Country reports
Angriffe auf Kirchen in drei indischen Unionsstaaten
Eine Serie von Bombenexplosionen, die sich am 8.6.2000 ereigneten, haben nicht nur mehr erneut große Besorgnis, sondern nunmehr Empörung bei der christlichen Minderheit in Indien sowie in breiten Teilen der indischen Öffentlichkeit hervorgerufen. Ziele dieser Anschläge waren zwei Kirchen im Unionsstaat Andhra Pradesh, nämlich die Gewett Memorial Baptist Church in Ongole und die Mother Vanini Catholic Church in Tadepalligudem, weiter eine katholische Kirche in Wadi im Unionsstaat Karnataka sowie eine Kirche in Vasco im Süden des Unionsstaates Goa. Dabei erlitten in Ongole drei Personen und in Wadi eine Person Verletzungen, in Vasco kamen alle mit dem Schrecken davon. Es entstand durchweg schwerer Sachschaden an Gebäuden und Außenanlagen sowie an religiösen Gegenständen.
Die Explosionen in Andhra Pradesh, zum Teil mit Zeitzündern ausgelöst, waren der sechste Zwischenfall in einer Reihe von Anschlägen gegen Kirchen in diesem Unionsstaat innerhalb der letzten Wochen. Der Chief Minister (Ministerpräsident) von Andhra Pradesh und Präsident der Telugu Desam Party (TDP: Teluguland-Partei, an der Landesregierung befindliche einflußreiche Regionalpartei; die TDP ist Mitglied der National Democratic Alliance: NDA, also der BJP-geführten Regierungskoalition auf Unionsebene), N. Chandrababu Naidu, begab sich mit dem Hubschrauber an die betreffenden Orte und versicherte den christlichen Gemeinden, daß alles getan werde, um die Schuldigen zu finden und zu bestrafen. Naidu sprach von einer "kriminellen Bande", die Unruhe verbreiten wolle. Er wies die örtlichen Behörden an, die Schäden an den Kirchen auf Kosten der Landesregierung zu beheben und an die Verletzten Unterstützungen zu zahlen, und forderte die Bewohner zu Besonnenheit und Wachsamkeit auf.
Die Zwischenfälle nutzend, hat der Sekretär der Landesorganisation der CPM (Communist Party of India/Marxist) der TDP-Regierung von Andhra Pradesh vorgeworfen, daß sie mit Rücksicht auf ihre Mitgliedschaft in der von der Bharatiya Janata Party (BJP) geführten Koalition auf Unionsebene nichts ernsthaftes unternehme, um die Minderheiten zu schützen. Der zuständige BJP-Distriktpräsident dagegen bestritt vehement, daß die BJP oder irgend eine der mit ihr verbundenen Organisationen mit den Anschlägen etwas zu tun habe. Die Angriffe dienten im Gegenteil dazu, die BJP und deren Politik zu diffamieren. Die Schuldigen sollten eher in den Reihen der Agenten des ISI (des pakistanischen Inter-Services Intelligence) gesucht werden. Der Innenminister von Andhra Pradesh verwies auf Ähnlichkeiten bei den Anschlägen, die darauf schließen ließen, daß die gleichen Kräfte dahinter stünden und Unruhe sähen wollten. Er forderte die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren. Eine Frage, ob er ebenfalls die Hand der ISI hinter den Explosionen vermute, beantwortete er dahingehend, daß er ohne weitere Informationen zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Schuldzuweisungen machen wolle.
In Wadi stellten die Behörden und die Polizei fest, daß die Explosionen lediglich von geringer Intensität gewesen seien. In Goa wurden Untersuchungen veranlaßt und die örtlichen Polizeikräfte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Der Landesvorsitzende des Congress(I) verurteilte den Anschlag in Vasco scharf und verwies darauf, daß dies der erste Angriff auf eine religiöse Einrichtung in Goa sei, der seit dem Anschluß dieser ehemaligen portugiesischen Kolonie an Indien zu verzeichnen ist.
Wiederum Morde an einem Priester und einem Prediger
Kurz vor diesen Anschlägen war am 6. Juni 2000 ein katholischer Priester, Bruder George Kuzhikandam, im Assissi Ashram in Navada in der Nähe von Mathura (der angeblichen Geburtsstätte des indischen Gottes Krishna), nördlich von Agra, ermordet worden. Dieser Ort hatte bereits im März und April dieses Jahres Angriffe auf christliche Einrichtungen erlebt.
