Skandal um die Vergabe staatlicher Fördermittel
Seit Anfang November beherrscht ein Korruptionsskandal die Innenpolitik der Mongolei. Zahlreiche Parlamentarier der regierenden MVP sollen Gelder aus einem Fonds zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) an sich selbst, Vertraute und Familienmitglieder umgeleitet haben, wodurch sie sich Zugang zu besonders günstigen Krediten verschafften. Der Fonds, der seit dem Jahr 2000 staatlich finanziert wird, vergibt Kredite über fünf Jahre bei einer Zinsrate von etwa drei Prozent[i]. Zum Vergleich: Die übliche Zinsrate bei Geschäftsbanken liegt um ein Vielfaches höher, bei circa 20 Prozent[ii]. Seit 2009 soll der Fonds 680 Milliarden mongolische Tugrik, umgerechnet über 350 Millionen Euro, ausgeschüttet haben[iii].
Der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Leichtindustrie S. Batzorig musste im Zuge des Skandals am 6. November dieses Jahres seinen Posten räumen. Sein Ministerium war nicht nur für die Kreditvergabe verantwortlich, sondern darüber hinaus soll seine Ehefrau auch direkt begünstigt worden sein. Vier Personen wurden bislang im Zusammenhang mit dieser Affäre festgenommen, darunter auch der Staatssekretär des zurückgetretenen Ministers Batzorig, D. Enkhbat[iv]. Weitere Abgeordnete der MVP sollen Gelder erhalten haben; zu ihnen zählt der neue Transportminister Ya. Sodbaatar. Am 21. November entschied sich das Kabinett für die Entlassung zweier weiterer hochrangiger Regierungsbeamter. Der stellvertretende Minister für Bau und Stadtentwicklung Sh. Lkhamsuren und der Leiter der Regierungsbehörde für Staatseigentum Ts. Nyam-Osor wurden ihrer Ämter enthoben, da ihnen nahestehende Unternehmen bei der Kreditvergabe bevorteilt wurden[v].
Reaktionen in Politik und Öffentlichkeit
Nach Bekanntwerden des Skandals brachten insbesondere junge Menschen ihre Frustration in den sozialen Medien unter dem Hashtag #Ждү (deutsch: KMU / kleine und mittlere Unternehmen) zum Ausdruck. Zwar kamen am 11. sowie am 25. November auf dem zentralen Sukhbaatar Platz vor dem Parlament kleine Gruppen von Demonstranten zusammen, die die Auflösung des Parlaments verlangten, aber Massenproteste sind bislang ausgeblieben.
Die neun Abgeordneten der größten Oppositionspartei, der Demokratischen Partei (DP), haben angekündigt, den Parlamentssitzungen solange fernzubleiben, bis die Regierung zurücktritt und eine Aufarbeitung des Skandals erfolgt ist. Besonders auffällig war jedoch die zurückhaltende Reaktion von Seiten der Mongolischen Revolutionären Volkspartei (MRVP). Eine starke Positionierung, etwa des ehemaligen Staatspräsidenten N. Enkhbayar, blieb überraschenderweise aus. Als selbsternannter Vertreter des Anti-Establishments lässt er sonst kaum eine Gelegenheit aus, die aktuellen Machthaber zu kritisieren. Der Mongolei-Experte Julian Dierkes von der University of British Columbia resümiert auf seinem Blog Mongolia Focus: „Vielleicht bestätigen diese Reaktionen (oder deren Fehlen) lediglich, dass die derzeitige Konfiguration der politischen Parteien keine Antwort auf die Bekämpfung der Korruption in ihren eigenen Reihen gefunden hat“[vi].
Tatsächlich zeigt der Blick in die jüngste Vergangenheit, wie fest Korruption im politischen System der Mongolei verankert ist. Wenige Wochen vor der letzten Präsidentschaftswahl war am 9. Mai 2017 eine 90-minütige Audioaufzeichnung an die Öffentlichkeit gelangt. In der Aufnahme ist vermeintlich zu hören, wie führende Politiker der MVP, darunter der damalige Präsidentschaftskandidat und heutige Parlamentssprecher M. Enkhbold, über den Verkauf öffentlicher Ämter für Zahlungen im Umfang von 60 Milliarden Tugrik (mehr als 20 Millionen Euro) verhandeln[vii]. Der sogenannte „60-Milliarden-Tugrik-Fall“ und dessen unzureichende Aufarbeitung sind bis heute Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen – auch innerhalb der MVP.
