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Raul Mee / flickr / CC BY 2.0 / creativecommons.org/licenses/by/2.0/

Country reports

Donald Tusks Rückkehr nach Polen

by David Gregosz, Dr. Daniel Lemmen, Dr. Piotr Womela
Am Samstag (3. Juli) hat der frühere Premierminister Polens (2007–2014), spätere Präsident des Europäischen Rates (2014–2019) sowie amtierende (seit 2019) EVP-Vorsitzende Donald Tusk erneut den Vorsitz der polnischen Bürgerplattform (PO) übernommen. Seine Parteifreunde hatten seine Rückkehr bereits erhofft. Seit dem Ende der Amtszeit Tusks als EU-Ratspräsident war wiederholt die Rede davon, dass er eventuell nach Polen zurückkehren könnte, um erneut in die polnische Politik einzugreifen.

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Rücktritt und Rückkehr mit Ansage

Seit seinem Fortgang nach Brüssel befindet sich die Bürgerplattform (PO) in einer permanenten Krise. Zunächst wurde 2014 die frühere Gesundheitsminister Ewa Kopacz

sowohl Regierungschefin als auch Parteivorsitzende. Nach der Niederlage der PO in den Parlamentswahlen 2015 wurde Kopacz vom früheren Außenminister Grzegorz Schetyna abgelöst. Als auch dieser bei den darauffolgenden Parlamentswahlen 2019 die PO nicht erneut in die Regierung zurückführen konnte, übernahm Borys Budka im Januar 2020 das Amt des Parteichefs. Doch auch Budka blieb wenig erfolgreich in einer Neuausrichtung bzw. Stärkung der Partei. Von früheren Spitzenwerten von über 40 Prozent ist die Partei in Umfragen mittlerweile auf 11-16 Prozent eingebrochen. Innerparteilich gibt es eine andauernde Debatte um die Ausrichtung der Partei (Liberale vs. Konservative, Junge vs. Alte). Diese seit Monaten bald Jahren andauernde schwierige Lage der Bürgerplattform hatte Tusk zum Anlass genommen, am 4. Juni seine Rückkehr in einem Interview für den polnischen Fernsehsender TVN24 konkret anzudeuten. Deutlich brachte er seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die von ihm mitgegründete Bürgerplattform nicht der Vergangenheit angehören dürfe. Gleichzeitig bekundete er seine Bereitschaft die PO hierbei zu unterstützen und gegebenenfalls auch die Führung der Partei zu übernehmen. Ende Juni bzw. Anfang Juli kam es dann zu Gesprächen zwischen Tusk, dem PO-Vorsitzenden Borys Budka und dem populären Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski, der als stellvertretender Parteivorsitzender über einen nicht zu unterschätzenden Einfluss in der Partei verfügt. Als Folge dieser Gespräche kehrte Tusk am 3. Juli an die Spitze der von ihm vor fast genau 20 Jahren mitgegründeten Bürgerplattform zurück.

Technisch gesehen ist am Samstag zunächst der bis dato amtierende Parteivorsitzende Borys Budka von seinem Amt zurückgetreten. Von ihren Ämtern als stellvertretende Vorsitzende traten ebenfalls die frühere Premierministerin Ewa Kopacz (2014–2015) sowie der frühere Gesundheitsminister (2011–2015) Bartosz Arłukowicz zurück. Damit machten sie den Weg frei, damit der Landesrat (ein Parteigremium mit knapp 200 Mitgliedern) Tusk und Budka zu stellvertretenden Vorsitzenden wählen konnten. Tusk erhielt 100 Prozent der abgegebenen Stimmen. Er wurde dann satzungsgemäß als ältester Stellvertreter zum kommissarischen Parteivorsitzenden gewählt. Ein regulärer Parteitag (voraussichtlich im September) muss dieses Ergebnis noch bestätigten und Tusk zum ordentlichen Vorsitzenden wählen.

