Country reports
Rückblick: Was bisher geschah
Da Präsident Joseph Kabila bereits zwei Amtszeiten absolviert hat, erlaubt ihm die kongolesische Verfassung nicht, erneut zu kandidieren. Ende 2016 hätten daher Präsidentschaftswahlen stattfinden müssen, die auf Grundlage einer Vereinbarung zwischen Regierung und weiten Teilen der Opposition auf das Jahr 2017 verschoben werden sollten (das sog. „Silvesterabkommen“ vom 31. Dezember 2016). Doch auch im vergangenen Jahr gelang es der Regierung - mit Hinweis auf die prekäre Sicherheitslage in den Kasai-Provinzen sowie aufgrund zahlreicher finanzieller, logistischer und organisatorischer Hürden - die (vereinbarten) Wahlen zeitlich weiter zu verschleppen. Die sogenannte unabhängige Wahlkommission CENI („Commission Électorale Nationale Indépendante“) hat (vor allem auf Druck der Internationalen Staatengemeinschaft) in der Zwischenzeit den Wahltag auf den 23. Dezember 2018 festgesetzt.
Wahlvorbereitung, Demonstrationen und Verlängerung der UN-Friedensmission
Bei der Wahl sollen erstmalig auch elektronische Wahlmaschinen verwendet werden, deren Einsatz allerdings sowohl von der Internationalen Staatengemeinschaft als auch von der kongolesischen Opposition abgelehnt wird, da dies etwaige Wahlmanipulation begünstigen könnte. Fakt ist: Die fortlaufende Verschiebung der Wahlen (in jüngster Vergangenheit), das Festklammern Kabilas an der Macht sowie die sich stetig verschlechternden sozio-ökonomischen Bedingungen steigert die Unzufriedenheit im Land : So kam es im Jahr 2018 unter Federführung der im Land sehr einflussreichen Katholischen Kirche zu einer Vielzahl von Protesten gegen die Regierung , die von den kongolesischen Sicherheitskräften mit aller Härte (u.a. massiver Einsatz von Tränengas und scharfer Munition) niedergeschlagen wurden. Die traurige Bilanz (nach Angaben der Vereinten Nationen) bisher: nahezu zwei Dutzend Tote, mehr als 100 Verletzte und über 200 Verhaftungen (darunter viele Geistliche). Die größtenteils friedlichen Demonstranten verlangen die bedingungslose Einhaltung des Silvesterabkommens, den Rücktritt des Präsidenten oder zumindest eine eindeutige Erklärung seinerseits, für eine dritte Amtszeit (durch Änderung der Verfassung) nicht zur Verfügung zu stehen.
Ende März 2018 wurde das Mandat der Friedensmission der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo (MONUSCO) nicht nur um ein Jahr verlängert, sondern es erfolgte zeitgleich eine politische Profilschärfung: zukünftig schließt das UN-Mandat den Schutz von Zivilisten auch vor staatlicher Gewalt ein. Zudem wurde per UN-Resolution Präsident Kabila im Vorfeld der Wahlen zu „vertrauensbildenden Maß-nahmen“, wie etwa der Freilassung politischer Häftlinge sowie die Erlaubnis zur Rückkehr von Oppositionellen aus dem Exil , aufgefordert. Somit hat der UN-Sicherheitsrat klare Zeichen gesetzt, die konkrete Umsetzung steht allerdings noch aus.
Sicherheitslage, Armut und humanitäre Katastrophe
Im Jahre 2018 wurden die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und der Miliz Kamuina Nsapu in den Kasai-Provinzen zwar weitgehend eingestellt, aber die Hungerkrise ist noch lange nicht bewältigt. Die in ihre Dörfer zurückkehrende Bevölkerung muss unter schwierigen Bedingungen Aufbauarbeit leisten, da deren Häuser und Felder überwiegend zerstört wurden. Im ohnehin konfliktbeladenen Osten des Landes tobt weiter der Kampf zwischen dem kongolesischen Militär und zahlreichen Rebellengruppen um die regionale Vorherrschaft sowie um Bodenschätze . Ein Ende der Auseinandersetzungen ist hier nicht in Sicht, die Gesamtsituation vor Ort ist unübersichtlich und fast täglich kommt es zu Toten und Verletzten unter der Zivilbevölkerung, dem Militär und Milizen. Kongo-Kenner gehen sogar davon aus, dass die Regierung die instabile Situation im Land ausnutzt, um den Präsidenten weiterhin im Amt zu halten – und damit die lokalen Rebellengruppen für eigene Zwecke des Machterhalts missbraucht.