In einer gemeinsamen Stellungnahme der All India Catholic Union (AICU), des United Christian Forum for Human Rights (UCFHR) und des All India Christian Council (AICC) wurde die sofortige Suspendierung des für Mathura zuständigen Polizeichefs von Kanpur und die Ersetzung aller lokalen Polizeioffiziere wegen "mangelnder Vorsorgemaßnahmen" verlangt. Weiter wurden die Landesregierung des Unionsstaates Uttar Pradesh und die Unionsregierung aufgefordert, "auf den Grund des Geheimnisses zu gehen, warum Kriminalität und Gewalt gegenüber Priester und Nonnen sowie christlich geführte Schulen und Krankenhäuser wachsen." Die politische Führung von Uttar Pradesh und die im Zentrum der Union in New Delhi könnten ihrer Verantwortung nicht ausweichen. Die Polizei wurde scharf kritisiert, weil sie die Morde und andere Vorfälle systematisch herunterspiele. Es sei überraschend, wie die Polizei und die Behörden wiederholt und in jedem einzelnen Falle bereits vor jeder Untersuchung zu der Schlußfolgerung kommen könnten, daß es sich jeweils um isolierte Einzelverbrechen handele. Der Mord an Bruder Kuzhikandam "mache alle Versprechungen gegenstandslos, die der Premierminister und die Chief Minister verschiedener Unionsstaaten den christlichen Gemeinden angesichts der unverminderten Gewaltakte gegen Christen und deren Einrichtungen in den letzten beiden Jahren gegeben haben."
Am 11.6.2000 wurde in den indischen Medien über den Mord an Ashish Prabash, einem 25jährigen Prediger berichtet, der sich in Jalandhar im Unionsstaat Punjab ereignet hat. Dieser war der (unabhängigen) Missionsorganisation "India Campus-Crusade for Christ" verbunden Seine Leiche wurde mit Kerosin übergossen und angezündet. Es wurde jedoch nichts aus dem Haus des Ermordeten entwendet. Die Polizei ließ verlauten, daß der Mord in Verbindung mit seiner Frau stehen könne, die ihn einige Zeit vorher verlassen hatte. Diese hätte so die Verfügung über den Besitz, den Prabash von seinem Vater ererbte, erlangen wollen.
Regierung verweist auf Terroristen und von Pakistan gesteuerte Elemente
Wie The Hindu, New Delhi, (eine der beiden großen englischsprachigen überregionalen Tageszeitungen Indiens) am 9.6.2000 feststellte, "hat die Serie von Explosionen, die sich sämtlich am Donnerstag morgen in verschiedenen Kirchen verteilt über drei Staaten ereigneten, das Innenministerium der Union gezwungen, der Furcht erregenden Realität von wachsenden Angriffen auf Christen Aufmerksamkeit zu schenken." Die Zeitung verwies auch darauf, daß der Congress(I) und die Linken eine offensichtliche Absicht und Zielstellung hinter den Vorfällen sehen würden, "die eine deutliche Spur zu den Abteilungen der Sangh Parivar (Dachorganisation fundamentalistisch-radikaler hinduistischer Organisationen) zögen." Angesichts der zeitlich koordinierten Explosionen könnten die BJP und die von ihr geführte Unionsregierung sich nicht länger hinter der von ihnen bis dahin vertretenen Theorie verstecken, daß die Angriffe auf Kirchen und christliche Priester und Nonnen lediglich Probleme von Recht und Ordnung darstellten.
In diesem und in anderen Presseberichten heißt es, daß der Staatssekretär des Inneren, Kamal Pandey, sich mit den Landesregierungen von Andhra Pradesh, Karnataka und Goa in Verbindung gesetzt habe und deren Berichte erwarte, bevor er eine "Strategie ausarbeitet". Der Staatsminister für urbane Entwicklung, Bandaru Dattatreya, habe verlauten lassen, daß der Unionsminister des Inneren, L. K. Advani, kurz vor seiner Abreise zu einem offiziellen Besuch Israels, Frankreichs und Großbritanniens zugestimmt hätte, die Sicherheitsdienste des Landes mit der Untersuchung der letzten Angriffe auf Kirchen zu beauftragen.
