Country reports
Ägyptens Präsident Mubarak in der Zwickmühle
Auf Drängen der USA hatte Ägyptens Staatspräsident Mubarak zu der Gipfelkonferenz notgedrungen einladen müssen, um das Blutvergießen im Nahen Osten so rasch wie möglich zu beenden. Wohl fühlte er sich in seiner Haut nicht. Um sich von seinen Kollegen, den arabischen Herrschern von Marokko bis Jordanien, Rückendeckung zu holen, telefonierte er vor dem Gipfel persönlich mit ihnen und holte sich ihr Einverständnis.
Vor allem ging es darum, mit dem Krisengipfel von Sharm el-Sheikh nicht den am darauf folgenden Wochenende in Kairo stattfindenden Arabischen Gipfel zu gefährden. Es sollte unbedingt der Eindruck vermieden werden, gesamtarabische Positionen schon im Vorfeld aufs Spiel zu setzen.
Der auf ihm lastende Druck ging sowohl von arabischen Staatschefs als auch von der Strasse aus. Hardliner wie Iraks Diktator Saddam Hussein und Jemens Präsident Ali Abdallah Saleh forderten unmissverständlich ein militärisches Eingreifen der arabischen Armeen.
Innenpolitisch muss sich Mubarak, ähnlich wie Jordaniens König Abdallah II. auch, dem Druck der Strasse erwehren. Er muss erklären, warum er zu dem Gipfel eingeladen hatte. Seit dem Ausbruch der Gewalt im Nahen Osten häuften sich an ägyptischen Universitäten die Demonstrationen.
Die ägyptischen Sicherheitskräfte hinderten die aufgebrachten Studenten der Universität Kairo mit Schlagstöcken und Tränengas daran, das Universitätsgelände zu verlassen.
Sie wollten zur nahe gelegenen israelischen Botschaft marschieren. Was hätte geschehen können, wäre ihnen dies gelungen, kann man sich ausmalen. Schon Tage vor dem Gipfel wurden die Angehörigen des israelischen Botschaftspersonals nach Israel ausgeflogen.
Nach dem Attentat islamischer Extremisten auf den US-Zerstörer "Cole" im jemenitischen Hafen Aden wurden die amerikanischen Botschaften in den arabischen Hauptstädten geschlossen und abgeriegelt.
Aus den USA kam die Anweisung an amerikanische Bürger, die in arabischen Staaten leben, ihren Aufenthalt in der Öffentlichkeit auf das Nötigste zu beschränken. Die USA haben bei breiten Schichten der Bevölkerung weiter an Kredit verloren.
Der ehrliche Friedensmakler, der einen gerechten Frieden zwischen Israel und den Palästinensern anstrebt, wird ihnen nicht mehr abgenommen. Die Stimmung in der Bevölkerung ist antiamerikanisch, antiisraelisch und antijüdisch.
Von dieser Stimmung sind jetzt auch amerikanische und andere westliche Unternehmen betroffen. Amerikanische Schnellrestaurants wurden Ziele wütender Attacken, Schaufensterscheiben gingen zu Bruch. Seitdem wurden die Sicherheitsmassnahmen verstärkt.
Die britische Supermarktkette "Sainsbury" ist ebenfalls ins Visier wüster Angriffe geraten. Ihr wird vorgeworfen, dass auch Juden Anteile an dem Unternehmen hielten.
Seit etwa einem Jahr liefert sich die britische Einzelhandelskette einen harten Preiskampf mit seinem schärfsten Konkurrenten "Metro", der nur den Namen mit dem gleichnamigen deutschen Unternehmen gemein hat.
Die Firma Metro wirbt mittlerweile mit dem Slogan, ein 100 Prozent ägyptisches Unternehmen zu sein. In großen Zeitungsanzeigen kämpfen beide Supermarktketten jetzt aggressiv um Kunden.
"Sainsbury" verweist auf die geschaffenen Arbeitsplätze und betont, keine israelischen Waren zu verkaufen. Radikale Imame und andere Gruppen haben zum Boykott amerikanischer und israelischer Waren aufgerufen.
Ein Student der Universität Kairo brachte die Stimmung vieler Ägypter auf den Punkt: "Ich verstehe das alles nicht. Jeden Abend gehen wir von den Sicherheitskräften verprügelt nach Hause, nur weil wir die Ausweisung des israelischen Botschafters fordern. Und dann das (der Gipfel in Sharm el-Sheikh) und Barak bringen sie nach Ägypten." Ägyptens Außenminister Amr Moussa erklärte dazu: "Diese Demonstrationen sind ein Ausdruck der Angst des Volkes und ihrer Teilnahme an den Interessen des palästinensischen Volkes. Dieser Gipfel ist dazu vorgesehen, den Interessen der Palästinenser zu dienen."
