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Rumänien: Umstrittenes Referendum gescheitert

by Dr. Martin Sieg, Andrei Avram

Ehe als alleiniges Bündnis zwischen Mann und Frau wird nicht verfassungsrechtlich verankert

Eine am 6. und 7. Oktober erfolgte Volksabstimmung zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Ehe als Bündnis zwischen Mann und Frau ist an der für Rumänien historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 21,10 Prozent gescheitert. Notwendig wäre laut rumänischer Gesetzgebung eine Stimmabgabe von mindestens 30 Prozent der Wähler gewesen, sodass trotz einer deutlichen Mehrheit von 91,56 Prozent Ja-Stimmen die Verfassung nicht geändert wird.

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Eheringe | © Mona Varga / flickr / CC BY 2.0 © Mona Varga / flickr / CC BY 2.0
Eheringe | © Mona Varga / flickr / CC BY 2.0

Dabei handelte es sich um eine Premiere in der postkommunistischen Geschichte des Landes: erstmals war eine Verfassungsänderung von einer Volksinitiative ausgegangen, die im Herbst 2015 unter der Federführung der sog. „Koalition für die Familie“ – einem überkonfessionellen Zusammenschluss christlich-konservativer Nichtregierungsorganisationen – eine Aktion gestartet hatte, um Unterschriften für den entsprechend Vorschlag zu sammeln. Innerhalb von sechs Monaten konnten hierfür ca. 3 Mio. Bürger gewonnen werden, wobei lediglich 500.000 Unterschriften notwendig gewesen wären. Die Sammelaktion wurde von kirchlichen Freiwilligen unterstützt, wobei u.a. in Kirchen Listen ausgelegt wurden. Eine bedeutende Rolle spielte dabei die in Rumänien dominante Orthodoxe Kirche, die im Januar 2016 offiziell ihre Unterstützung für die Initiative aussprach. Vor den Parlamentswahlen 2016 unterzeichnete die Koalition Kooperationsvereinbarungen mit der Sozialdemokratischen Partei (PSD), der Nationalliberalen Partei (PNL) und der Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE), die u.a. eine parlamentarische Unterstützung der Initiative vorsahen.

Bei den anschließenden Abstimmungen im Parlament gab es in der Tat eine breite überparteiliche Mehrheit für den Vorstoß, mit 232 Ja-Stimmen (bei 22 Nein-Stimmen) in der Abgeordnetenkammer (am 27. März 2017) und 107 Ja-Stimmen (bei 13 Nein-Stimmen) im Senat (am 11. September 2018). Die Abstimmung im Senat war länger hinausgezögert worden, nachdem eine politische Entscheidung der regierenden Koalition aus PSD und der ALDE zur Verabschiedung der Verfassungsänderung – die mit der Organisation eines obligatorischen Referendums innerhalb einer 30-tägigen Frist einher geht – mehrfach verschoben wurde. Allerdings positionierte sich die PSD klar auf der Seite der Koalition für die Familie, deren Agenda sie sich faktisch zu eigen machte. Diese Haltung ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die PSD weniger als klassische sozialdemokratische Partei zu betrachten ist, sondern vielmehr als eine Partei, die sozialpolitischen Klientelismus und Nationalkonservatismus verbindet und bei der eigenen Wählerschaft durchaus mit traditionellen Werten punkten kann.

Im Wahlkampf vor dem Referendum bezeichneten dagegen die oppositionelle Nationalliberale Partei (PNL) ebenso wie ALDE und der Demokratische Verband der Ungarn in Rumänien (UDMR) das Votum als Gewissensentscheidung und formulierten somit keine Wahlempfehlung. Dennoch gab es innerhalb der PNL – insbesondere unter den Führungsfiguren, einschließlich des Vorsitzenden Ludovic Orban – eine breite Mehrheit für ein Ja-Votum. Hingegen stellte sich die Union Rettet Rumänien (USR) – wie auch die im Parlament nicht vertretene Bewegung „Rumänien zusammen“ des Ex-Premierministers Dacian Ciolos – gegen die Volksabstimmung und rief zu einem Boykott auf. Auch in der Zivilgesellschaft gab es eine beträchtliche Anzahl von Nichtregierungsorganisationen, die die Abhaltung der Volksabstimmung kritisierten. Hingegen gab es – mit Ausnahme der Evangelisch-Lutherischen Kirche – eine explizite Unterstützung der Verfassungsänderung seitens der Kirchen, einschließlich der Rumänisch Orthodoxen Kirche, deren Patriarch auch an beiden Wahltagen an die Gläubigen appellierte, ihre Stimme abzugeben.