Das zeige – um mit den Worten von Arjun Singh zu sprechen, einem der Hauptrepräsentanten des Congress(I) – zwar erstmals an, daß die Unionsregierung hinsichtlich der Angriffe auf Christen ein Problem erkenne. Notwendig sei jedoch, daß der Premierminister selbst sich bemühe, einen nationalen Konsens herbeizuführen, der sich gegen die "kommunalen und faschistischen Kräfte" wende, die sich in mutwilligen und mörderischen Attacken gegen Minderheiten ergehen. Während Arjun Singh nach Zeitungsberichten die "unverantwortlichen Elemente, die schrittweise die säkulare Struktur des Landes zerstören wollten" verurteilte, vermied er es jedoch, auf die Sangh Parivar und die mit ihr verbündeten Organisationen zu verweisen. Diese aber wurden von den Linken, die hier augenscheinlich ein Profilierungsfeld sehen, direkt angegriffen. Das prominente Mitglied der CPI (Communist Party of India, eine der beiden kommunistischen Parteien Indiens), D. Raja, verwies auf die "systematische Planung" der Übergriffe und ihre offensichtliche Verbindung mit der Sangh Parivar. Ranjan Abhigyan, Mitglied des Zentralsekretariats der CPI/M, verlangte "die unverzügliche Verhaftung der Verantwortlichen für die Angriffe und ihrer politischen Hintermänner".
Die BJP und der Vishwa Hindu Parishad (VHP: Hindu-Weltrat), der 1964 auf Anregung des radikal-hindunationalistischen Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS: Nationaler Selbsthilfebund) gegründet worden war, sehen in offiziellen Stellungnahmen hinter den Angriffen auf Christen eine großangelegte "Konspiration der ISI", durch die die BJP-geführte Koalitionsregierung der National Democratic Alliance destabilisiert und das Land wirtschaftlich geschwächt werden soll. Dies erklärte BJP-Generalsekretär M. Venkaiah Naidu auf einer Pressekonferenz am 9.6.2000 und fügte hinzu, daß Pakistan, das von Indien in drei Kriegen geschlagen worden sei, Indien nun auf andere Weise schaden wolle.
Allein in Kashmir seien von den indischen Sicherheitskräften über 2,000 von Pakistan aktivierte Terroristen getötet worden. Die BJP habe die kommunale Harmonie" in den letzten zwei Jahren bewahrt und sich für die Interessen der Minderheiten eingesetzt. Die Oppositionsparteien würden die Angriffe auf Christen gegen die NDA instrumentalisieren und darüber die nationalen Interessen Indiens vergessen. Der Vizepräsident der BJP, J. P. Mathur, erklärte, daß seine Partei und die Unionsregierung die Sicherheit der Minderheiten als ihre Aufgabe ansehe. Er appellierte an die Christen des Landes, sich nicht von "politischen Propagandisten irreführen zu lassen", welche die BJP und die RSS verantwortlich machten.
Die Unionsregierung, die bis zum 8.6.2000 jede organisierte Aktion gegen Christen und deren Einrichtungen in Abrede gestellt hat, äußerte nach den jüngsten Vorfällen "ernste Besorgnis" und kann Ziele und Absichten dahinter offensichtlich nicht mehr übersehen.
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß Premierminister Vajpayee im letzten Jahr nach den gegen Christen gerichteten Vorfällen in Gujarat diesen Unionsstaat besuchte und sich für eine "nationale Debatte über Konversionen" aussprach. Damit hatte er, auch wenn er es nicht beabsichtigte, jenen Stimmen in der BJP und in der Sangh Parivar und ihren Unterorganisationen Raum gegeben, welche die Gewalt gegen Christen auf von diesen "erzwungene Konversionen" zurückführen wollen. Wie ein führender Vertreter der BJP am 10.6.2000 feststellte, beweise der Vorschlag, den das Mitglied der Minderheitenkommission des Unionsterritoriums von Delhi, Rev. Valson Thampu – selbst ein bekannter Geistlicher – gemacht hat, nämlich ein Moratorium für Konversionen zu verkünden, die Richtigkeit dieser Annahme.
