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Country reports

Politischer Islam in Kenia und Tansania

by Dr. Jan Cernicky, Daniel El-Noshokaty, Antonie Maria Hutter
Die Ausbreitung des Islam in Ostafrika geht bis ins 13. Jahrhundert zurück. Seitdem leben Moslems, Christen und anderen Religionen in dieser Region eng zusammen. Durch externe und interne Faktoren, aber auch durch Einflussnahme der Staaten auf die Religion ist in den letzten Jahren das weitgehend friedliche Miteinander immer stärker unter Druck geraten. Erste Ergebnisse einer Radikalisierung sind sichtbar und sowohl Anschläge in Kenia wie auch die angespannte Lage auf Sansibar zeigen, dass der Islam in Teilen Ostafrikas zusehends von radikalen Kräften instrumentalisiert wird.

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Die frühesten muslimischen Siedler in Ostafrika stammten hauptsächlich aus dem heutigen Oman, dem Jemen und dem Iran. Viele Gemeinden in den Küstengebieten wurden im 13. Jahrhundert gegründet. Folglich verbreitete sich der Islam – neben Sansibar – hauptsächlich entlang der Küste und an den traditionellen Handelswegen bis hinunter in das heutige Mozambique. Heute zählen sich in Kenia etwa 10 Prozent und in Tansania rund 35 Prozent der Menschen dem Islam zugehörig, wobei auf Sansibar rund 95 Prozent der Menschen Moslems sind. Die Religion hat in beiden Ländern eine relativ gemäßigte Ausprägung angenommen, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass es eine einheitliche moslemische Ideologie in Ostafrika nie gegeben hat. Am ehesten lässt sich die lokale Ausprägung des Islams unter dem Begriff Swahili-Islam subsummieren:

Der Swahili-Islam ist eine Ausdrucksform des Islams, in welcher sich der orthodoxe sunnitische Islam mit traditionellen Aspekten ostafrikanischer Kultur und Religion gemischt hat. Der Begriff Swahili bezeichnet hierbei keine homogene Bevölkerungsgruppe, sondern umfasst die verschiedenen ethnischen Gruppen an der Küste Ostafrikas, vor allem in Kenia und Tansania. Der Prozess der Integration von Elementen des Islams in die lokale Kultur – und andersherum - begann bereits mit der Ankunft erster arabischer Händlern in die Region im 9. Jahrhundert. Es entwickelte sich eine moderate Ausprägung des Islams, die – auch aufgrund der Integration vieler Elemente aus diesen – historisch sehr tolerant gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften war. Der Swahili-Islam breitete sich vor allem auf den der Küste vorgelagerten Inseln, i.B. auf Sansibar aus. Erst im 19. Jahrhundert fand eine konsequente Ausbreitung auf dem Festland statt.

Der sunnitische Islam dieser Ausprägung macht den mit Abstand größten Anteil der Gläubigen aus, es gibt aber auch schiitische Gemeinschaften und Mitglieder der Ahmediya sowie des Sufismus, der insbesondere in Kenia weite Verbreitung gefunden hat. Trotz dieser Vielfalt und Unterschiede haben die Gesellschaften in dieser Region historisch gesehen fast immer friedlich miteinander zusammengelebt, was auch für das Verhältnis zu anderen Religionen zutrifft.

Die in den letzten Jahrzehnten immer deutlich erkennbare Expansion des Islam wahabitischer Prägung aus Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten verändert das Miteinander der Religionen in Ostafrika allerdings immer spürbarer. Durch den zunehmenden Einfluss des sehr konservativen Gedankenguts und der Situation in Somalia hat eine kleine, aber wachsende Anzahl von radikalislamischen Extremisten eine Reihe von Anschlägen in Kenia verübt. Durch die Destabilisierung Somalias und der im Grenzland stark präsente Al-Shabaab Milizen, kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Übergriffen auf kenianisches Territorium. Auch in Tansania hat sich eine wachsende Anzahl von Moslems konservativen Auslegungen ihres Glaubens verschrieben, was zu einer Veränderung in ihrem Verhältnis zu anderen Moslems, anderen Religionen und dem Staat geführt hat. Zudem sind auch hier vereinzelte Anschläge auf christliche Einrichtungen, Priester und auch auf als zu moderat geltende moslemische Würdenträger verübt worden.

