Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte stellten ab dem ersten Lockdown im März 2020 schmerzhaft fest, dass Deutschlands Schulen kaum digitalisiert waren. Schulen konnten weder auf Computer und Internetanschlüsse noch auf digitale Unterrichtsmaterialien zurückgreifen. Vielen Lehrkräften fehlten die Kompetenzen, um auf hochwertigen Distanzunterricht umzustellen. Die Öffentlichkeit hatte den Digitalisierungsgrad der Schulen überschätzt oder der Digitalisierung von Bildung kaum Beachtung geschenkt. In der Fach-Community und der Politik ist Deutschlands Rückstand im Bereich der Digitalisierung schon länger bekannt. Seit Jahren landet Deutschland in internationalen Vergleichen zur Digitalisierung des Bildungssystems wie der International Computer and Information Literacy Study (ICILS-Studie) 20131 und der PISA-Studie 20152 bestenfalls im Mittelfeld. Auch die 2020 veröffentlichte PISA-Sonderauswertung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auf Datenbasis von 2018 bestätigt dies.3 In Schulen in Luxemburg, den USA und Großbritannien ist die Computer-Ausstattung fast doppelt so hoch wie an deutschen Schulen. Auch in den Bereichen Internetgeschwindigkeit, Lernsoftware, Zugang zu Lernplattformen und technische Unterstützung von Lehrkräften liegen Deutschlands Werte unterhalb des OECD-Durchschnitts. Bei der digitalen Weiterbildung von Lehrkräften belegte Deutschland im Ranking von insgesamt 78 Positionen nur den drittletzten Platz.
Die unzureichende Ausstattung spiegelt sich auch in der ICILS-Studie wider, die 2018 zum zweiten Mal die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern der 8. Klassen untersuchte: Deutschland erreichte einen Platz im Mittelfeld; allerdings besitzt ein Drittel der Achtklässler lediglich Grundkenntnisse, und nur zwei Prozent der deutschen Schüler erreichten die Leistungsspitze.4
Im Jahr 2019 wurde der Digitalpakt verabschiedet, und es sind inzwischen rund drei Jahre vergangen, in denen das Thema der Digitalisierung von Bildung an Bedeutung gewonnen hat. Ist es Deutschland gelungen, international aufzuholen?
Tatsächlich hat das verordnete Homeschooling in einem über Jahrzehnte als veränderungsresistent geltenden Bereich Entwicklungen ermöglicht. „Mit bemerkenswerter Dynamik haben Lehrkräfte und Schulen pragmatische Lösungen zum Einsatz digitaler Medien, Techniken sowie digitaler Lehr- und Lernkonzepte entwickelt und umgesetzt“, so eine Studie der Universität Göttingen aus dem Juli 2021.5 Doch zeigt die Untersuchung auch, dass es insbesondere an denjenigen Schulen gut lief, die bereits zuvor zu den Vorreitern der Digitalisierung zählten. Die Nachzügler fielen weiter zurück.6 In einer Studie der Lernplattform Preply, die 2021 zum zweiten Mal nach 2020 die Voraussetzungen für digitale Bildung in 32 OECD-Ländern untersuchte, fiel Deutschland insgesamt, trotz verschiedener Anstrengungen, von Platz 13 auf Platz 18 zurück. Auf dem ersten Platz landete Dänemark, Großbritannien schob sich von Rang 16 auf den vierten Platz, Frankreich von Rang 14 auf Platz 5, Polen von Platz 19 auf die siebte Position.7 Das schlechte Abschneiden Deutschlands ist nach dieser Studie weniger das Ergebnis eines Totalausfalls als vielmehr die Summe mittelmäßiger Ergebnisse. Andere Länder hätten schneller, effektiver und weniger bürokratisch auf die Anforderungen der Digitalisierung reagiert.8
Laut einer Umfrage des Deutschen Philologenverbandes von 2021 besaßen 43 Prozent der Lehrkräfte kein von der Schule bereitgestelltes digitales Endgerät. Nur 23 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer profitieren von einem professionellen Administrator. Auch fühle sich das Lehrpersonal weiterhin im rechtsfreien Raum alleingelassen.9 Das (durchaus vermehrte) Angebot an Fortbildungen ist weiterhin freiwillig, soll in der Freizeit wahrgenommen werden und wird vor allem von Lehrkräften in Anspruch genommen, die sich ohnehin mit digitalen Lehrmöglichkeiten beschäftigten. In einer aktuellen Umfrage des Umfrageinstituts Civey sehen lediglich fünfzehn Prozent der Befragten Schulen und Lehrer gut aufgestellt für die digitale Bildung im Homeschooling.10
