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Country reports

Georgien nach den Kommunalwahlen 2021

Politischer Kreisverkehr ohne Ausfahrt

Am 30. Oktober 2021 fand in Georgien die zweite Runde der Regionalwahlen statt. In 20 großen Städten und selbstverwalteten Gebietskörperschaften kam es zu einer Stichwahl zwischen den Kandidaten der Regierungspartei Georgian Dream (GD) und Kandidaten der Opposition. Dabei gewann die Regierungspartei 19 von 20 Stichwahlen – zum Teil sehr knapp. Einzig in Tsalenjikha konnte sich der Kandidat der Opposition durchsetzen. GD hat angekündigt, dort die Stimmen nachzählen zu lassen. Gleichzeitig hat GD in sechs Gemeinden keine eigene Mehrheit mehr.

Für die Opposition unter Führung der UNM (United National Movement) ist das Ergebnis dennoch eine herbe Enttäuschung. Sie hatte sich gerade in großen Städten wie Batumi, Rustavi, Kutaisi oder Zugdidi große Chancen ausgerechnet. Für die Stichwahl zum Bürgermeisteramt in Tiflis trat der UNM-Vorsitzende Nika Melia mit einem bereits ausgehandelten Koalitionsvertrag an, der die anderen Oppositionsparteien personell großzügig berücksichtigte. Einen Tag nach der Stichwahl kündigte die UNM an, das Ergebnis nicht anzuerkennen. Massive Proteste wurden für das ganze Land angekündigt. Georgiens Innenpolitik dreht sich seit mehr als zwei Jahren in einer Dauerschleife aus Wahlen, Protesten und Nichtanerkennung von Resultaten. Ein Ende der extremen Polarisierung ist nicht in Sicht.

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„Hooligans“, „Kriminelle“, „Genozid“

Eine weitere Verschärfung der Rhetorik und zahlreiche Fälle von physischer Gewaltanwendung gegenüber Wahlkandidaten und deren Anhängern prägten die vier Wochen des Wahlkampfes. Die Regierungspartei GD warf der UNM immer wieder vor, „Hooligans“ oder eine „kriminelle Gruppe“ zu sein. Die UNM sei „radikal gegen Staat und Kirche“. Doch auch die Opposition war nicht immer zimperlich. So warf der Vorsitzende der Oppositionspartei „Lelo for Georgia“ der Regierung vor, durch eine schlecht gemanagte Pandemiepolitik einen „Genozid“ an der georgischen Bevölkerung zu organisieren. Darunter macht man es nicht mehr. Die in Georgien in aller Öffentlichkeit „kultivierte“ Auseinandersetzung zwischen den politischen Akteuren wirkt zuweilen so, als befände sich das Land immer noch in den 1990er Jahren.

 

„Alles oder nichts“

Opposition und Regierung lagen rhetorisch und in der Art der politischen Auseinandersetzung so weit auseinander, dass sich Fragen nach Kompromissen gar nicht erst stellten. Vor dem Hintergrund großer sozialökonomischer Herausforderungen stellt sich allenfalls die Frage, wie nah die politisch Verantwortlichen in Georgien noch an den Interessen der Georgier sind. Der Regierung schien es bei diesen Kommunalwahlen um alles zu gehen, obwohl das „Gespenst“ Neuwahlen des Nationalparlaments bereits nach der ersten Runde vor vier Wochen vom Tisch war. So drohte GD vor der zweiten Runde, die Zentralregierung werde nicht mit Städten und Gemeinden kooperieren, in denen Vertreter der Opposition regieren. Verfassungsrechtlich ist das zumindest bedenklich. Unverhohlen war die Rede davon, Vertreter der Opposition spätestens „im Amt“ scheitern zu lassen. Dabei wurde einmal mehr deutlich, dass die Regierungspartei „Oppositionszentren“, von denen aus sich der Einfluss der Opposition vergrößern könnte, fürchtete. Auch mag die Überlegung eine Rolle gespielt haben, in dem Fall bei den nächsten Wahlen nicht mehr so einfach auf „administrative Ressourcen“ in den Gemeinden und Städten zugreifen zu können.

 

Wahlkampf mit ungleichen Waffen

Der Wahlbeobachtungsbericht der OSCE/ODIHR machte auch diesmal wieder deutlich, dass „scharfe Ungleichgewichte bei den Ressourcen und ein unangemessener Vorteil der Amtsinhaberschaft die Regierungspartei zusätzlich begünstigen und das Spielfeld verzerren“. Das ist noch ziemlich diplomatisch und zurückhaltend formuliert. Die Wahlkampfmittel, die der Regierungspartei zur Verfügung standen, beliefen sich auf ein Mehrfaches aller Oppositionsparteien zusammen. Gleichzeitig stellte die OSCE/ODIHR auch fest, dass die Kommunalwahlen „im Allgemeinen gut verwaltet waren, aber die anhaltende Polarisierung verbunden mit der Eskalation der negativen Rhetorik den Prozess beeinträchtigten“. Die „Internationale Gesellschaft für Faire Wahlen und Demokratie“ bezeichnete die Wahlen als „verpasste Gelegenheit“ für die georgische Demokratie. „Transparency International“ betonte, dass „physische Zusammenstöße, die Störung von Journalisten und Beobachtern und der unkontrollierte Einlass von Wählern in Wahllokale“ die Ergebnisse stark beeinflusst haben könnten. In dem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass der Parteivorsitzende der UNM, Nika Melia, vor laufenden Kameras vor einem Wahlbüro angegriffen wurde, als dieser auf einen Stromausfall bei der Auszählung der Stimmen in dem Wahlbüro hinweisen wollte.

 

Ehemaliger Präsident als unsichtbarer „Elefant“ im Raum

Natürlich konnte auch bei diesem Wahlgang Mikheil Saakashvili nicht ignoriert werden, weder von der Regierung noch von der Opposition. Um den ehemaligen Präsidenten ohne georgische Staatsbürgerschaft und jetzigen „Häftling Nummer 1“ drehten sich immer wieder die Diskussionen. Dessen Lage nach fast einem Monat Hungerstreik im Gefängnis hatte sich zuletzt weiter zugespitzt und birgt Sprengkraft für die ganze georgische Gesellschaft! Konkret ging es um die Frage, in welchem Krankenhaus dieser bei einer weiteren Verschlechterung seines Zustandes versorgt werden soll. Die Opposition, genau wie internationale Partner, bestehen auf einer Versorgung in einem zivilen Krankenhaus, in dem die Sicherheit der Patienten gesichert sei. Dagegen will die Regierungspartei dem Patienten nur eine Versorgung im schlecht ausgerüsteten Gefängniskrankenhaus zugestehen. Im Rahmen dieses Konfliktes brach Saakashvili wiederholt den Kontakt mit den Ärzten ab und erklärte, sich nicht weiter behandeln lassen zu wollen. Als wäre die Situation nicht schon angespannt genug, zog Premierminister Irakli Gharibashvili (GD) einen mehr als fragwürdigen historischen Vergleich. In Anspielung auf Hitlers Gefängnisaufenthalt nach dessen Putschversuch vom Jahre 1923 äußerte der georgische Premierminister, Saakashvili wolle diesen „in allem imitieren“. Weiterhin betonte Gharibashvili, dass Saakashvili wie jeder andere Bürger auch ein „Recht auf Selbstmord“ habe und dass in dem Fall der Staat nicht verantwortlich sei.

 

Georgiens internationale Reputation nimmt weiter Schaden

Offenkundig wird außenpolitischer Schaden bereitwillig in Kauf genommen. So belastet der Fall des gefangenen ukrainischen Staatsbürgers Mikheil Saakashvili die bisher vorzüglichen Beziehungen Georgiens zur Ukraine nachhaltig. Dies wird auch dadurch deutlich, dass zuletzt sein ukrainischer Anwalt und ukrainische Journalisten nicht nach Georgien einreisen durften. Auch der ukrainischen Ombudsfrau gelang die Einreise und der Besuch des Gefangenen nur nach einigen hochrangigen Telefonaten.

 

Opposition setzt weiter auf „APO“

Wie es nun weitergeht, ist schwer vorauszusagen. Vieles wird vom Gesundheitszustand Saakashvilis abhängen. Insgesamt geht es nach diesem Wahlgang nicht mehr nur um die Frage, wann die Dauerkrise beendet werden kann. Die Entwicklung der Demokratie in Georgien stagniert nicht. Sie scheint generell auf dem Prüfstand zu stehen. Wohin entwickelt sich das Land? Die Opposition versichert weiterhin, den 2003 eingeschlagenen Weg konsequent weiterführen zu wollen und setzt dabei fast ausschließlich auf den „Druck von der Straße“. Nika Melia hat dementsprechend bereits angekündigt, dass am 6. November in Tbilisi eine Großdemonstration stattfinden soll. Darüber hinaus wurde auch zu Demonstrationen in Batumi, Kutaisi und anderen größeren Städten aufgerufen. Zuletzt hatten am 14. Oktober in Tbilisi viele tausend Menschen für die Freilassung von Saakashvili demonstriert, was die Regierungspartei veranlasste, selbst eine große Demonstration an gleicher Stelle am 27. Oktober zu organisieren.

Ob diese Demonstrationen nachhaltig etwas verändern, ist fraglich. Auch in Georgien werden die Tage kürzer und kälter und eine gewisse „Demonstrationsmüdigkeit“ macht sich breit. Dennoch kündigte Mamuka Khazaradze von Lelo for Georgia an, sein Mandat im nationalen Parlament zurückzugeben und Politik nur noch „auf der Straße“ zu betreiben. Ein Schritt, den Saakashvili über seine Anwälte auch den anderen Oppositionspolitikern empfahl, da das Parlament bereits seine Funktion verloren habe.

Im besten Fall dreht sich das Land folglich im Kreis. Ein Fortschritt in der Demokratisierung ist in nächster Zeit eher unwahrscheinlich, genau wie eine dringend benötigte (und von der EU angemahnte) Reform des Rechtsstaats. Wie sehr dabei der Einfluss Europas zu sinken scheint, wird zum einen dadurch deutlich, dass es der Regierungspartei nicht schwerfiel, das von der EU vermittelte Abkommen mit der Opposition aufzukündigen. Zum anderen wurden von der EU einbehaltene Hilfskredite schnell, unkompliziert und ohne viele kritische Fragen durch asiatische Hilfskredite ersetzt.

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Stephan Malerius

Stephan Malerius

Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus

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