Nach den Doppelanschlägen auf die US-Botschaften in Nairobi und Dar es Salaam von 1998 hat es in Kenia eine Reihe weiterer größerer Anschläge gegeben. Im September 2013 verübte die Terroristengruppe al-Shabaab im Einkaufszentrum West Gate in Nairobi einen Anschlag, bei dem mehr als 65 Menschen getötet wurden, zwei Jahre später starben bei dem bisher letzten großen terroristischen Angriff Al-Shabaabs in Kenia etwa 150 Menschen bei einem Angriff auf die Universität im ost-kenianischen Garissa. Anders ist die Situation in Tansania, wo es seit 1998 keine größeren Anschläge mehr gegeben hat. Dennoch gibt es in beiden Ländern eine wachsende Anzahl junger Männer, die sich international operierenden islamistischen Terrorgruppen angeschlossen haben.

Situation der moslemischen Organisationen und Position der Regierungen

Eine politische Benachteiligung der kenianischen Muslime begann bereits mit der Unabhängigkeit des Landes 1963, da die herrschende Kenianische Afrikanische National Union (KANU) stark der christlichen Bevölkerungsmehrheit zugewandt war und die Probleme der moslemischen Bevölkerung weitgehend ignorierte. Daraus entwickelte sich eine sehr problematische Beziehung zwischen Muslimen und dem kenianischen Staat. Aus dieser Unzufriedenheit erwuchs der Wunsch einiger Gruppen nach einer Abspaltung, der bereits unmittelbar nach der Unabhängigkeit entstand. Die „Mwambao United Front“ forderte die Autonomie des Küstenstreifens. Dies wurde von einigen Muslimen als die einzige Möglichkeit gesehen, politischen Einfluss auszuüben. Der Republikanische Rat von Mombasa folgte der MUF in der Rolle des Interessenvertreters der Moslems an der Küste Kenias nach und fordert weiterhin eine Abspaltung der Küstenregion. Er hat sich jedoch nicht viel Einfluss bewahrt.

Die Regierung in Nairobi gründete 1973 eine offizielle moslemische Organisation - den Obersten Rat der Muslime von Kenia (SUPKEM). Diese war die einzige Organisation, die zur Vertretung aller kenianischen Muslime ermächtigt wurde. SUPKEM-Führer waren eng mit dem Staat verknüpft, was viele Muslime als eine Möglichkeit deuteten, sie zu kontrollieren. Es war schwierig, in dieser Organisation politische Ideen, Meinungen oder Bedürfnisse auszudrücken, die für die Regierung nicht akzeptabel waren. Heutzutage gibt es mehrere moslemische Organisationen auf nationaler Ebene unabhängig vom politischen Einfluss. Dazu gehören das National Moslem Leaders Forum, Majlis Ulamaa Kenia, der Kenia Council of Imams und Ulamaas sowie der Rat der Imame und Prediger von Kenia. Diese sind aber in erster Linie Interessengruppen, die keine direkte Macht auf politischer Ebene haben. In dem Zusammenhang kann noch das „Mombasa Revolutionary Council“ (MRC) erwähnt werden, das eine relativ junge Separatistenbewegung aus der gleichnamigen Hafenstadt ist, die die Abspaltung der Küstenregion fordert. Ihr werden von den politischen Lagern Angriffe auf Wahlbüros und auf Polizeistationen vorgeworfen. Der Präsident des MRC Randu Nzai Ruwa erklärt jedoch, dass das MRC eine Sezession nur mit friedlichen Mitteln erreichen will. Die Organisationen finanzieren sich durch Spenden lokaler zivilgesellschaftlicher Gruppen und Zuwendungen internationaler Organisationen wie dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), der dänischen Organisation für Entwicklungszusammenarbeit (DANIDA) oder auch dem britischen Department für internationale Entwicklung (DFID).