Um den digitalen Zustand des deutschen Bildungswesens zu verstehen, ist es hilfreich, den Blick auf andere gesellschaftliche Bereiche zu richten. Weder in der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitssystem noch in anderen Feldern scheint Deutschland bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit zu den Spitzenreitern zu gehören. Laut Digital Riser Report 2021,11 der die Entwicklung der digitalen Wettbewerbsfähigkeit in den letzten drei Jahren analysiert, landet Deutschland im technologischen Wettrennen auf dem vorletzten Platz der G7. Unter den G20 gehört Deutschland zusammen mit Japan und Indien zu den Ländern, die am stärksten zurückgefallen sind. Frankreich und Italien sind dagegen ins Spitzenfeld aufgestiegen. Auf globaler Ebene konnte China am stärksten vorrücken. Die führenden digitalen Aufsteiger zeichnen sich laut Studie durch umfassende Pläne mit ambitionierten Zielen aus. In Deutschland gebe es vielversprechende Initiativen; deren Umsetzung geschehe aber zu langsam.12
Devise Digitalisierung „second“
Positive Vorbilder im Bildungsbereich gibt es durchaus: In Dänemark setzt man seit Jahrzehnten auf den Einsatz digitaler Medien im Klassenzimmer. Dort startete das erste Digital-Investitionsprogramm, bei dem viele Schülerinnen und Schüler sowie das Lehrpersonal mit Laptops ausgestattet wurden, bereits im Jahr 2001. Digitale Medien wurden, auch mithilfe von pädagogischen IT-Beauftragten, integriert, ohne jedoch Tafeln, Bücher und Stifte abzuschaffen. In den USA und Großbritannien gab es bereits Ende der 1990er-Jahre umfassende staatliche Investitionsprogramme für digitale Technik an Schulen. Zu dieser Zeit war Deutschland mit der Verarbeitung des PISA-Schocks beschäftigt. Die Ergebnisse der PISA-Studie hatten gezeigt, dass Deutschland in der Bildung nicht zur Weltspitze gehörte. Vor diesem Hintergrund wurde nun nach der Devise Lesen, Schreiben, Rechnen first, Digitalisierung second vorgegangen. Hinzu kam teilweise eine grundsätzliche Skepsis seitens der Lehrer- und Elternschaft, aber auch der Kultusministerien, Technologien in die Bildung zu integrieren. Tatsächlich hat sich auch die Bildungshoheit der Länder, das föderalistische Nebeneinander verschiedener Ansätze und Systeme, zum Beispiel im Bereich Lernplattformen oder bei der Auslegung des Datenschutzes, bisher eher nicht als Beschleuniger für Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung erwiesen.
Doch die Voraussetzungen für Digitalisierung stehen in Deutschland besser, als es die bisher erwähnten Studien vermuten lassen. Zum einen gibt es bereits jetzt auch in Deutschland digitale Leuchtturmschulen, die sich oftmals durch eine enge Kooperation mit kommunalen Schulträgern, Universitäten und/ oder Bildungsunternehmen auszeichnen; so zum Beispiel die IGS Lengede, die mit dem Deutschen Schulpreis 20|21 Spezial prämiert wurde und deren Erfolg auf einer engen Kooperation von Schulleitung, Schulträgern und Schulverwaltung basiert,13 oder auch die Universitätsschule Dresden, ein gemeinsames Projekt der Stadt Dresden und der Technischen Universität Dresden, an der unter wissenschaftlicher Begleitung innovative Formen des Lehrens und Lernens erprobt werden. Zudem zeigen, wie bereits erwähnt, verschiedene europäische Staaten als Best-Practice-Beispiele, dass die digitale Wettbewerbsfähigkeit innerhalb kurzer Zeit verbessert werden kann, wenn ambitionierte Ziele gesteckt und geeignete Maßnahmen ergriffen werden. Das deutsche Bildungssystem wird sich von den internationalen Entwicklungen nicht abkoppeln können. Und der Anpassungsdruck könnte steigen: Weltweit werden sich die Ausgaben für Bildungstechnologien laut The Economist von 2019 bis 2025 verdoppeln.14
Zum anderen stehen die Voraussetzungen gut für eine intensivere Kooperation von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft: Das Thema Bildung hat eine ungewohnte Aufmerksamkeit in den Medien und der Öffentlichkeit erhalten, der Erwartungsdruck an politisches Handeln ist entsprechend gewachsen. In der Politik gibt es auf Bundes-, Landesund Kommunalebene einen breiten politischen Konsens, das Thema der Digitalisierung voranzutreiben. Die Kultusministerkonferenz wird durch die Mitglieder ihrer exzellent besetzten Ständigen Wissenschaftlichen Kommission beraten, die eine bundesweite, forschungsbasierte Strategie des digitalen Wandels anmahnt. Mit dem Digitalpakt stehen insgesamt 6,5 Milliarden Euro zur Verfügung, dessen weniger bürokratische, jedoch finanziell gut ausgestattete Fortsetzung im Gespräch ist.
