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Auf den ersten Blick scheint Chinas Bankenwesen stabil. Die vier größten, staatseigenen Banken führen die Liste der chinesischen Unternehmen mit den höchsten Gewinnen an. An der Spitze steht die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC)(中国工商银行, Zhôngguó gôngshâng yínháng) mit einem Jahresgewinn von knapp 30 Mrd. Euro. Im Jahr 2012 haben alle chinesischen Banken zusammengenommen einen Jahresgewinn nach Steuern von 18 Milliarden Euro erzielt, eine Steigerung von 20,7% zum Vorjahr. Die Gewinnmarge der Staatsbanken beträgt aktuell 3 bis 3,5% und ist damit etwa zehnmal so hoch, wie der internationale Durchschnitt. Bei den Privatbanken beträgt die Gewinnmarge sogar 7%. Trotz dieser Zahlen war die Besorgnis im Sommer 2013 groß, Chinas Bankenwesen könnte zusammenbrechen. Die Ursachen dieser Besorgnis liegen in tiefgreifenden institutionellen Problemen des heimischen Banken- und Finanzsystems.
Ausgelöst wurde die kurzzeitige „Bankenkrise“ durch eine für die Finanzbranche unerwartete Aktion der chinesischen Zentralbank. Hintergrund scheint eine Art „Stresstest“ der People’s Bank of China (PBoC) gewesen zu sein. Nachdem in den ersten zehn Junitagen die Kreditvergabe der chinesischen Banken auf 124 Milliarden Euro hochgeschnellt war, fuhr die PBoC die Liquiditätsversorgung kurzzeitig zurück, indem sie Geld am Interbankenmarkt einbehalten hat. Dies ließ den Zinssatz auf dem Interbankenmarkt, der normalerweise zwischen zwei und drei Prozent liegt, auf kurzzeitig bis zu 25% steigen. Nachdem kurz darauf Gerüchte in Umlauf kamen, die Bank of China könne nach der damit weggefallenen Kreditgarantie ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen, brach kurzzeitig Panik aus.
Die drohende Gefahr eines „Lehman Moments“ aufgrund der massiven Kreditrisiken und Blasen, insbesondere im Bereich der Staatsunternehmen, aber auch im Immobilienbereich, konnte nur durch eine noch am selben Tag erfolgte Ankündigung der Zentralbank, im Zweifel die Finanzinstitute unbegrenzt mit Liquidität zu versorgen, abgemildert werden. Das Experiment der PBoC hat die systemische Schwächen des chinesische Banken- und Finanzsystems vor Augen geführt und hat erneut gezeigt, dass Reformen in diesem Bereich überfällig sind.
Die Macht des Kartells: zur Rolle der chinesischen Großbanken
Trotz umfangreicher Reformen seit Beginn der 1980er Jahre besteht das chinesische Bankensystem im Wesentlichen nach wie vor aus vier staatseigenen Großbanken, die direkt an die Zentralbank angebunden sind. Diese ursprünglich als Spezialbanken gegründeten Institute haben diesen Charakter bereits seit den 1990er Jahren verloren und agieren als allgemeine Geschäftsbanken in Konkurrenz zueinander mit landesweiten Niederlassungsnetzen. Aktuell dominieren sie mit 45% der gesamten Bankaktiva den chinesischen Bankenmarkt deutlich und agieren daher faktisch als Monopolisten. Ihnen gegenüber steht eine Gruppe von ca. zehn Privatbanken, die mit privatem und staatlichem Kapital als Aktiengesellschaften arbeiten (sog. Joint Stock Banks), städtische Geschäftsbanken sowie eine Reihe sonstiger Banken, unter anderem etwa 40.000 Kreditkooperativen, die vor allem in ländlichen Regionen tätig sind. Das Engagement ausländischer Banken beschränkt sich aufgrund der nach wie vor nicht vollzogenen Öffnung des chinesischen Finanzmarktes auf knapp 2% der gesamten Aktiva, verteilt auf etwa 200 ausländische Institute.
Faktisch sind es also die vier staatlichen Großbanken, deren Aktivität für den chinesischen Bankensektor entscheidend ist. Ihr Management wird durchgängig von Staat und Partei bestimmt. Die inneren Strukturen dieser Banken sind streng hierarchisch und bürokratisch geprägt. Aufgrund politischer Vorgaben spielt etwa eine marktgerechte Beurteilung bei der Kreditvergabe eine untergeordnete Rolle.
Die Kleinen haben das Nachsehen: Fehlallokationen und Kreditrisiken als Wachstumsbremse für KMUs
Nach wie vor führt diese Struktur, trotz einer formalen gesetzlichen „operativen Unabhängigkeit“, die seit 1995 in Kraft ist, in der Praxis zu einer staatlich gelenkten Kreditvergabe sowie zu Kreditentscheidungen aufgrund bestehender Verbindungen und Netzwerke. Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass ein Großteil der Kreditvergabe auf Staatsbetriebe (SOE) sowie große, meist von der Regierung gestützte Privatunternehmen entfällt.
Ursprünglich wurde durch den hohen politischen Einfluss das Ziel verfolgt, die Spargelder der Bevölkerung einzusammeln und nach politischen Vorgaben und Vorstellungen zu allozieren. Gerade wirtschaftlich marode Staatsbetriebe sollten durch die gelenkte Kreditvergabe gestützt werden.
