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Der Sinnfrage die Sinnfrage stellen

Was haben „New Work“ und Klimakrise miteinander zu tun?

Hans Rusinek: Work-Survive-Balance. Warum die Zukunft der Arbeit die Zukunft unserer Erde ist, Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2023, 288 Seiten, 22,00 Euro.

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Gerade, wenn man denkt, dass zum Thema „New Work“ nun wirklich alles gesagt sei, kommt dieses Buch daher. Wenn man davon überzeugt ist, all die oftmals selbsternannten Digitale-Transformations-Expertinnen und -Experten auf LinkedIn dringend „entfolgen“ zu müssen, und davon, dass die operative Praxis des hybriden Arbeitens alle großen Theorien bereits täglich überholt. Es ist ein Buch, das nicht nur den Stand unterschiedlichster Debatten kurzweilig zusammenfasst, lesbar einordnet und klug kommentiert – sondern das all diesen Aspekten einer sich fundamental und rasend schnell verändernden Arbeitswelt eine Perspektive hinzufügt, die wirklich neu und originell ist: die Frage, ob die Art, wie wir arbeiten, etwas zu tun hat mit der Art, wie wir mit der Klimakrise umgehen.

Moment mal – „New Work“ und Klimakrise? Klingt, als habe jemand aus der Buzzword-Bingo-Lotterie zwei zufällige Stichworte gezogen und versuche nun, diese miteinander zu verheiraten. Ob das überzeugend gelingt? Dazu später mehr. Dass aber ein derart ambitioniertes Unterfangen nur von wenigen Autorinnen und Autoren überhaupt glaubwürdig angegangen werden kann, sollte klar sein. Zum Glück ist Hans Rusinek ein solcher Autor.

 

Launige Popkultur-Prosa

Der ehemalige Agentur-Stratege und langjährige Mitarbeiter einer auf Transformation spezialisierten Tochter der Boston Consulting Group hat sich das Spielbein des Marketers und den Zug zum Tor des Unternehmensberaters erhalten. Beides verknüpft er mit wissenschaftlicher Rigorosität, denn derzeit promoviert er an der Universität St. Gallen zu Purpose-Driven Organizations. Rusinek ist also ein Grenzgänger zwischen den Professionen und Branchen. Einer, der spielerisch Querverbindungen ziehen kann, der Theorie in launige Popkultur-Prosa verpackt und dessen Einordnungen komplexer Debatten fast immer ein Kopfnicken provozieren. „Stimmt“, denkt man beim Lesen auf jeder zweiten Seite, „da hat er recht.“ Und: „Das hat er aber schon wieder gut gesagt.“

Man könnte diese knackigen Bonmots auf T-Shirts drucken: „Auf der Arbeit werden wir zu denkenden, planenden und – wichtig! – hoffenden Wesen.“ „Denen, die […] vom individuellen Glück ohne Arbeit träumen, kann man nur alles Gute wünschen. Denn keine Arbeit wird eben auch keine Lösung sein.“ „Es wird schwer, nach Feierabend ehrenamtlich die Welt zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören.“

Wenn Rusinek den ideengeschichtlichen Bogen der aktuellen Purpose-Begeisterung vom Selbstverwirklichungs-Ideal der Hippiebewegung zum Meaning-Paradigma zeitgenössischer „New Work“-Theorien spannt, hat das enorme Plausibilität. Er beschreibt, wie sich die Arbeitswelt die Kritik der Gegenkultur angeeignet hat. „Die Motivationsquelle Geld alleine hält den Laden nicht am Laufen. Es muss schon etwas Sinn sein.“ Sinn – so die abgeleitete und letztlich pervertierte Botschaft – finden wir, wenn wir in der Arbeit aufgehen, „nicht aber, wenn du deren Sinn etwa aus ökologischen Gründen bezweifelst, nicht aber, wenn du anderen Sinnquellen wie Familie, Freundschaft oder Natur Raum geben möchtest“. Es sei also – noch so ein Rusinek’scher T-Shirt-Spruch – „Zeit, der beruflichen Sinnfrage die Sinnfrage zu stellen“.

 

Weltflucht in digitale Metaversen

Bei solchen Themen ist der Autor besonders stark. Man merkt, dass er zu Purpose forscht. Auch wenn er vier „New Work“-Typen skizziert, ist er ganz bei sich – inklusive süffiger Anekdoten. Es ist eine wohlmeinende Kritik, eine zugewandte Ironie, die seine Einschätzungen aktueller Arbeitsdebatten durchzieht. Er beschreibt sie treffend als „Weltflucht in digitale Metaversen“, als „intensivierte Verfügbarmachung aller Ressourcen, auch der spirituellen und persönlichen Sehnsüchte“, als „großes Kreativitätstheater am Arbeitsplatz durch gemeinsame Ideen-Retreats, Innovationsspielchen, Post-it-Schlachten und natürlich Tischtennisplatten“.

Man möchte solche Kapitel all den Purpose-Gurus und Change-Apologetinnen und -Apologeten als Pflichtlektüre empfehlen. Rusinek stellt die „New Work“-Debatte vom Kopf auf die Füße, und das darf er, weil er die Methoden und Theorien – von Design Thinking bis Achtsamkeit – so sicher beherrscht, dass er sie fröhlich remixen kann. Es ist ein Sound, den man aus den Popkultur-Texten der 1990er-Jahre kennt – das macht Spaß und ist lehrreich.