Die größte moslemische Organisation auf dem Festland Tansanias ist BAKWATA (Baraza Kuu Waislamu Watanzania oder oberster Rat der Moslems in Tansania). Diese wird vom Mufti des Festlandes angeführt und vertritt nach außen alle Moslems. Allerdings wird der Organisation seit längerer Zeit eine nicht zu leugnende Nähe zum Staat und eine daraus resultierende mangelnde Unabhängigkeit vorgeworfen. Damit geht ein Verlust der Legitimation einher. Jüngstes Beispiel dieser Nähe zum Staat ist die Entscheidung, dass die tansanische Regierung BAKWATA ein neues Hauptquartier bauen wird. Die größte moslemische Organisation neben Bakwata ist Bara za Kuu. Diese propagiert eine größere Unabhängigkeit vom Staat und erkennt die Legitimation von BAKWATA nicht an. Bara za Kuu verfügt – ebenso wie BAKWATA – über ein landesweites Netz an Moscheen und Koranschulen und vertritt mittlerweile rund 40 Prozent der sunnitischen Moslems. Beide Organisationen verfügen über eine Reihe von Grundstücken, aus denen sie Einnahmen generieren dürfen. Zusätzlich können sie durch den Verkauf von religiösen Schriften Finanzmittel generieren. Während BAKWATA aber direkt von der Regierung mitfinanziert wird, finanziert sich Bara za kuu zu großen Teilen aus Spendengeldern.

Auf Sansibar gibt es ebenfalls einen Mufti, aber keine Organisation, der er vorsteht. Er ist der alleinige Repräsentant der Moslems auf Sansibar. Er und alle seine Mitarbeiter sind Angestellte des Staates und werden von der sansibarischen Regierung bezahlt, was von mehreren Gruppen stark kritisiert wird. Diese, meist von rückkehrenden Studenten aus den Golfstaaten unterstützten Gruppen, fordern die Legitimität des Muftis auf Sansibar heraus und werden daher von der dortigen Regierung stark bekämpft. Die meisten Anführer dieser Gruppen sitzen entweder im Gefängnis oder mussten auf das tansanische Festland flüchten.

Interne und externe Kräfte verändern den Status Quo

Die Gefahren, die von islamistischen Extremisten in Ostafrika ausgehen, werden oft auf Somalia und die sich zu Al-Qaida bekennenden Terroristen von Al-Shabaab reduziert. Allerdings sind Voraussetzungen und Entwicklungen, die zu Extremismus führen, in der gesamten Region zu finden. Ein erstes Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass die Spannungen innerhalb moslemischer Gemeinschaften und gegenüber Christen in Kenia und Tansania in den letzten Jahren zugenommen haben. Diese Spannungen sind nicht plötzlich oder unvorhersehbar aufgetreten. Sie sind vielmehr Ausdruck von über einen sehr langen Zeitraum aufgebaute Ressentiments, die von internen und externen Ereignissen angefeuert werden.

Ein wichtiges externes Element ist dabei der zunehmende Einfluss einer sehr konservativen Auslegung des Islam aus den Golfstaaten. Dieser zeigt sich an dem wachsenden sozialen Engagement dieser Länder in Ostafrika. Immer mehr Koranschulen und Moscheen, die mit Geldern aus den Golfstaaten finanziert werden und deren konservative Auslegung des Glaubens nach Kenia und Tansania tragen, haben in den letzten Jahren ihren Betrieb aufgenommen. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit mit der kuwaitischen „Africa Muslims Agency“, die im Jahr 1998 eine Universität auf Sansibar eröffneten, die bisher rund 1.200 islamische Gelehrte hervorgebracht hat. Diese Entwicklung trifft in Kenia und Tansania auf eine traditionell eher gemäßigte und tolerante Auslegung des Islam und setzt dieser durch die viel bessere finanzielle Ausstattung immer stärker zu. Dazu kommt die stetig wachsende Zahl von Studenten aus Ostafrika in den Golfstaaten. Die Möglichkeiten für Hochschulbildung im Ausland haben sich seit den Anschlägen vom 11. September verändert. Obwohl der Abschluss an einer „westlichen“ Universität noch immer ein sehr hohes Ansehen genießt, ging die Anzahl der Studenten deutlich zurück. Dies liegt vor allem an Einreisebestimmungen, die auch für Menschen aus Ostafrika nach den Terroranschlägen deutlich verschärft wurden. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten für Stipendien an Universitäten in den Golfstaaten sehr stark gewachsen. Das hat dazu geführt, dass in den letzten 15 Jahren die Anzahl der Studenten aus Ostafrika an Universitäten in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar sprunghaft angestiegen ist. So waren zum Beispiel im Jahr 2013 ca. 8.000 kenianische Studenten in Saudi Arabien registriert. Während ihrer Studienzeit kommen die Studenten dann mit einer sehr viel konservativeren Auslegung des Islam in Kontakt, als sie es aus ihren Heimatländern kennen.

Ein anderer Träger einer eher konservativen Auslegung des Islam in Ostafrika sind die sich in der Region immer stärker verbreiteten Satellitensender aus der Golfregion. Insbesondere die Vorstellungen nach der Rolle der Frau, einer angemessenen Kleidung und dem Zusammenleben mit anderen Religionen haben diese Sender in den letzten 15 Jahren beeinflusst.

Auch die wirtschaftliche Anziehungskraft der Länder der arabischen Halbinsel spielt eine Rolle bei den externen Faktoren. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren wanderte eine beträchtliche Anzahl an Moslems aus Ostafrika auf der Suche nach Arbeit nach Saudi-Arabien und andere Länder der Region ab. Ähnlich wie die Studenten, waren auch die Arbeitsmigranten währen ihrer Zeit der sehr viel konservativeren Auslegung des Islam in den Golfstaaten ausgesetzt, welche diese bei ihrer Rückkehr in ihre Heimatländer mitbrachten. Dies provozierte einen Konflikt zwischen den unterschiedlichen Interpretationen des Islams in den Ländern, wie den ursprünglichen „moderateren“ Swahili-Interpretationen des Islam, die Elemente von indigenen afrikanischen Religionen intergiert haben, und den konservativen Praktiken, aus dem Nahen Osten.

Als ein weiterer Faktor muss – speziell für Kenia – auch die kontrovers geführte Diskussion zu Landfragen genannt werden sowie mögliche Verbindungen von lokalen Politikern zu radikalen Organisationen. Nach dem Anschlag vom 6. Juni 2014 auf den Küstenort Mpeketoni nahe Lamu machte der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta umgehend lokale Politiker für den Vorfall verantwortlich nicht die militante islamische Bewegung al Shabaab, die sich jedoch kurze Zeit später zu dem Attentat bekannte. Der Gouverneur der Bezirksverwaltung von Lamu wurde kurzzeitig unter Terrorismusverdacht verhaftet, weil ihm vorgeworfen wurde, eine Miliz zu kommandieren, die in Somalia ausgebildet worden sein soll. Der als moderat geltende Vorsitzende der kenianischen Vereinigung der Imame, Sheikh Mohammed Idris hatte im selben Monat das Werben für den Dschihad in Mombasa öffentlich verurteilt und gedroht, die Verbindungen von Imamen und örtlichen Politikern zu al Shabaab zu veröffentlichen. Kurz vor dem Attentat auf die Ortschaft Mpekotoni wurde der Imam auf offener Straße in Mombasa erschossen. Präsident Uhuru Kenyatta bezichtigte indirekt die Opposition unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Oppositionsführer Raila Odinga, an der Küste die ethnische Karte zu spielen, um in Nairobi doch noch an die Macht zu kommen. Der Oppositionsführer rief daraufhin zu Großdemonstrationen gegen das „Regime“ auf. Aus den vermeintlichen Überfällen von al Shabaab wurde so eine explosive innenpolitische Auseinandersetzung, in der sich radikaler Islamismus mit lokalen Machtansprüchen paart. Vordergründig geht es dabei um die Forderung nach Unabhängigkeit für die Küstenregion, um eine Schwächung der Zentralregierung in Nairobi und um religiöse Motive. Hauptsächlich jedoch geht es um die Frage, wer Land an der Küste besitzen darf und wer nicht.

