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Strahlend und ohne Masken standen sie für den Fotografen zusammen – der ehemalige spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero, der linksautoritäre Ex-Regierungschef Ecuadors, Rafael Correa, und der amtierende mexikanische Außenminister Marcelo Ebrard. Soeben hatten sie das mit viel Pomp veranstaltete Treffen der „Grupo de Puebla“ (GP) eröffnet, welches nach eigenen Angaben rund 200 „progressive Führungsfiguren“ vom 30. November bis zum 1. Dezember in der mexikanischen Hauptstadt versammelte, wenn auch davon zahlreiche nur virtuell. Nichtsdestotrotz war klar, welches Signal das Treffen unter dem Schlagwort „Wandel jetzt“ setzen sollte – die versammelte Linke ist wieder da, gewinnt wieder an Einfluss und steht zusammen gegen den gemeinsamen Gegner. Daran ließ auch die verabschiedete Schlusserklärung[i] keinen Zweifel. Sie forderte nichts Geringeres als die Ersetzung des „anachronistischen neoliberalen Modells“ durch ein „solidarisches Entwicklungsmodell“.
Während das Dokument eher wenig Konkretes beisteuert, wie dieses neue Modell aussehen soll, bekennt es sich allgemein zu einer starken Rolle der Staaten bei Öffentlichen Investitionen, zu einer Sondersitzung der VN-General-versammlung zu globalen Wegen aus der Pandemie, zu einer Dekarbonisierung der Wirtschaft, zum „Multilateralismus“, zu einer globalen Mindeststeuer von mindestens 21 Prozent sowie zu den „Werten des Feminismus.“
Hinsichtlich des Bekenntnisses zur Freiheit und Demokratie zeigt sich das Dokument ambivalent. Zwar fordert man zwei Mal wortgleich eine „Demokratisierung, die neuen Stimmen Raum gibt“, im 2629 Worte umfassenden Text kommt die „Demokratie“ als positives Grundkonzept jedoch lediglich nur ein weiteres Mal vor – acht Mal wird sie in Bezug auf konkrete Staaten und konstatierter Bedrohungen gegenüber linken Regimen und Regierungen aufgeführt. Die Begriffe „Freiheit“ oder „frei“ werden nur zwei Mal in irrelevanten Zusammenhängen erwähnt.
Die „Grupo de Puebla“ besteht seit 2019, als sie vom damals frisch gewählten mexikanischen Staatschef Andrés Manuel López Obrador gegründet wurde. In der öffentlichen Wahrnehmung überlappt sich die GP mit dem „Foro de São Paulo“ (FSP), einem formellen Zusammenschluss von linken Parteien, die 1990 vom damaligen brasilianischen Präsidentschaftskandidaten Lula da Silva auf direktes Anraten des kubanischen Diktators Fidel Castro gegründet wurde. Laut FSP-Homepage vereint das „Foro de São Paulo“ heute 123 Parteien aus 27 Ländern – von der Kommunistischen Partei Kubas über die Sozialistische Einheitspartei Venezuelas (PSUV) bis hin zu demokratisch arrivierten Mitte-Links-Kräften wie der sozialistischen Partei Chiles, der brasilianischen Arbeiterpartei oder dem Frente Amplio Uruguays. Wichtigster organisatorischer Unterschied zwischen dem FSP und der GP ist, dass ersteres ein formeller Parteienzusammen-schluss ist, während letztere aus einer Gruppe von Individuen besteht. In beiden Organisationen besteht jedoch dieselbe Verschmelzung zwischen autokratischen, populistischen und demokratischen Elementen. Klar ist in beiden Fällen, dass Ideologie wichtiger ist als Demokratie.
Lob für Mexiko, Kuba und Venezuela
Gewissermaßen als Gastgeschenk, feiert die GP die „Vertiefung der Demokratie“ ausgerechnet durch die linkspopulistische Regierung des mexikanischen Staatschefs Andrés Manuel López Obrador, der nur wenige Tage zuvor ein Dekret erlassen hatte, dass es ihm erlaubt, wichtige Infrastrukturvorhaben in der Praxis per Fingerzeig an jedem gesetzlichen Ausschreibungsprozess vorbei und ohne jegliche Transparenz zu vergeben.[ii] Die ehemalige brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff feierte die mexikanische Regierung dennoch als „Licht“ für die „lateinamerikanische Integration.“
Die Schlusserklärung der GP übernimmt zudem ohne Einschränkung die Rhetorik der kubanischen Diktatur, wenn sie sich mit „dem kubanischen Volk“ solidarisiert und die US-Sanktionen als Urheber des „sozialen Unwohlseins“ und der jüngsten Proteste benennt, welche von „Netzwerken und Feinden der kubanischen Revolution aus den USA finanziert und gefördert“ würden. Die GP erklärt zudem die „Unterstützung der venezolanischen Demokratie“ und weist jegliche „ausländische Einmischungen“ zurück.
