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Country reports

Zum Referendum über die Verkürzung der Amtszeit des französischen Präsidenten

by Dr. Norbert Wagner
Die Reduzierung der Amtszeit des Präsidenten der französischen Republik von sieben auf fünf Jahre beherrscht derzeit die französische Innenpolitik und ist am 24. September Gegenstand eines durchaus kontrovers diskutierten Referendums. Schwer abzuschätzen sind die langfristigen Rückwirkungen auf das politische System Frankreichs.

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Seit einigen Wochen wird die französische Innenpolitik von einem neuen Thema beherrscht, "le quinquennat". Insbesondere nach der zweimaligen siebenjährigen Präsidentschaft von François Mitterand herrschte die Einschätzung vor, eine vierzehnjährige Amtszeit des Präsidenten der Republik sei nun doch zu viel. Konsequenzen blieben aber aus.

Die Debatte wurde erneut belebt nach der mißglückten Auflösung der Assemblée Nationale durch Präsident Jacques Chirac. Manche seiner Ratgeber hofften, Chirac könne durch den Vorschlag einer Reduzierung der Amtszeit des Präsidenten seiner eigenen Präsidentschaft und seinen Wahlaussichten für eine zweite Amtszeit neuen Schwung verleihen. Auch die Tatsache, daß Chirac zum Zeitpunkt seiner möglichen Wiederwahl im Jahr 2002 fast siebzig Jahre als sein wird, spielte bei diesen Überlegungen eine Rolle.

Bei seiner Ansprache aus Anlaß des Nationalfeiertages am 14. Juli 1999 erteilte Präsident Chirac indes all diesen Spekulationen eine kategorische Absage. Er sei gegen eine Reduzierung der Amtszeit des Präsidenten und bleibe bei seiner Meinung ("Le quinquennat sous une forme ou sous une autre serait une erreur, et donc je ne l'approuverai pas.") Weniger als ein Jahr nach dieser Äußerung hat Chirac nun selbst die Reduzierung der Amtszeit von sieben auch fünf Jahre vorgeschlagen. Für den 24. September 2000 sind die Franzosen aufgerufen, in einem Referendum über diesen Vorschlag abzustimmen.

"Tout est bon pour géner Chirac"

Durch eine Gesetzesinitiative des ehemaligen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing in der Assemblée Nationale war das Thema wieder neu belebt worden. Letztlich zielte auch dieser Coup Giscards auf seinen Amtsnachfolger Chirac. "Tout est bon pour géner Chirac" (Alles ist nützlich, um Chirac zu stören, Le Point, 28. Juli 2000).

Sehr rasch entfaltete der Vorstoß eine gewisse Eigendynamik. Plötzlich war von einer gründlichen Reform der Institutionen der V. Republik die Rede, es wurde gar von der VI. Republik gesprochen. Premierminister Lionel Jospin versuchte sehr schnell, auf den Zug aufzuspringen. Präsident Chirac zögerte zunächst ein Weile, angeblich weil er sich mit seinen politischen Freunden beraten wollte, entschloß sich dann aber, einen eigenen Vorschlag für ein Referendum einzubringen.

"Le quinquennat sec"

Wer aber gehofft hatte, Chirac könnte den Anlaß der Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten zu einer umfassenden Reform der französischen Verfassungsinstitutionen nutzen, wurde enttäuscht. Der Verfassungsberg gebar nur eine "Reform-Maus".

Denn Chirac schlug lediglich die Reduktion der Amtszeit von sieben auf fünf Jahre vor, sonst nichts. Keine Präsidialverfassung nach US-amerikanischem Muster oder zumindest eine Begrenzung der Anzahl der Mandate des Präsidenten. Nur die Reduzierung auf fünf Jahre, "le quinquennat sec", wie sein Vorschlag denn auch genannt wird.

