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Der Tod von Sebastião Bezerra und die Menschenrechte in Brasilien

by Dr. Peter Fischer-Bollin, Esther Hamm

Die Ermordung des Menschenrechtlers macht schwere Missstände offenbar

Am vergangenen Sonntag wurde der Menschenrechtsaktivist Sebastião Bezerra da Silva im brasilianischen Bundesstaat Tocantins gefoltert und ermordet. Der Fall wirft ein dunkles Licht auf die Lage der Menschenrechte in Brasilien.

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Der Anwalt und Leiter des Menschenrechtszentrums Cristalândia im Bundesstaat Tocantins (800 km nördlich der Hauptstadt Brasília), Sebastião Bezerra (40), wurde am Sonntagmorgen tot am Eingang einer Fazenda (landwirtschaftliches Gut) in Dueré aufgefunden. Nach Polizeiangaben wurde er seit Samstagnachmittag vermisst. Seine Leiche wies Spuren von Folter (Nadelstiche, gezogene Fuß- und Fingernägel) auf, er wurde mit einem Seil erwürgt. Trotzdem ließ die zuständige Polizeibehörde am Montag verlauten, dass Bezerra vermutlich Opfer eines Raubes geworden sei, man wahrscheinlich sein Auto und Wertgegenstände habe stehlen wollen.

Menschenrechtsarbeit in Tocantins

Sebastião Bezerra leitete seit Jahren das vom katholischen Bischof in der Stadt Cristalândia, Dom Heriberto Hermes, gegründete Menschenrechtszentrum. Die wichtigste Aufgabe des Menschenrechtszentrums ist die Bildung und Sensibilisierung der Bürger in Tocantins und den benachbarten Bundesstaaten Goiás, Pará, Maranhão und Bahia für ihre Menschenrechte sowie ihre moralische, politische und juristische Unterstützung. Diese benötigen die Menschen in der noch nicht sehr entwickelten Region Brasiliens vor allem im Kampf gegen Sklavenarbeit und besonders Kinderarbeit. Dabei wird das Menschenrechtszentrum aus Deutschland von der Konrad-Adenauer-Stiftung, der katholischen Kirche (Adveniat) und der Deutschen Botschaft in Brasília unterstützt.

Das Menschenrechtszentrum engagiert sich vor allem mit Kursen zur Ausbildung von „Agentes Jurídicos Populares“ (etwa: Rechtsberatende Bürger), die mit ihrem Fachwissen des brasilianischen Rechtes und viel Mut und Geschick gegen die Menschenrechtsverletzungen vorgehen. Es geht aber auch darum, durch Bildung dem vorzubeugen, dass die Menschen entweder selbst in Sklavenarbeit geraten oder ihre Kinder zur Finanzierung des Familienunterhaltes ausgebeutet werden. Diese Arbeit wurde ganz wesentlich von dem versöhnlichen, ehrlichen und mutigen Geist von Sebastião Bezerra geprägt. Dabei scheute er sich auch nicht, die Menschenrechte gegen die „Volksmeinung“ zu verteidigen: Im November 2010 wurde ein junger Mann von einer Menschenmenge aus dem Gefängnis in Barrolândia geholt und auf dem Dorfplatz auf brutalste Weise gelyncht. Er war der Vergewaltigung und Ermordung eines 18-jährigen Mädchens beschuldigt worden. Sebastião Bezerra forderte Aufklärung über die Täter und die Verantwortlichen und ließ keinen Zweifel an seiner Ablehnung der Lynchjustiz. Die Lynchjustiz trotz der vermutlich großen Schuld des Opfers zu verurteilen, isolierte Bezerra und das Menschenrechtszentrum von der öffentlichen Meinung.

Sebastião Bezerra setzte sich dafür ein, zunehmend die Bürger für politische Beteiligung zu bilden und zu motivieren, damit sie gerade auf kommunaler Ebene ihr Schicksal selbst mitgestalten können. Dabei wurden hohe Hürden durch die jetzigen Inhaber der öffentlichen Ämter aufgestellt, z.B. wurden Interessierte vom Bürgermeister daran gehindert, an den öffentlichen Seminaren teilzunehmen. Feindseligkeit zu ertragen gehörte ebenso wie Todesdrohungen durch Telefonanrufe und E-Mails zum Alltag von Sebastião Bezerra.

Polizei als Täter gegen die Menschenrechte

Ein Problem, mit dem sich Sebastião Bezerra in seiner Arbeit intensiv beschäftigen musste, sind die durch Polizisten begangenen Verbrechen wie Misshandlungen, Folter und Tötungen. In mehreren Fällen ging das Menschenrechtszentrum gegen solche Fälle vor und erreichte sogar gerichtliche Verurteilungen solcher Polizisten. Menschenrechtler halten es für möglich, dass die Mörder von Sebastião Bezerra aus diesem Umfeld kommen und nicht zuletzt eine Botschaft an die gesamte Menschenrechtsszene senden wollten.

Menschenrechte in Brasilien

Obwohl zweifelsohne durch die vermehrten Anstrengungen der Regierung in den letzten Jahren Erfolge bei der Verbesserung des Menschenrechtsschutzes erzielt worden sind, bleiben Missstände wie Folter und Gewaltmissbrauch durch Polizisten, unmenschliche Zustände in den Gefängnissen oder Kinder- und moderne Sklavenarbeit weiterhin bestehen.

