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Erstmals durften über 200.000 Neubürger an den Wahlen teilnehmen. Bereits im Vorfeld wurde deutlich, dass diese nicht nur einer Partei ihre Stimmen geben würden. Ihre Stimmen verteilten sich nahezu gleichmäßig auf die Parteien "Lettlands Weg", "Volkspartei", "Vaterland und Freiheit/ LNNK" "Sozialdemokraten" und "Für Menschenrechte im geeinten Lettland". Die beiden letztgenannten Partei erzielten einen geringfügig größeren Zuspruch. Wahlentscheidend könnten die Stimmen der Neubürger erst bei den kommenden Parlaments- bzw. Kommunalwahlen werden.
Das Ergebnis der Kommunalwahlen deutet auf "rötliche Rathäuser" hin. Die Sozialdemokraten erhielten nicht nur in Riga, aber in Lettland insgesamt die meisten Stimmen, und verweisen die übrigen Listen, wo teilweise die bisherigen Bürgermeister kandidierten, auf die Plätze. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten Juris Bojars bezeichnete dieses Ergebnis in der Wahlnacht "als vernichtende Niederlage für die Parteien der Macht". Die Sozialdemokraten erzielten über 200 Mandate in den Kommunalen Selbstverwaltungen. Trotzdem werden sie nicht viele Bürgermeister stellen.
Die "Volkspartei" trat erstmals bei Kommunalwahlen an und jedes Ergebnis würde man somit als Erfolg bewerten. Landesweit kann die Partei zufrieden sein. Sie zog in alle bedeutenden Rathäuser ein. Da die Partei über erfahrene Kommunalpolitiker auf ihrer Liste verfügte, zeigt sich, dass sie in wichtigen Städten den Bürgermeister stellen wird.
Die Partei "Lettlands Weg" erlebte eine herbe Niederlage. Lediglich in 3 Orten bildet sie die stärkste Fraktion. Der Umstand, dass viele bisherige Bürgermeister im Vorfeld der Wahlen in die Partei eingetreten waren und gute Arbeit geleistet hatten, wird jetzt damit belohnt, dass "Lettlands Weg" mehrere Bürgermeister stellen wird. Trotz einer starken Opposition von den Sozialdemokraten, werden landesweit die meisten Rathäuser eine konservativ-liberale Führung haben.
Die Vereinigung "Für Menschenrechte im geeinten Lettland" konnte eine Mehrheit lediglich in einigen russisch dominierten Gebieten Südlettlands gewinnen und wurde zweistärkste Kraft in Riga.
"Vaterland und Freiheit/ LNNK" erzielte außerhalb der Hauptstadt Riga ein schwaches Ergebnis. In vielen kommunalen Selbstverwaltungen wird sie mit nur einem Vertreter einziehen. Lediglich in Saulkrasti, einem Ferienort nahe Riga, werden sie den Bürgermeister stellen. In der Hauptstadt Riga erlebte Bürgermeister Andris Argalis und "Vaterland und Freiheit/ LNNK" eine klare Niederlage.
Zwei außerparlamentarische Parteien erlebten in ländlichen Gebieten eine Renaissance. Die "Bauernunion Lettlands" und "Demokratische Partei Lettlands" werden in einigen Rathäusern wieder vertreten sein. Die "Bauernunion Lettlands" ging in einigen Orten als stärkste Kraft hervor - eine wahre Auferstehung nach den deprimierenden Ergebnissen bei den letzten Parlamentswahlen. In einigen Orten wird sie sogar den Bürgermeister stellen. Die "Neue Christliche Partei" fand nur geringen Zuspruch.
Linke Mehrheit in Riga - Gundars Bojars wird neuer Bürgermeister
Ergebnis: Sozialdemokraten 14 Mandate, Für Menschenrechte im geeinten Lettland 13, Vaterland und Freiheit/ LNNK 11, Volkspartei 6, Lettlands Weg 5, Grüne Partei 2, Wohlfahrtspartei 2, Bauernunion Lettlands 2, Demokratische Partei 1, Arbeitspartei 1, Neue Christliche Partei 1, Partei der Russen 1, Christdemokratische Union 1.
Das Ergebnis zeigt, dass die drei Regierungsparteien in Lettland über keine Mehrheit in der Hauptstadt Riga verfügen. Laut wurde über eine Koalition der "vier Sieger" ( d.h. Sozialdemokraten, Vaterland und Freiheit/ LNNK, Lettlands Weg, Volkspartei ) nachgedacht. Zusammen würde man über eine Mehrheit von 36 Mandaten verfügen.
