Country reports
Im Prinzip gibt es in Indien keinen Wassermangel, aber Jahr für Jahr leiden große Teile der Bevölkerung von über einer Milliarde Menschen entweder an der Dürre oder an Überflutungen. Wie das Land mit der Lösung dieser Probleme vorankommen soll, muss vor allem auf der politischen Ebene entschieden werden. Doch hierzu bedarf es umfassender, langfristiger Planungen und überzeugender Konzeptionen.
Zwar gibt es in Indien eine starke Tradition von sozialistischen Fünfjahresplänen, aber mehr als je zuvor in der demokratischen Tradition des Landes verlangt die Bevölkerung nach Mitsprache.
Eines der nicht nur in Indien, sondern inzwischen weltweit umstrittensten Staudammprojekte ist das "Sardar Sarovar Project" (SSP) im Tal des Narmada Flusses. Die Narmada zählt zu den mittelgroßen Flüssen in Indien. Sie fließt auf einer Länge von 1.300 Kilometern überwiegend durch den Bundesstaat Madhya Pradesh und mündet dann in Gujarat in das Arabische Meer. Der Hauptstaudamm, um dessen Höhe seit langem gestritten wird, liegt etwa 150 Kilometer vor der Mündung.
Die gewaltigen Unterschiede im Wasserstand während der Dürremonate und während der Monsunzeit verlangen jedoch eine äußerst differenzierte Abstufung an Staudämmen. Der maximale Ausbau des Projekts sieht deshalb 30 größere, 133 mittelgroße und etwa 3.000 kleinere Dämme vor.
Hinzu kommt ein befestigtes Kanalnetzwerk von bis zu 75.000 Kilometern, das primär Gujarat, aber auch Maharashtra, Madhya Pradesh und Rajasthan mit Wasser versorgen soll. Fernerhin ist geplant, demnächst auch den größten Teil des Strombedarfs dieser Bundesstaaten, vor allem Maharashtras, aus den entsprechenden Kraftwerken zu decken.
Der Widerstand
Die Planung für den Bau des SSP reicht zurück bis in die britische Kolonialzeit, der Baubeginn war in den siebziger Jahren, und seit 15 Jahren kämpft die betroffene Bevölkerung überwiegend gewaltfrei gegen den Weiterbau. Sie kann sich in diesem Kampf einer wachsenden Unterstützung durch die Medien sicher sein, vor allem seit Arundhati Roy, die weltbekannte Autorin des Buches: "Der Gott der kleinen Dinge", sich voll diesem Kampf gewidmet hat.
Angesichts ihres nationalen und internationalen Renommees als Schriftstellerin ist Arundhati Roy in den vergangenen Monaten immer stärker in das Zentrum des Medieninteresses gerückt. Dabei füllt ihr Porträt nicht nur die Titelseiten der Magazine, sondern sie legt sich auch kraftvoll mit den politischen Intellektuellen des Landes an (Frontline, 19.1.2001).
Der Widerstand gegen das SSP im weiten Einzugsgebiet des Narmada-Flusses ist hervorgegangen aus dem Aufschrei der betroffenen Bevölkerung, die der steigende Pegel zwingt, ihre seit Jahrhunderten bewohnte Heimat zu verlassen. Ihre Zahl wird auf etwa 30.000 Familien geschätzt, mehr als die Hälfte davon sog. "Ureinwohner" (Adivasis), die stark von ihrem bisherigen Lebensraum abhängen und deshalb schwieriger umzusiedeln sind als viele andere Gruppen.
Im Laufe der Jahre hat sich dieser Widerstand immer mehr politisiert. Zum einen wurden immer neue Aspekte in den Protest einbezogen, zum anderen hat die Welle der Sympathie inzwischen nicht nur ganz Indien, sondern auch große Teile der westlichen Welt erreicht. Sämtliche nationalen und viele internationale Medien berichten regelmäßig über das Projekt, und auf den ersten Blick scheint sich der größte Teil der veröffentlichten Meinung gegen den Weiterbau auszusprechen. Die meisten Betroffenen haben heute gar keine Vorstellung mehr davon, wer sich alles mit ihrem Schicksal identifiziert (und teilweise auch profiliert).