In einer Verlautbarung vom 8.6.2000 gab die Vishwa Hindu Parishad dem pakistanischen Inter-Services Intelligence die Schuld für die fast gleichzeitig erfolgten Bombenxplosionen in Kirchen von drei Unionsstaaten und warnte vor dem wachsenden Netzwerk des ISI, das besonders in den letzten drei Jahren entstanden sei. Während die ISI "Christen angreife", würden die VHP, die Bajrang Dal, die RSS und andere mit ihr verbundene Organisationen dafür verantwortlich gemacht. Die Aktivitäten des ISI könnten zu einer weiteren Teilung Indiens führen, zusätzlich zu der von 1947. Giriraj Kishore, ein prominenter Führer der VHP, klagte die BJP-Regierung an, einen "unerklärten Notstand" im Lande verursacht zu haben. Wenn das Zentrum unfähig sei, die Situation effektiv zu kontrollieren, könnte sich 1947 wiederholen. Die >ungezügelte Bürokratie" und "eine dunkle Verschwörung zur Disintegration Indiens" seien verantwortlich, wobei sie die "ISI und die CIA als Partner" hätten. Diese unterstützten auch eine Spaltung Sri Lankas, die unabsehbare Folgen für die territoriale Integrität Indiens haben würde.
Christliche Vereinigungen und Menschenrechtsorganisationen besorgt
In einer Erklärung, in der die Angriffe auf Christen und deren Einrichtungen auf einer generellen Ebene aufgegriffen werden, drückten führende Mitglieder des UCFHR ihre tiefe Besorgnis über die "beunruhigende qualitative Eskalation" der Gewalt gegen Minderheiten besonders im sogenannten "Hindu-Gürtel" aus. Der ko-Vorsitzende dieser Organisation, Dr. Ebe Sunder Raj, machte auch deutlich, daß es nunmehr offensichtlich sei, daß kriminelle Übergriffe nicht mehr von Angriffen auf das friedliche Zusammenleben von Volksgruppen zu trennen seien. Die Attacken gegen Christen in den letzten beiden Jahren seien die "schwerste Herausforderung", der sich das Christentum seit der Unabhängigkeit Indiens gegenüber sehe.
Der Vorsitzende des UCFHR, der Erzbischof von Delhi, Alan de Lastic, unterstrich auf einer Pressekonferenz in New Delhi am 9.6.2000, also einen Tag nach den Bombenanschlägen, daß die christliche Gemeinschaft Indiens es außerordentlich bedaure, daß die Unionsregierung – "von der wir Unterstützung bei der Bewältigung dieser Herausforderung erwarten" – sich bisher schweigend verhalte. Er appellierte an den Premierminister, ihm Gelegenheit zu geben, "seine Aufmerksamkeit auf die Kette von Zwischenfällen und deren Charakter zu lenken." Die jüngsten Vorfälle würden die Zahl der verbrecherischen Anschläge auf Christen und deren Einrichtungen in diesem Jahr auf 35 erhöhen.
Auf eine Frage, ob er diese Angriffe mit der BJP-geführten Unionsregierung in Verbindung bringen wolle, antwortete der Erzbischof, daß er dafür keine Beweise habe. "Jedoch bleibt es Tatsache, daß die Zahl der Übergriffe in den letzten beiden Jahren (also seit Amtsübernahme BJP-geführter Regierungen; G.W.K.) zugenommen habe... Angesichts des Umstandes, daß diese Angriffe stattfanden, nachdem eine Haßkampagne gegen Christen ausgelöst worden ist und Millionen von Kopien von Hetzschriften in Umlauf kamen, was sollen wir schlußfolgern?" Es gäbe offensichtlich eine Strategie, die Christen einzuschüchtern; auch wolle man sie wohl davon abhalten, die "Unterdrückten aufzurichten".
Weiter stellte der Erzbischof die Frage, warum die Unionsregierung sich weigere, eine Absicht hinter den Angriffen zu sehen. "Warum werden Missionsstationen ausgeraubt und die Häuser reicher Leute in der unmittelbaren Nachbarschaft ausgelassen? Im Falle des Mor des an Bruder George Kuzhikandam entwendeten die Mörder nicht einmal die wenigen 2.000 Rupien, die sich in der Mission befanden, obwohl das Anwesen durchsucht wurde."
Auf der gleichen Pressekonferenz bezweifelte der Erzbischof von Bhubaneshwar (Hauptstadt des Unionsstaates Orissa), Raphael Cheenath, daß die Menschen, die in Orissa kürzlich auf einer Massenveranstaltung zurück zum Hinduismus konvertiert wurden, dies freiwillig getan hätten. Zwei Tage vor der oben erwähnten Pressekonferenz hatte der indienweit einflußreiche Sankaracharaya (Ortsheilige) von Goverdhan Math in Puri (Orissa), Swami Nischalananda Saraswati Maharaj, am 7.6. 2000 in Puri verlangt, alle nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 vollzogenen Konversionen zum Christentum für ungültig zu erklären und als "illegal" zu behandeln. Indem er die Rekonversion von 72 Mitgliedern von Stämmen indischer Ureinwohner vom Christentum zum Hinduismus verteidigte, kündigte er gleichzeitig an, alsbald eine Strategie zur Durchführung von Rekonversionen vorlegen zu wollen.
