Country reports
Naturgemäß sind die Folgen für Tony Blair und seine Stellung national wie international gravierender. Nur noch eine knappe Mehrheit der Briten hält das Engagement im Irak für richtig, die von Blair dafür gegebenen Begründungen halten nach Auffassung einer Mehrzahl der Briten den Tatsachen nicht stand und haben zu einem dramatischen Vertrauensverlust des britischen Premiers beigetragen. Die Befürworter sehen sich jetzt zusätzlich einer internationalen Isolierung ausgesetzt, die ihren Fortgang bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November finden kann.
Blair greift in dieser Situation zu ungewöhnlichen Maßnahmen: Er lädt den scheidenden Premier Aznar demonstrativ zu einem Essen nach London ein und untersagt – ebenso demonstrativ - seiner Labour-Party, mit der sonst üblichen starken Delegation zum Nominierungsparteitag der Demokraten in die USA zu reisen. Kerry´s Wechsel von einem Befürworter der Irak-Invasion zum offenen Kritiker der Bush-Blair-Initiative beeinträchtigt die traditionell engen Beziehungen zwischen Labour und den Demokraten.
Die Sorge einer wachsenden Isolierung und damit auch rückläufiger Einflußmöglichkeiten läßt jedoch andererseits die Chancen für eine verbesserte Abstimmung und Koordinierung zentraler Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik innerhalb der EU sowie der NATO und der UN steigen. In der britischen Diplomatie wird darauf gehofft, zunächst eine neue UN-Resolution zum Engagement im Irak zu erreichen, wenn denn von allen Seiten mit Vernunft und Augenmaß Lösungen für die Zukunft angestrebt werden und auf Häme oder Revanchefouls verzichtet wird. Eine weiterführende Resolution könnte einen Beitrag zur Bestimmung auch der amerikanischen Sicherheitsstrategie nach den Wahlen leisten, egal, wer die künftige Administration bildet. Wer die Amerikaner von einem unilateralistischen Weg abhalten wolle, müsse nach der Irak-Erfahrung funktionsfähigen internationalen Strukturen das Wort reden.
Dies gilt allzumal auch für die CSFP-Thematik. Neue Initiativen dazu könnten heute angesichts der fatalen Folgen europäischer Uneinigkeit, aber gleichbleibender internationaler Sicherheitsszenarien, größere Chancen haben, als noch vor wenigen Monaten.
Gleiches gilt nunmehr auch für den europäischen Verfassungsvertrag. Labour wie auch Tories hatten sich die Bedenken Spaniens und Polens zu eigen gemacht, allerdings mit unterschiedlichen Motiven. Während Labour sich den Bündnisgenossen des „Briefes der 8“ und der gemeinsamen Irak-Politik gegenüber loyal zeigen und dabei zugleich der deutsch-französischen Achse Grenzen aufzeigen wollte, sahen die Konservativen die Stimmrechtsfrage als ein Mittel zur Verhinderung des Verfassungsvertrages insgesamt an. Sie sind gegen jegliche europäische Verfassung und nutzen diese Haltung und ihre bedingungslose Unterstützung der Bush-Politik, um in den Beitrittsländern den Zuwachs der EVP aus dem Kreis der Mitte-Rechts-Parteien zu bremsen.
Die ersten Einlassung von Zapatero nach dem Wahlerfolg in Spanien lassen deutlich werden, daß auch Polen letztendlich seinen Widerstand in der Stimmrechtsfrage wird aufgeben müssen. Für alle Beteiligten werden jetzt zustimmungsfähige weil gesichtswahrende Kompromißmodelle gefunden werden, die – wiederum – über die eigentliche Thematik hinaus von Bedeutung für eine neuen Versuch europäischer Einigung sein könnten
So gesehen kann das spanische Wahlergebnis neben seinen offenkundigen Nachteilen für das bürgerliche Lager in Europa gleichwohl einen Prozeß des Neubeginns nach den fatalen Folgen der Uneinigkeit zwischen den europäischen Verbündeten und im transatlantischen Verhältnis auslösen.