Häufige Regierungswechsel
Die Innenpolitik der Mongolei ist von häufigen Regierungswechseln gekennzeichnet: Seit 1990 waren 16 Regierungen an der Macht. Dabei haben seit der Revolution nur zwei Kabinette, die von Premierminister P. Jasrai (1992 bis 1996) und von N. Enkhbayar (2000 bis 2004), die vorgesehene Legislaturperiode überstanden.
Dass die jetzige Regierung, die seit Oktober 2017 im Amt ist, bis zu den Parlamentswahlen 2020 Bestand haben wird, erscheint mehr als fraglich. Die regierende MVP ist in zwei etwa gleich starke Lager gespalten. Die sogenannte Stadtfraktion wird von dem Parlamentssprecher M. Enkhbold geführt. Zwischen dieser Gruppe und dem Lager des Premierministers U. Khurelsukh ist ein offener Machtkampf entbrannt. Der Premierminister konnte zwei Rücktrittsforderungen erfolgreich durchsetzen: So musste in den vergangenen Tagen der Fraktionsvorsitzende D. Khayankhyarvaa seinen Posten räumen. Nach tagelangem Tauziehen kündigte schließlich auch der Regierende Bürgermister von Ulaanbaatar S. Batbold seinen Rücktritt zum 10. Dezember 2018 an.
Trotz der aus seiner Sicht erfolgreichen Machtprobe um den Fraktionsvorsitz und das Bürgermeisteramt in Ulaanbaatar ist zurzeit vollkommen unklar, ob Premierminister U. Khurelsukh die Regierung zusammenhalten kann. In der vergangenen Woche forderten 27 Abgeordnete seiner Partei in einem öffentlichen Aufruf die Absetzung der Regierung und erhoben schwere Vorwürfe gegen den Premierminister. In einem Schreiben, das dem Parlamentssprecher überreicht wurde, werfen die Abgeordneten dem Premierminister u.a. Verfassungsbruch, Machtmissbrauch und mangelndes Engagement bei der Bekämpfung von Korruption und Geldwäsche vor[viii]. Darüber hinaus sprach sich der Ständige Ausschuss zum Staatsaufbau am 27. November 2018 mit einer Mehrheit von 62,5 Prozent für die Auflösung der Regierung aus[ix]. Diese Abstimmung war nach Artikel 43 der mongolischen Verfassung notwendig geworden, da mehr als ein Viertel der Abgeordneten der Regierung das Vertrauen entzog. Über den Antrag zur Absetzung der Regierung muss innerhalb von 15 Tagen im Parlament abgestimmt werden.
Ausblick
Selbst im Falle einer Auflösung der Regierung sind vorgezogene Neuwahlen äußerst unwahrscheinlich. Die verfassungsrechtliche Hürde einer hierfür notwendigen Zweidrittelmehrheit im Parlament erscheint dafür zu hoch – auch weil die Regierungspartei derzeit 64 der 75 Abgeordneten stellt[1]. Deshalb ist es fraglich, ob die oppositionelle DP von dem Skandal langfristig profitieren kann. Die nächsten Parlamentswahlen sind für das Jahr 2020 vorgesehen und die DP befindet sich nach den starken Verlusten bei den letzten Parlamentswahlen 2016 in einem Erneuerungsprozess. Flügelkämpfe sind auch der DP nicht fremd: Der Partei, die in ihrer heutigen Form im Jahr 2000 als Zusammenschluss mehrerer Parteien entstand, ist es bis heute nicht gelungen, die unterschiedlichen Strömungen personell und programmatisch zu integrieren.
Zunächst sah es so aus, als könne insbesondere Staatspräsident Battulga von dem Kreditskandal profitieren. Er ist direkt gewählt und gehört der oppositionellen DP an. Jedoch verkündeten in der vergangenen Woche gleich zwei seiner Mitarbeiter ihren Rücktritt, da sie in Verbindung zu Firmen stehen, die Kredite aus staatlichen Fonds erhalten haben, darunter die Leiterin der Pressestelle des Präsidentenbüros, J.Tsesen[x].