Ein weiteres nennenswertes Element ist eines der ehrgeizigsten afrikanischen Bauvorhaben der vergangenen dreißig Jahre, der „Lamu Port Southern Sudan – Ethiopia Transport Corridor“, kurz Lapsset. Das Projekt umfasst den Bau eines neuen Hafens im Regierungsbezirk Lamu, über den in Zukunft Öl aus dem Südsudan nach Kenia exportiert werden soll. Geplant sind außerdem eine Autobahn nach Äthiopien, eine Eisenbahnlinie nach Sudan und eine Raffinerie. Insgesamt belaufen sich die Investitionen für das Großprojekt auf 18 Milliarden Euro. Der Angriff auf das kenianische Mpekotoni ereignete sich nur drei Tage nachdem die ersten Entschädigungen für Land in der unmittelbaren Umgebung des geplanten Hafengeländes gezahlt worden waren. Dort war der Preis für einen Hektar von 15.000 Kenianischen Schilling (125 Euro) auf 1,7 Millionen Schilling (14.170 Euro) gestiegen. Geschäftsleute mit Verbindungen zur Politik hatten schon vor Jahren für das damals noch staatliche Land geboten, weil sie wussten, was in Lamu geplant wurde. Der Frust der Menschen der Küstenregion war so stark, dass die Gouverneure der insgesamt sechs Regierungsbezirke an der überwiegend muslimisch geprägten Küste die Abspaltung von Kenia forderten. Radikale Prediger sahen ihre Chance, an der Küste ein Kalifat zu errichten.

Ein wichtiges externes Element im kenianischen Kontext ist der historische Landanspruch der Muslime an der Küste. Die Küstenregion war nie Teil der britischen Kolonie Kenia, sondern ein britisches Protektorat, das völkerrechtlich zum Sultanat Sansibar gehörte. Als Kenia 1963 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, war für die Küste zunächst eine Lösung wie zwischen Sansibar und Tansania vereinbart worden, nämlich Halbautonomie für das ehemalige Sultanat. Ein Jahr später hat sich der kenianische Gründerpräsident Jomo Kenyatta, der Ethnie der Kikuyu zugehörig, nicht mehr an das Abkommen gehalten. Er begann, Baumwollfarmer aus dem Rift Valley an der Küste anzusiedeln. Ein Ergebnis dieser Entwicklung war, dass die Spannungen innerhalb moslemischer Gemeinschaften und gegenüber Christen zugenommen haben. Als letzten externen Faktor muss – speziell für Kenia – auch die Militärpolitik des Landes genannt werden. Die kenianische Außenpolitik ist vielen Muslimen ein „Dorn im Auge“ und dient als ideologisches Instrument zur Radikalisierung. Ein Teil der Muslime beklagt, dass die Beziehungen der Regierung zu den Vereinigten Staaten und Israel zu eng seien und dass Kenias andauernde militärische Interventionen in Somalia Muslime auf Geheiß der Vereinigten Staaten ins Ziel nehmen würde.

Während der externe Einfluss eines radikaleren Islam über die Jahre zugenommen hat, haben sich auch die internen Faktoren verschoben und tragen ihren Beitrag zur aktuellen Entwicklung bei. Die traditionell vorhandene sozioökonomische Marginalisierung der moslemischen Gemeinschaften hat ihren Anteil daran, dass zusammen mit den externen Einflüssen eine wachsende Anzahl von Moslems der Überzeugung ist, dass eine systematisch gewollte Ungleichbehandlung vorliegt und dahinter eine Strategie der Ausgrenzung steckte.

Der Unterschied der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen Moslems und Christen ist – neben vielen anderen Faktoren – auch der Tatsache geschuldet, dass es kaum Möglichkeiten für Moslems gibt, an dem Banken- und damit Geldkreislauf teilzunehmen. Das Bankensystem ist nicht auf die Restriktionen ausgelegt, denen Moslems unterliegen. Ein islamisches Bankensystem ist kaum vorhanden, weswegen für Investitionen dringend benötigte Darlehen oder Bürgschaften von Moslems nicht in dem Maße abgerufen werden können, wie das bei den Christen oder Hindus der Fall ist. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass die vorwiegend moslemisch geprägten Landesteile wirtschaftlich zunehmend ins Hintertreffen geraten.

Ein weiteres Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass sich Behauptungen, den Moslems würde ganz bewusst der Zugang zum Wirtschaftskreislauf und zu besserer Bildung im Gegensatz zu Nicht-Moslems verwehrt, sich in den moslemischen Gemeinschaften mehr und mehr festgesetzt haben. Das gilt gleichermaßen für moderate wie für extremistische Gemeinschaften. Diese Behauptung hat bei vielen Moslems – insbesondere Jugendlichen – den Nährboden für extremistisches Gedankengut bereitet.

