur Radikalisierung des politischen Kampfes.
Solche Themen sind in Frankreich stark vertreten, wie die protestorientierte Nebelgestalt beweist, die sich aus verschiedenen militanten Gruppen für Wohnung, Arbeit oder Globalisierungsgegnern zusammensetzt. Diese andere, soziale und kulturelle, kontrastreiche und heterogene Linke ist in dieser beginnenden Wahlkampagne überhaupt nicht präsent. Sie kann sich mit den Kandidaten nicht identifizieren. Aber sie wird sich sicher zu Wort melden und darauf pochen, gehört zu werden, gleich wer der neue Präsident sein wird.
Die Präsidentschaftswahl als Lackmustest für Robert Hues Partei - die linksextreme Konkurrenz mach ihr schwer zu schaffen
Von Josseline Abonneau und Colette Ysmal
Die Präsidentschaftswahl war für den PCF nie eine "gute" Wahl, diesmal könnte sie den Fortbestand der Partei sogar gefährden. Frankreich scheint paradoxerweise die Zufluchtsstätte für die verschiedenen marxistisch inspirierten Familien. Vier Kandidaten machen sich die Wähler streitig. Insgesamt schreiben ihnen die neuesten Meinungsumfragen 15% der Wählerabsichten zu.
In diesem Gebilde war der PCF bislang die stärkste Partei. 1995 erhielt Robert Hue 8,7% der Stimmen, Arlette Laguiller 5,2%. Nach den jüngsten Umfragen scheint sich eine Trendwende abzuzeichnen, die Kandidatin von LO liegt vor dem Kandidaten des PCF. Der PCF scheint in die Defensive geraten.
Seit 1981 hat die Kommunistische Partei mit einem Wählerrückgang zu kämpfen, denn von rund 21% von 1978 blieben ihr 1997 nur noch knapp 10% erhalten. Dieser Niedergang hat sich beschleunigt und konnte auch durch den internen und ideologischen Wandel und die Beteiligung an der Jospin-Regierung nicht aufgehalten werden. Im Gegenteil, mit ihrer "Positionierung" machte der PCF Raum für die drei anderen Protestorganisationen frei. Robert Hue ist in seiner Kampagne mit einem Dilemma konfrontiert: entweder er verteidigt die Regierungsbilanz, auf die seine Partei kaum Einfluss genommen hat, oder er versucht, der Extremen Linken über einen radikaleren, arbeitnehmernahen und auf die "Ausgegrenzten" (Illegale ohne Papiere, Obdachlose) eingehenden Diskurs Stimmen abzujagen. In letzter Zeit nähert er sich sogar an die Globalisierungsgegner an.
Zwar sind die Umstände anders, aber auch die Erben der italienischen Kommunistischen Partei, die italienischen Linksdemokraten, haben mit ähnlichen ideologischen und strategischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Sicherlich sind sie im Gegensatz zu Frankreich weiterhin die größte Partei im linken Lager. Aber auch sie müssen sich zwischen der gemäßigten Komponente der ehemaligen "Olivenzweig-Koalition" und der extremen Linken entscheiden, die von der Rifondatione comunista und den Protestorganisationen der Globalisierungsgegner verkörpert wird.
Das Programm des Kandidaten Robert Hue
"25 Hauptverpflichtungen" bilden den Kern des Programms von Robert Hue, Vorsitzender des PCF und Präsidenschaftskandidat seiner Partei. Außerdem schlägt er einen "Notstandsplan für die Behebung der Ungleichheiten" vor. Um die schlechten Meinungsumfragen zu kontrakarieren, die ihn weit hinter Arlette Laguiller einstufen, bedient sich der Chef der Kommunisten der alten plakativen Worthülsen, bezeichnet seine eigenen Vorschläge "als eindeutig konstruktives Vorgehen" und geißelt den "sterilen zukunftslosen Protest" seiner trotzkistischen Konkurrentin von Lutte ouvrière.
Unter dem Motto "Frankreich, das sind Sie" beziehen sich die Vorschläge des Bannerträgers der PCF vor allem auf soziale Fragen und die wirtschaftliche Wiederankurbelung.
Robert Hue will drei neue Rechte einführen: das Anrecht aller jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren auf 700 "Eigenständigkeitsgeld" im Monat; für jeden Arbeitnehmer das Anrecht auf eine Einkommensgarantie, um zwischen festem Arbeitsverhältnis und Fortbildung alternieren zu können; ein Mitsprache- und Interventionsrecht der Arbeitnehmer bei der Unternehmensführung.
Um Frankreich eine neue Dynamik zu verleihen, will Hue die direkte und indirekte Besteuerung, die Arbeitgeberabgaben und die Kreditpolitik reformieren und dafür staatliche Fördermittel nutzen, um die Investitionen der Unternehmen für Beschäftigung, Fort- und Weiterbildung und Entgeltstruktur zu fördern. Auch eine Gesundheitsreform, ein Energie-Rahmengesetz, ein Rahmengesetz für den Öffentlichen Dienst und die Schaffung von vier neuen öffentlichen Kernbereichen (Wasser, Umwelt, Kreditwesen und Kommunikation) sind Teil des kommunistischen Präsidentschaftsmenüs .
In seinem "Notstandsplan gegen Ungleichheiten" plädiert Robert Hue für ein Rentenanrecht für alle Personen, die 160 Beitragstrimester erreicht haben; er verspricht die Gleichstellung der Frau in Bezahlung und Beruf binnen fünf Jahren sowie verstärkte Hilfen für Alleinerziehende und den Ausbau von Betreuungsstrukturen für Kinder unter drei Jahren. Er vertritt ebenfalls eine monatliche Erhöhung des SMIC (gesetzlicher Mindestlohn), der sozialen Mindesthilfen und der "kleinen" Ruhestandsgelder um 300 €. Den Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes und des staatlichen Sektors bietet er Tarifrunden an, den ausländischen Mitbürgern verspricht er das Wahlrecht und für die Illegalen fordert er die Legalisierung ihre Aufenthaltes, die Aufgabe der doppelten Bestrafung und die Einhaltung des Asylrechts.
Der Vorschlagskatalog sieht ebenfalls vor, das Gesetz von 1970 über die Strafverfolgung von Drogenmissbrauch durch ein öffentliches Gesundheitsgesetz zu ersetzen, ein Gesetz über illegale Geldbewegungen und Geldwäsche zu erlassen und in die Umkehr der Beweislast bei ehelicher Gewalt einzuführen. Abgesehen von den klassischen und institutionellen Forderungen (Statut der gewählten Mandatsträger, Einführung des Verhältniswahlsystems für alle Wahlen) wirbt Robert Hue für ein Interpellationsrecht, sobald 10% des Wahlkörpers dies fordern.