Der Kreditskandal unterstreicht erneut sowohl die Abwesenheit als auch die dringende Notwendigkeit einer glaubhaften Korruptionsbekämpfung. Hierfür wären mutige Schritte von Nöten, allem voran eine Reform der Parteienfinanzierung. Die Keimzelle für Korruption ist nämlich bereits im System angelegt, da die Kandidaten ihre teuren Wahlkämpfe größtenteils selbst finanzieren müssen.
Mit der Wahl der MVP im Jahr 2016 haben viele Wähler die Hoffnung auf mehr Beständigkeit im politischen System verknüpft. Politische Instabilität und sinkende Rohstoffpreise hatten zuvor zu einem rapiden Einbruch der ausländischen Direktinvestitionen geführt. Diese reduzierten sich drastisch von 2,09 Milliarden US-Dollar im Jahr 2013 auf lediglich 110 Millionen US-Dollar in 2015[xi]. Zwar hat sich die wirtschaftliche Lage seit der Aufnahme eines Beistandskredits des Internationalen Währungsfonds (IWF) Ende Mai 2017 gebessert, aber politisch sind die Fahrwasser keineswegs ruhiger geworden, wie der Kreditskandal und die aktuelle Regierungskrise verdeutlichen. Eine schonungslose und transparente Aufklärung, die geeignet wäre, das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zurückzugewinnen, ist in der momentanen politischen Konstellation jedoch kaum zu erwarten.
[1] Hinweis: Derzeit ist einer der 76 Sitze im Parlament vakant. Nach Vergewaltigungsvorwürfen war der MVP-Abgeordnete D.Gantulga im Juni 2018 zurückgetreten.
[i] News.mn (Hrsg.) 2018: “Mongolian SME fund scandal: demonstrators demand MP resignations”, abrufbar unter: https://news.mn/en/785399/
[ii] Nikkei Asian Review (Hrsg.) 2018: “Mongolia shaken by widening loan scandal”, abrufbar unter: https://asia.nikkei.com/Politics/Mongolia-shaken-by-widening-loan-scandal
[iii] Jargal Defacto 2018: “Сангууд ба саагчид”, abrufbar unter: http://jargaldefacto.com/article/sanguud-ba-saagchid
[iv]Montsame (Hrsg.) 2018: “Minister of Food, Agriculture and Light Industry dismissed”, abrufbar unter: http://www.montsame.mn/en/read/170368?fbclid=IwAR1zNe-tSdhHzwrrtsp4oTo4HMtmdHUAinLvrbOQaCxPAPiY8YE2XvEvKlQ
[v] Ikon (Hrsg.) 2018: „БАРИМТ: БХБ-ын дэд сайд Ш.Лхамсүрэнгийн хувь эзэмшдэг компани ЖДҮХС-гаас зээл авжээ“, abrufbar unter: https://ikon.mn/n/1f7n
[vi] Dierkes, Julian 2018: ”Politicians in the Wake of the Ждү Scandal”, abrufbar unter: http://blogs.ubc.ca/mongolia/2018/sme-scandal-politicians-reaction/
[vii] Montsame (Hrsg.) 2018: “Anti-corruption authority transfers ‘60 billion Tugrug’ bribery case materials to UB Prosecutor’s Office”, abrufbar unter: http://www.montsame.mn/en/read/10582
[viii] Bayarbat, T. 2018: “27 MPP lawmakers submit demand for Cabinet resignation”, The UB Post, 2018-11-21, S. 1.
[ix] Bayarbat, T. 2018: “State Structure Standing Committee supports Cabinet dissolution”, The UB Post, 2018-11-28, S. 1.
[x] Webseite des Staatpräsidenten Battulga 2018: “Head of the Press Department of the Office of the President relieved from position”, abrufbar unter: https://president.mn/en/2018/11/15/head-of-the-press-department-of-the-office-of-the-president-relieved-from-position/
[xi] Auswärtiges Amt 2018: „Länderinformationen Mongolei: Aktuelle wirtschaftliche Lage“, abrufbar unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/mongolei-node/-/222844
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