Am 20. Juni hat die Assemblée Nationale den Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung zwecks Reduzierung der Amtszeit des französischen Präsidenten von sieben auf fünf Jahre mit großer Mehrheit angenommen. Und am 29. Juni passierte der Gesetzestext den Sénat (die zweite Kammer). Die Verfassungsänderung selbst kann nun auf zwei Wegen erfolgen: Abstimmung im Kongreß (Assemblée Nationale + Sénat) mit Zweidrittel-Mehrheit oder Referendum. Präsident Chirac, der autonom entscheiden kann, welchen der beiden Wege er wählen möchte, gab einem Referendum den Vorzug.

Geringe Begeisterung in allen politischen Lagern

Auch wenn die Mehrheiten für die Reduzierung der Amtszeit in der Nationalversammlung und im Sénat überwältigend waren, so ist das Murren über die Verfassungsänderung unter den Abgeordneten aller politischen Lager unüberhörbar.

Die Linke beklagte die verpaßte Gelegenheit einer gründlichen Reform des Staates. Die Reduzierung der Amtszeit des Präsidenten könne nur die erste Etappe auf dem Wege zum Aufbau einer neuen Demokratie sein. Es handle sich nicht um eine Reform, sondern um eine "réformette". Die Kommunisten bezogen eine Position der "kritischen Enthaltung", was immer das sein soll. Die Extremkommunisten sprachen sich für einen "aktiven Boykott" aus.

Aber vor allem im bürgerlichen Lager regte sich Unmut und waren die Meinungen gespalten. Während manche von einer wichtigen Etappe hin zu einer lebendigeren Demokratie sprachen, beschworen andere die Gefahr, daß die Verfassung insgesamt aus dem Gleichgewicht gerate und die langfristigen Folgen dieser Verfassungsänderung nicht absehbar seien. Die Reduzierung der Amtszeit des Präsidenten sei gar Verrat am Gaullismus.

Ein weiterer Teil der Opposition (vor allem Teile der UDF) lehnt die Verfassungsänderung deshalb ab, weil sie rein politisch und taktisch motiviert sei. Die Franzosen - so die Argumentation - haßten diese Machenschaften. Zahlreiche Abgeordnete von RPR, UDF, DL und RPF stimmten denn auch gegen den Gesetzentwurf, enthielten sich oder nahmen an der Abstimmung überhaupt nicht teil.

Wieder einmal ist es den bürgerlichen Parteien in Frankreich gelungen, sich über ein Thema, das eigentlich für eine offensive Debatte mit der Regierungsmehrheit geeignet wäre, vor allem intern zu streiten.

Referendum oder Entscheidung im Kongreß

Auch die Frage, ob die Verfassungsänderung durch den Kongreß (Assemblée + Sénat) oder ein Referendum erfolgen soll, gab Anlaß zu vorwiegend parteitaktisch geprägten Debatten. Die Sozialisten plädierten für den Kongreß, damit Chirac das Referendum nicht für eine Abstimmung über sich und seine Politik nutzen könnte. Wieder andere argumentieren, eine so wichtige Entscheidung könne nur im Wege eines Referendums erfolgen.

Gerade diese Abstimmung fürchten aber indes nicht wenige im Lager des Präsidenten, denn sie könnte auch negativ ausfallen.

Präsident Chirac stand in dieser Frage vor einem Dilemma. Hätte er den Weg der Verfassungsänderung durch den Kongreß gewählt, so wäre ihm dies als Angst vor dem Votum der Bevölkerung ausgelegt worden. Mit der Entscheidung für ein Referendum, riskiert er massive Enthaltung oder gar Ablehnung.

Sollte das Referendum scheitern, was angesichts der bisher recht lauwarmen Unterstützung in allen politischen Lagern und der geringen Begeisterung in der Bevölkerung für dieses Thema durchaus denkbar ist, so wird die Forderung nach dem Rücktritt von Chirac sofort wieder laut werden.

