1962 ist Manuel Valls als Sohn eines katalanischen Vaters und einer aus dem italienischsprachigen Teil der Schweiz stammenden Mutter zur Welt gekommen. Sein Großvater väterlicherseits war Bankier, Begründer der katalanische Zeitung „El Matí“, und hat während des Franco-Regimes heimlich Katalanisch-Unterricht gegeben. Sein Vater Xavier, ein Maler, ist in den 40er Jahren mit einem Stipendium nach Paris gekommen. Valls wuchs im Künstlerviertel Marais in Paris in einem linken, intellektuellen Umfeld auf, verbrachte aber auch jedes Jahr die Ferien in Barcelona – und spricht fließend katalanisch. Erst 1982 – im Alter von 20 Jahren – erhielt Valls die französische Staatsbürgerschaft. Schon zwei Jahre zuvor war er der Parti Socialiste (PS) beigetreten.
Besonders beliebt war Valls bei den linken Wählern nie: Er gehörte dem rechten bzw. zentristischen Flügel der Sozialisten an, forderte sogar eine Abkehr vom Begriff des Sozialismus im Parteiprogramm. In seiner Amtszeit als Bürgermeister der Stadt Évry (2001-12), einer Gemeinde südlich von Paris mit einem hohen Anteil an Einwanderern aus Nord- und Subsahara-Afrika, forderte er wiederholt von diesen stärkere Integrationsbemühungen. François Hollande machte Valls 2012 zunächst zum Innenminister, zwei Jahre später zum Premierminister. In beiden Regierungsposten gab sich Valls unverändert wertekonservativ, sein Amtsstil wurde oft als autoritär bezeichnet. Fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl trat Valls als Premier zurück, um selbst zu kandidieren – und scheiterte bei den Vorwahlen der Sozialisten im Januar 2017. Noch bevor die Partei daraufhin bei den Parlamentswahlen im Juni 2017 ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren hat, trat Valls aus.
Mit der Hoffnung auf einen Ministerposten suchte er den Schulterschluss mit dem frisch gewählten Staatspräsidenten Emmanuel Macron, wurde von diesem zunächst jedoch abgewiesen. Das war deshalb nicht überraschend, weil Macron in seiner Funktion als Wirtschaftsminister wiederholt von seinem damaligen Regierungschef öffentlich gedemütigt worden war. Macron verzichtete jedoch darauf, in Valls‘ Wahlkreis Essonne, einen Kandidaten seiner „En-Marche“-Bewegung aufzustellen. Valls schaffte den Einzug ins Parlament als Parteiloser dennoch nur sehr knapp. Nach seiner Wahl schloss er sich der Fraktion von En Marche an, wo er allerdings keinerlei politisches Gewicht mehr entwickeln konnte. Die französischen Medien berichteten in den vergangenen Monaten insbesondere über Valls Trennung von seiner zweiten Frau, der bekannten Violinistin Anne Gravoin, und über seine Liaison zu einer Abgeordneten von En Marche.
Von Paris nach Barcelona
Trotz seiner politischen Karriere in Frankreich hat Valls nie den Kontakt zu seiner Geburtsstadt Barcelona verloren, die er auch als französischer Politiker regelmäßig besuchte. Seinen spanischen Pass hat er selbst als Premierminister Frankreichs nie abgegeben. Das Ende seiner politischen Karriere in Paris trug dazu bei, dass er nun andernorts nach einer neuen politischen Wirkungsstätte schaute. Katalonien und Barcelona boten sich als neues Wirkungsfeld an, weil dort die bürgerliche Opposition verzweifelt nach einem Kandidaten suchte, der bei den Kommunalwahlen im Mai 2019 mit einer gewissen Erfolgsaussicht einerseits der Bürgermeisterin Ala Colau von der linkspopulistischen Gruppierung ‚Barcelona en Comú‘ und andererseits dem oder den Kandidaten separatistischer Parteien entgegentreten könnte.