Fast alle Widerstandsgruppen in der Region sind zusammengeschlossen in der "Narmada Bachao Andolan" (NBA), deren Vorsitzende, Medha Patkar, die geistige Führung dieser Protestbewegung verkörpert.
Die NBA ist ausgezeichnet organisiert. Sie unterhält sogar Grundschulen, da die meisten staatlichen Schulen lediglich auf dem Papier existieren. Ihr Hauptkritikpunkt am SSP bestand ursprünglich darin, dass durch dieses Großprojekt zu viele Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren. Inzwischen hat sich diese Kritik zu einem umfassenden Protest gegen Großdammprojekte überhaupt entwickelt.
Die Diskussionen und die Aufmerksamkeit, die die NBA in den vergangenen 15 Jahren provoziert hat, machen deutlich, dass es bei dem Widerstand gegen das SSP nicht nur um die Umsiedlung von 30.000 Familien geht, sondern um das Selbstverständnis der indischen Gesellschaft.
Die Stimme der NBA ist inzwischen in sämtlichen Medien unüberhörbar geworden. Die betroffenen Bundesstaaten, insbesondere Madhya Pradesh, räumen mittlerweile ein, dass sie kein Land für die Neuansiedlung der betroffenen Bevölkerung zur Verfügung stellen können (und letztlich auch nicht wollen).
Gleichzeitig erscheint den meisten Betroffenen die Aussicht auf staatliche "Kompensation" als völlig unzureichend. Im besten Fall erhalten sie pro Familie eine Hütte mit Blechdach in mindestens 100 Kilometer Entfernung und etwa DM 200,-- Entschädigung in bar. Die NBA hat nicht nur eindringlich deutlich gemacht, dass es für die meisten der Betroffenen keine adäquate Kompensation gibt, sondern auch allgemein die Zweifel daran wachsen lassen, dass es in vielen Fällen eine solche Kompensation überhaupt geben kann.
Die Streitpunkte
Die tatsächlich betroffene Bevölkerung hat in der gesamten bisherigen Projektplanung weder Gehör gefunden, noch hatte sie eine Chance der Mitsprache. Die in der Presse immer wieder kolportierten Szenen, wenn Regierungsvertreter einzelne aus der Bevölkerung um ihre Meinung fragen, sind teils rührend, teils peinlich. Unter diesen Umständen fiel es der NBA leicht, das romantische Image des David aufzubauen, der gegen Goliath kämpfen will.
Zwar unterstützen viele internationale Menschenrechtsgruppen die NBA in der öffentlichen Meinungsbildung, aber die NBA legt großen Wert auf die Feststellung, bisher keine Gelder aus dem Ausland angenommen zu haben. Andernfalls läuft sie Gefahr, in Indien selber jede Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Es geht der NBA nicht mehr um die Frage, ob diese oder jene "Kompensation"für einzelne Bevölkerungsgruppen als angemessen betrachtet werden kann. Medha Patkar hat das Angebot, selber Verantwortung für die Umsetzung der Kompensations-Maßnahmen zu übernehmen, abgelehnt.
Es geht der Bewegung um die Prinzipien von Ökonomie und Ökologie und vor allem darum, was mit dem verfassungsmäßig garantierten Recht auf Leben überhaupt gemeint sein soll. Sie betont das Fehlen sowohl umfassender Untersuchungen über die Umweltverträglichkeit des SSP als auch einer überzeugenden Kosten-Nutzen-Analyse. Ferner argumentiert sie, dass Großprojekte dieser Art zu viele der verfügbaren Mittel absorbieren würden.
Ein anderer wichtiger Kritikpunkt ist die vorgesehene spätere Verteilung des Wassers, das vor allem der Industrie und den Städten zugute kommen soll, aber kaum den am stärksten unter der Dürre leidenden Gebieten helfen wird. Dem Protest schlug eine Welle der Sympathie entgegen, nachdem 1993 das "Ministry for water recources" bekannt gegeben hatte, dass die beiden Distrikte Kutch und Saurashtra in Gujarat erst im Jahre 2025 an das Kanalnetz angeschlossen würden.