Entsprechend distanziert äußerte sich der Präsident denn auch anläßlich seines Fernsehauftritts, in dem er seine Entscheidung erläuterte. Der Präsident der Assemblée Nationale kritisierte gar den Mangel an "Energie und Überzeugungskraft" bei Chirac in dieser Frage. Wie auch immer das Referendum ausgehe, so Chirac, das berühre ihn nicht. Die verbreitete Unruhe im bürgerlichen Lager über diese Frage belegt indes, daß davon keine Rede sein kann.

Kurze Kampagne

Mit dem Ende der Feriensaison in Frankreich Anfang September wird somit eine kurze und intensive Kampagne beginnen, welche die Franzosen davon überzeugen soll, daß der Übergang vom Septennat zum Quinquennat einen wichtigen Schritt hin zu mehr Demokratie und zu größerem Mitspracherecht des französischen Bürgers beinhaltet. Wie dies den Politikern gelingen wird, die erkennbar dem ganzen Vorhaben eher skeptisch gegenüberstehen, bleibt abzuwarten. Die Logik von Giscard d'Estaing: "Warum fünf Jahre? Weil es kürzer ist", wird allerdings nicht ausreichen.

Es ist zu befürchten, daß die Wahlbeteiligung nicht besonders groß sein wird. Nach einer Ende Juli durchgeführten Umfrage interessieren sich nur 31% der Befragten für die Debatte um das Quinquennat, 68% sind nicht interessiert. Nur 44% wollen am Referendum teilnehmen, 56% haben nicht die Absicht (Le Figaro, 5./6. August 2000).

Diejenigen, die an der Abstimmung teilnehmen, dürften aber überwiegend für die Reduzierung der Amtszeit des Präsidenten stimmen (82% laut Figaro-Umfrage). So wird aller Voraussicht nach der nächste französische Präsident bei der für April/Mai 2002 anstehenden Wahl nicht mehr für sieben, sondern nur noch für fünf Jahre gewählt werden.

Rückwirkungen auf das politische System

Schwer abzuschätzen sind derzeit noch die langfristigen Rückwirkungen einer zukünftig fünfjährigen Amtszeit des Präsidenten der Republik auf das politische System Frankreichs.

  • Ein immer wieder vorgebrachter Hinweis, die Amtsperiode des Präsidenten und der Nationalversammlung würde damit in Einklang gebracht, wäre bereits nach der nächsten Parlamentsauflösung nicht mehr gültig.
  • Es ist nicht auszuschließen, daß sich die Rolle des Präsidenten verändern wird. Bisher erlaubt ihm seine siebenjährige Amtszeit, zumindest nach außen hin eine gewisse Distanz zur Tagespolitik einzunehmen. Er spielt eher die Rolle des Garanten der Nation und der Institutionen. Nicht umsonst wird das französische politische System als eine Art Wahlmonarchie beschrieben.
  • Eine fünfjährige Amtszeit wird indes dazu führen, daß sich der Präsident wahrscheinlich sehr viel stärker als bisher schon in die Tagespolitik einmischen wird. Er wird sich nicht mehr damit begnügen können, die langfristigen Perspektiven aufzuzeigen und zu bewahren. Schon sein Interesse an einer Wiederwahl nach fünf Jahren wird ihn dazu zwingen, stärker auch kurz- und mittelfristigen Entwicklungen zu beeinflussen.
  • Vermutlich wird ein für fünf Jahre gewählter Präsident im Anschluß an seine Wahl sofort die Nationalversammlung auflösen, um sich dort eine Regierungsmehrheit zu sichern. Sofern er dabei Erfolg hat, wird der Präsident der Republik sehr viel deutlicher als bisher der eigentliche Chef der Regierung und der Regierungsmehrheit sein, denn sein politisches Schicksal ist mit dem Erfolg "seiner" Regierung aufs engste verknüpft. Für den Premierminister bliebe dann nur noch die Rolle eines "directeur de cabinet".
  • Frankreich könnte sich damit tedenziell in Richtung eines Präsidial-Systems nach US-amerikanischem Vorbild bewegen. Das "quinquennat sec" hätte dann institutionelle Konsequenzen, die ursprünglich gewiß nicht intendiert waren.

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