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Marcus Schoft

Event reports

Der „Farbauftrag der Ferne“

by Prof. Dr. Michael Braun

4. Studio online der KAS mit Anja Kampmann

Welche Farbe hat die Ferne? Hell endet der Debütroman „Wie hoch die Wasser steigen“ (2018) von Anja Kampmann. Sie verabschiedet ihren Helden Waclaw an der Ostsee, mit leeren Händen, aber voller Erinnerungen. Drei Stationen seiner Europa-Reise stellte die Autorin vor. Vor mehr als 60 Zuhörern aus Berlin, aus Sachsen und dem Rheinland, aus Italien und Indien, Polen und den Niederlanden las sie bei der vierten Lesung des studio online, die von der Kulturabteilung der Konrad-Adenauer-Stiftung – diesmal gemeinsam mit dem Politischen Bildungsforum der KAS in Dresden – veranstaltet wurde.

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Anja Kampmanns literarische Laufbahn begann, so der sächsische KAS-Bildungsforumsleiter Joachim Klose einführend, am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Dort lebt und schreibt sie auch, erst Lyrik und Kurzgeschichten, dann ihren ersten Roman. Der führt in ein ungewöhnliches Milieu. Es geht um die Ge­schichte des 52-jährigen polnischstämmigen Bohrinselarbeiters Waclaw, der nach dem plötzlichen Verschwinden seines besten Freundes zu einer Reise quer durch Europa aufbricht. Es ist eine ungewöhnliche Reise durch Raum und Zeit. Sie führt von Tanger über Ungarn, Malta, Italien, Bottrop bis nach Polen und an die Ostsee – und immer tiefer in Waclaws Vergangenheit, in eine „Welt unter Tage“,  von der es ebenso wenig Spuren gibt wie von den versiegelten Ölbohrlö­chern im Meeresboden und den gefluteten Steinkohlestollen in den Ruhrgebietszechen.

Im Gespräch mit dem Literaturreferenten der Stiftung Michael Braun erklärte Anja Kampmann, wie sie zu dem Stoff gefunden hat. Sie habe keinen biographischen Roman schreiben wollen. „Wie hoch die Wasser steigen“ ist die Geschichte einer Identitäts- und Heimatsuche – und der vielleicht erste Energiewandelroman der deutschen Literatur. Auf eine Bohrinsel sei sie nicht gekommen, sagt Anja Kampmann, Rig-Arbeiter hätten ihr aber Videos und Mails geschickt. So kam ein ganz außerordentlicher Roman zustande. Anja Kampmann wurde 2018 für den Preis der Leipziger Buchmesse, den aspekte Literaturpreis und den Deutschen Buchpreis nominiert, sie erhielt dafür im gleichen Jahr zwei Förderpreise und jüngst auch einen Preis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Im letzten Jahr landete ihr Roman sogar im Finale des National Book Award in den USA. Dort erschien eine Übersetzung ins Englische („High as the Waters Rise“), gerade kommt der Roman auch in Frankreich heraus. Ein Stipendium aus dem Else-Heiliger-Fonds der Konrad-Adenauer-Stiftung, das sie 2015 erhielt, ermöglichte Anja Kampmann die freie Zeit für Recherchen an dem Roman, die unbedingt nötig waren, auch wenn, wie sie sagt, diese Recherchen manchmal „in Nebensätzen endeten“.

Über das Schicksal ihrer Haupt- und Nebensätze, ein „poetisches Erzählen“ und ein entschleunigtes Lesen, über die Tauben im Roman (die „Rennpferde des kleinen Mannes“ im Untertagebau) und das „Heimatfindevermögen“ moderner Arbeitsnomaden, über Waclaws Frauen und seine partielle Unfähigkeit zur Trauer gab Anja Kampmann erhellende Auskünfte. Wie es ihr gehe, wenn sie aus dem Roman lese und von ihrer Figur erzähle, wollte eine Zuhörerin wissen. Ganz einfach, entgegnete Anja Kampmann: Sie freue sich über ein Wiedersehen mit Waclaw. Das war ihr anzusehen. Die Ferne ist etwas Helles – und kann uns bei einer online Lesung durchwegs nahe gebracht werden.

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November 19, 2020
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