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Country reports

Venezuela: Präsident Chávez beschuldigt die USA der Einmischung in die inneren Angelegenheiten.

by Michael Lingenthal

Erhöhter den Druck auf die privaten TV-Medien

Präsident Chávez beschuldigt die USA der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Venezuelas und bezichtigt US-Regierungsvertreter der Lüge. Mit jedem Tag, an dem sich die Prüfung der Unterschriftenaktion der Opposition gegen ihn –wenn auch mit immer weiteren Verzögerungen und Regeländerungen – dem Ende zuneigt, verschärft sich sein Ton. Die Opposition sucht nach einem Konzept, um diesem fortwährenden Druck zu begegnen. Sie setzt weiter auf das verfassungsmäßige Instrument des Referendums.

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„Der Staatssekretär für die Angelegenheiten dieser Zone lügt unverhohlen“ – Präsident Chávez führt eine deutliche Sprache gegen die USA. Über die Toten des 11. bis 13. April 2002, als zunächst Präsident Chávez selbst befahl, die friedliche Demonstration von einer Million Venezolanern zu stoppen, bevor sie seinen von seinen Anhängern umgebenen Präsidentenpalast erreichen konnten, soll Präsident Bush Aufklärung geben, weil die US-Regierung den „Putsch des April 2002“ unterstützt hätte. „Die Chefs der Opposition sind in Washington“ und Staatssekretär Peter DeShazo sei nur gekommen, um deren Befehlsausführung zu kontrollieren.

Vehement hatte Chávez in einer „cadena nacional“ bestritten, dass seine Revolution jemals US-Gelder erhalten hätte. Kein Geld von den USA anzunehmen, sei „eine Frage der Würde“, gab Chávez zu verstehen. Zuvor hatte DeShazo ohne genauere Spezifizierung erklärt, dass die USA im Rahmen des NED beide politischen Seiten Venezuelas unterstützen und auch Organisationen von Regierungsanhängern US-Mittel erhalten hätten.

Das Thema der ausländischen Förderung von Nichtregierungsorganisationen bleibt in der aktuellen Diskussion. Vizepräsident Rangel erinnert an die rechtlichen und finanziellen Konsequenzen, die für Organisationen der Zivilgesellschaft entstehen, wenn sie ausländische Gelder annehmen. Er beruft sich dabei auf ein Urteil des Obersten Gerichtes vom 21.11.2001, das den Rechtsstatus der NROs vermindert, wenn sie internationale Hilfe annehmen. Das Parlament setzte sogleich einen Untersuchungsausschuss ein, um die finanzielle Unterstützung ausgewählter NROs durch das Ausland zu überprüfen.

Ebenso wird es einen Untersuchungsausschuss zum Waffenschmuggel gegen den Oppositionsführer und Gouverneur von Miranda, Enrique Mendoza, sowie gegen den Sicherheitschef des Oberbürgermeisters von Caracas, geben. Die am gleichen Tag erfolgte Ernennung von Adan Chávez, einem Bruder des Präsidenten, qualifizierte die Opposition als die despotische Politik des 18. Jahrhunderts.

Eher sachlicher in der Frage der Auslandskooperation nahm der neue Außenminister und ehemalige Botschafter Venezuelas in Frankreich, Jesús Arnaldo Pérez, Stellung. Als „normal“ bezeichnete er, dass reiche Länder anderen Unterstützung geben, um die Demokratie zu fördern. Es sei jetzt an den NROs, öffentlich zu beweisen, dass die Mittel wirklich zur Verteidigung der Demokratie eingesetzt würden. Er kündete eine große Kampagne über die Botschaften Venezuelas an, um über die tatsächlich ablaufende Politik seines Landes zu informieren, besonders über die Überprüfung der Unterschriftenaktion durch die Wahlbehörde.

Reguläre Arbeit der Wahlbehörde möglich?

Verfolgt man die öffentlichen Erklärungen der letzten Tage und bewertet man die Ergebnisse der bisherigen Prüfung, drängt sich die Frage auf, ob der Wahlrat (C.N.E.) noch regulär arbeiten kann. Die physische Belagerung durch Chávez-Anhänger wurde beseitigt, auch Präsident Chávez hatte aufgefordert, die Belagerung zu beenden. Der psychische Druck aber hält unverändert an.