Diese beiden Distrikte haben im Frühjahr 2000 unvorstellbar unter der Dürre gelitten, und die Menschen in diesem Gebiet berichten, dass es während der Monsunzeit in diesem Jahr dort bis jetzt teilweise nur an einem einzigen Tag geregnet hat. Vor diesem Hintergrund hat der Ökonom Suhas Parajpye vor einiger Zeit ein unabhängiges Gutachten erstellt, in dem er zwar auch Zurückhaltung im Hinblick auf die maximale Dammhöhe empfiehlt, vor allem aber betont, dass die beiden Distrikte Kutch und Saurashtra vorrangig an das Kanalnetz angeschlossen werden sollten.
Das Urteil
Trotz zahlreicher berechtigter Bedenken hat das oberste Gericht in Indien, der Supreme Court in Delhi, am 18. Oktober dieses Jahres dem stufenweisen Weiterbau der Hauptstaumauer stattgegeben und damit die Klage der NBA von 1986 zurückgewiesen. Seitdem ist die öffentliche Auseinandersetzung über dieses Urteil nicht zur Ruhe gekommen. Das Urteil beruft sich vor allem auf das "Narmada Tribunal" von 1979, dessen Grundsatzentscheidung durch die jetzt vorgetragenen Bedenken nicht in Frage gestellt werde.
Das Gericht genehmigte den stufenweisen Weiterbau um jeweils fünf Meter. Dazwischen muss jeweils nachgewiesen werden, daß die notwendigen "R&R"-Maßnahmen ("Rehabilitation and Resettlement") für die betroffene Bevölkerung durchgeführt worden sind. Mit der ersten Bauphase wurde unmittelbar begonnen.
Binnen weniger Wochen war der Damm bereits von vorher 88 Meter auf derzeit 90 Meter erhöht. Bis zum Sommer 2003 soll eine Höhe von 110 Meter, ein Jahr später von 121 Meter erreicht sein. Die maximale Dammhöhe von 138 Meter kann dann frühestens im Juni 2005 erreicht werden. (Free Press Journal, 30.11.2000) Laut den offiziellen Berechnungen kann der Damm ab einer Höhe von 110 Meter kostendeckend unterhalten werden.
Vor allem durch die Sicherstellung der sogenannten R&R-Maßnahmen hat das oberste Gericht versucht, den Planungsmängeln der Vergangenheit entgegenzusteuern. Die Richter waren sich der Ausmaße dieses Problems sehr wohl bewusst und haben sich intensiv mit der Frage auseinander gesetzt, welche Formen von Rehabilitation und Wiederansiedlung überhaupt möglich sind (vgl. Economic and Political Weekly, 11.11.2000).
Das Mehrheitsvotum ist vor allem von den beiden Richtern B. N. Kirpal und Dr. A. S. Anand formuliert worden. In einem Minderheitsvotum hat der oberste Richter S. P. Bharucha darüber hinaus gefordert, der Umweltverträglichkeit noch mehr Beachtung zu schenken.
Der Supreme Court forderte die betroffenen Bundesstaaten Gujarat, Madhya Pradesh und Maharashtra auf, innerhalb von vier Wochen umfassende Pläne für die Kompensation und Rehabilitation der unmittelbar betroffenen Bevölkerung vorzulegen. Es wurde von der Öffentlichkeit als blamabel empfunden, dass diese Pläne noch nicht existierten.
An dem Urteil selber wurde kritisiert (The Hindu, 22.11.2000), dass der Supreme Court zu geringe Vorgaben formuliert hat was die Auswahl der berechtigten Empfänger, die Abstufung in der Höhe und die Modalitäten der Abfindung betrifft.
Ferner stärkte das oberste Gericht die Stellung des Premierministers in künftigen Streitfällen. Laut Artikel 262 der indischen Verfassung liegt die Entscheidungsgewalt über die Nutzung von Flusswasser bei der Zentralregierung, falls der Fluss durch mehr als ein Bundesland fließt.
Dies trifft jedoch auf sämtliche der größeren Flüsse Indiens und auch auf die Narmada zu. Umstritten ist diese Zuständigkeit zum einen, weil durch die Verantwortung der Nationalregierung zu stark parteipolitische Interessen zum tragen kommen, und zum anderen, weil der planwirtschaftliche Zugang der Zentralbürokratie bisher stets die Chancen für eine Dezentralisierung von Verantwortung zu vereiteln gewusst hat (Frontline, 24.11.2000).