Mittlerweile hat der National Council of Churches in India (NCCI) Abscheu gegenüber der Art und Weise geäußert, in welcher der "fundamentalistische Mechanismus" vorgeht und zwar ungeachtet der wiederholten Versicherungen der herrschenden National Democratic Alliance. Der NCCI weise den Ruf nach zeitweiliger freiwilliger Einstellung von Übertritten zum Christentum zurück, wie er von dem Mitglied der Minderheitenkommission des Unionsterritoriums von Delhi, Rev. Valson Thampu, empfohlen worden sei (vgl. Pkt. 3.). Die Kirche in Indien würde sich nicht einschüchtern lassen und ihr in der Verfassung verbrieftes Recht zur Evangelisation aufgeben. Der NCCI forderte die Unionsregierung auf, die Sicherheit und den Schutz der Minderheiten zu gewährleisten und damit das von den in der National Democratic Alliance vereinten Parteien im letzten Wahlkampf gemachten Wahlversprechen einzulösen.
In einer weiteren Erklärung vom 10.6.2000, die vom All-India Christian Council veröffentlicht wurde, heißt es, daß die Sangh Parivar und auch Mitglieder der Unionsregierung schon nach der Ermordung des australischen Missionars Graham Staines und seiner beiden Söhne bei Manoharpu in Orissa Ende vorigen Jahres von einer dafür verantwortlichen "ausländischen Hand" gesprochen haben. Die Christen seien solche Apologetik leid. Die regierungsamtliche Minderheitenkommission sollte umgehend rekonstituiert werden, da sie in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung die inaktive Haltung der Unionsregierung nur decke. Der Ministerpräsident von Andhra Pradesh, N. Chandrababu Naidu, wurde ebenso wie andere Partner der NDA aufgefordert, das Bündnis mit der BJP zu überdenken.
Für die BJP-geführte Unionsregierung, die um internationale Geltung bemüht ist und der daran gelegen ist, ausländische Direktinvestitionen in stark gesteigertem Umfang nach Indien zu lenken, kommen die jüngsten Übergriffe auf Christen und deren Einrichtungen äußerst ungelegen. Sie fürchtet für das Image Indiens als Investitionsplatz und für ihre Bemühungen, die Wirtschaftsreformen und die Öffnung Indiens nach außen erfolgreich zu gestalten sowie die Stellung Indiens als Regionalmacht in Südasien zu festigen. Dabei steht die Unionsregierung unter heftigem Druck aus den Reihen von der BJP nahestehender Organisationen wie der VHP und der RSS, die den in der Regierung Verantwortung tragenden BJP-Mitgliedern vorwerfen, mit der wirtschaftlichen Liberalisierung einen Ausverkauf Indiens zu betreiben.
Verwiesen sei in diesem Zusammenhang darauf, daß die RSS unterdessen in über 125 Ländern der Welt durch die Bildung von lokalen Unterorganisationen feste Strukturen geschaffen hat, um die außerhalb Indiens lebenden 25 Millionen Hindus (vor allem in den USA und Großbritannien, sowie in Ländern wie Malaysia, Südafrika, Mauritius und Fiji) für ihre Interessen zu mobilisieren.
Nicht zuletzt sieht die Unionsregierung die Ambitionen für einen ständigen Sitz Indiens im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gefährdet. Auch ist ihr bewußt, daß der Beitrag christlicher Einrichtungen und Persönlichkeiten insbesondere für das Bildungs- und Gesundheitswesen sowie für das wirtschaftliche Geschehen weit überproportional zu deren Zahl ist. Besonders peinlich sind die gegen Christen und deren Einrichtungen gerichteten Attacken für die Unionsstaaten Andhra Pradesh und Karnataka und deren jeweilige politische Führungen auf Landesebene, weil die Hauptstädte von Andhra Pradesh und Karnataka, Hyderabad bzw. Bangalore ("Indian Silicon Valley"), als Hochburgen der in Indien befindlichen Informationstechnologie und damit internationaler Investoren gelten.