Aber der Autor muss ja die Kurve zum Klima kriegen. „Wenn das die Lösungen sind, um die Zukunft der Arbeit für uns zu gestalten, möchte ich mein Problem zurück“, schreibt er: Das wahre Problem sei, „dass wir die Chance verpassen, uns an eine Zukunft der Arbeit zu machen, die unsere Zukunft auf diesem Planeten mitmeint!“

Er inszeniert diese thematische Wende etwas theatralisch als Kampf gegen ein vermeintliches Sprechverbot: „Es war bei jedem einzelnen Future-of-Work-Kongress, den ich besucht habe, die große Verdrängungsleistung, dass Future of the Planet nicht vorkommt. Ich fühle mich oft wie in einem Tabuspiel, in dem ‚Planet‘, ‚Klimakrise‘, ‚Ökologie‘ und ‚Grenzen‘ zu den verbotenen Wörtern gehören, die auf keinen Fall erwähnt werden dürfen.“

 

Vom Vorrang des Tuns

Da fragt man sich als Leser: Ist das wirklich so? Und ist diese Überhöhung notwendig, um das vorgeblich Unaussprechliche auszusprechen? Die argumentative Volte gipfelt in einer rhetorischen Frage, an der sich das Buch immer wieder abarbeitet: „Ist die Krise unserer Umwelt nicht eine Krise unseres Tätigseins, unserer Arbeit in ihr?“

Was anfangs noch wie ein Bonustrack wirkt, der das eigentlich runde Album nicht besser macht, wie ein angestrengter Versuch, das vielleicht bestmögliche aktuelle „New Work“-Buch irgendwie auf Klima zu trimmen, wird von Seite zu Seite überzeugender. Das gelingt Rusinek, indem er den Vorrang des Tuns über das Denken in den Mittelpunkt seiner Argumentation stellt. „Nicht die Technologie, sondern ihre Praxis macht den Unterschied“, wird Lars Hochmann, Professor für Betriebswirtschaftslehre, zitiert. Worauf es jetzt also ankomme, seien die Bedingungen der Möglichkeit einer verantwortungsvollen Praxis. Genau das ist Rusineks Mantra: Die Praktiken unseres Arbeitens sind „rostige Altlasten, die so schwer wiegen, dass sie von zukunftsfähiger Arbeit abhalten“ – weshalb er der Praxistheorie ein ganzes Kapitel widmet. Fast unsere gesamte soziale Welt, so zeigt der Autor, lässt sich aus erlernten Praktiken erklären; folglich ist „Zukunft […] keine ferne Fantasie, sondern besteht in der nächsten Entscheidung“. Indem wir das tägliche Tun unseres Arbeitens ändern, schaffen wir die Möglichkeit, an der Rettung des Planeten zu arbeiten. Oder, um es mit einem von Rusineks T-Shirt-Sprüchen zu sagen: „It’s the practices, stupid!“

Kann man sich vorstellen. Wenn wir die Welt retten wollen, fangen wir am besten mit dem an, was wir jeden Tag tun – und das ist für die meisten: der Job.

Hier zeigt sich eine Superkraft dieses Autors: Er schafft es, seine Leserinnen und Leser auch dann mitzunehmen, wenn der oder die sich eigentlich ziert. Ob man die These der Verbindung von „New Work“ und Klima am Ende komplett plausibel findet, wird fast nebensächlich, denn das entspannt intellektuelle Flanieren auf dem Weg dahin, das fröhlich mäandernde Ausleuchten theoretischer Hauptstraßen und Seitengassen, vor allem aber die hohe Dichte origineller Gedanken und produktiver Querverweise, die dieses Buch anbietet, machen den eigentlichen Lesegenuss aus.

 

Ein Buch wie ein Gespräch

Rusinek ist ein disziplinierter Denker – dem man hier aber die Freude anmerkt, sich selbst mit ideengeschichtlichen Assoziationen und hermeneutischer Improvisation zu überraschen. Ein Buch wie ein Gespräch unter belesenen Freundinnen und Freunden, bei dem ein Argument das nächste ergibt und die Einfälle sich stapeln, bis irgendwann, bei der zweiten Flasche Rotwein, der eine fragt: „Wie sind wir noch mal darauf gekommen?“ Und die andere antwortet: „Ist doch egal.“

Hans Rusinek erfrischt und verjüngt die zuletzt etwas ermattete „New Work“-Debatte, indem er ihr eine neue potenzielle Relevanzdimension schenkt. Allein dafür muss man ihm dankbar sein, denn was bleibt denn sonst? Produktiver werden wir durch hybrides Arbeiten nicht, wenn man sich die Studien anschaut. Kreativer auch nicht, weil unser Kalender aus einer Videokonferenz nach der anderen besteht. Und glücklicher schon gar nicht, wenn entgrenzte Arbeit unter dem Deckmantel von Purpose und Meaning noch in den letzten Lebensbereich einsickert.

Vielleicht – und es ist ein großes „Vielleicht“ – können wir stattdessen mit einem neuen Arbeitsverständnis den Klimawandel bekämpfen. Ob das funktioniert, muss – genau – die Praxis zeigen. Uns diesen Möglichkeitsraum eröffnet zu haben, ist das große Verdienst dieses Buches.


Markus Albers, geboren 1969 in Rheine, lebt als Autor und  Berater in Berlin. Er ist Executive Director Consulting bei der Digitalagentur „C3“. Albers hat selbst mehrere viel beachtete Bücher  zur Zukunft der Arbeit geschrieben, zuletzt „Digitale Erschöpfung“ (Berlin 2017).

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