Auch Nicaragua kommt weitgehend ungeschoren davon. Hier bringt die „Grupo de Puebla“ zwar ihre Hoffnung auf eine „Versöhnung“ und die „Wahrung der Freiheiten und Menschenrechten“ zum Ausdruck, um dann jedoch einmal mehr hinterherzuschieben, dass es die USA mit ihren Sanktionen seien, die in Nicaragua „die Demokratie stören und ein Klima der Polarisierung schaffen.“
Neben weiteren fragwürdigen Aussagen zu Bolivien, Chile, El Salvador oder Peru sticht die Forderung ins Auge, die eigene „digitale Souveränität“ zu fördern und „allmählich den Status von Wissenskonsumenten und Datenlieferanten von Staaten und Unternehmen, die Informationen konzentrieren und monopolisieren“, hinter sich zu lassen. Der gemeinsame Gegner heißt in diesem Zusammenhang eindeutig USA, während China nicht erwähnt wird.
Einheit der demokratischen und autokratischen Linken
Klar ist, dass die internationale Linke Lateinamerikas Morgenluft wittert. Nach den politischen Richtungswechseln in Mexiko (2018) und Argentinien (2019) verschob sich die politische Achse durch Wahlen in Bolivien (Oktober 2020) über Chile (Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung im Mai 2021), Peru (Juni 2021) und zuletzt Honduras (November 2021) weiter nach links. Große Hoffnung setzte man in Mexiko-Stadt nach Ausdruck des ehemaligen kolumbianischen Präsidenten Ernesto Samper auf einen andauernden „progressiven Wind“ in der Region und damit auf einen Wahlsieg von Gabriel Boric am 19. Dezember in Chile, von Linkspopulist Gustavo Petro in Kolumbien im Mai 2022 und insbesondere von Ex-Präsident Lula da Silva im Oktober 2022 in Brasilien. All dies erscheint nach derzeitigen Umfragen möglich bis wahrscheinlich.
Auffällig ist dabei die zur Schau getragene Einigkeit von zweifelsohne demokratisch legitimierten Akteuren wie dem argentinischen Präsidenten Alberto Fernández, dem mexikanischen Staatschef Andrés Manuel López Obrador, der ehemaligen brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff oder dem chilenischen Ex-Präsidentschaftskandidaten und GP-Koordinator Marco Enríquez-Ominami über viele Graustufen bis hin zu Vertretern von linksautoritären Regimen, insbesondere die der autoritären ecuadorianischen Ex-Regierung von Rafael Correa, der man jede nur denkbare Bühne und Solidaritätserklärungen zur Verfügung stellt. Während die bolivianische MAS-Regierung mit einer Videobotschaft von Präsident Luis Arce prominent vertreten war, genießt insbesondere Ex-Präsident und GP-Mitbegründer Evo Morales in diesem Kreis weiterhin Heldenstatus. Gänzlich unglaubwürdig wird jedes Bekenntnis zu demokratischen Werten, wenn autoritäre und diktatoriale Regime wie Kuba, Venezuela und Nicaragua von der GP vorbehaltlose Unterstützung erhalten. Eine besondere Rolle in dem Kreis spielt der ehemalige spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero. Vielen in Spanien gilt er als internationaler Lobbyist des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ und als internationaler Türöffner für linksautoritäre Staatschefs.