Ein spezieller Fall ist Sansibar: Anders als auf dem tansanischen Festland ist hier die religiöse Zusammensetzung der Gesellschaft weniger heterogen. Etwa 95 Prozent der rund 1,5 Millionen Menschen auf den Inseln sind Moslems. Ein schwerwiegendes Problem des Archipels ist die weiterhin sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit und das Versagen der Politik, darauf eine adäquate Antwort zu finden. Der Anteil der Jugendlichen ohne eine feste Anstellung ist auf Sansibar doppelt so hoch wie auf dem Festland.

Ein zusätzliches Problem wird durch die politische Lage auf Sansibar erzeugt, die direkten Einfluss auf das Gefühl der Menschen hat, vom Festland beherrscht und benachteiligt zu werden. Die auf dem Festland dominierende Regierungspartei hat auch die Mehrheit auf Sansibar, wird von Kritikern aber immer als verlängerter Arm des Festlandes angesehen und die letzten Wahlen sind weder frei noch fair abgelaufen. Ein Ergebnis dieser politischen Einflussnahme auf den Willen der Bevölkerung war das Entstehen von neuen, dem Staat entgegenstehenden islamischen Gruppen auf den Inseln. Ein Beispiel dieser Entwicklung ist die von Sheikh Farid Hadi Ahmed angeführte Gruppe UAMSHO, die sich im Jahr 2001 als karitative Gruppe gründete, nach und nach aber immer politischer wurde und dann ab dem Jahr 2011 für die völlige Unabhängigkeit Sansibars vom Festland eingetreten ist.

Islamistische Tendenzen in Kenia und Tansania

Die Herausforderungen des militanten Islam in Kenia und Tansania sind nicht neu. Die Doppelanschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Dar es Salaam im Jahr 1998 sind bis heute die mit der höchsten Opferzahl (Nairobi 214, Dar es Salaam 11).

Weniger bekannt hingegen ist das Entstehen von lokalen islamistischen Gruppen in Kenia und Tansania, die nicht einfach nur durch externe Einflüsse entstanden sind und dem Ruf des globalen Jihad folgen. Diese Gruppen sind eher aus dem spezifisch lokalen Zusammenhang entstanden. Ihre Gründung kann auf die historische Benachteiligung eines konservativen Islam durch den Staat, die anhaltende politische Spannungen im Falle von Sansibar, eine im nationalen Vergleich höhere Arbeitslosigkeit und das grundsätzliche Gefühl der sozioökonomischen Benachteiligung erklärt werden. Obwohl zumindest für Tansania festgestellt werden muss, dass die Entwicklung dieser radikalen islamistischen Gruppen hier noch am Anfang steht und diese bisher nur eine sehr rudimentäre Organisationsstruktur haben, so besteht doch eine große Gefahr darin, dass sie sich mit den bekannten, regional operierenden Terrorgruppen zusammenschließen und so deren Einfluss in ein neues ostafrikanisches Land tragen, den sie in Kenia in einigen Regionen bereits zu haben scheinen.

Hauptforderungen der neu entstandenen Gruppen ist ein Ende der immer stärkeren Einflussnahme in religiöse Angelegenheiten durch den Staat und die quasi-staatliche Organisationen. Sie fordern die Unabhängigkeit der religiösen schulischen Bildung sowie das Ende der Kontrolle über die von ihnen geführten Moscheen und sozialen Einrichtungen. Eine Entfremdung mit den offiziellen moslemischen Organisationen und Vertretern hat somit bereits eingesetzt. Durch den wachsenden Einfluss der Golfstaaten auf diese Gruppen und die Verbreitung ihrer sehr konservativen Auslegung des Islam könnte ein Prozess in Gang gebracht worden sein, der zu einer zunehmenden Radikalisierung einzelner Moslems und auch von Gruppen führen könnte.

Sollte diese Entwicklung weitergehen, dann könnte Tansania genau die Entwicklung nehmen, die es in Kenia bereits gegeben hat. Beide Länder würden dann zu einer nicht unerheblichen Quelle von neuen Kämpfern für Al-Shabaab und anderen radikalen Terrorgruppen werden. Einige dieser Kämpfer könnten nach ihrer Rückkehr oder ihrer gezielten Stationierung in Kenia und Tansania ihr Werk fortsetzen. Erste Anzeichen für eine Verbindung gibt es bereits. Al-Shabaab hat damit begonnen, seinen Einfluss auf Kenia und in abgeschwächter Form auch auf Tansania auszuweiten. Um die Rekrutierung neuer Kämpfer zu fördern, hat Al-Shabaab eine breit angelegte Medienkampagne gestartet, die insbesondere auf Jugendliche abzielt. Bestandteile dieser Kampagne sind Audiobotschaften, Internetseiten, die Nutzung der sozialen Medien und ein relativ professionelles Online-Magazine mit dem Namen „Gaidi Mtaani“, welches auf Englisch und Kiswahili erschienen ist.