Gewinner und Verlierer

Der alte Vorsitzende Borys Budka vertritt offiziell die Narration, wonach er Tusk gerufen und Tusk seinen Ruf erhöht habe. Faktisch hatte der frühere Parteichef aufgrund des politischen Schwergewichtes von Donald Tusk keine andere Wahl als dem alten Parteivorsitzenden den Weg freizumachen. Innerhalb der Partei aber auch der eigenen Wählerklientel blieb Budka ohne Autorität. Auch die Parteizentrale war nie ein Impulsgeber für die vormals größte Oppositionspartei. Insbesondere Budkas Versuche die Partei durch ein neues Grundsatzmanifest neu auszurichten, scheiterten. Obschon er nicht im Medienfokus steht, handelt es sich um eine politische Niederlage für Budka.  Für den geräuschlosen Abgang darf er sich vermutlich Hoffnung auf einen anderen einflussreichen politischen Posten machen. 

Der Fokus fällt eher auf Rafał Trzaskowski, der in Folge der Rückkehr Tusks zum Verlierer wird. Unmittelbar nach der (fast) erfolgreichen Präsidentschaftswahl im Jahre 2020, in der Trzaskowski mit 49 Prozent breite, weit über die Stammwählerschaft der PO hinausgehende Wählergruppen hinter sich vereinigen konnte, verfügte der Warschauer Stadtpräsident über ein politisches Kapital, das ihm den Weg hätte öffnen können, die Führung in der Partei zu übernehmen – oder auch eine eigene Bewegung zu gründen. Jedoch wartete Trzaskowski zu lange ab und fand ebenfalls wenig innerparteiliche Unterstützung für seinen Campus zur Zukunft Polens, ein für diesen Sommer geplantes mehrtägiges Forum junger Menschen. Dieses Projekt sollte eine parteiübergreifende Basis für Trzaskowski schaffen und ihm einen ähnlichen Erfolg bescheren, wie er ihn bei der Präsidentschaftswahl erzielte. Gleichzeitig gründete er die Initiative Gemeinsames Polen (Wspólna Polska), ein überparteilicher Zusammenschluss teils wichtiger Lokalpolitiker, die vielfach im Streit mit den lokalen PO-Politikern stehen. Die PO hat in den Klein- und Mittelstädten zum Teil keinen Unterbau, auf den sie ihren Wahlkampf stützen kann. Insgesamt dienen ihm beide Initiativen aber primär dazu, seinen persönlichen politischen Rückhalt über die Wählerschaft der PO hinaus zu sichern.

Tusk scheint auf den ersten Blick der große Gewinner zu sein. Aber das könnte eine Momentaufnahme sein – und bleiben. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass über 60 Prozent der Wähler die Rückkehr Donald Tusks in die polnische Politik nicht befürworten.[1] Ein weiteres Problem für Tusk ist, dass sich die politische Landschaft seit 2014 verändert hat. So stellt beispielsweise die Gruppierung Polska 2050 des Journalisten Szymon Hołownia eine große Konkurrenz zur PO dar. Bisher liegt sie in Umfragen deutlich vor der PO und untergräbt damit den Anspruch der Bürgerplattform und damit Tusks die Opposition jenseits der PiS anzuführen. Eine Zusammenarbeit könnte schwer werden, da Hołownia kein Interesse daran haben wird, Tusk das Feld zu überlassen.

Partei, Opposition und Wähler müssen überzeugt werden

Politische Kommentatoren stehen dem Machtwechsel bei der Bürgerplattform demnach ambivalent gegenüber. Für manche ist Tusk eine Hoffnung auf eine Erneuerung der Partei oder vielleicht sogar der gesamten vereinigten Opposition, um bei den Parlamentswahlen im Herbst 2023 einen Sieg gegen die PiS zu erringen. Für andere Beobachter muss der ehemalige Premierminister nicht zwangsläufig für einen Erfolg der PO sorgen. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass Donald Tusk auch eine große Wählerschaft gegen sich mobilisiert.

Laut dem Politologen Antoni Dudek steht Tusk nach seiner Machtübernahme vor drei wichtigen Herausforderungen. Erstens muss er seine eigene Partei davon überzeugen, dass es richtig war, ihm erneut den Vorsitz anzutragen. Derzeit besteht eine gewisse Euphorie, die bei einem Ausbleiben von Erfolgen (insbesondere einem Anstieg der Umfragewerte) schnell wieder einbrechen könnte. Größter parteiinterner Konkurrent wäre hierbei Rafał Trzaskowski. Dieser hatte nach der Meldung über eine Rückkehr Tusk zunächst seine Bereitschaft angekündigt, zukünftig für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren zu wollen. Ob er diesen Anspruch aufrechterhalten kann, ist jedoch offen.