Die Verfechter des Referendums stellten die Verankerung der Ehe als Bündnis zwischen Mann und Frau als Verteidigung rumänischer Traditionen und des christlichen Glaubens dar, wobei nach geltender Rechtslage auch gegenwärtig in Rumänien homosexuelle Paare nicht heiraten dürfen. Argumentiert wurde aber, dass dies durch einfaches Gesetz geändert werden könne, sodass ein besonderer Schutz durch die Einführung des entsprechenden Passus in die Verfassung notwendig sei. Für die PSD und ihren angeschlagenen Vorsitzenden, Liviu Dragnea, war die Volksabstimmung wohl ein willkommener Anlass, die öffentliche Diskussion von den ständigen Angriffen der Regierungsmehrheit gegen die Justizinstitutionen und die Korruptionsbekämpfung abzulenken, zumal der Diskurs über nationale Werte sich einfügen konnte in das Narrativ der PSD, dass in Rumänien der Rechtsstaat u.a. fremde Interessen zulasten des Volkswillens vertrete.

Die Tatsache, dass die PSD im Falle eines erfolgreichen Referendums den Sieg politisch hätte verwerten können, dürfte aber durchaus eine Rolle bei der niedrigen Wahlbeteiligung gespielt haben, denn in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit wurde vor allem Dragnea mit dem Referendum in Verbindung gebracht – ein Umstand, den die Rumänisch Orthodoxe Kirche nach der Volksabstimmung als mitursächlich für das Scheitern beschrieb. Der PNL-Vorsitzende Ludovic Orban sagte in seiner ersten Reaktion nach der Schließung der Wahllokale, dass viele Rumänen, die sich am Referendum hätten beteiligen wollen, der Abstimmung fern geblieben seien, um Dragnea eine „Ohrfeige“ zu geben. Die „Konfiszierung“ des Referendums durch Dragnea sei „der wesentliche Grund“ für die niedrige Wahlbeteiligung. Trotz dieser Niederlage sind innerhalb der PSD kaum Umwälzungen zu erwarten. Die Stellung von Dragnea scheint weiterhin gesichert zu sein, da der Gegenstand des Referendums innerhalb der PSD nicht umstritten war, auch wenn der PSD-Vorsitzende selbst nach dem Referendum öffentlich noch nicht aufgetreten ist. Hingegen ist es nach der Volksabstimmung innerhalb der PNL zu einem zunächst öffentlich ausgetragenen Konflikt gekommen. Sieben Parlamentarier, darunter die ehemalige Parteivorsitzende Alina Gorghiu, warfen durch Facebook-Posts am Sonntagabend der Parteiführung vor, der PNL eine „politische Niederlage“ eingebracht zu haben, die die PNL von 70 Prozent der eigenen Wählerschaft abgekoppelt habe. Gorghiu gehört seit längerem zu den Kritikern von Orban, dürfte aber mit dem jetzigen Vorstoß kaum einen Führungswechsel herbeiführen, denn eine signifikante Mehrheit der Vorstandsmitglieder hatte ebenfalls für ein Ja-Votum geworben. In der Öffentlichkeit konnte sich dagegen die USR in einem positiven Licht präsentieren. Der Vorsitzende Dan Barna erklärte nach dem Urnengang, dass seine Partei als einzige „die Botschaft der Rumänen“ aufgenommen habe, dass die Abstimmung „unnötig“ sei und die „Nöte der Rumänen“ keineswegs löse.

In letzterer Hinsicht dürfte Barna tatsächlich eine Schlussfolgerung des Referendums angesprochen haben: die offensichtliche Abkopplung der Agenda der politischen Eliten von den Erwartungen der Bevölkerung. Die – zum Teil rhetorisch sehr aggressiv geführte – öffentliche Diskussion zum Referendum konnte weder der PSD dazu verhelfen, die öffentliche Agenda nachhaltig umzulenken, noch der PNL ermöglichen, ein erkennbares inhaltliches bzw. ideologisches Profil zu entwickeln, einschließlich im Hinblick auf die anstehenden Europa-Wahlen. Die durch die niedrige Wahlbeteiligung offenbarte Politikverdrossenheit zeigt, dass hierin – vor allem im Mitte-Rechts-Spektrum – die eigentliche strategische Herausforderung zu verorten ist: die Setzung von sachpolitischen Themen, die den Alltag der Wähler berühren, wie etwa die Wirtschaftslage oder der Zustand von Bildungs- und Gesundheitswesen. Dabei bleibt nach dem Referendum auch unklar, welchem Wählerspektrum die ca. 3,85 Mio. Bürger zuzuordnen sind, die an der Abstimmung teilgenommen haben. Vor diesem Hintergrund ist auch die Position des Präsidenten Klaus Iohannis zu deuten: er nahm am späten Sonntagabend am Referendum teil, hielt sich aber mit einer öffentlichen Positionierung zurück.

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