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Anschauliche Schilderungen zur Energiekrise, aber fragwürdige klimapolitische Aussagen

Fritz Vahrenholt: Die große Energiekrise und wie wir sie bewältigen können, Langen Müller Verlag, München 2023, 208 Seiten, 22,00 Euro.

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Weltweit massiv gestiegene Energiepreise, Deutschlands einseitige Importabhängigkeit, die Sorge vor den Folgen des voranschreitenden Klimawandels und immer wieder Koalitionskrach um Atomkraft, E-Fuels und Wärmepumpen – wohl kaum ein Politikfeld steht seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine derart im Fokus und polarisiert wie die Frage nach der künftigen Energieversorgung. Diesem Themenkomplex widmet sich das im Februar 2023 erschienene Buch Die große Energiekrise und wie wir sie bewältigen können. Darin legt Fritz Vahrenholt seine Sicht dar. Dass diese nicht dem energie- und vor allem klimapolitischen Mainstream entspricht, verwundert nicht weiter, war der ehemalige Hamburger Umweltsenator und derzeitige Aufsichtsratsvorsitzende des Kupferproduzenten Aurubis AG bereits in der Vergangenheit doch immer wieder als Kritiker des bisherigen Pfads der Energiewende und durch öffentlichkeitswirksames Anzweifeln klimawissenschaftlicher Erkenntnisse aufgefallen. Hierin liegt auch die Problematik bei der Auseinandersetzung mit Vahrenholts jüngstem Buch, in dem eingangs zwar die Zunahme anthropogener CO2-Emissionen im Zuge der Industrialisierung und die Notwendigkeit, dem entgegenzuwirken, anerkannt werden, doch zugleich von „Unsicherheit über die möglichen Auswirkungen des CO2 auf unser Klima“ die Rede ist (S. 14).

Seine Thesen von einem Rückgang der Wolkenbedeckung, einer veränderten Sonneneinstrahlung und natürlichen Schwankungen des Klimas stehen im Widerspruch zu den Berichten des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) und einer überwältigenden Mehrheit der wissenschaftlichen Studien. So schließen sich – je nach Erhebung – zwischen 97,0 und 99,9 Prozent aller befragten Klimawissenschaftler dem Konsens an, dem zufolge menschliche Aktivitäten die Hauptursache der globalen Erwärmung darstellen.

 

Dilemmata deutscher Energiepolitik

 

Bei aller teilweise berechtigten Kritik an überzogenem und potenziell kontraproduktivem Klima-Alarmismus: Der Autor begibt sich mit seinen nicht belegbaren überoptimistischen Annahmen und Hoffnungen auf einen langsameren globalen Temperaturanstieg beziehungsweise zu erwartende natürliche Pausen der Erderwärmung auf extrem dünnes Eis. Für seine Argumentationslinie ist dies jedoch essenziell, um die Grundlage für seine, im weiteren Verlauf skizzierten energiepolitischen Vorschläge zu legen: So solle sich die Politik nicht von Schreckensszenarien leiten lassen, wie sie etwa in den IPCC-Berichten dargestellt würden; generell habe man deutlich mehr Zeit als weithin angenommen, um emissionsarme Technologien zu entwickeln und den Umstieg auf eine CO2-freie Energieversorgung zu vollziehen. Die Kapitelüberschriften „Ohne Fracking hat Erdgas keine Zukunft“, „Den Krieg gegen die Kohle beenden“ und „Atomkraft – ja bitte“ geben hinlänglich Aufschluss darüber, wo der Autor die entscheidenden Möglichkeiten für einen Ausweg aus der Energiekrise sieht.