Neben den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in weiten Teilen des Landes spielt sich in der Demokratischen Republik Kongo eine der schwersten humanitären Krisen der Welt ab: Das flächenmäßig zweitgrößte Land Afrikas zählt ein Prozent der Weltbevölkerung, aber 12 Prozent aller weltweit Hungernden leben in der Demokratischen Republik Kongo. Im Oktober 2017 rief die UN für das Land die höchste humanitäre Notstandstufe aus. Konkret sprechen die Vereinten Nationen von 13 Millionen notleidenden Menschen insgesamt, davon zwei Millionen unterernährten Kindern. Am 13. April 2018 fand in Genf eine internationale Geberkonferenz statt, um Hilfsgelder für den Kongo zu sammeln. Dabei wurden Einnahmen in Höhe von 430 Millionen Euro erzielt (die im Vorfeld genannten Erwartungen lagen allerdings bei etwa 1,4 Milliarden Euro als Zielmarke). Bemerkenswert dabei ist, dass die kongolesische Regierung das Treffen mit der Begründung boykottiert hat, das Ausmaß der Krise im Land werde von der Internationalen Staatengemeinschaft bei Weitem übertrieben und die Konferenz sei folglich imageschädigend sowie schädlich für das Investitionsklima. Traurige Wahrheit ist: Durch das Bestreiten von Fakten seitens der Regierung sind nach Ansicht einiger Experten, die Überlebenschancen von Tausenden Menschen in den Konfliktregionen gefährdet. Hinzu kommt ein unbeschreiblich hohes Ausmaß an Flucht und Vertreibung: Insgesamt zählt die Demokratische Republik Kongo mittlerweile laut UN-Angaben über 4,5 Millionen Binnenvertriebene. Die Tendenz ist täglich steigend (nach Schätzungen von UN-Experten kann es bis zu 6,8 Millionen Binnenvertriebene bis Ende 2018 geben). 20 der 26 Provinzen im Kongo gelten als von Gewalt und Vertreibung betroffen.
Zukunftsszenarien und Handlungsoptionen
Im Folgenden soll es – unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren – darum gehen, mehrere Szenarien und Handlungsoptionen darzustellen und zu bewerten, die für die Zukunft des Landes von Relevanz sind:
- Die alles entscheidende Frage ist, ob die Regierung in den nächsten Wochen und Monaten glaubhaft vermitteln kann, dass sie die für Ende des Jahres angesetzten Wahlen (Präsidentschaftswahl, Wahlen zum Nationalparlament und Provinzwahlen) nicht nur durchführen möchte, sondern auch in der Lage sein wird, dies in einer fairen, demokratischen und transparenten Art und Weise zu tun. Das würde auch die bereits oben erwähnte Freilassung politischer Gefangener und die Garantie, dass wichtige Oppositionspolitiker nach ihrer Rückkehr aus dem Exil nicht verhaftet werden und bei den Wahlen antreten können, beinhalten. Ferner: Friedliche Demonstrationen werden gestattet, die Meinungs- und Pressefreiheit respektiert. Vorbehalte der Opposition hinsichtlich der Neutralität der Wahlkommission (deren Mitglieder vom Präsidenten bestimmt wurden) sowie der Nutzung von elektronischen Wahlmaschinen werden von Regierungsseite aus in Zukunft ernst genommen und es wird gemeinsam mit allen wichtigen politischen Akteuren des Landes (v.a. Regierung, Opposition, Zivilgesellschaft und Kirchen) nach Lösungen gesucht, um Vertrauen in den Wahlprozess herzustellen. Der Präsident erklärt