Der Nahost-Konflikt hat deshalb auch eindeutig in den arabischen Staaten eine innenpolitische Komponente. Mangels demokratischer Legitimation versuchen Staaten wie Jemen und Irak von innenpolitischen Problemen abzulenken, wenn sie einen arabischen Waffengang fordern. Sie haben aber auf der anderen Seite vom Westen nicht viel zu erwarten, woraus sich der aggressive Ton erklären lässt.
Ägypten und Jordanien sind in einer Zwickmühle: sie müssen einerseits die arabische Karte der Solidarität mit den Palästinensern spielen, wollen sie nicht riskieren, von ihren arabischen Nachbarn als Verräter der arabischen Sache gebrandmarkt zu werden. Andererseits sind sie massiv von amerikanischer Finanzhilfe abhängig.
Beide haben außerdem mit Israel bereits Frieden geschlossen. Sowohl in Ägypten als auch in Jordanien ist der Friedensschluss mit Israel nicht gern gesehen.
In Jordanien bleibt die palästinensische Bevölkerungsmehrheit gegenüber dem haschemitischen Herrscherhaus misstrauisch. In Ägypten hetzen unisono islamistisch unterwanderte Berufsverbände, radikale Imame und unverbesserliche Panarabisten gegen eine Verständigung mit Israel.
Hinzu kommt die wirtschaftliche Misere: Ägypten plagt seit mehr als einem Jahr eine Liquiditätskrise, die Privatisierung kommt kaum voran und die Millionen Ägypter, die von ein bis zwei US-Dollar pro Tag und Familie leben müssen, warten immer noch vergebens auf die versprochene "Friedensdividende".
Pressekonferenz von Präsident Mubarak
Die heftigen Reaktionen auf die mageren Ergebnisse des Krisengipfels von Sharm el-Sheikh in Kairo und in anderen Städten veranlassten Präsident Mubarak in die Offensive zu gehen. Am Mittwoch, dem 18. Oktober übertrugen einige der acht staatlich kontrollierten ägyptischen Fernsehsender rund um die Uhr eine Pressekonferenz des ägyptischen Staatsoberhauptes.
Präsident Mubarak erklärte, dass ohne die Abhaltung des Gipfels von Sharm el-Sheikh die Zahl der palästinensischen Opfer auf 200-300 hätte ansteigen können. Mubarak sagte: "Die Lage in den palästinensischen Gebieten hatte sich gefährlich zugespitzt und Israel begann mit dem Einsatz von Hubschraubern und Panzern und die Zerstörer lagen vor der Küste Gazas. In dieser Situation sah ich mich zum Eingreifen gezwungen, um die Palästinenser zu retten und ich führte ausgedehnte Konsultationen mit den arabischen Staats- und Regierungsoberhäuptern, die mir rieten: ‚Tue, was möglich ist. Wir vertrauen Dir.' "
Über die Auseinandersetzungen während des Gipfels von Sharm el-Sheikh sagte Mubarak: "Im Verlauf der Vorbereitungen zum Gipfel habe ich den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton bei einem Telefonat darauf hingewiesen, dass ein Nichterreichen von Ergebnissen in Sharm el-Sheikh gefährliche Folgen für die Region haben werde.
Daraufhin teilte mir Clinton mit, er werde sich sofort mit der israelischen Seite in Verbindung setzen." Mubarak fügte hinzu, er habe selbst bis zum letzten Moment an dem Zustandekommen des Gipfels gezweifelt. "In dieser Zeit verschlechterte die Lage sich immer weiter und wir waren gewarnt, dass es so weiter gehen würde, bis wir am Punkt Null ankommen, wo es keine Palästinenser und keine palästinensische Behörde mehr geben wird."
Mubarak bekräftigte, dass der Gipfel erfolgreich gewesen sei. "Man einigte sich auf die Aufhebung der Blockade, den Rückzug der israelischen Truppen und die Bildung einer internationalen Untersuchungskommission." Er fügte hinzu, dass die Umsetzung dieses Abkommens nun von den Palästinensern und den Israelis abhinge.
Mubarak teilte mit, dass sich der palästinensische Präsident Yassir Arafat und der israelische Ministerpräsident Ehud Barak mehrmals vor den Anwesenden die Hand geschüttelt hätten, ohne Probleme miteinander geredet und beim Essen nebeneinander gesessen hätten.
