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Mit der seit langem erwarteten Umbildung seines Kabinetts hat der kolumbianische Staatspräsident Andrés Pastrana wichtige Persönlichkeiten der Opposition in die Regierung eingebunden und zugleich die Weichen für die verbleibenden zwei Jahre seiner Präsidentschaft gestellt. Die Regierungsumbildung markiert das Ende einer schweren innenpolitischen Krise, die im April - auf dem Höhepunkt eines Korruptionsskandals im kolumbianischen Kongress - durch die Ankündigung des Präsidenten ausgelöst worden war, ein Referendum über die Reform der politischen Institutionen und die vorzeitige Auflösung des Kongresses durchzuführen. Dies hatte zum Verlust der knappen parlamentarischen Mehrheit der Regierung geführt und den erbitterten Widerstand der oppositionellen Liberalen herausgefordert, die ihrerseits ankündigten, auf dem Wege eines Volksbegehrens die Neuwahl des Präsidenten durchsetzen zu wollen.
Die Beilegung der Krise
Mitte Mai drohte die Konfrontation zwischen Regierung und liberaler Opposition zu einer ernsthaften Regierungskrise zu eskalieren. Die liberale Kongressmehrheit erzwang u.a. den Rücktritt von Innenminister Nestor Humberto Martínez und verweigerte ihre Zustimmung zu den wirtschaftspolitischen Reformvorhaben der Regierung.
Als deutlich wurde, dass die zunehmende Polarisierung zu einer ernsthaften Gefährdung der politischen Stabilität und der Aussichten auf eine wirtschaftliche Erholung führen würde, lenkte Präsident Pastrana ein und zog seine Initiative für eine vorzeitige Parlamentsauflösung zurück. Zugleich suchte er in Konsensgesprächen mit der Liberalen Partei nach Möglichkeiten, für die zentralen Reformvorhaben eine parlamentarische Mehrheit zu sichern.
Die Mehrheitsverhältnisse im Kongress hatten sich im April zu Ungunsten der Regierung verschoben. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte sich Pastrana auf die 1998 gebildete "Große Allianz für den Wechsel" ("Gran Alianza para el Cambio") aus Konservativen und einem Teil sogenannter "unabhängiger" liberaler Abgeordneter stützen. Letztere schlossen sich nach Ankündigung des Referendums jedoch wieder den der "offiziellen" Parteilinie folgenden Liberalen an, die damit ihre Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses zurückgewinnen konnten.
Die Verhandlungsposition der Opposition war unter diesen Umständen ungleich stärker als nach Pastranas Wahlsieg im Jahre 1998. Der Präsident sah sich daher gezwungen, nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in personeller Hinsicht erkennbare Zugeständnisse an die Opposition zu machen.
Das Augenmerk galt dabei in erster Linie der zur Hälfte der Amtzszeit des Präsidenten ohnehin anstehenden Kabinettsumbildung. Während Pastrana von vornherein auf ein "Kabinett der nationalen Einheit" setzte, wurde eine Regierungsbeteiligung von der Parteiführung der Liberalen um den früheren Präsidentschaftskandidaten Horacio Serpa zunächst strikt abgelehnt. Erst langwierige Verhandlungen ermöglichten die Bildung eines Kabinetts, das durch die Einbeziehung führender Oppositionspolitiker die politische Basis der Regierung spürbar verbreitert.
Erste Priorität des neuen Kabinetts: Umsetzung der wirtschaftspolitischen Reformprojekte
Die wichtigste Neubesetzung in dem von Präsident Pastrana am 11. Juli 2000 vorgestellten Kabinett ist zweifellos der Wechsel an der Spitze des Finanzministeriums. Der bisherige Finanzminister Juan Camilo Restrepo, als Architekt der wirtschaftlichen Konsolidierungspolitik bisher eine der zentralen Persönlichkeiten der Regierung, wurde durch den einflussreichen Liberalen Juan Manuel Santos ersetzt. Santos, früherer Außenhandelsminister und langjähriger Mitherausgeber der größten kolumbianischen Tageszeitung "El Tiempo", wird dem gemäßigten Flügel der Liberalen zugerechnet und neben dem früheren Innenminister Horacio Serpa und dem ehemaligen Gouverneur von Antioquia, Alvaro Uribe Vélez, als möglicher Präsidentschaftskandidat gehandelt.
Sein Eintritt in das Kabinett läßt erwarten, dass die Wirtschaftsreformen der Regierung von einem Teil der liberalen Abgeordneten im Kongress unterstützt werden und damit noch in diesem Jahr in Kraft treten können. Dies gilt insbesondere für die Steuerreform und die Neuregelung der Transferzahlungen der Zentralregierung an die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften - zwei Projekte, die für die weitere Konsolidierung der Staatsfinanzen von entscheidender Bedeutung sind. Die ersten Stellungnahmen des neuen Finanzminister machen deutlich, dass die rasche Umsetzung der wirtschafts- und sozialpolitischen Reformprojekte von der Regierung nunmehr als dringendste Aufgabe gesehen wird. Hierzu zählen neben den genannten Vorhaben vor allem die anstehende Reform der Rentenversicherung sowie die Flexibilisierung der Arbeitsmarktgesetzgebung, beides Projekte, die erheblichen sozialen Sprengstoff bergen.
Große Aufmerksamkeit fand vor disem Hintergrund die Berufung des langjährigen Gewerkschaftsfunktionärs Angelino Garzön zum neuen Arbeitsminister. Garzón, früher Mitglied der aus der Guerrilla M 19 hervorgegangenen politischen Bewegung, gilt als Vertreter des "unabhängigen" Spektrums und gehört dem linksorientierten "Frente Social y Político" an. Seine Ernennung läßt erkennen, dass die Regierung bei der Umsetzung der anstehenden Strukturreformen den Konsens mit der Gewerkschaftsseite suchen will. Bei den Gewerkschaftsdachverbänden CUT und CGTD wurde die Berufung des neuen Ministers grundsätzlich positiv gewertet, allerdings ist derzeit nicht erkennbar, wie ein inhaltlicher Kompromiss zwischen den weit von einander entfernten Positionen von Regierung und Gewerkschaften etwa bei der Reform des Arbeitsrechts aussehen könnte.