Zwar wurde mittlerweile das System unmittelbarer politischer Anweisungen und Regulierungen offiziell durch ein indirektes Lenkungssystem mit vorgeschriebenen Richtlinien und einer funktionierenden Bankenaufsicht ersetzt. Die Rolle einer Bankenaufsicht und Regulierung nimmt seit 2003 die China Banking Regulatory Commission gemeinsam mit der People’s Bank of China wahr. Trotzdem ist die Kreditvergabe immer noch maßgeblich von politischer Seite gesteuert, nicht zuletzt um das Risiko einer Offenlegung bislang versteckter Arbeitslosigkeit in sanierungsunfähigen Staatsbetrieben zu vermeiden.
Im Ergebnis führt diese Praxis jedoch zu einer Unterversorgung insbesondere kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU), die ihren Finanzbedarf daher aus nicht ausgeschütteten Gewinnen und informellen Krediten decken müssen.
Non Performing Loans – Minen im chinesischen Kreditwesen
Auch ohne Rückzahlungserwartungen (non performing) mussten die Banken statt einer effizienteren Versorgung von KMU Kredite an Staatsunternehmen und kommunale Infrastrukturprojekte vergeben. Dieses „guided lending“ wirkte zunächst System stabilisierend, da die Banken als sogenannte „semi fiscal agencies“ durch die Stützung eigentlich maroder Unternehmen und Projekte spontane Arbeitslosigkeit und soziale Spannungen vermieden haben.
Als Ergebnis dieser Politik haben sich im chinesischen Bankenwesen allerdings mittlerweile enorme Kredite ohne Rückzahlungserwartungen, sogenannte Non Performing Loans (NPL), angesammelt. Der Großteil dieser NPL sammelte sich bei den Staatsbanken an, die zur Kreditvergabe gezwungen waren und deren Kredite häufig als „verlorene Zuschüsse“ anzusehen sind. Neben den politisch motivierten ungesicherten Krediten an Staatsbetriebe und kommunale Infrastrukturprojekte stellt die Kreditvergabe an den chinesischen Immobiliensektor eine weitere Quelle von NPL dar. Der chinesische Immobilienmarkt gilt seit längerem als Risikofaktor der chinesischen Wirtschaft. Zuletzt waren vermehrt Warnungen laut geworden, eine Immobilienblase aufgrund fehlgeleiteter und nicht besicherter Hypothekarkredite stehe kurz vor dem Platzen. Die Zentralregierung reagierte darauf Anfang 2013 und hat erste Schritte eingeleitet, die Überhitzung des Marktes zu stoppen.
Trotzdem hat der Gesamtumfang der NPL in den vergangenen Jahren weiter zugenommen und eine Trendwende ist gegenwärtig nicht erkennbar. Die Liquiditätsengpässe im Sommer 2013 sind insbesondere auf den Umfang der NPL zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund wird der Charakter der Maßnahme der chinesischen Zentralbank, die die kurzzeitige Bankenkrise ausgelöst hatte, als Disziplinierung der chinesischen Banken und deren Kreditvergabe deutlich. Die chinesische Regierung hat klar erkannt, dass das gegenwärtige Kreditsystem und die NPL massive Risiken bergen, weshalb sich die Kreditvergabepraxis der Banken weg von politischen Opportunitäten hin zu marktorientierten Analyse und Risikobetrachtung entwickeln muss.
Neben den NPL in den Bilanzen der Banken spielt sich jedoch ein großer Teil des chinesischen Kreditwachstums außerhalb der Bankbilanzen ab und wird durch einen wachsenden und kaum regulierten Schattenbankensektor – oft in Auftrag und Zusammenarbeit mit dem regulären Bankenwesen – betrieben, dessen Wachstum unter anderem auf die strikte Zinsregulierung zurückzuführen ist.
Jenseits des Marktes: Zinsregulierung als Ursache für Schattenbanken und alternative Finanzmarktprodukte
Neben den geschilderten institutionellen Problemen führt insbesondere die Regulierung der Zinsen zu Fehlallokation von Kapital und hat mittlerweile einen großen Schattenbankensektor entstehen lassen. Sowohl für Kredit- wie auch für Einlagenzinsen werden Referenzwerte der Zentralbank ausgegebenen , die von den Geschäftsbanken bei den Kreditzinsen in den letzten Jahren um maximal 30% unterschritten werden durften. Dieses Zinsband wurde kontinuierlich weiter ausgeweitet; der bisher radikalste Schritt folgte im Sommer 2013, als die Untergrenze für Kreditzinsen gänzlich aufgehoben wurde. Ziel dieser Maßnahme war sowohl eine Stärkung des Wettbewerbs unter den Banken als auch ein Zurückdrängen der Macht der vier Großbanken. Man versprach sich davon u.a. einen leichteren Zugang des Mittelstands zu Krediten. Es bleibt allerdings fraglich, ob die Banken von der Abweichungsmöglichkeit überhaupt Gebrauch machen werden. Denn bislang wurden die Möglichkeiten der Zinssetzung insbesondere von den Großbanken kaum genutzt. Auch internationale Konkurrenz konnte einen Zinswettbewerb nicht auslösen – wegen der bislang nicht vollzogenen Öffnung der chinesischen Finanzmärkte für ausländische Banken.
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