Mubarak lehnte vollkommen die Meinung ab, dass die Durchführung des Gipfels von Sharm el-Sheikh das arabische Gipfeltreffen beeinflussen würde. Er fügte hinzu, dass Ägypten die öffentliche Meinung respektiere und bei ihr Rat einhole und dass die Demonstrationen ein gutes Mittel seien, an denen sich die Gefühle der Menschen und ihre Wut über die israelischen Aktionen ablesen ließe.
Mubarak wies darauf hin, er sei durch die Vorfälle stark erregt worden, insbesondere beim Anblick eines neunjährigen Jungen, der durch einen Bauchschuss verwundet wurde, doch könne man keine Entscheidungen unter Einfluss von Emotionen und Erregung fällen.
Mubarak gab zu verstehen, daß diejenigen, die die Abhaltung des Gipfels von Sharm el-Sheikh kritisierten, auch diejenigen seien, die seine Nichtabhaltung kritisiert hätten. In missbilligendem Tonfall fügte er hinzu: "Ist die Aufhebung der Blockade und der Abzug der israelischen Truppen, die Zufuhr von Lebensmitteln und Medikamenten eine Bekämpfung (wörtlich: "Abtreibung"!) der Intifada? Bedeutet die Rettung des Volkes vor dem Tod, dem Hunger und Verderben die Bekämpfung der Intifada?"
Mubarak erklärte zum Abschluss, in der gegenwärtigen Lage benötige man gut zwei Wochen, bis sich die Lage wieder beruhigen werde. Danach könnten die Kontakte wieder aufgenommen werden, um den Friedensprozess fortzusetzen, denn es gebe keine Alternative zum Frieden und dieses Problem könne durch Krieg nie gelöst werden.
In Ägypten gilt der "Friedensprozess" als tot
Die Enttäuschung in Ägypten ist groß. Aktive ägyptische Friedensaktivisten sind eine verschwindende Minderheit.
Mehrere Mitglieder der "Cairo Peace Society" (CPS) haben aus Enttäuschung und Wut über Israels Vorgehen ihre Mitgliedschaft in der CPS eingefroren. Eine Zusammenkunft mit israelischen Friedensaktivisten, die im November in Tel Aviv hätte stattfinden sollen, wurde abgesagt.
Auf Grund der Gewaltausbrüche im Nahen Osten haben ägyptische Nichtregierungsorganisationen reihenweise Konferenzen abgesagt, obwohl dabei nur Teilnehmer aus arabischen Staaten zugegen gewesen wären.
Zu diesem Zeitpunkt stand auch schon fest, dass in Kairo am 21. und 22. Oktober der Arabische Gipfel stattfinden werde. In Ägypten ist man der Ansicht, dass der sogenannte "Friedensprozess" tot ist. Israel traut man in absehbarer Zeit nicht zu, sich fundamental zu ändern.
Die ägyptische Presse wirkt alles andere als mäßigend. Aus innenpolitischen Gründen lässt Innenminister Al-Adly die Journalisten bis auf weiteres gewähren. Sollte sich die Lage in den palästinensischen Gebieten und in Israel beruhigen, wird man sie wieder stärker kontrollieren.
Ägypten wird dann den USA wieder zeigen müssen, dass das Land am Nil ein verlässlicher arabischer Partner ist, der mäßigend auf die anderen arabischen Staaten einwirken kann.
In diplomatischen europäischen Kreisen wurde mit Genugtuung auf die Teilnahme des EU-Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, an dem Gipfel reagiert. Endlich wurde bei einem Gipfel auch den Europäern Platz eingeräumt, ebenso den Vereinten Nationen.
Da aber UN-Generalsekretär Kofi Annan kein eindeutiges Mandat hat und UN-Resolutionen, so auch die jüngste, eher Israel als Aggressor verurteilen, dürfte eine zukünftige prominentere Rolle der Vereinten Nationen kaum möglich sein.
Immerhin wird hier in Kairo konstatiert, dass der Nahost-Konflikt "internationaler" geworden sei. Darüber haben sich vor allem die arabischen Staaten gefreut, beklagen sie doch stetig die US-amerikanische Dominanz in der Region.
Israel bevorzugt von dritter Seite eher die USA als Verhandlungspartner, während die Palästinenser sich bei einzelnen EU-Staaten eher verstanden fühlen. Aber auch Arafat und seine Gefolgsleute wissen, dass ohne die USA im Nahen Osten nichts entschieden wird.