Am Beispiel Erdgas, das als Brückentechnologie für eine erfolgreiche Energiewende zentral ist, verdeutlicht Vahrenholt durchaus schlüssig die Dilemmata deutscher Energiepolitik und die Schwierigkeiten, große Mengen russischen Gases temporär durch Flüssiggasimporte zu ersetzen. In der Tat waren Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz in jüngerer Vergangenheit bei ihren zahlreichen Auslandsreisen zu potenziellen Exporteuren von Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, LNG) wie Norwegen, Kanada oder Katar immer wieder auf Unverständnis gestoßen. Es ist schwer zu vermitteln, dass sich Deutschland möglichst schnell und preiswert signifikante zusätzliche Volumina sichern möchte, aufgrund der eigenen Klimaziele jedoch nicht bereit ist, langfristige – und für Investitionen zur Erschließung neuer Gasfelder zwingend notwendige – Lieferverträge abzuschließen. So lobt der Autor die Reaktionsschnelligkeit der Politik und das im Mai 2022 verabschiedete LNG-Beschleunigungsgesetz, kritisiert jedoch nicht zu Unrecht, dass man zur Versorgung der neu errichteten Terminals nun ärmeren Nationen wie Pakistan oder Bangladesch das Gas auf den Weltmärkten wegkaufe, da diese „den extrem hohen Preis, den die Bundesregierung zu zahlen bereit war, nicht zahlen konnten“ (S. 78).

Es folgt ein entschiedenes Plädoyer für den Einsatz der insbesondere in den USA verbreiteten Fracking-Fördertechnik zur Gewinnung von Schiefergas aus unkonventionellen Lagerstätten auch in Deutschland. Diese heimischen Energiepotenziale würden auch auf mittlere und lange Sicht benötigt, seien preiswerter als etwa aus den USA importiertes LNG und könnten vergleichsweise schnell gehoben werden, wenn die Politik dies ermöglichen würde. Auf einige Gegenargumente wie die Gefahr von Methanemissionen und die Gefährdung des Trinkwassers wird zwar kurz eingegangen, doch an einer ernsthaften und faktenbasierten Abwägung scheint Vahrenholt nur bedingt Interesse zu haben. Die dichte Besiedelung Deutschlands im Vergleich zu den USA oder zu Argentinien sowie die in hiesigen Breitengraden nicht unübliche „Not-in-my-backyard“-Blockadehaltung der Bevölkerung gegenüber Großprojekten, die die Skepsis der Politik gegenüber Fracking in Teilen erklären, werden ebenfalls geflissentlich ignoriert.

 

Mit Vorsicht zu genießen

 

Vahrenholt tritt keinesfalls prinzipiell gegen erneuerbare Energien ein, hält Windkraft und Solarenergie jedoch aufgrund ihrer Volatilität für ungeeignet, um ausreichend und stabil Energie für ein Industrieland zu erzeugen und fordert folglich grundlastfähige Back-up-Kapazitäten ein. Dieses Urteil ist angesichts beschlossener Ausstiege aus Kohle und Atomkraft und in der aktuellen Lage äußerst ungewisser Investitionen in dringend benötigte flexible Gaskraftwerke zweifelsohne valide. Die vorgeschlagenen Lösungen – der Weiterbetrieb „grüner“ Kohlekraftwerke durch Abscheidung und Speicherung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS) sowie eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke – sind analytisch zu differenzieren: Die verbleibenden Kernkraftwerke stellen tatsächlich eine verlässliche und CO2-freie Energiequelle dar, die auch nach dem 15. April 2023 einen Beitrag zur (preiswerten) Stromversorgung Deutschlands und Europas leisten könnte. Hingegen sind sich Experten weitgehend darüber einig, dass CCS beispielsweise bei blauem (das heißt aus Erdgas gewonnenem) Wasserstoff zum Einsatz kommen könnte, eine „Säuberung“ der Kohle durch diese Technologie allerdings technisch aufwendig, mit extremen Kosten verbunden und somit wenig zukunftsträchtig wäre.

Die abschließende Bewertung des Buches fällt ambivalent aus: Einerseits werden komplexe Zusammenhänge anschaulich geschildert, und der Leser wird auf eine kurzweilige Reise quer durch die aktuelle energiepolitische Diskussionslandschaft mitgenommen; andererseits drängt sich auch jenseits der äußerst fragwürdigen klimapolitischen Aussagen der Eindruck auf, dass Vahrenholt grundsätzlich sehr selektiv vorgeht und oftmals ausschließlich darstellt, was seine alternativen Thesen zur Bewältigung der Energiekrise stützt. Fazit zum Buch: erfrischend anders, aber mit Vorsicht zu genießen!

 

Kevin Oswald, geboren 1991 in Stuttgart, Referent Energie und Ressourcen, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.

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