Es ist außerdem unklar, wie die Parteimitglieder auf Tusks Rückkehr reagieren werden. Bislang sind die Äußerungen führender Politiker, darunter auch des ehemaligen Präsidenten Komorowski, enthusiastisch. Unbekannt ist jedoch die Meinung der Parteibasis, die wahrscheinlich Angst vor möglichen Veränderungen sowie einem Einflussverlust hat.

Zweitens muss Tusk seine Position nicht nur innerhalb der PO, aber auch im ganzen Lager der Opposition beweisen. Vorstellbar könnten gewisse Absprachen mit den anderen Oppositionsparteien sein, da man in Zukunft nur gemeinsam eine Regierung gegen die PiS in Zukunft bilden können wird. Vordergründig für die PO wird hierbei der Anspruch sein, das Lager der demokratischen Opposition anzuführen und zu dominieren, um in einer Regierung den Premierminister zu stellen. Ziel könnte eventuell die Schaffung einer oder mehrerer gemeinsamer oppositioneller Wahllisten jenseits der PiS vor den Parlamentswahlen sein, um eine Mehrheit gegen die PiS zu bilden.

Drittens – und am wichtigsten – wird es sein, die Wähler erneut von der 2015 abgewählten Bürgerplattform bei den nächsten Wahlen zu überzeugen.  Wenn die PO die Verantwortung für das Land übernehmen soll, steht Tusk vor der großen Herausforderung, nicht nur die liberale Wählerschaft, die in Richtung Hołownia abdriftet, zu halten, sondern auch die Wählerbasis zu verbreitern, d.h. über die bürgerliche, städtische Wählerschaft hinauszugehen. Dafür bedarf es eines inhaltlichen Angebots, das zukunftsweisend ist und drängende Themen aufgreift. Zu diesen Themen gehört sicherlich die Finanz- und Wirtschaftspolitik nach Corona, die Transformation der Energiewirtschaft sowie sozialstaatliche Verbesserungen etwa im Gesundheitswesen.

Verschärfung des „Wojna polsko-polska“ (polnisch-polnischer Krieg)

Die Rückkehr Tusks wird weitreichende Konsequenzen für die politische Szene haben. So wird über eine erneute stärkere Polarisierung und eine Rückkehr eines Duopols (PO vs. PiS bzw. Tusk vs. Kaczyński) spekuliert, also einer Situation wie sie bereits 2005 bis 2014 Polen beherrschte. Dem stehen derzeit noch die hohen Umfragewerte von Polska 2050 (noch ohne europäischen Partner) von Szymon Hołownia entgegen. In einer flammenden Rede vor seiner Wahl zum neuen Vorsitzenden sagte Tusk, das Wichtigste in der Politik sei es, „den Glauben an die Fähigkeit, Dinge zu tun und zu gewinnen, wiederzuerlangen. In Bezug auf die aktuelle PiS-Regierung sagte er unmissverständlich: „Heute herrscht das Böse in Polen, wir gehen ins Feld, um mit diesem Bösen zu kämpfen“. Es sei notwendig, betonte Tusk „mit dem ersten, wichtigsten Gebot zu beginnen: Wenn du das Böse siehst, bekämpfe es und frage nicht nach zusätzlichen Gründen“.

Der linke Politiker Robert Biedroń kommentierte die harte Haltung Tusks kritisch: „Wir wissen, dass die Ankunft dieses 'Heilands auf dem weißen Pferd' einen sprichwörtlichen polnisch-polnischen Krieg ankündigt“.

Diese ersten Äußerungen lassen vermuten, dass Tusk mit der Polarisierung spielt und versucht aus ihr politisches Kapital zu gewinnen. Das Interesse der Wähler könnte sich damit auf die Bürgerplattform als wichtigste Oppositionskraft richten, die sich gegen die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit stellt und eine Wählermobilisierung initiieren. Dies wäre somit alles andere als eine asymmetrische Demobilisierung. Eine Polarisierung der politischen Szene kann jedoch auch zu einer Mobilisierung der PiS-Wähler führen, die zur Wahl gehen, um explizit gegen Tusk zu stimmen. Der Kampf der Plattform mit der PiS wird eine noch radikalere Form annehmen. Tusk gerät mitten in den Konflikt, dessen Mitgestalter er war und in dem er sich wie ein Fisch im Wasser fühlte. Die Frage ist, ob die Polarisierungsstrategie diesmal funktioniert. Es ist eine zweischneidige Waffe, die den politischen Gegnern der PO gut bekannt ist.