Antwort von rechts
Als Antagonist der beiden Linksbündnisse versucht sich insbesondere seit Beginn der Pandemie gezielt die spanische Rechtspartei Vox in Stellung zu bringen. Deren Vorsitzender, der spanische Abgeordnete Santiago Abascal, propagiert intensiv das „Foro Madrid“, eine „internationale Allianz, um dem Kommunismus in der Iberosphäre (!)[iii] zu begegnen.“ Ziel ist es, eine „Antwort auf das Foro de São Paulo und die Grupo de Puebla“[iv] zu sein. Als Hauptinstrument dient dabei die „Carta de Madrid“[v], eine von 9640 (Stand: 8.12.2021) Personen unterschriebene Erklärung, die einen Teil Lateinamerikas von „totalitären Regimen kommunistischer Prägung“ und unter kubanischer Führung überzogen sieht, gegenüber derer sich verschiedene politische und soziale Führungsfiguren unterschiedlicher politischer Einstellungen in wesentlichen Aussagen zusammenschließen müssten: der Anerkennung des „kommunistischen Vormarschs“ als Bedrohung für Recht und Freiheit, das Bekenntnis zum Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit und Privateigentum, die „Verteidigung“ der politischen und gesellschaftlichen Freiheiten, sowie das Versprechen der Unterzeichnenden, für Demokratie, Menschenrechte, Pluralismus und Gerechtigkeit zu arbeiten. Von der Pandemie weitgehend unbeeindruckt, reisten im Jahr 2021 VOX-Delegationen, insbesondere Abascal selbst, sein Abgeordnetenkollege Víctor González Coello de Portugal sowie der spanische Europaabgeordnete Hermann Tertsch in verschiedene lateinamerikanische Länder wie Kolumbien, Mexiko, Peru und Ecuador sowie die USA. Dabei gelang es ihnen, zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft zur Unterzeichnung der „Carta de Madrid“ zu bewegen. Unter den Unterzeichnenden befinden sich Politikerinnen und Politiker rechtspopulistischer Parteien in trauter Eintracht mit solchen der politischen Mitte. Ergänzt wird dieser Aktivismus durch die von Abascal ebenfalls geleitete „Fundación Disenso“, einer VOX nahestehenden Stiftung, die u.a. lateinamerikanische Nachwuchspolitiker zu Studienprogrammen nach Spanien einlädt. So versammelt VOX demokratisch zweifelhafte Akteure mit fest etablierten Parteivertretern der Mitte in einem gemeinsamen Ansinnen. Hier ansatzweise einen Vergleich zur anderen politischen Seite zu ziehen, scheint zumindest nicht ganz abwegig. Fast schon nebenbei verschafft sich die spanische Rechtspartei als selbsternannte Speerspitze gegen den lateinamerikanischen „Totalitarismus“ und „Kommunismus“ nebenbei noch eine internationale Legitimität, die sie sonst wohl kaum hätte erreichen können. Es überrascht daher kaum, dass sich Abascal für die Zukunft mehr wünscht – eine permanente Struktur und einen jährlichen Aktionsplan.[vi]
Und die politische Mitte?
Eingespannt in Regierungsverantwortung im Corona-Kontext oder mit inneren Problemen beschäftigt, wurden viele moderate Parteien von derartigem Aktivismus durchaus überrascht. Die Ansprache an Einzelpersonen statt an gesamte Parteistrukturen ermöglicht es sowohl der „Grupo de Puebla“ als auch dem „Foro Madrid“, sich über letztere hinwegzusetzen. Gerade für Vertreter der oft schwerfälligen Mitte-Rechts-Parteien ist es nicht einfach, auf diese Taktik angemessen zu reagieren. Die Versuchung, mit VOX in das gemeinsame Boot gegen die immer stärker werdende organisierte Linke zu springen, ist groß. Dabei fehlt es vielmals an Bewusstsein, dass ein wirklich glaubhaftes Vorgehen gegen den organisierten Linksautoritarismus der Region nur mit Partnern möglich ist, deren freiheitlich-demokratische Identität über jeden Zweifel erhaben ist. Es bleibt zu hoffen, dass internationale lateinamerikanische Parteienzusammenschlüsse wie die christdemokratische ODCA oder der Mitte-Rechts-Zusammenschluss UPLA hierauf Antworten finden. Die Lockrufe teilweise aus extremen Ecken beider Seiten des politischen Spektrums sollten jedenfalls moderate Kräfte davon überzeugen, wie wichtig eine enge Vernetzung, Abstimmung und Zusammenarbeit ist.
[i] https://www.grupodepuebla.org/declaracion-del-septimo-encuentro-del-grupo-de-puebla/. Zugriff am 6.12.2021
[ii] https://dialogopolitico.org/agenda/mexico-y-el-decretazo/. Zugriff am 6.12.2021
[iii] Dieser Ausdruck ist im Spanischen eigentlich nicht gebräuchlich, wird aber von VOX konsequent für die Länder der iberischen Halbinsel sowie Lateinamerika benutzt.
[iv] https://fundaciondisenso.org/carta-de-madrid. Zugriff am 6.12.2021
[v] https://www.voxespana.es/actualidad/santiago-abascal-presenta-en-el-senado-de-mexico-el-foro-madrid-la-alianza-internacional-para-hacer-frente-al-avance-del-comunismo-en-la-iberosfera-20210903. Zugriff am 6.12.2021.
[vi] https://elpais.com/internacional/2021-10-18/vox-teje-una-alianza-anticomunista-en-america-latina.html?event_log=fa. Zugriff am 6.12.2021.
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