Die Rolle der Weltbank
Wenige Wochen nach der Bekanntgabe des Supreme-Court-Urteils in Delhi, wurde am 16. November in London der Abschlußbericht der "World Commission on Dams" (WCD) der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Initiative für diesen Bericht, der jetzt allgemein über das Internet (www.dams.org/report) verfügbar ist, geht vor allem auf die Weltbank zurück, die in den Auseinandersetzungen über das SSP in den achtziger Jahren eine zentrale Rolle gespielt hat.
Nachdem sie zunächst die notwendigen Kredite bewilligt hatte, zog sich die Weltbank 1986 wieder weitgehend aus diesem Projekt zurück. Auf öffentlichen Druck hin setzte sie eine unabhängige Experten-Kommission ein, die "Morse Commission" die bereits früher zwei Berichte vorgelegt hat, in denen sowohl die Förderung alternativer Bewässerungsmethoden als auch die Reduzierung der vorgesehenen Maximalhöhe für das SSP empfohlen wird.
Der jetzt vorliegende Bericht der WCD greift diese Bedenken auf und räumt der Annahme derartiger Großprojekte durch die betroffene Bevölkerung oberste Priorität ein. Die möglichen Folgeprobleme von Großstaudämmen werden ausführlich diskutiert. Ferner formuliert der Bericht Zweifel an der Stabilität vieler indischer Dämme, die besonders starken Monsunfluten nicht überzeugend gewachsen seien.
Indien steht in der Liste der gescheiterten Projekte mit 9,2% weltweit an zweiter Stelle. Dennoch spricht sich der 400 Seiten starke Bericht nicht für ein Moratorium aus. Er bietet eine, umfassende, globale und überzeugende Bestandsaufnahme des Staudammbaus. Er behandelt ökonomische Aspekte ebenso wie ökologische, technische ebenso wie soziale und räumt auch Medha Patkar Platz für einen Kommentar ein. In der gehobenen indischen Presse wurde der Bericht als "pro-dam" bewertet (The Hindu, 26.11.2000).
Es ist zweifellos den Widerstandsgruppen und speziell der NBA zu verdanken, wenn heute seitens der Weltbank in Indien keine Mittel mehr freigegeben werden, ohne dass eine entsprechende Akzeptanz durch die Bevölkerung sowie ein Mindeststandard an Umweltverträglichkeit nachgewiesen werden. Doch scheint dies umgekehrt nicht das Vertrauen der NBA in die Weltbank erhöht zu haben.
Als Mitte November James Wolfensohn, der Präsident der Weltbank, Indien besuchte, wurde seine Reise von zahlreichen Protesten insbesondere seitens der NBA begleitet. Nicht bestätigten Pressemeldungen zufolge (vgl. Frontline, 8.12.2000) soll Wolfensohn gegenüber dem Ministerpräsidenten von Gujarat, Keshubhai Patel, geäußert haben, dass es ein Fehler der Weltbank gewesen sei, sich aus dem SSP zurückgezogen zu haben. Er sei bereit, diesen Schritt jetzt zu revidieren.
Sieger und Besiegte
Am 31. Oktober 2000 feierten die politischen Vertreter der National- sowie der betroffenen Landesregierungen ihren vermeintlichen "Sieg". Eine aufgebrachte Menge beschimpfte das Urteil des Supreme Court als einen Verrat an der Gerechtigkeit ("betrayal of justice"). Für die Widerstandsgruppen ist es eine schwere Niederlage.
Medha Patkar fastete öffentlich drei Tage und erklärte, dass das oberste Gericht von der Regierung in die Irre geführt worden sei und lediglich die Fixierung auf Großprojekte fortschreibe. Dies sei die falsche Entwicklungspolitik der vergangenen 50 Jahre, die durch das große Wort von Jawaharlal Nehru geprägt war, dass Staudämme die "Tempel des modernen Indien" seien.
Angeblich sind jedoch Nehru selber schon zu seinen Lebzeiten Zweifel an dieser Einschätzung gekommen. Medha Patkar hingegen ist nicht von Zweifeln angenagt. Den Supreme Court als oberste Institution zu akzeptieren, ist sie nicht bereit. Vielmehr müsse das Gerichtsurteil, das aus ihrer Sicht voll von Widersprüchen sei, von nun an in den Widerstand mit einbezogen werden.