Lernen bleibt Beziehungsarbeit
Die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre zeigen allerdings auch, dass digitale Ausstattung nicht von allein zu besserer Bildungsqualität führt. Es sind die Lehrpersonen, die diese Ausstattung didaktisch sinnvoll in den Unterricht integrieren müssen – ob in Präsenz oder auf Distanz. Ihr Feedback an die Schülerinnen und Schüler ist und bleibt einer der wichtigsten Faktoren, die das Lernen fördern; Lernen ist und bleibt auch im digitalen Zeitalter Beziehungsarbeit. Die Digitalisierung erlaubt es den Lehrpersonen im Idealfall, Bildung stärker auf die kognitive Aktivierung der einzelnen Lernenden ausrichten zu können. Unter welchen Rahmenbedingungen dies am besten zu erreichen ist, muss Forschungsfeld der Wissenschaft und Handlungsrichtlinie der Politik sein. Fest steht, dass die Lehrkräfte für einen qualitativ hochwertigen und zeitgemäßen Unterricht fachliche, didaktische und digitale Kompetenzen benötigen. Deren Vermittlung an Universitäten und in kontinuierlichen und qualitativ anspruchsvollen Fortbildungen, die Teil des alltäglichen Schulablaufs sind, ist die zentrale Voraussetzung für die umfassende Transformation der Schulen.
Felise Maennig-Fortmann, geboren 1977 in Lima (Peru), Referentin Bildungspolitik, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.
1 Wilfried Bos et al. (Hrsg.): ICILS 2013. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich, Münster/ New York 2014, www.pedocs.de/volltexte/2015/11459/pdf/ICILS_2013_Berichtsband.pdf [letzter Zugriff: 28.01.2022].
2 OECD: PISA 2015. Ergebnisse im Fokus, Berlin 2016, www.oecd.org/berlin/themen/pisa-studie/PISA_2015_Zusammenfassung.pdf [letzter Zugriff: 28.01.2022].
3 Miyako Ikeda: Were schools equipped to teach – and were students ready to learn – remotely?, PISA in Focus, Nr. 108, OECD Publishing 2020, https://doi.org/10.1787/4bcd7938-en [letzter Zugriff: 28.01.2022].
4 Birgit Eickelmann / Wilfried Bos / Amelie Labusch: Die Studie ICILs 2018 im Überblick. Zentrale Ergebnisse und mögliche Entwicklungsperspektiven, Münster/New York 2019, www.pedocs.de/volltexte/2020/18319/pdf/Eickelmann_Bos_Labusch_Die_Studie_ICILS_2018_im_Ueberblick.pdf [letzter Zugriff: 28.01.2022].
5 Frank Mußmann et al.: Digitalisierung im Schulsystem 2021, Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Georg-August-Universität Göttingen, https://kooperationsstelle.unigoettingen.de/projekte/digitalisierung-im-schulsystem-2021-abschluss [letzter Zugriff: 28.01.2022].
6 Vgl. Steffen Stierle: „Wie kann Homeschooling besser werden?“, in: Tagesspiegel Background, 22.01.2022, https://background.tagesspiegel/digitalisierung/wie-kann-homeschooling-besser-werden [letzter Zugriff: 28.01.2022].
7 Preply: Um Klassen smarter: Digitale Bildung im internationalen Vergleich, E-Learning-Index 2021, https://preply.com/de/d/e-learning-index/ [letzter Zugriff: 24.01.2022].
8 Vgl. Regina Hartleb: „Warum Deutschland bei der digitalen Bildung weiter hinterherstolpert“, in: RP online, 03.11.2021, https://rp-online.de/panorama/deutschland/e-learning-studie-sieht-deutschland-im-oecd-vergleich-auf-platz-18_aid-63606175 [letzter Zugriff: 24.01.2022].
9 Deutscher Philologenverband: Digitalschub durch Corona? Schulen immer noch nicht optimal ausgerüstet, Berlin, 01.12.2021, www.dphv.de/2021/12/01/digitalschub-durch-corona-schulen-immer-noch-nicht-optimal-ausgeruestet/ [letzter Zugriff: 28.01.2022].
10 Vgl. Niklas Prenzel: „Bürger haben wenig Vertrauen in Distanzunterricht“, in: Bildung.Table, Nr. 42, 26.01.2022, https://table.media/bildung/ [letzter Zugriff: 24.01.2022].
11 European Center for Digital Competitiveness (Hrsg.): Digital Riser Report 2021, https://digitalcompetitiveness.eu/wp-content/uploads/Digital_Riser_Report-2021.pdf [letzter Zugriff: 24.01.2022].
12 European Center for Digital Competitiveness: Digital Riser Report 2021: China und Saudi-Arabien an Spitze der G20. Kanada, Italien und Frankreich führend innerhalb der G7, https://digitalcompetitiveness.eu/wp-content/uploads/Press-Release-German.pdf [letzter Zugriff: 24.01.2022].
13 Vgl. Annette Kuhn: „Wie Schulleitung, Schulträger und Schulaufsicht besser zusammenarbeiten“, in: Das deutsche Schulportal, 04.02.2022, https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/mark-rackles-wie-schulleitung-schultraeger-und-schulaufsicht-besser-zusammenarbeiten/ [letzter Zugriff: 08.02.2022].
14 The Economist (2021): Covid-19: how tech could transform education, Video. https://youtu. be/9vD0BYBh5c4 [letzter Zugriff: 24.01.2022].