Der Arabische Gipfel in Kairo
Am 21. und 22. Oktober fand in Kairo eine arabische Gipfelkonferenz statt. Zum letzten Mal trafen sich arabische Staats- und Regierungschefs im Juni 1996 in Kairo. Damals wurde über ein gemeinsames arabisches Vorgehen nach der Wahl Netanjahus zum Ministerpräsidenten Israels beraten.
Von den 22 Mitgliedern der Liga der Arabischen Staaten waren nur 14 Staaten durch ihre Staatsoberhäupter vertreten. Revolutionsführer Gaddafi verkündete vor laufenden Kameras des qatarischen Fernsehsenders Al-Jazira schon vorab die Ergebnisse des Gipfels und drückte dadurch seine Missbilligung über die geheimen Beschlussentwürfe der ägyptischen Gastgeber aus.
Die libysche Delegation wurde deshalb nur vom Botschafter bei der Arabischen Liga angeführt. Sie verließ aus Protest über die ihrer Meinung nach laxe Haltung der arabischen Staaten vorzeitig die Konferenz. Die vorab von Gaddafi bekannt gegebenen Resolutionsentwürfe wurden in der ägyptischen Presse scharf kritisiert.
An der Konferenz der 22 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga wird seit 1990 erstmals wieder Irak teilnehmen. Kuweit hatte zuvor mitgeteilt, die Teilnahme Kuweits und Iraks werde zu keiner Versöhnung der beiden Staaten führen.
Zwei Fragen standen im Vordergrund: Wie weit will man bei der Unterstützung der Palästinenser gehen? Die zweite Frage betraf Jerusalem: können sich die Teilnehmer auf eine gemeinsame Resolution einigen?
Deshalb konnte schon vor Abschluss des arabischen Gipfels die bekannte Uneinigkeit im arabischen Lager konstatiert werden.
Ägypten und Jordanien nahmen eine mäßigende Haltung ein, während Irak, Syrien und der von Syrien abhängige Libanon auf einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen sowie einen Wirtschaftsboykott drangen.
Saudi-Arabien, das einerseits der Hüter der heiligen Stätten des Islams in Mekka und Medina ist und deshalb auch sich für die drittheiligste Stätte der Muslime, nämlich Jerusalem, einsetzen muss, hat andererseits auf die USA Rücksicht zu nehmen, das mehrere Militärbasen in Saudi-Arabien unterhält und die Ölmonarchie im Kampf um die regionale Vormachtstellung am Persisch-Arabischen Golf gegen den Iran unterstützt.
Trotzdem hat Kronprinz Abdallah in ungewöhnlich scharfen Worten die USA attackiert: sie trügen die Hauptverantwortung für das Scheitern des Friedensprozesses.
Um Solidarität mit den Palästinensern zu beweisen, gab Abdallah die Gründung zweier Solidaritätsfonds mit einer Gesamtsumme von einer Milliarde Dollar bekannt. Saudi-Arabien werde 200 Millionen Dollar spenden.
Ein Fonds sollte für die Familien der "Märtyrer" zur Verfügung stehen, der sogenannte "Al-Aksa-Fonds" soll die arabische Identität Jerusalems erhalten helfen.
Die Palästinenser sind von ihren arabischen Brüdern enttäuscht. Nach ihrer Meinung blieb es bei zahnlosen Resolutionen, in denen Israel zwar wegen seiner Gewaltanwendung verurteilt wurde, aber weitere durchgreifende Maßnahmen waren kaum mehrheitsfähig.
Erstmals wurden in den palästinensischen Gebieten Bilder des ägyptischen Präsidenten Mubarak verbrannt. Immerhin haben die beiden Maghrebstaaten Tunesien und Marokko, geographisch weit vom Geschehen entfernt, ihre diplomatischen Beziehungen zu Israel abgebrochen.
Die UNO wurde aufgefordert, den "notwendigen Schutz des palästinensischen Volkes" sicherzustellen und ein Tribunal nach dem Vorbild des UN-Tribunals für Ex-Jugoslawien einzurichten, um israelische Soldaten als Kriegsverbrecher anzuklagen.
Jerusalem als Symbol arabischer und muslimischer Identität hat bei den arabischen Staaten mehr Bindekraft entfaltet, als man zuvor für möglich gehalten hatte.
Trotz erheblicher Differenzen im arabischen Lager haben sich Jordanien und Ägypten mit ihrer moderaten Haltung durchgesetzt, darauf hoffend, dass dies auch bei den Israelis als Signal einer grundsätzlichen arabischen Friedensbereitschaft verstanden werden möge.