Die Sozialdemokraten haben in Riga erstmals die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig ein Zeichen für die künftige Stabilität im Lande zu setzen. Erste verheißungsvolle Gespräche der Sozialdemokraten mit Vaterland und Freiheit/ LNNK fanden bereits am Wahlabend statt. Eine gemeinsame Koalition unter Einbeziehung einiger kleinerer Parteien wäre vorstellbar, aber würde die Koalition auf der Landesebene (Volkspartei, Lettlands Weg, Vaterland und Freiheit/ LNNK) schwer belasten.
In Fragen der Wirtschaft, Privatisierung und Finanzen zeigen beide Parteien bereits seit längerem große Übereinstimmung. Trotzdem äußerten Vertreter von "Lettlands Weg" und der Volkspartei die Hoffnung, dass die drei Regierungsparteien auch in Riga unter Einbeziehung der Sozialdemokraten die Geschicke leiten könnten.
Eine Einigung von Vaterland und Freiheit/ LNNK mit den Sozialdemokraten auf der Basis eines Koalitionsvertrags hätte auf die Zusammenarbeit der Regierung im Lande auf jeden Fall Auswirkungen. Als Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters wurden der Vorsitzende der Sozialdemokraten Gundars Bojars, der gegenwärtige Fraktionsvorsitzende im Rat Janis Gulbis und der bisherige Bürgermeister Andris Argalis genannt.
Trotz zunächst gegenteiliger Äußerungen wurde eine Zusammenarbeit von Sozialdemokraten mit "Für Menschenrechte im geeinten Lettland", also zweier linker Parteien, nie ausgeschlossen. Vier kleinere Parteien, die gemeinsam über 5 Mandate verfügen, bildeten die Fraktion "Centrum". Sie zeigten frühzeitig Interesse, als Koalitionspartner angesprochen zu werden.
Am 26. März fand die Wahl des Bürgermeisters von Riga statt. Tatsächlich gab es diese erwartete Herausbildung von zwei nahezu gleichstarken Blöcken. Die intensiven Gespräche der Sozialdemokraten mit "Für Menschenrechte im geeinten Lettland" hatte zu einem Koalitionsvertrag geführt, obwohl es auch innerhalb beider Parteien kritische Stimmen gab.
Einige sahen gar in diesem Vorgehen, dass Personen, die sich seinerzeit aktiv gegen die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Lettlands einsetzen, jetzt ein Amt in der Hauptstadt übertragen wird. Ehemalige Freiheitskämpfer und KGB-Mitarbeiter sollten gemeinsam an einem Tisch die Geschicke der Hauptstadt lenken.
Denkbar knapp wurde Gundars Bojars von den Sozialdemokraten mit 31 von 60 Stimmen zum Bürgermeister gewählt. Der Gegenkandidat Andris Argalis erhielt lediglich 26 Stimmen. Da Bojars nicht wie vorher errechnet 34 Stimmen erhielt, muss er auch aus dem eigenen Lager Gegenstimmen erhalten haben. Zum Stellvertreter wurde überzeugend mit 41 von 60 Stimmen Sergejs Dolgopolovs, ("Für Menschenrechte im geeinten Lettland") gewählt.
Das Ergebnis der Kommunalwahlen zeigt, dass die Bürger mit der Regierung nicht zufrieden sind und verstärkt linke Kräfte an Zuspruch gewinnen. Man kann es als rechtzeitige Protestwahl für die Regierenden vor den Parlamentswahlen in 2002 bezeichnen.
Die Sozialdemokraten erfahren eine starke Unterstützung, müssen aber jetzt Farbe bekennen. Sie werden in vielen Rathäusern die Kommunalpolitik beeinflussen. Den Bürgermeister werden sie häufig nicht stellen, dafür aber die stärkste Fraktion sein. In Riga wird der sozialdemokratische Bürgermeister für die Regierung in einigen wichtigen Fragen ein harter Verhandlungsgegner sein. Zunächst müssen sie mit einer stark konservativ, national eingestellten Verwaltung zurechtkommen. Das politische Geschehen in Riga wird auch weiterhin maßgeblich die zukünftige Landespolitik beeinflussen.