Neuerfindung der PO?

Es stellt sich die Frage, ob die Rückkehr Tusks in die polnische Politik wirklich eine Chance für eine neue Öffnung der PO darstellt. Der frühere Staatspräsident Komorowski sagte, dass Tusks Rückkehr der Bürgerplattform die Chance gibt, neue Kräfte zu entwickeln und zu sammeln. Dazu seien eine seit langem angestrebte programmatische Offensive, die Schaffung einer eigenen Agenda sowie eine personelle Erneuerung (gerade auch mit weiblichen Spitzenpolitikern) notwendig. Die Wähler müssen wissen, worin die wirkliche Alternative zur PiS bestünde.

Im Moment hat man jedoch den Eindruck, dass es bei Tusks Reaktivierungsprojekt nicht darum geht, neue Inhalte in den politischen Diskurs einzubringen, sondern darum, zum Narrativ von vor 2014 zurückzukehren, als die PO noch Triumphe verbuchen konnte. Doch seit 2014, als Tusk nach Brüssel ging, hat sich in Polen viel verändert. Anti-PiS-Rhetorik allein reicht möglicherweise nicht mehr aus. Zumal die Machthaber mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Propagandamaschine auf ihrer Seite haben und alle Instrumente, um weitere sozialstaatliche Forderungen der Öffentlichkeit zu erfüllen. Die öffentlichen Ausgaben und die Staatsverschuldung in Polen steigen, aber auch der Lebensstandard des Durchschnittsbürgers hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht. Der Durchschnittsverdienst in Polen ist seit 2014 um 36,6 % gestiegen. Das BIP wuchs zwischen 2015 und 2019 um 18,6 %. Nach einer periodischen Delle im Jahr 2020 wird für 2021 ein BIP-Wachstum von mehr als 4 % prognostiziert. Und trotz der Covid19-Pandemie liegt die Arbeitslosigkeit mit knapp über 6 % auf einem relativ niedrigen Niveau, während sie 2014 noch bei über 12 % lag. Viele Polen sind mit der Politik der PiS zufrieden. Die Nationalkonservativen stellen heute einen viel schwierigeren Gegner als zu Tusks Regierungszeiten dar.

Obwohl die PiS in den Umfragen immer noch führt, ist dennoch eine gewisse Ermüdung der Wähler gegenüber der derzeitigen Regierungskoalition bereits erkennbar, zumal das Image der PiS durch weithin sichtbare Vetternwirtschaft belastet ist. Ein weiteres Problem für die derzeitige Regierung ist die Inflation, die seit letztem Jahr die Ersparnisse der Polen auffrisst. Im Juni erreichte sie 4,4%. All diese Faktoren könnten das Comeback von Tusk erleichtern.

Klar ist, dass die Opposition auf dem Weg zum Wahlsieg mit einem Narrativ und einer Vision der behutsamen Modernisierung Polens vorpreschen müsste. Es reicht zum Beispiel nicht aus, einfach nur pro-europäisch zu sein und dies der euroskeptischen Haltung der Nationalkonservativen entgegenzustellen. Die PO muss in der Lage sein, ihre Ideen für Polen in der EU auf einfache und attraktive Weise zu präsentieren. Zum Vergleich: Szymon Hołownia spricht, wenn er nach der Europapolitik seiner Partei gefragt wird, sofort von der Energiewende, die mit den Zielen der EU identisch sei, und von materiellen und ökologischen Vorteilen für die polnischen Bürger, die sich aus dem Abschied von der Kohle ergeben. Seine Argumentation klingt für viele Wähler überzeugend. Die PO muss in knappen, prägnanten Sätzen ihr Programm erklären können. Die bisherige Strategie, Probleme der Rechtsstaatlichkeit und europäischer Werte anzusprechen, sprechen den Wähler nicht an.