C.N.E.-Vizepräsident Ezequiel Zamora klagt die Verfolgung durch die politische Geheimpolizei an. Diese richte sich nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen seine Familie. Seine Frau wurde auf dem Weg zur Sonntagsmesse „begleitet“. Das Abhören seiner Telefone etc. hatte er bereits früher angeklagt. Innen- und Justizminister, General a.D. Lucas Rincón erklärte einen Tag später, dass Zamora nicht „verfolgt“, sondern „beschützt“ würde. Telefonische und andere Drohungen machten dies erforderlich. Bleibt die Frage, warum der zu Beschützende nichts davon wusste und sein Schutz nicht seitens der Sicherheitsorgane mit ihm abgesprochen wurde.

Die Oberste Wahlbehörde ist auch anderem Druck ausgesetzt. Den Versuch der Revolution, jetzt inmitten des laufenden Verfahrens neue, zusätzliche internationale Beobachter zu installieren, wird von der Minderheit der C.N.E. sowie der Opposition abgelehnt. Sie werten dies als Versuch der Disqualifizierung der Beobachter von OAS und Carter-Zentrum. Außerdem ist augenfällig, dass die Erhöhung der Wahlbeobachter ( der Vorschlag geht dahin, die zu integrieren, die die Regierung bei den Unterschriftenaktionen eingeladen hatte ) zu einem Zeitpunkt erfolgt, wo die Prüfung der Unterschriften der Regierungsaktion gegen Oppositionsparlamentarier bald abgeschlossen sein wird und die Prüfung der Oppositionsaktion in die entscheidende Phase tritt.

Etwa 1,8 Millionen Unterschriften der Opposition sollen zweifelhaft sein. Der Bevölkerung soll an 5 Tagen Gelegenheit gegeben werden, durch persönliches Erscheinen bei den Büros der Wahlbehörde (Regionen und Hauptstadt) Zweifel auszuräumen und die Echtheit der eigenen Unterschrift zu bestätigen. Die genauen Regeln zu dieser neuen Aktion jedoch werden erst definiert.

Wieder gibt es im laufenden Verfahren Änderungen, Ergänzungen, Festlegungen. Wie diese „Megabestätigung“ ablaufen soll, bleibt fraglich. Vor allem dann, wenn Oppositionsangehörige auf ihrem Weg zur Bestätigung durch ein Spalier der Chávez-Anhänger müssen. Dies hatte es bereits bei der Unterschriftenaktion gegen Präsident Chávez an einigen Sammelstellen gegeben. Es wurde keinerlei Gewalt angewendet, aber die bloße Präsenz des „Spaliers“ genügte, um Unterschriftswillige abzuhalten. Dies alles vertieft nicht das Vertrauen in die Wahlbehörde, im Gegenteil. Auch OAS und Carter-Zentrum zeigen sich besorgt und fordern Verfahren ohne den äußeren Druck beider Seiten, aber auch ohne exzessive Prüfung, weshalb der Vizepräsident fordert, dass die OAS zu dieser öffentlichen Äußerung Stellung nimmt. Nach seiner Meinung ist dies eine unzulängliche Einmischung in die Souveränität Venezuelas und der Wahlbehörde.

Umstritten sind die mit Hilfe Dritter ausgefüllten, aber mit Originalunterschriften und Originalfingerabdruck bestätigten Angaben. „Großbetrug“ wettert immer wieder Präsident Chávez und verweist auf die Regeln der Wahlbehörde und auf die Informationen der Opposition (SUMATE) selbst. Genehmigtes Verfahren durch die Vertreter der Wahlbehörde vor Ort, die ausdrücklich erlaubten, dass Hilfesuchenden Unterstützung gegeben wird. Und die zusammen mit den Wahlbeobachtern des Präsidenten nahezu alle jetzt im Nachhinein in Zweifel gezogenen Unterschriftslisten als „korrekt“ unterschrieben.