spätestens Mitte des Jahres (aus Gründen der Glaubwürdigkeit am besten persönlich), dass er die Verfassung respektiert und für eine weitere Amtszeit definitiv nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Sowohl aus dem Regierungslager als auch aus dem der Opposition werden - unter strikter Einhaltung des Wahlkalenders und der gesetzlichen Vorgaben - Kandidaten für die Wahlen bestimmt, die ohne staatliche Repressalien Wahlkampf führen können. Dieses Szenario wäre dem Land und seiner notleidenden Bevölkerung ohne Zweifel zu wünschen, doch ist - nach Meinung der Mehrheit nationaler und internationaler Experten - nach wie vor der ausdrückliche politische Wille der Regierung, einen demokratischen Machtwechsel in die Wege zu leiten, nicht ernsthaft zu erkennen, bzw. ist weiterhin große Skepsis angebracht. Zumindest „nach außen hin“ sind die Wahlvorbereitungen am Laufen und die Parteien sind dabei, sich für den anstehenden Wahlkampf organisatorisch und personell aufstellen. Dennoch scheint das Spiel auf Zeit seitens der Regierung seine Fortsetzung zu finden, indem im Hintergrund weiterhin Argumente (sicherheitstechnischer, organisatorischer , logistischer und finanzieller Art) gesucht werden, die Wahlen erneut zu verschieben.
- In diesem Szenario, an dessen Ende die Bildung einer Übergangsregierung (zur Vorbereitung demokratischer Wahlen) unter Beteiligung aller politischen Kräfte stehen könnte, setzt die Katholische Kirche (mit Unterstützung protestantischer und muslimischer Verbände sowie Teilen der Opposition und Jugendbewegungen) ihre friedlichen Proteste gegen die Regierung fort. Dann wird es darauf ankommen, ob diese, wie in der Vergangenheit geschehen, durch die Sicherheitskräfte gewaltsam unterdrückt werden, oder ob es möglicherweise dazu kommt, dass die Sicherheitskräfte (die sich einer immer größer werdenden Anzahl von Demonstranten entgegenstellen müssen) sich am Ende mit den Demonstranten zusammenschließen. Das hängt wesentlich davon ab, wie sich die sozio-ökonomische Gesamtsituation im Land zukünftig entwickelt (und damit der Frust in der Bevölkerung in Gänze zunimmt) und ob die Sicherheitskräfte von staatlicher Seite ihren Lohn erhalten. Zurzeit sieht es danach aus, dass zumindest Teile der Armee (u.a. die gut bewaffnete Präsidialgarde) weiterhin ihren Sold bekommen und sich damit loyal gegen-über der Regierung verhalten werden. Der innere Führungskreis um den Präsidenten herum scheint darüber hinaus gefestigt. Inwieweit die Katholische Kirche als wichtiger Machtfaktor und große moralische Autorität im Land allein durch ihre Proteste Veränderungen herbeiführen kann, wird sich zeigen. Die bisherigen Demonstrationen haben ohne Zweifel nicht nur die hohe Mobilisierungskraft der Katholischen Kirche eindrucksvoll belegt, sondern auch die internationale mediale Öffentlichkeit für die Lage im Land gesteigert - allerdings auch die Entschlossenheit der Regierung, gegen ihre vermeintlichen Gegner noch härter als bisher vorzugehen. Greifbare Erfolge im Sinne einer bedeutenden „positiven Verhaltensänderung“ des Präsidenten und seiner herrschenden Machtelite sind hingegen (zumindest bislang) nicht zu erkennen.
- Sollte man die humanitäre Katastrophe im Land nicht in den Griff bekommen, führt dies zu mehr Flucht und Vertreibung. Die Nachbarländer des Kongos (insbesondere Angola, das von den Flüchtlingswellen aus dem Kongo besonders betroffen ist) erhöhen zunächst den politischen Druck auf die Regierung Kabila, wirksame Gegenmaßnahmen gegen die Krise im Land zu ergreifen. Sollte dies nichts bewirken, steht auch eine (militärische?) Intervention von außen (d.h. von den Nachbarstaaten) im Raum (die es in der Vergangenheit durch die aktive Unterstützung Laurent-Désiré Kabilas durch Uganda, Burundi und Ruanda beim Sturz des Langzeitherrschers Mobutu Sese Seko im Jahre 1997 bereits gab ). Dieses Szenario wird dann wahrscheinlicher, wenn die Nachbarstaaten befürchten müssen, dass ein in-stabiler Kongo die Stabilität der gesamten Region gefährdet und damit vor allem auch ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, die sie im rohstoffreichen Kongo haben. Anders ausgedrückt: An einem Kongo, das im Chaos versinkt, können sie folglich kein Interesse haben, zumindest ab dem Zeitpunkt, an dem eigene geostrategische, machtpolitische und wirtschaftliche Interessen Gefahr laufen, sich zum eigenen Nachteil zu entwickeln. Auch sei an dieser Stelle auf die Bedeutung Südafrikas als zentraler politischer und wirtschaftlicher Akteur auf dem afrikanischen Kontinent verwiesen: Südafrikas neuer Präsident Cyril Ramaphosa hätte ohne Zweifel die Möglichkeit, auf Kabila in vielfacher Weise einzuwirken. Allerdings sieht es nach Auskunft südafrikanischer Meinungsführer derzeit danach aus, dass Ramaphosa seine innenpolitische Agenda als prioritär ansieht und daher vermutlich keinen bedeutenden Beitrag zur Lösung der „Kongo-Frage“ leisten wird.
- Im folgenden Abschnitt geht es um die Rolle der Internationalen Staatengemeinschaft: Diese muss sich selbstkritisch die Frage stellen, ob ihre Maßnahmen, den Druck von außen auf die Regierung zu erhöhen, bisher den gewünschten Effekt erzielt haben. Zumindest scheinen die gegen hohe Regierungsvertreter und Militärs verhängten Individualsanktionen und das Einfrieren von Auslandskonten die Machthaber in weiten Teilen unbeeindruckt gelassen zu haben. Es sei an dieser Stelle zu überlegen, die seit langem von internationalen Beobachtern geforderte Ausweitung der Sanktionen auf den inneren Machtzirkel des Präsidenten auszuweiten. Auch erscheint es notwendig, dass die internationalen Akteure vermehrt mit einer Stimme sprechen und dabei nationalen (vor allem wirtschaftlichen) Eigeninteressen weniger Bedeutung als bisher beimessen, denn: „Die ehemalige Kolonialmacht Belgien steht mit Kritik oft alleine da und setzt sich damit Vergeltungsmaß-nahmen durch die kongolesische Regierung aus“. Ein weiterer Punkt findet in der (internationalen) öffentlichen Diskussion zunehmend Beachtung : das Thema der „Straffreiheit“ für den Präsidenten. Es wird verstärkt darum gehen müssen, dem Staatsoberhaupt Garantien zu geben, dass ihm nach einem freiwilligen (wenn auch ziemlich verspäteten) Ausscheiden aus dem Amt nicht der Prozess gemacht wird, weder in seinem Heimatland noch vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Es ist wohl kaum davon auszugehen, dass er ohne Aussicht auf eine „sichere Zukunftsperspektive“ sein Amt freiwillig räumen, sondern stattdessen alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel nutzen wird, um an der Macht zu bleiben – bis hin zum Bürgerkrieg. Damit einhergehend müsste man auch sicherstellen, dass er sein (nach Aussagen von Experten überwiegend nicht rechtmäßig erworbenes) Vermögen - zumindest in Teilen - behalten darf. Es steht dabei außer Frage, dass aus moralischen und ethischen, aber auch juristischen Aspekten der Gerechtigkeit das Thema „Straffreiheit“ für die Opfer von Schreckensherrschaft und Gewalt ein Schlag ins Gesicht darstellen würde. Aber möglicherweise würde es einen friedlichen Regimewechsel mit der Perspektive auf Einleitung eines Demokratisierungsprozesses und Stabilisierung einer gesamten Region bedeuten - und damit das Ende des Blutvergießens und des täglichen Leids für Millionen von Kongolesen.