Bei der schon extrem hohen Mordrate in Brasilien (laut Human Rights Watch sind es mehr als 40 000 jährlich), tauchen die Tötungen, die durch Polizeibeamte in ihrem Dienst „in legitimer Verteidigung“ begangen werden, gar nicht erst auf. Allein im Bundesstaat Rio de Janeiro sind es durchschnittlich drei Tötungen pro Tag, im ersten Halbjahr 2010 waren es insgesamt 505 Personen, die durch die Waffe eines Polizisten ums Leben kamen. Damit kommt auf sechs „gewöhnliche“ vorsätzliche Morde eine Tötung durch einen Gesetzeshüter. Als Tötungen „in legitimer Verteidigung“ werden jene registriert, die in der Konfrontation mit Widerstand gegen die Polizei leistenden, mutmaßlichen Kriminellen und Drogendealern passieren. Damit entgehen die Polizisten einer weiteren juristischen Verfolgung, diese Kategorisierung ist ein einfaches Mittel, um die Straflosigkeit der Beamten zu garantieren. Die Opfer sind mehrheitlich Bewohner der Favelas, arm und ohne Möglichkeiten ihre Rechte einzuklagen. Die Getöteten weisen oft mehrere Schussverletzungen im Oberkörper oder Kopfbereich auf, manchmal auch aus verschiedenen Schusswaffen, so dass der Verdacht auf außergerichtliche Hinrichtungen nicht einfach zurückweisbar ist, Untersuchungsverfahren gestalten sich allerdings äußerst schwierig, da die Aufklärung dieser Fälle fast ausschließlich von Untersuchungen durch die Polizei selbst abhängen.

Die brasilianischen Gefängnisse weisen weiterhin unmenschliche Zustände auf. Zum einen leiden sie unter chronischer Überfüllung, was auch nicht zuletzt der extrem langsamen Justiz anzulasten ist. 44 Prozent der Inhaftierten warten teilweise schon seit mehreren Jahren auf ihr Gerichtsverfahren. Psychologische und physiologische Folter und fehlender Schutz der Gefangenen vor Gewalt der Mithäftlinge prägen den schrecklichen Alltag innerhalb der Gefängnismauern.

Zur Bekämpfung der modernen Sklavenarbeit, die bis heute in Brasilien tausende Arbeiter dazu zwingt für faktisch keinen Lohn bis zu 18 Stunden täglich schwerste, körperliche Arbeit zu leisten, hat die Regierung mobile Untersuchungseinheiten geschaffen, die die ländlichen Regionen überwachen, um Fazendas aufzuspüren, die Menschen zur Zwangsarbeit zwingen. Außerdem wird eine schwarze Liste dieser Gutsbesitzer und Unternehmen geführt. Als moderne Sklavenarbeit bezeichnet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) entwürdigende Zwangsarbeit in Verbindung mit Freiheitsberaubung. In Brasilien werden arme Arbeitskräfte meist aus von den Fazendas weit entfernten Regionen von Arbeitsanwerbern mit gut klingenden Versprechungen über die Arbeitsverhältnisse, oftmals schon mit einer Lohnvorauszahlung und der Bezahlung des Transportes zum neuen Arbeitsplatz, gelockt. Die Verhältnisse, die die Arbeiter dann vorfinden, widersprechen vollkommen den Versprechungen. Meist wird ihnen nicht mal eine Unterkunft gestellt, Nahrungsmittel müssen sie mit dem geringen Lohn zu überhöhten Preisen direkt von ihrem Gutsherrn beziehen, wodurch sie immer mehr Schulden anhäufen. Schon mit der Vorauszahlung und dem Transport stehen sie in der Schuld des Arbeitsanwerbers. Aufgrund der fehlenden Infrastruktur in den ländlichen Gebieten haben die Sklaven keine Möglichkeiten das Landgut zu verlassen, sollten sie trotzdem versuchen zu fliehen drohen ihnen schwere Demütigungen, Folter oder sogar der Tod.

In den vergangenen 15 Jahren wurden mehr als 36 000 Arbeiter aus der modernen Sklavenarbeit befreit, noch zwischen 25 000 und 40 000 sollen es laut ILO derzeit sein. Die angeklagten Unternehmer werden selten zur Verantwortung gezogen oder kommen mit Geldstrafen davon. Diejenigen, die sich für die Menschenrechte der armen und mittellosen Gesellschaftsschichten einsetzen, müssen oftmals mit Einschüchterungen oder Gewalt rechnen. Bereits im Januar 2009 wurde der Anwalt und Menschenrechtsaktivist Manoel Mattos an der Grenze der Bundesstaaten Paraiba und Pernambuco erschossen. Der Hauptverdächtige, ein Polizist, der nach Untersuchungen Mattos’ Verbindungen zu einem Todesschwadron hatte, wurde im Oktober festgenommen und soll nun vor ein Bundesgericht gestellt werden, um einen unabhängigen Prozess zu gewährleisten, weil man der lokalen Justiz nicht traut.

Es waren vor allem diese Zustände, gegen die das Menschenrechtszentrum von Sebastião Bezerra vorging. Seine Erfolge bei diesem Kampf haben ihm eine Reihe von Feinden auf den Fazendas, im Polizei- und Justizapparat sowie in der örtlichen Polizei eingebracht.

Perspektiven

Es muss jetzt von allen Seiten die rechtsstaatliche Aufklärung des Todes von Sebastião Bezerra gefordert werden. Nur öffentlicher und auch internationaler Druck kann die Justizorgane dazu bringen, den Mord aufzuklären und die Täter zu bestrafen. Die neue Präsidentin Brasiliens Dilma Rousseff hat seit ihrer Amtsübernahme am 1. Januar deutlich gemacht, dass für sie die Einhaltung der Menschenrechte eine politische Priorität darstellt. Sie sollte auf diesen Fall aufmerksam gemacht werden, damit sich an der Situation wirklich etwas ändert und die Gefährten und Nachfolger Sebastião Bezerras nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen, weil sie für die auch in Brasilien geltenden Gesetze zur Einhaltung der grundlegendsten Menschenrechte eintreten.

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March 15, 2011
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