Die zunehmende Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien hat nach einer Studie des Hightech-Verbands BITKOM entscheidende Auswirkungen auf Wohlstand und Wachstum, nicht zuletzt durch Beschäftigungszuwachs. Dabei ermittelt die Studie knapp 1,5 Millionen Arbeitsplätze, die infolge der Digitalisierung 2012 in Deutschland geschaffen wurden. Digitale und physische Grenzen verschwimmen, die Grenzen zwischen Kunden und Belegschaft lösen sich infolge dieses Prozesses auf – das macht die Unternehmensberatung Accenture in einer weiteren Studie als zentralen Trend aus. Dabei verändern sich Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle. So verschmelzen im sogenannten Internet der Dinge reale und virtuelle Welt immer mehr miteinander. Das bringt Entlastungen durch intelligente Umgebungen und interagierende Objekte ebenso mit sich wie Geschäftspotenziale, vor allem in den Bereichen Automatisierung, Logistik, Automobil, Gesundheit, alternde Gesellschaft, Umwelt, Energie, Geschäftsprozesse und Sicherheitstechnik. Auch im betrieblichen Kontext ergeben sich neue Möglichkeiten insbesondere zur Optimierung inner- und zwischenbetrieblicher Abläufe, so beispielsweise durch Werkstücke mit RFID-Chips („Radio-frequency identification“, Sender-Empfänger-System zur automatischen und berührungslosen Identifikation und Lokalisierung von Objekten), die Informationen über das zu fertigende Produkt enthalten, oder Transportgut, das selbst Daten übermittelt, um Logistikabläufe zu steuern und zu optimieren.
Beispiele hierfür sind Produkte, die mit einem „Gedächtnis“ ausgestattet werden, das mit der Umgebung kommuniziert. Der komplette Geschäftsprozess wird durch wissensbasierte Systeme unterstützt, mit deren Hilfe Mitarbeiter jederzeit und von jedem Ort aus auf Daten und Informationen zugreifen können und so neues, kontextbezogenes Wissen erzeugen. „Cloud-Computing“ ermöglicht beispielsweise eine neue Form des Outsourcings und erzielt Kostenvorteile bei gleichzeitiger Steigerung des Leistungsumfangs. Web-2.0-Anwendungen machen es möglich, in direkten Kontakt mit den Zielgruppen zu treten und die interne Kommunikation und Zusammenarbeit zu verbessern. Immer häufiger arbeiten Expertenteams aus aller Welt gemeinsam an Projekten, denn durch die Vernetzung von Spezialisten lassen sich die vielfältigen Kenntnisse, Erfahrungen und Kompetenzen optimal miteinander kombinieren. Hinzu kommt, dass in einem funktionierenden Netzwerk Anzeichen für Veränderungen des relevanten Umfelds vergleichsweise schnell erkannt werden, sodass eine beschleunigte und flexiblere Reaktion auf Marktveränderungen erfolgen kann. Noch haben allerdings – auch dies ist ein Ergebnis der Accenture-Studie – die großen Konzerne in Deutschland zwar durchaus die Bedeutung der Digitalisierung für ihre künftige Wettbewerbsfähigkeit erkannt, jedoch entsprechende Strategien nicht umfassend umgesetzt.
Neue Freiheiten bei der Arbeitsgestaltung
In einer repräsentativen Umfrage des ibi research Instituts an der Universität Regensburg im Auftrag der „Internet World – Die E-Commerce-Messe“ gaben im vergangenen Jahr die meisten Befragten an, die Digitalisierung habe sehr starke Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Tatsächlich bewirken die digitalen Möglichkeiten, dass Arbeit zunehmend virtuell und flexibel gestaltet werden kann, während in der Vergangenheit die Notwendigkeit bestand, sich gemeinsam mit Kollegen und Vorgesetzten mehr oder weniger täglich zur gleichen Zeit am gleichen Ort einzufinden. Das eröffnet neue Wege, berufliche und private Belange miteinander in Einklang zu bringen – einerseits durch die Option, Ort und Zeit der Aufgabenerledigung weitgehend individuell zu gestalten, andererseits durch deutlich eingeschränkte Commuting-Zeiten zu Meetings oder Teamsitzungen, die vielfach auch in Form von Online-Konferenzen erfolgen können. Gerade für die jüngere Generation ist es hoch attraktiv und stellt nahezu eine Selbstverständlichkeit dar, neue Freiheitsgrade in der Wahl von Arbeitsort und Arbeitszeit zu genießen. Ebenfalls in einer BITKOM-Umfrage gaben bereits 2010 lediglich dreißig Prozent der Beschäftigten an, am liebsten jeden Tag ins Büro gehen zu wollen. Zudem eröffnen sich neue Beschäftigungsoptionen für projektbezogene Arbeitsverhältnisse, die im virtuellen Raum auch über Landesgrenzen hinweg für Fachkräfte zur Verfügung stehen.