Offensichtlich ist nur eines: Präsident Chávez versucht mit allen Argumenten, den Erfolg der Opposition bei ihrer Unterschriftenaktion zunichte zu machen. Er will im In- und Ausland nachweisen, dass man einem „Superbetrug“ der Opposition aufsitzt. Dazu auch die Kampagne der Botschaften (s.o.). Und wenn das alles nicht hilft, dann wird er das Oberste Gericht anrufen. Dies alles soll und wird Zeitverzögerungen mit sich bringen. Wenn der Monat August erreicht ist, wird es kein Referendum geben, weil –wie die Oberste Wahlbehörde bereits festgestellt hat- es keine Gleichzeitigkeit von Referenden und Wahlen zu Gouverneuren und Bürgermeistern (für den 1. August festgesetzt) geben kann. Und es wird von Beobachtern auch nicht ausgeschlossen, dass Präsident Chávez –wenn er durch seinen permanenten Wahlkampf und die damit verbundenen Wahlgeschenke (Projekte unterschiedlichster Art von Stipendien bis KMU-Förderung) sich seiner Mehrheit sicher ist – dann zu Neuwahlen auch für das Präsidentenamt geht. Es gibt eine Regel in Venezuela, die besagt: Gouverneurs- und Bürgermeisterwahlen folgen dem Trend, dem „Zug“ des Präsidenten. Schon weil man sich dann mehr Mittel verspricht. Denn trotz Dezentralisierung hängen die Bundesstaaten und Kommunen weitgehend von Entscheidungen der nationalen Regierung, bzw. des Präsidenten selbst, über Investitionen und Finanzen ab.

Opposition in der „Zeitfalle“

Die Opposition hat einen schweren Stand. Wie soll sie den ständigen Zeitverzögerungen und Veränderungen des Regelwerks der Prüfungen entgegnen? Nimmt sie es hin und hofft auf eine Lösung vor August, gerät sie in Gefahr, ihr Ziel des Machtwechsels per Referendum nicht zu erreichen. Macht sie mit Demonstrationen oder zivilem Ungehorsam Druck, wird sie mit aller Staatsgewalt an effektiven Protestformen gehindert. Bekämen dann extreme Kräfte Oberwasser, wäre im In- und Ausland alles verloren. Die internationale Anerkennung der Opposition könnte ins Gegenteil umschlagen. Das Ausland konzentriert sich jetzt auf medienwirksame Ereignisse um die Wahlbehörde. Die schleichende Verminderung der Rechte und Möglichkeiten der Opposition im Parlament werden selbst in Parlamentsdebatten im Ausland nicht von allen Parlamentariern angesprochen bzw. zurückgewiesen.

Medien erneut im Kreuzfeuer

Wie Präsident Chávez vorgehen wird, wenn die Medien so agieren, wie am 11. April, daran lässt der Präsident keinen Zweifel. „ … Dann treffen Sie nicht auf den Chávez von 2002. Sie werden militärisch eingenommen werden, koste es was es wolle“. Im April 2002 hatten die Medien nicht nur massiv den Aufrufen zu Protesten gegen den Präsidenten Anzeigenraum und Sendezeit gegeben, sondern sie hatten auch während der berühmten „cadena“ den Worten des Präsidenten durch Teilung des Bildschirmes die harte Realität entgegengesetzt, um zu zeigen, wie die Sicherheitskräfte und Chávez-Anhänger gegen die friedliche Großdemo vorgingen.

Präsident Chávez versicherte, dass man am Freitag vergangener Woche, also am Tag vor der Großdemo der Opposition (mindestens 250.000 Menschen) bereit gewesen sei, die Medien vom Netz zu nehmen. Die Streitkräfte seien vorbereitet, die Sendemasten auf persönlichen Befehl des Präsidenten abzuschalten. Zu solchen Mitteln sei man in 24 Stunden bereit. Medien und Opposition sollten sicher sein, dass die Regierung Möglichkeiten der Mobilisierung, der militärischen Mittel, der kommunikativen Offensive und der internationalen Unterstützung habe, sollte die Opposition den April 2002 wiederholen wollen.

Die demokratische Opposition aber hat, im übrigen bekräftigt durch das Abkommen mit der Regierungsseite vom 29. Mai 2003, einen verfassungsmäßigen Weg der Lösung der Krise eingeschlagen und verfolgt ihn weiter, trotz aller damit verbundenen Risiken für sie selbst. Die Frage bleibt, ob die Drohungen des Präsidenten anderes gedeutet werden können als einen extremen Druck auf Opposition und Institutionen und eben nicht nur als Warnung vor einem (unwahrscheinlichen) Staatsstreichversuch der Opposition.

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Henning Suhr

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February 15, 2004
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