Die Regierungen in Kenia und Tansania haben verschiedene Schritte gegen ihrer Meinung nach radikale moslemische Geistliche unternommen, um diese zu isolieren und unter Kontrolle zu bringen. Die meisten dieser Versuche sind allerdings gescheitert und haben eher zum Gegenteil beigetragen. Sie haben den Eindruck entstehen lassen, dass die Regierungen grundsätzlich etwas gegen Moslems hätten bzw. eine ganze Glaubensgemeinschaft für die Handlungen einzelner bestrafen wollen würde. Für Kenia kann als ein Beispiel das im Oktober 2012 verabschiedete Anti-Terror-Gesetz genannt werden, was eines der schärfsten weltweit ist und Kenia in den letzten Jahren in Richtung eines Polizei- bzw. Überwachungsstaats gerückt hat. Es schreibt z.B. strenge Strafen für Personen vor, die sich „mit Terroristen verbünden“. Das Gesetz hat moslemische Gemeinden, die seit langem über die politische Marginalisierung im Land klagen, weiter von dem Staat entfremdet. Ihrer Meinung nach vertieft das Gesetz die soziale Spaltung im Land und führt zum Gegenteil der gewünschten Wirkung.

Beispiele gibt es aber auch in Tansania, wo der Staat gegen einzelne Geistliche Verfahren eingeleitet hat, ohne Beweismittel vorzulegen, die vor einem Gericht bestand haben könnten. Dennoch haben die Behörden diese Fälle auch nach deren Scheitern weiter verfolgt und vor die nächste Instanz gebracht, bei der sie wieder gescheitert sind. Im Endeffekt waren die Geistlichen dann über Monate ohne Gerichtsverfahren oder die Möglichkeit, auf Kaution entlassen zu werden, in den Gefängnissen, mussten dann aber entlassen werden. Im Falle des geistigen Anführers von UAMSHO in Tansania, Sheikh Farid Hadi Ahmed, führte die schlampige Arbeit der Strafverfolgungsbehörden dazu, dass dieser nach 17 Monaten im Gefängnis entlassen werden musste, nachdem auch die dritte und letzte Instanz die Beweislage gegen ihn für nicht ausreichend erklärt hatte. Nach seiner kurzzeitigen Freilassung wurde er dann auf Grundlage neuer Anti-Terror-Gesetze wieder festgesetzt und ist bis heute in Haft.

Neben einzelnen Fällen hat der Mangel an Transparenz, die als planlos empfundenen Verhaftungen, die willkürlichen Festsetzungen der Höhe von Kautionen und die angestrengten Verfahren dazu beigetragen, dass ein wachsender Teil der Moslems sich von der Politik nicht richtig verstanden und repräsentiert fühlt. Zusammen mit dem Gefühl der sozioökonomischen Benachteiligung hat das dazu geführt, dass viele ihren Glauben in die ohnehin schwachen Rechtsstaaten verloren haben. Das Ergebnis dieses Prozesses ist, dass extremistisches Gedankengut auf einen fruchtbaren Boden fällt.

Ausblick: Was muss gemacht werden?

Islamischer Extremismus in Kenia und Tansania ist vorhanden, aber unterschiedlich stark ausgeprägt. Gemeinsamkeiten bestehen aber durchaus in der Analyse, dass er sowohl externe wie auch interne Ursprünge hat. Um dieser Bedrohung eine wirksame Strategie entgegensetzen zu können, bedarf es daher einer ebenso zweigleisigen Vorgehensweise.