Die modernen Technologien sind Teil gesellschaftlicher Inklusionsprozesse geworden, das heißt: In Bereichen, in denen sie immer stärker zur Selbstverständlichkeit werden, kann sich der Einzelne ihrer Nutzung kaum noch verweigern, wenn er nicht „außen vor“ bleiben möchte. Die Generation der sogenannten „Digital Natives“, ein Begriff, der von dem US-amerikanischen Pädagogen und Berater Marc Prensky geprägt wurde, trägt ihre Technologieaffinität auch in das Arbeitsleben hinein. Gerade das immanente Bedürfnis nach Austausch von Wissen, Ideen und Fähigkeiten birgt ein immenses Potenzial.
Ältere Beschäftigte überfordert?
Bei allen Chancen, die mit der Digitalisierung einhergehen, sind allerdings auch Hemmnisse und Befürchtungen nicht zu übersehen. So bedingt der Umgang mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien eine entsprechende Medien-, Verbalisierungs- und Visualisierungskompetenz sowie eine neue Form der (vermehrt indirekten und beschleunigten) Kommunikation, die gelegentlich ältere Beschäftigte zu überfordern droht. Zudem tragen die technologischen Trends zwar im beruflichen wie auch im privaten Kontext zu enormer Zeitersparnis bei, führen jedoch zu einer Beschleunigung des Lebens und Arbeitens. Hinzu kommt die Tendenz zur „Verdichtung“: Da in vielen Bereichen keine Zeitersparnis mehr zu erzielen ist – der technische Fortschritt stößt über kurz oder lang an seine Grenzen –, versuchen Menschen, verschiedene Aktionen gleichzeitig auszuführen. Auch die Teilnehmer der bereits genannten ibi research-Studie beklagen insbesondere permanenten Zeitdruck sowie die Erwartungshaltung ständiger Erreichbarkeit; 69 Prozent der Befragten sprechen von konkreten Nachteilen, die sich aus ihrer Sicht durch die Digitalisierung ergeben.
Nicht selten äußern sich dauerhafter Stress und Überlastung früher oder später in psychischen ebenso wie in physischen Krankheitssymptomen. Überlastungserscheinungen treten dabei besonders häufig am Arbeitsplatz auf. Doch auch das Gefühl, in der Freizeit möglichst viel und ständig etwas Neues erleben zu müssen, sowie der Drang, dank mobiler Endgeräte stets vernetzt und informiert zu sein, bringt Menschen zunehmend an ihre Grenzen. Immer häufiger entsteht daraus beim Einzelnen das gegenläufige Bedürfnis nach „Entschleunigung“. Infolgedessen verweigern sich auch zunehmend jüngere Menschen der fortwährenden Beschleunigung ihres Lebens. Sie kehren ihrem Beruf und Lebensumfeld den Rücken und schalten „einen Gang zurück“, da sie mit dem Tempo, das ihnen abverlangt wird, nicht zurechtkommen. Andere verspüren nach Jahren „auf der Überholspur“ keine Motivation mehr, in der gleichen Weise ihr Leben fortzusetzen.
Zeitsouveränität der Mitarbeiter
Es zeigt sich, dass gerade in der Arbeitswelt ein sorgsamer Umgang mit den Potenzialen der Digitalisierung vonnöten ist. So ist die erhöhte Flexibilität und Autonomie nur dann sinnvoll, wenn sie mit einer entsprechenden Unternehmens- und Führungskultur verbunden wird, die die dazugehörigen Freiheitsgrade einräumt und den Fokus weg von der Kontroll- und Anwesenheitsorientierung hin zu einer Ergebnisorientierung verlagert. Alle Beschäftigtengruppen müssen dabei jedoch ihren individuellen Voraussetzungen entsprechend auf dem Weg in die digitale Welt begleitet werden. Dazu bedarf es auch einer angemessenen Zeitpolitik, die im Sinne variabler Arbeitsmodelle nicht nur die Unternehmensflexibilität, sondern auch die Mitarbeiterflexibilität in den Blick nimmt. Eine derartige Zeitpolitik fördert Zeitsouveränität und Zeitsynchronisation, setzt aber wiederum eine Unternehmenskultur voraus, die Work-Life-Balance befürwortet und auf der Einhaltung der entsprechenden Rahmenbedingungen besteht. Hier lassen sich in jüngster Zeit vielfältige Vorstöße gerade großer Konzerne verfolgen, mit der Erreichbarkeit außerhalb üblicher Bürozeiten vorsichtiger umzugehen. Nicht zuletzt bedarf es der Zeitkompetenz seitens der Mitarbeiter: Denn was nutzen flexible Arbeitsmodelle, wenn die Beschäftigten nicht mit ihren Zeitpotenzialen umgehen können? Die Eigenverantwortung des Einzelnen ist entscheidend; er sollte durchaus aktiv – auch ohne direktes Zutun des Arbeitgebers – an seiner Work-Life-Balance arbeiten und diese gegebenenfalls auch einfordern.
Silke Eilers, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Beschäftigung und Employability (IBE), Ludwigshafen.
Jutta Rump, Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE), Ludwigshafen.
Literatur
Accenture (Hrsg.): Accenture Technology Vision 2014: Sechs Trends der Digitalisierung führen Konzerne zum Markterfolg, www.accenture.com/at-de/company/newsroom-austria/Pages/six-trends-digitization-market-success.aspx [nicht mehr verfügbar, Stand 2024].
Aigner, T.: Digitalisierung zerrt an den Nerven, http://science.orf.at/stories/1729093/ [nicht mehr verfügbar, Stand 2024].
BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.): Industrieland Deutschland stärken. Aus der Krise in die Wachstumsoffensive, Berlin 2009.
BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.) / Z_punkt GmbH (Hrsg.): Deutschland 2030 – Zukunftsperspektiven der Wertschöpfung, Berlin 2011.
BITKOM: Digitalisierung schafft rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze, www.bitkom.org/78582_78573.aspx [nicht mehr verfügbar, Stand 2024].
BMBF: ITK für Logistik und Dienstleistungen, www.bmbf.de/de/9099.php [nicht mehr verfügbar, Stand 2024].
Brandl, K.-H.: Megatrend Digitalisierung, www.gegenblende.de/++co++bd55c376-3caa-11e3-ad0e-52540066f352 [nicht mehr verfügbar, Stand 2024].
Dapp, T.: Die digitale Gesellschaft – neue Wege zu mehr Transparenz, Beteiligung und Innovation, Deutsche Bank AG, DB Research (Hrsg.), Aktuelle Themen 517 – Trendforschung, Frankfurt, a. M. 2011.
Fischer, D./Gramke, K./Schlesinger, M./Schüssler, R./Windhövel, K./Wolff, H.: Arbeitslandschaft 2030 – steuert Deutschland auf einen generellen Personalmangel zu? Eine Studie der Prognos AG, München 2008.
Gneuss, M.: Neue Technologien wirbeln Märkte durcheinander. Grad der Digitalisierung entscheidet über Wettbewerbsfähigkeit, in: Die Welt, 19.03.2014, www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article125944191/Neue-Technologien-wirbeln-Maerkte-durcheinander.html [nicht mehr verfügbar, Stand 2024]..
Hofmann, J./Rollwagen, I./Schneider, S., in: Deutsche Bank AG, DB Research (Hrsg.), Deutschland im Jahr 2020 – neue Herausforderungen für ein Land auf Expedition, Frankfurt a. M. 2007.
ibi resarch: Digitalisierung der Gesellschaft. Aktuelle Einschätzungen und Trends, Regensburg 2013.
Institut für Demoskopie Allensbach: Die Zukunft der digitalen Gesellschaft. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, Allensbach 2014.
Prensky, M.: Digital Natives. Digital Immigrants, in: On the Horizon (MCB University Press, Vol. 9, No. 5, Oktober 2001).
Rump, J./Eilers, S.: „Weitere Megatrends“, in: Rump, J./Walter, N. (Hrsg.): Arbeitswelt 2030. Trends, Prognosen, Gestaltungsmöglichkeiten, Stuttgart 2013, S. 13–29.
Scheer, A.-W.: „Dem Enterprise 2.0 gehört die Zukunft“, in: Buhse, W./Schabel, F. (Hrsg.): Hays-Forum Studie: Vernetzt und transparent – die Unternehmenswelt von morgen?!, Mannheim 2009, S. 16–18.
Swat, G.: Ein Platz an der Sonne, www.theeuropean.de/politik/die-digitalisierung-der-arbeitswelt (Stand: 20.03.2014).