Ada Colau ist eine frühere Aktivistin der Hausbesetzerszene, gewann 2015 als Kandidatin von ‚Barcelona en Comú‘ eine relative Mehrheit und wurde anschließend von einer Mehrheit des Stadtrates zur Bürgermeisterin gewählt. Gegenüber den Forderungen der Separatisten nach einer staatlichen Unabhängigkeit Kataloniens hat sie bisher eine eindeutig Positionierung vermieden. Vor dem illegalen Referendum am 1. Oktober 2017 hatte sie zunächst angekündigt, keine städtischen Räume für die Abstimmung zur Verfügung zu stellen, dann aber doch nachgegeben. Heute bezeichnet auch sie die inhaftierten Separatisten als „politische Gefangene“ und tritt für ein mit der spanischen Regierung vereinbartes Plebiszit über die Frage der Unabhängigkeit ein. Die Monarchie lehnt sie ab und hat den König bei Besuchen in Barcelona mehrfach düpiert. Ihre Führung der Stadt wird von der bürgerlichen Opposition als chaotisch und ineffizient bezeichnet. Trotz ihres sprunghaften Verwaltungsstils und ihres politischen Lavierens gegenüber den Separatisten werden Colau Chancen zugeschrieben, wieder eine relative Mehrheit in Barcelona zu gewinnen, womit sie eine gute Ausgangsposition für Verhandlungen über ihre Wiederwahl hätte.
Die beiden wichtigsten, mittlerweile zerstrittenen separatistischen Parteien PeDeCAT und ERC haben vorerst jeweils einen eigenen Kandidaten für die Bürgermeisterwahl benannt. Es bleibt abzuwarten, ob sie getrennt antreten werden. Da die Separatisten in Barcelona traditionell keine Mehrheit haben, werden ihren Kandidaten ohnehin keine großen Chancen eingeräumt.
Die bürgerlichen Parteien Kataloniens, das meint insbesondere die liberale Partei „Ciudadanos“, die in Barcelona gegründet wurde, und die Volkspartei (PP), sind schon seit einiger Zeit auf der Suche nach einem geeigneten Kandidaten, der eine breitere Wählerschicht ansprechen und die amtierende Bürgermeisterin Ada Colau ernsthaft herausfordern könnte. Die Kandidatur von Manuel Valls ist vor diesem Hintergrund ein frisches Element, das die Lokalpolitik in der katalanischen Hauptstadt belebt.
Auch wenn manche Franzosen in Valls einen Opportunisten sehen, weil er sich beim Scheitern der sozialistischen Partei vom sinkenden Schiff retten und auf die Seite des neuen Präsidenten Emmanuel Macron schlagen wollte, verbinden sich im bürgerlichen Lager Kataloniens mit ihm einige Hoffnungen. Die Idee seiner Kandidatur ist sehr stark von dem Vorsitzenden von Ciudadanos, Albert Rivera, gefördert worden. Seit Jahresanfang hat Valls die Möglichkeit und Unterstützung seiner Kandidatur sondiert, und dafür anscheinend auch in Unternehmerkreisen viel Zustimmung erhalten. Allerdings hat er sich bei der offiziellen Bekanntgabe seiner Kandidatur am 26. September in Barcelona als Unabhängiger präsentiert. Prominente Vertreter von Ciudadanos waren bei dieser Präsentation nicht anwesend, wohl um den unabhängigen Charakter seiner Kandidatur zu unterstreichen. Der Vorsitzende von Ciudadanos hat unterdessen jedoch mitgeteilt, dass seine Partei eine Allianz mit der Wahlplattform von Valls bilden könnte. Die Volkspartei und die Sozialisten verweigern ihm bisher eine explizite Unterstützung.
