Die wachsenden Gefahren des internationalen Terrorismus haben erneut die Frage aufgeworfen, ob die Bundeswehr auch im Falle schwerwiegender terroristischer Angriffe oder Gefahren im staatlich Inneren eingesetzt werden kann. Nach bisherigem Verständnis wurde eine solche Möglichkeit in aller Regel verneint. Inzwischen hat das Bundesverteidigungsministerium aber mit Recht gemeinsame Übungen von Polizei und Bundeswehr für den Fall terroristischer Angriffe vorbereitet, und auch das neue Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik greift ebenfalls berechtigterweise die Frage eines Einsatzes der Bundeswehr im Inneren auf.
Das Grundgesetz ging in seiner ursprünglichen Fassung eindeutig davon aus, dass ein Einsatz der Streitkräfte im Inneren ausgeschlossen ist. Zwischen innerer und äußerer Sicherheit sei strikt zu unterscheiden, wobei die Bundeswehr auf den Bereich der äußeren Sicherheit beschränkt ist, während der Bereich der inneren Sicherheit der Polizei vorbehalten bleibt. Für die Bundeswehr ergaben sich lediglich Zuständigkeiten im Bereich des Notstandsrechts und gegebenenfalls im Bereich des Verteidigungs- und Spannungsfalls (vgl. Artikel 87a Absatz 4, 91, 115a ff. Grundgesetz – GG). Eine erste Ausnahme von dieser strikten Abgrenzung ergab sich nach Artikel 35 Absatz 2 und 3 GG, wonach vor allem in Fällen von Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen die Bundeswehr in Amtshilfe für die Polizei oder andere Behörden herangezogen werden kann – eine Konsequenz, die sich aus der seinerzeitigen Hamburger Deichkatastrophe ergab, wo die Bundeswehr, damals noch jenseits des Grundgesetzes, zur Hilfe herangezogen wurde. Hintergrund dieser strikten Unterscheidung zwischen Polizei einerseits und Bundeswehr andererseits waren die Erfahrungen aus der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus, als das Militär auch für den Bereich der inneren Sicherheit beziehungsweise der Innenpolitik – vielfach missbräuchlich – eingesetzt worden war.
Dieser historische Befund hat heute seine einst gewichtige Bedeutung verloren. Die Bundeswehr ist längst zu einem gesicherten und integralen Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geworden. Sie ist, wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht betont, ein wahrhaft demokratisches Parlamentsheer. Maßgebend ist heute die Frage der Rechtssicherheit für die Bundesrepublik insgesamt wie für alle deutschen Bürger. Dies ergibt sich aus dem fundamentalen Rechtsstaatsprinzip gemäß Artikel 20/28 GG, das die Rechtssicherheit zu den herausragenden und fundamentalen Grundaufgaben des Staates erklärt.
Asymmetrischer Krieg als permanente Gefahr
Zwischen innerer und äußerer Sicherheit kann heute längst nicht mehr beziehungsweise definitiv unterschieden werden. In Zeiten des internationalen Terrorismus ist der sogenannte „asymmetrische Krieg“ leider und längst zur allseitigen und leider permanenten Gefahr geworden. Terrorismus greift die innere wie die äußere Sicherheit in vielfach ununterscheidbarer Form an. Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist hierfür ein klassisches Beispiel. Ganz folgerichtig haben andere Länder längst in dem Sinne entschieden, dass auch die jeweiligen Streitkräfte zur Bekämpfung des Terrorismus eingesetzt werden. Erinnert sei nur an das Wort des französischen Staatspräsidenten François Hollande, der gerade im Falle des IS mit Recht davon gesprochen hat, dass es hier um „Krieg“, also auch um äußere Sicherheit, geht.
Diesen und vergleichbaren Erfahrungen beziehungsweise Einschätzungen muss sich auch die Bundesrepublik Deutschland stellen. Und dies bedeutet nach hiesiger Auffassung ganz eindeutig, dass im Ernstfall auch auf die Streitkräfte im Falle terroristischer Gefahren oder Anschläge zurückgegriffen werden muss beziehungsweise darf. Man denke nur an die Entführung von Flugzeugen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie als „fliegende Bomben“ eingesetzt werden könnten. Dieser Bedrohung kann nur die Luftwaffe begegnen. Man denke darüber hinaus an terroristische Anschläge mit biologischen oder chemischen Waffen – wiederum Gefahren, denen die Polizei mit ihren Mitteln nicht beikommen kann, denen vielmehr nur die Bundeswehr entgegentreten könnte. Dies alles außer Acht zu lassen, verstieße schon im Grundsatz gegen die Prinzipien eines ebenso funktionierenden wie effektiven Rechtsstaates.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung zu Artikel 35 Absatz 2 und 3 GG zumindest die prinzipielle Möglichkeit eines Einsatzes der Bundeswehr gegenüber terroristischen Angriffen inzwischen gebilligt. Nach Artikel 35 Absatz 2 und 3 GG geht es um die Bekämpfung von „Naturkatastrophen“ oder „besonders schweren Unglücksfällen“. Hierbei ist naturgemäß und zunächst nicht an terroristische Angriffe gedacht worden. Aber auch diese können zu entsprechenden Katastrophen oder Unglücksfällen führen. In solchen Fällen erklärt das Bundesverfassungsgericht auch die Amtshilfe der Bundeswehr zur legitimen „Ultima Ratio“.
Problematische Einschränkung
Allerdings fordert das Bundesverfassungsgericht in solchen Fällen, dass die Bundesregierung als Kollegium zu entscheiden habe, da eine Delegation etwa auf einzelne Kabinettsmitglieder, namentlich auf den Bundesminister der Verteidigung, nicht statthaft sei. Diese Einschränkung überzeugt jedoch nicht. Nach Artikel 65a GG liegt die Befehls- und Kommandogewalt für die Bundeswehr beim Bundesminister der Verteidigung, und nach Artikel 115b GG geht diese Zuständigkeit im Falle des Verteidigungs- oder Spannungsfalls auf den Bundeskanzler über. Wenn dies jedoch bereits möglich und im Übrigen auch aus praktischen Gründen notwendig ist, so sollte für den Fall eines Bundeswehreinsatzes gegenüber Terroristen nichts anderes gelten. Schon praktisch wird es in aller Regel nicht möglich sein, die komplette Bundesregierung zusammenzurufen, um im Falle entsprechend akuter Gefahren einschlägige Kollegialentscheidungen zu treffen.
Aus allen diesen Gründen ist der subsidiäre Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei und damit zur Sicherung (auch) der inneren Sicherheit gegenüber terroristischen Angriffen ebenso tatsächlich wie verfassungsrechtlich als statthaft zu erkennen und entsprechend vorzubereiten. Dies sollte dann allerdings unter dem Oberbefehl entweder des Verteidigungsministers oder des Bundeskanzlers geschehen. Zu Letzterem bedürfte es freilich einer entsprechenden Verfassungsänderung. Aus Gründen der Rechtsklarheit sollte auch darüber hinaus an eine Verfassungsänderung dahingehend gedacht werden, dass in Artikel 35 Absatz 2 und 3 GG auch ausdrücklich die Möglichkeit genannt wird, die Bundeswehr im Falle schwerwiegender terroristischer Gefahren oder Angriffe zur Unterstützung der Polizei im Wege der Amtshilfe einzusetzen. Eine solche Verfassungsänderung tut in der Sache not und sollte möglichst rasch erfolgen.
Rupert Scholtz, geboren 1937 in Berlin, Staatsrechtler, von 1988 bis 1989 Bundesminister der Verteidigung.