Auch in der Frage, auf welche Wählerschichten sich die PO konzentrieren sollte, gibt es unter den politischen Kommentaren deutliche Hinweise. Hierbei dient die Positionierung der PO in der Abtreibungsfrage als passende Beschreibung begangener Fehler. Als das Verfassungsgericht die Abtreibung in Polen nahezu komplett verbot, was hunderttausende Polen auf die Straßen trieb, forderte die Bürgerplattform nicht etwa eine Beibehaltung des langjährigen gesellschaftlich akzeptierten Kompromisses, sondern sprach sich für eine weitgehende Liberalisierung aus. Diese Position hingegen wurde jedoch nur von einem Bruchteil der Wähler geteilt. Als Folge präsentierte das Regierungslager die PO als eine linke Partei, die nicht für die Mehrheit der Polen spräche. Die PO orientierte sich in dieser Frage nicht an der Meinung der dem politischen Zentrum zugeneigter Wählerschichten.

Ein weiteres politisches Thema, das für die Polen von wichtiger Bedeutung ist, stellt die Frage des Wohlstands und der Lebensqualität dar. Die PO muss den Narrativ eines „solidarischen Polens“ übernehmen, der derzeit noch von der PiS monopolisiert wird. Hier geht es nicht um einen Ausbau des Sozialstaates für einen Sieg in den nächsten Wahlen, sondern um glaubwürdige und ausgewogene Vorschläge, die eine Soziale Marktwirtschaft etablieren. Möglicherweise ist die Notwendigkeit einer Reform des maroden Gesundheitswesens, die während der Pandemie noch deutlicher wurde, ein Thema, mit dem man Wahlen gewinnen kann. Es gibt noch weiterer solcher grundsätzlichen und richtungsweisenden Themen, in denen sich die PiS profilieren könnte. In der Frage der Einstellung zum Verhältnis von Kirche und Staat vertritt der Mainstream der polnischen Gesellschaft durchaus einen laizistischeren Kurs als vielleicht noch vor ein paar Jahren. Auch von der Regierung forcierte Bildungsreformen, die Nation und Kirche stärker in den Fokus rücken sollen, stoßen bei vielen Eltern auf Widerstand und bieten ein politisches Potenzial.

Insbesondere aber in ökonomischen Fragen könnte es der PO gelingen gegenüber der polnischen Regierung ihre Wirtschaftskompetenz hervorzuheben und den etatistischen Plänen, etwa der von der PiS forcierten Schaffung staatlicher Großunternehmen, entgegenzusetzen. Insbesondere Tusk hatte sich in den letzten Tagen wiederholt als Anhänger der Marktwirtschaft präsentiert, der (Wirtschafts)liberalismus nicht als Schimpfwort versteht. Die Polen erwarten einen ausgewogenen Ansatz in der Wirtschaftspolitik, denn eine rein marktliberale Politik der PO-Regierung wurde 2015 abgewählt.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die politische Bedeutung der Rückkehr Donald Tusks an die Spitze der Bürgerplattform nicht abschließend geklärt werden kann. Einerseits bietet sie der PO ein Potenzial um in den Umfragen erneut zu steigen, Wähler an sich zu binden, das Oppositionslager anzuführen und schließlich bei den nächsten Wahlen gegen Recht und Gerechtigkeit einen Wahlsieg zu erringen. Gleichzeitig muss die PO allerdings schwerwiegende politische Fehler der Vergangenheit vermeiden. Das Polen des Jahren 2014, als Tusk Polen in Richtung Brüssel verließ, ist ein anderes Land, als das Polen der Gegenwart. Gleiches gilt für die Bürgerplattform, dessen Führung Tusk erneut übernommen hat. Damit ist Tusks Rückkehr noch kein Erfolgsversprechen per se. Jedoch bietet es eine für die Partei zu ergreifende Chance zur Neuausrichtung unter der Führung eines erfahrenen Politikers. Nur so kann die Bürgerplattform in den nächsten Wahlen Erfolg haben, aus der erneut ein klarer Regierungsauftrag der polnischen Wähler an die PO hervorgeht. Die parteipolitische Auseinandersetzung in Polen wird sich durch die Rückkehr Tusks sicher intensivieren, während sich in Brüssel ein Vakuum auftut. Eine Vakanz an der Spitze der Europäischen Volkspartei wird es nicht geben, aber ein Nachfolger für Donald Tusk, der bislang noch Parteivorsitzender der Europäischen Volkspartei ist, drängt sich nicht gerade auf. Insofern deutet sich in Polen und in Brüssel ein politischer heißer Sommer an.


[1] https://www.pap.pl/aktualnosci/news%2C899788%2Csondaz-60-procent-polakow-uwaza-ze-donald-tusk-nie-powinien-ponownie-stanac

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