Noch bedenklicher als die Reaktionen von Medha Patkar auf das Urteil sind die von Arundhati Roy. Sie bezeichnete da s Urteil als "Entschuldigung von und Ermutigung für Menschenrechtsverletzungen" (Frontline, 24.11.2000). In einer nicht mehr nachvollziehbaren Parallele setzte sie das Urteil in einer wortreichen Ausschmückung auf eine Stufe mit den Bombenangriffen der NATO auf Ex-Jugoslawien. Ebenso verzweifelt wie der Tiger im Zoo von Belgrad würden sich jetzt die Menschen im Narmada-Tal angsterfüllt ins eigene Fleisch beißen (The Hindu, 26.11.2000).
Bei der Bevölkerung in Gujarat stoßen weder Medha Patkar noch Arundhati Roy auf offene Ohren. Dieser Bundesstaat hat sich immer am stärksten für das SSP eingesetzt, da er sich zu Recht als einer der Hauptnutznießer betrachten kann. Zum einen sinkt hier der Grundwasserspiegel jährlich um mehr als drei Meter; zum anderen führen von den 185 Flüssen nur 8 ganzjährig Wasser, und diese 8 können maximal 20% des Landes bewässern.
Während 1999 noch 14,8% des Niederschlags genutzt werden konnten, waren es im Jahr 2000 aufgrund der geringen Niederschlagsmenge nur noch 5,7%. Im Durchschnitt bringt in Indien ein Hektar bewässertes Land drei bis vier mal so viel Ertrag hervor wie die gleiche Fläche, die auf den regulären Niederschlag angewiesen ist. Speziell in Gujarat dürfte dieses Verhältnis jedoch noch wesentlich höher sein. Da 80% des Gebietes von Gujarat auf Bewässerung angewiesen sind, gibt es hier eine starke Lobby in der gesamten Bevölkerung für das SSP. Die Fläche, um die es hier geht, entspricht ungefähr der Hälfte der alten Bundesländer zusammen, und die Zahl der betroffenen Menschen muss mit über 30 Millionen angesetzt werden.
Auch in Rajasthan findet sich eine starke Lobby für das SSP. Weder kleinere Dämme noch bessere Methoden der Wasserkonservierung bieten angesichts dieser Größenordnung eine realistische Alternative. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils begannen überall in Gujarat die Hochrechnungen, wann welcher Ort über das vorgesehene Kanalnetz, das das größte dieser Art in der Welt werden könnte, voraussichtlich mit Wasser versorgt werden kann (Times of India, 25.11.2000).
Den Menschen in Gujarat erscheint es unverantwortlich, das Wasser des Narmada Flusses, das hier so dringend gebraucht wird, einfach ins Meer fließen zu lassen. Hilfen für einzelne Familien, Regenwasser zu "ernten" und auf Vorrat zu halten, sollten weiterentwickelt und gefördert werden, aber sie können keinen Ersatz für das Staudammprojekt bieten.
Die staatliche Bewässerungsplanung aus den vergangenen 50 Jahren wird zu Recht kritisiert wegen ihrer Überschätzung von Großprojekten, zumal diese oft mangelhaft konzipiert und umgesetzt worden sind, teilweise in Korruption erstickten und dank internationaler Unterstützung häufig überteuert waren. Aber viele Fehler der Vergangenheit sind bekannt und dürfen nicht automatisch und von vornherein jedem Neuprojekt unterstellt werden.
Die NBA und ihre führenden Vertreter sind über viele Jahre hinweg in eine sehr exponierte Rolle hineingewachsen, in der sie stets breiter Anerkennung und Sympathie sicher sein und aus der heraus sie geschützt wertende Urteile fällen konnten.
Mit dem Urteil des Supreme Court scheint sich dieses Blatt gewendet zu haben. Viele, die in der Vergangenheit gegen den Damm waren, akzeptieren dieses Urteil als einen neuen Ausgangspunkt. Es geht nicht um die vordergründige Alternative, als ob letztlich zwischen einer Umsiedlung von rund 30.000 Familien und dem Wasserbedarf von weit über 30 Millionen Menschen abgewogen werden müsse. Es geht um eine differenziertere und längerfristigere Perspektive, um mehr Kompetenz und Einfühlungsvermögen, vor allem aber um verantwortbare und verantwortete Politik.