Barcelona Capital Europea
Manuel Valls präsentiert sich in Barcelona als europäischer Politiker. Der Namen seiner Wahlplattform „Barcelona europäische Hauptstadt“ ist nicht nur eine Verneigung vor dem Selbstverständnis vieler Barcelonenser, sondern auch eine Absage an den katalanischen Nationalismus. Die Ablehnung des Separatismus bezeichnet Valls denn auch als Haupttriebfeder für sein Engagement in seiner Geburtsstadt. Den regionalen Nationalismus und die Abtrennung Kataloniens von Spanien hat er stets abgelehnt. Dabei wird er nicht müde seine eigene Verbundenheit mit Katalonien hervorzuheben. Während der Vorstellung seiner Kandidatur unterstrich er nicht nur die Verwurzelung seiner Familie in Katalonien, wobei er auch erwähnt, dass ein Cousin seines Vaters die Hymne des Fußballclubs von Barca komponiert hat. Er versäumte auch nicht zu erwähnen, dass er die Liebeserklärung an seine neue Freundin, eine Geschäftsfrau aus Barcelona, ebenfalls auf katalanisch ausdrückte. Vor allem aber betonte er, dass er für ein Programm der „Mäßigung“ stehe und dass er eine breite Unterstützung aus verschiedenen Gesellschaftsschichten anstrebe. Damit folgt er dem Beispiel des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Nachdem er in den Wochen zuvor häufig mit katalanischen Wirtschaftsvertretern gesehen wurde und seine neue Freundin dem regionalen Industrie- und Geldadel angehört, war Valls deutlich um ein volkstümliches Image bemüht, und er betonte, dass er auch die Stimmen in den Arbeiterbezirken der Stadt gewinnen will.
Seine insgesamt noch sehr allgemein gehaltenen programmatischen Vorschlägen lehnt Valls, wie es scheint, sehr stark an den Vorstellungen der Sozialistischen Partei an – so wie er auch daran erinnerte, dass er früher schon Wahlkampf zusammen mit Felipe González und Martin Schulz gemacht hatte. Als Bürgermeister will er den sozialen Wohnungsbau intensivieren, den Tourismus besser steuern und insbesondere den „Qualitätstourismus“ fördern, die Sicherheit stärken, den Verkehr besser regeln und dabei die Elektromobilität bevorzugen sowie die Emissionen reduzieren. Er will mehr Hochhäuser bauen, um das Wohnungsproblem in den Griff zu bekommen, und selbstverständlich will er auch die Kultur intensiv fördern, damit Barcelona wieder seine führende Rolle in Kunst und Musik zurückerlange. Im November will Valls sein Programm und auch sein Team vorstellen, mit dem er die Wahl im Mai nächsten Jahres bestreiten möchte.
Die Kandidatur von Manuel Valls bei der Bürgermeisterwahl von Barcelona ist nicht aussichtslos. Durch die Unterstützung von Ciudadanos genießt er die Förderung der zuletzt stärksten Partei Kataloniens, die besonders in Barcelona viele Wähler mobilisieren kann. Die Volkspartei wird möglicherweise nicht explizit für ihn eintreten, aber vielleicht auf einen eigenen Kandidaten verzichten, weil sie Gefahr läuft überhaupt kein Mitglied in den Stadtrat zu wählen. Auch bei den Sozialisten ist noch nicht erkennbar, ob sie einen eigenen Kandidaten aufstellen. Wenn es Valls gelingt, als authentischer Katalane akzeptiert zu werden, der für seine moderaten sozialdemokratischen Vorhaben Zustimmung des anti-nationalistischen Bürgertums und der Arbeiterschaft erhält, könnte er bei den Wahlen einen Überraschungserfolg erzielen.
Sollte der neue Bürgermeister von Barcelona in sieben Monaten Manuel Valls heißen, bliebe noch zu klären, wie mit seinen Privilegien als ehemaliger französischer Premierminister umgegangen werden soll. Frankreich stellt seinen ausgeschiedenen Regierungschefs lebenslänglich ein Wagen mit Chauffeur sowie Sicherheitskräfte zur Verfügung. Valls kündigte bereits an, auf dieses Privileg künftig verzichten zu wollen.
To commit you must sign in.