Den negativen externen Einflüssen muss etwas entgegengesetzt werden und die Tradition des friedlichen Miteinanders muss betont werden. Destabilisierende, abgrenzende Auslegungen des Islam haben bereits dazu geführt, dass trotz des über die Jahrhunderte bestehenden friedlichen Miteinanders der unterschiedlichen Religionen mehr und mehr Spannungen entstanden sind. Die Regierungen, Zivilgesellschaften und religiöse Organisationen müssen gleichermaßen dem eine Botschaft entgegensetzen, die die lange Tradition des Miteinanders der Religionen betont und den friedlichen und auf Konsens ausgerichteten Charakter der Glaubensgemeinschaften stärkt. Dieser Prozess kann nur zu einem Erfolg führen, wenn alle darin beteiligten Akteure ihn langfristig ausrichten und der darin notwendige interreligiöse Dialog konkrete und für alle greifbare Ergebnisse liefert.

Die politische Inklusion moslemischer Gemeinschaften muss verbessert werden. Die Regierungen in Kenia und Tansania müssen akzeptieren, dass die Moslems in ihren Ländern das diffuse Gefühl der Benachteiligung gegenüber ihren christlichen Landsleuten haben. Allein ein Eingeständnis der sozioökonomischen Ungleichheiten zwischen den Religionsgruppen würde ein sehr bedeutsames Zeichen an die Moslems senden und zu einem höheren Vertrauen in die Politik führen. Es ist zudem auch eine Aufgabe der Politik, in den Dialog mit moslemischen Gemeinschaften einzutreten, anstatt sich, wie in der Vergangenheit für eine stärkere Abgrenzung des Islams zu den anderen Religionen einzusetzen.

Maßnahmen sollten daher den Bildungsbereich, die Einkommensmöglichkeiten und dem Zugang zum Kapitalmarkt adressieren. Dazu gehört dann auch ein Programm, welches die Jugendarbeitslosigkeit in moslemischen Gemeinschaften bekämpft. Ohnehin ist Bildung ein Schlüsselelement bei diesem Vorgehen. Die moslemisch dominierten Regionen haben ein schlechteres Bildungsniveau als der Durchschnitt der Länder. Hier könnte der Staat mit einfach umzusetzenden Maßnahmen schnelle Verbesserungen herbeiführen.

Zuletzt müssen die Regierungen Kenias und Tansanias auch ihre Strafverfolgungsbehörden professionalisieren. Der Staat hat das Recht und die Verpflichtung, radikal-islamische Personen anzuklagen und verurteilen zu lassen. Wenn ein Teil der moslemischen Gemeinschaften aber den Eindruck hat, dass rechtsstaatliche Normen nicht eingehalten werden und eher Willkür statt Gerechtigkeit am Werk ist, dann werden auch in Zukunft Ermittlungen gegen solche Personen eher einen negativen Effekt haben.

Zusammengefasst muss festgestellt werden, dass radikal-islamisches Gedankengut in Ostafrika in unterschiedlichem Ausmaß Einzug gefunden hat, was zu einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaften und zunehmender Gewalt geführt hat. Anders als in Kenia sind religiös motivierte Angriffe in Tansania bis heute als eher spontan und unorganisiert zu klassifizieren und sie haben, abgesehen vom Angriff auf die US-Botschaft 1998, noch zu keinen hohen Opferzahlen geführt. Wie aber die Entwicklungen im benachbarten Kenia gezeigt haben, können die heute als amateurhaft klassifizierbaren Anschläge durch die Etablierung terroristischer Strukturen sehr schnell in etwas viel gefährlicheres ausarten.

Die lange Tradition des friedlichen Miteinanders der Religionen in Kenia und Tansania steht auf dem Spiel. Das Aufkommen von sektiererischen Spannungen, die extrem angespannte Lage auf Sansibar und die sozioökonomische Benachteiligung der Moslems könnten – zusammen mit dem zunehmenden Einfluss der Golfstaaten – dazu führen, dass sich beide Länder in einen sicheren Rückzugsort für militante Terroristen entwickelt. Die Erfahrungen aus anderen Regionen zeigen, dass radikal-islamische Ideologien nur sehr schwer bekämpft werden können, wenn sie sich einmal in einer Gesellschaft festgesetzt haben. Eine weitere Eskalation ist aber nicht unaufhaltsam.

Gezielte Maßnahmen z.B. in Bildung, Justizwesen, zur Abmilderung sozioökonomischer Ungleichheit sowie der Fo rderung eines echten interreligiösen Dialogs könnten einer zu befürchtenden Eskalation entgegenwirken.

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Dr. Jan Cernicky

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