Fortsetzung des Friedensprozesses
Die Zusammensetzung des neuen Kabinetts ist zugleich ein klares Indiz dafür, dass die Regierung an ihrem bisherigen Kurs bei den Friedensverhandlungen mit der Guerrilla festhalten will. So gab es keine Umbesetzungen bei den für den Friedensprozess verantwortlichen Ministern. Darüber hinaus wurde mit Augusto Ramírez Ocampo - in den 80er Jahren Außenminister unter Staatspräsident Belisario Betancur - ein auf internationalem Parkett erfahrener Politiker mit dem Ressort für wirtschaftliche Entwicklung betraut - ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung, die die Regierung dem Friedensprozess und besonders dessen internationalen Implikationen zuweist.
Mit Aufmerksamkeit wurde ferner registriert, dass der von dem früheren Gouverneur von Antioquia, Alvaro Uribe Vélez, repräsentrierte "rechte" Flügel der Liberalen Partei, der dem Friedensprozess grundsätzlich skeptisch gegenübersteht, nicht in die Regierung eingebunden wurde.
Alles deutet darauf hin, dass die Regierung Pastrana den Friedensprozess weiterhin als das zentrale Projekt ihres Mandats betrachtet und entschlossen ist, trotz des Fehlens greifbarer Ergebnisse an ihrer bisherigen Verhandlungsstrategie festzuhalten. Auftrieb erhielt sie dabei durch die Verabschiedung der US-amerikanischen Unterstützung für den "Plan Colombia" durch den amerikanischen Kongress. Nach dieser Entscheidung ist damit zu rechnen, das die für das laufende Jahr vorgesehende Hilfe in Höhe von 670 Millionen US$ im Herbst 2000 anlaufen kann.
Die Folgen der Kabinettsumbildung für die innenpolitische Machtbalance
Vor allem mit der Berufung von Juan Manuel Santos und Argelino Garzón hat sich die Regierung Pastrana gegenüber bedeutenden Sektoren der Opposition geöffnet und damit ihre politische Basis beträchtlich erweitert. Auch wenn es sich nicht um eine "Regierung der nationalen Einheit" handelt, nimmt sie damit der verbreiteten Kritik den Wind aus den Segeln, die Zusammensetzung der Regierung sei nicht repräsentativ. Nicht zu unterschätzen ist auch die Wirkung, die die Ernennung von Juan Manuel Santos - des ehemaligen Herausgebers der einflussreichen Tageszeitung "El Tiempo" - auf die Berichterstattung der Medien hat, die in ihrer Mehrheit der Liberalen Partei nahestehen.
Gleichwohl kann derzeit noch nicht von einer stabilen parlamentarischen Mehrheit für die Regierung ausgegangen werden. Zwar erscheint die Verabschiedung der wirtschafts- und sozialpolitischen Reformvorhaben gesichert, doch dürfte dies nicht für die Frage der Verfassungsreform gelten. Ungeachtet des Verzichts auf vorzeitige Parlamentswahlen hält die Regierung an ihrem Vorhaben einer Reform der politischen Institutionen fest, zu deren Kernelementen eine Neuregelung des Wahlrechts und der Parteiengesetzgebung sowie eine Parlamentsreform gehören.
Konfliktpotential bergen vor allem die Maßnahmen, die auf eine Überwindung der extremen Parteienzersplitterung zielen, da diese die Struktur der Liberalen Partei in ihrer derzeitigen Form ernsthaft gefährden könnten. Ob es der Regierung gelingt, für diese "politische Reform", eines ihrer zentralen Reformprojekte, eine Mehrheit im Kongress zu finden, ist daher weiter ungewiss.
Die oppositionellen Liberalen gehen insgesamt gestärkt aus der Auseinandersetzung mit der Regierung hervor. Sie stellen mit ihrer wiedergewonnenen Mehrheit sowohl die jährlich wechselnden Präsidenten von Senat und Repräsentantenhaus als auch die wichtigsten Ausschussvorsitzenden. Darüber hinaus haben sie im Rahmen der Konsensgespräche und durch ihre Einbindung in das Kabinett an politischem Gestaltungsspielraum gewonnen.
Andererseits schränkt die Aufnahme liberaler Spitzenpolitiker in die Regierung den strategischen Spielraum der Liberalen ein: Fundamentalopposition wäre künftig wenig glaubwürdig. Auch könnte Juan Manuel Santos aus der Position des Finanzministers heraus zu einem ernstzunehmenden Rivalen des früheren Innenministers und "starken Mannes" der Liberalen Partei, Horacio Serpa, im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur der Liberalen im Jahre 2002 werden - mit ungewissen Folgen für die innerparteiliche Machtbalance.
Die Regierungsumbildung und die Beilegung der fast drei Monate dauernden innenpolitischen Kraftprobe hat in der Öffentlichkeit ein überwiegend positives Echo gefunden. Allgemein herrscht die Auffassung vor, dass die neue Konstellation besser als die knappe Mehrheit der "Großen Allianz für den Wechsel" in der Lage sein werde, die notwendigen Reformen umzusetzen und damit die Voraussetzungen für eine Stabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Lage Kolumbiens zu schaffen. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung diesen wiedergewonnen Handlungsspielraum nutzen kann, um die verbleibenden zwei Jahre ihrer Amtszeit zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen.