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Was Eltern auf Instagram und in der Blogosphäre suchen und finden

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Für viele Menschen gehört die Nutzung digitaler sozialer Netzwerke heute zum Alltag. In Deutschland nutzen drei von vier Menschen zwischen 25 und 44 Jahren Twitter, Facebook und andere Social-Media-Websites; bei den 16- bis 24-Jährigen sind es sogar 89 Prozent.1 Sie erfahren auf Facebook, was ihre Freunde gerade machen, posten auf Instagram ein Foto vom Treffen mit Freunden, lesen in einem Blog über eine aktuelle Fernsehserie oder diskutieren auf Twitter die neuesten politischen Entwicklungen.

Wenn Menschen, die diese Mediennutzung gewohnt sind, Kinder bekommen, dann beziehen sie das für sie wichtige neue Lebensthema Elternschaft oftmals in ihre bisherigen digitalen Gewohnheiten ein. Der Einstieg ist leicht: Auf Twitter gibt es eine lebendige Eltern-Bubble, in der Eltern ihren Alltag kritisch oder humoristisch reflektieren und Erziehungsfragen oder familienrelevante politische Fragen diskutieren. In zahlreichen Familien- und Mütterblogs zeigen Menschen, wie sie ihren Alltag organisieren oder einen Kindergeburtstag gestalten. Sie teilen Rezepte für das Kochen für Kinder und mit ihnen, verraten, wie sie ihre Kinder großziehen, ohne zu schimpfen, oder beschweren sich über die Hürden bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auf Facebook gibt es unzählige Themengruppen zu allen Spezialthemen der Elternschaft, in denen sich jeweils Interessierte und Betroffene austauschen können – über frühe oder späte Elternschaft, über vegane oder breifreie Ernährung, über externe Betreuungsmöglichkeiten oder „kitafreies“ Aufwachsen von Kindern.

Auch Eltern von Kindern mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten finden auf Facebook ein Forum, in dem beispielsweise neue Therapiemöglichkeiten oder Tipps zur Verhandlung mit der Krankenkasse ausgetauscht werden. Auf Instagram präsentieren Influencer als „Instamoms“, selten auch als „Instadads“, ebenso ihren Elternalltag wie die Mutter von nebenan, die Patchworkfamilie, die Zwei-Väter-Familie, die Drillingseltern oder die hypersensible Mutter.

Man mag diese Aktivitäten als Kapriolen einer narzisstischen Generation abtun. Das greift jedoch zu kurz. Denn auf die Frage „Warum tun die das?“ gibt es ein ganzes Bündel von Antworten. Der Wunsch nach Selbstdarstellung ist fraglos ein Motiv für die Aktivitäten auf Social Media. Dies ist allerdings kein neues Phänomen oder ein besonderes Kennzeichen der jungen Generation. Der kanadische Soziologe Erving Goffman hatte bereits in den 1950er-Jahren festgestellt: „Wir spielen alle Theater.“2 Goffman beschrieb, dass Menschen stets eine bestimmte Rolle spielen: als Arbeitnehmer, als Politikerin, als Patient – oder eben als Mutter. In unserer jeweiligen, situationsbedingten Rolle betreten wir die Bühne des gesellschaftlichen Miteinanders. Unser – bewusstes und oft auch unbewusstes – Ziel ist es, auf dieser Bühne die Kontrolle darüber zu behalten, wie andere uns wahrnehmen; Goffman nennt diese Kontrollbestrebungen Impression Management. Die üblichen Mittel hierfür sind Sprache, Mimik, Gestik, aber auch Kleidung, Make-up und Frisur. Dabei ist das nach außen präsentierte Selbst nicht zu unterscheiden von einem „wahren“ Ich. Die Identität einer Person setzt sich vielmehr aus den verschiedenen Rollen zusammen, die die Person einnimmt. Präsentieren sich Eltern in sozialen Netzwerken in Wort und Bild, dann übernehmen sie auch dort eine Rolle: als aufopfernde Mutter, als Kumpel-Dad oder als harmonische Familie beispielsweise. Die Inszenierung wird dabei im Gegensatz zum realen Leben stark gefiltert sowie durch technische Möglichkeiten und gestalterische Raffinesse perfektioniert. Soziale Netzwerke sind damit nur eine neue Bühne, auf der altbekannte Stücke zum Besten gegeben werden.

Rolleneinnahme und Selbstpräsentation haben eine stabilisierende Funktion. Das Foto im Netz, auf dem eine Person sich als „gute Mutter“ zeigt, signalisiert nicht nur den anderen, dass diese Person eine „gute Mutter“ ist, sondern eben auch der Person selbst. Dies ist umso wichtiger in einer Lebensphase, in der die Rolle als Mutter oder Vater noch neu ist. Der Übergang zur Elternschaft ist in der Spätmoderne von zahlreichen Unsicherheiten geprägt. Kinder zu bekommen, ist heute nicht mehr selbstverständlich, sondern Ergebnis einer bewussten Entscheidung. Das Aufbrechen starrer gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die zunehmende Individualisierung und auch der medizinisch-technische Fortschritt haben den Menschen ein großes Maß an Freiheit gebracht. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, ständig Entscheidungen zu treffen. Bezogen auf Elternschaft sind dies zunächst einige Grundfragen: Möchte ich Kinder? Mit wem? Wann? Wie viele? Von welchem Geld lebe ich dann? Hinzu kommen in einer hoch entwickelten Gesellschaft wie der unseren Umsetzungsfragen, an denen sich wahre Glaubenskriege entzünden können: Brust oder Flasche? Kinderwagen oder Tragetuch? Besteck oder Hand? Familienbett oder Kinderzimmer? Bildschirm oder nicht? Kita oder Vollzeitmutter beziehungsweise -vater? Erziehen oder unerzogen? Auf diese Fragen müssen und wollen Eltern heute Antworten finden.

 

Im „Du-bist-nicht-allein“-Modus

 

Zugleich sind Eltern heute oftmals auf sich allein gestellt, denn überkommene Strukturen sind längst brüchig geworden: Durch die gewachsene räumliche Mobilität leben viele Menschen in einem anderen Ort als ihre Herkunftsfamilien und können deshalb nicht auf die Unterstützung von Großeltern und Geschwistern zurückgreifen. Vereine, Kirche und Parteien – Institutionen, in denen es potenziell Personen in ähnlichen Lebenslagen geben könnte – haben an Bedeutung verloren. In den Weiten der digitalen sozialen Netzwerke hingegen finden Menschen leicht Gleichgesinnte: andere Eltern mit denselben Fragen oder solche, die schon einen Schritt voraus sind und an denen sie sich orientieren können. Der Netzwerkcharakter erzeugt ein Gefühl von Nähe, das in Phasen des Übergangs und der Unsicherheit genau den Halt gibt, der im physischen Umfeld fehlen mag. Im Internet gibt es immer jemanden, der ähnliche Herausforderungen bewältigen muss oder zumindest ähnlich tickt wie man selbst (oder von dem man dies annimmt).

Nahezu alle Eltern suchen heute Information und Rat im Internet. Der Rat, den sie in sozialen Netzwerken erhalten, hat dabei einen anderen Charakter als der, den sie in den weiterhin populären Ratgeberbüchern erhalten: Es ist ein Rat auf Augenhöhe, der durch die eigene Betroffenheit beziehungsweise Erfahrung der anderen Netzwerkmitglieder seine Glaubwürdigkeit erhält. Im Netzwerk geteilte Tipps und Tricks umfassen so auch meist den Aspekt von Solidarität und Mitgefühl, sodass nicht nur praktische Hilfe für das konkrete Handeln gegeben wird, sondern auch eine emotionale Stützung im „Du-bist-nicht-allein“-Modus.

 

Die Idee der Intensiven Elternschaft

 

Stärkung und Bestätigung in einer sensiblen Lebensphase entsteht insbesondere auch durch den reziproken Charakter der sozialen Netzwerke: Indem die Mitglieder nicht nur das lesen, was andere geschrieben haben, sondern auch ihre eigenen Erfahrungen, Überzeugungen und Empfehlungen teilen, erlangen sie selbst die Rolle des Ratgebers. Ein Rollenwechsel im Sinne Erving Goffmans von der „überforderten Mutter“ zur „kompetenten Mutter“ ist hier schnell vollzogen. Kommentare, Likes oder Herzchen geben eine unmittelbare, verstärkende und bestärkende Rückmeldung. Nutzer erleben damit jene Selbstwirksamkeitserfahrungen, die für die Lebenszufriedenheit besonders wichtig sind. Gerade junge Mütter, die sich oft isoliert und von ihrem früheren Leben ausgeschlossen fühlen, erfahren hier Resonanz.

Es gibt also gute Gründe für Eltern, Teil eines sozialen Netzwerks im Internet zu sein: Solidarität, Rat, Bestätigung und Zugehörigkeit. Das gute Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, hat jedoch – wie so oft – einen Preis. Denn auch digitale Welten sind von bestimmten Normen geprägt, die sich die Nutzerinnen und Nutzer zu eigen machen müssen, um daran teilzuhaben. Zeigen lässt sich dies beispielsweise an den Blogs, in denen Eltern – vorwiegend Mütter – ihr Familienleben zeigen. Typischerweise beinhalten die Blogs Reflexionen und Erzählungen über den Familienalltag und sind im Stil eines Tagebuchs verfasst. In ihnen finden sich Reiseberichte, Rezepte, Rezensionen und Produktvorstellungen, denn viele Blogs dienen den Autorinnen auch als Einnahmequelle.

In einer Analyse der in den Familienblogs veröffentlichten Texte und Bilder zeigte sich, dass dort eine bestimmte Vorstellung der „richtigen“ Gestaltung von Familienleben und Erziehung stark dominiert: die Idee der Intensiven Elternschaft.3 Dabei stehen die Bedürfnisse des Kindes im Mittelpunkt der elterlichen Fürsorge. Zentrales Element der intensiven Elternschaft ist das Attachment Parenting beziehungsweise die Bedürfnisorientierte Erziehung, die vor allem durch den amerikanischen Kinderarzt William Sears geprägt wurde. Ziel ist es, durch sensibles und promptes Reagieren auf alle Lebensäußerungen der Kinder sowie durch permanente Nähe Urvertrauen und sichere Bindungen aufzubauen. Für Eltern (in der Regel für Mütter) bedeutet dies, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse, zum Beispiel nach Erholung und Ruhe, zurückstellen müssen.

In Familienblogs ist dieses Erziehungsideal allgegenwärtig. Auch wenn sich einige der Bloggerinnen kritisch damit auseinandersetzen, präsentiert die überwiegende Mehrheit ein Bild, bei dem die bloggenden Eltern die Herausforderungen gut frisiert meistern. Die Familienblogs erwecken so den Eindruck, dass Intensive Elternschaft die Normalität sei. Jedoch ist die typische Bloggerin angesichts der heutigen gesellschaftlichen Vielfalt keineswegs repräsentativ für deutsche Mütter. Die meisten erfolgreichen Bloggerinnen sind autochthon deutsch, akademisch gebildet und Teil einer gehobenen, alternativ orientierten Mittelschicht. Die Blogs sind jedoch starke Multiplikatoren für Vorstellungen von Familie und Elternschaft auch außerhalb dieses Milieus. Mit teilweise über 500.000 Klicks im Monat werden sie von mehr Personen gelesen als alle gedruckten deutschen Elternzeitschriften zusammen.

Im Gegensatz zu solchen Zeitschriften haben die Familienblogs eine besonders hohe Glaubwürdigkeit, denn sie vermitteln den Eindruck, direkt aus dem echten Leben der Bloggerinnen zu berichten. Durch ihr Erscheinungsbild als „Mutter von nebenan“ mit dem allgegenwärtigen Selbstzweifel, den üblichen Gewichtsproblemen, der typischen Erschöpfung werden die Bloggerinnen zu Identifikationsfiguren, die den Schluss nahelegen: Wenn die das kann, schaffe ich es auch.

 

Einblicke in den beschwerlichen Alltag?

 

Ein die Nähe und Bindung zwischen Mutter und Kind betonendes Bild zeigt sich auch auf Instagram. Dieses soziale Netzwerk stellt Fotos in den Mittelpunkt, die mit Text und Schlagworten (Hashtags) versehen werden können. Eine systematische Analyse der in den Bildern verwendeten Ikonographie zeigt ein sehr traditionelles Bild von Elternschaft und insbesondere auch von Mutterschaft.4 Das typische Bild einer Mutter mit ihrem Kind entspricht dem folgenden Muster: Die Mutter hält ihr Kind auf dem Arm. Sie schaut den Betrachter an, ihr Gesichtsausdruck ist entspannt, ein leises Lächeln deutet sich an. Das Kind ist ebenfalls ruhig oder schläft sogar und schmiegt sich an die Mutter. Die Farbgebung ist hell und in Pastell- und Naturtönen gehalten. Analogien zu klassischen Madonnendarstellungen drängen sich auf. Bemerkenswert ist, dass dieses Muster auch von Familien genutzt wird, die in alternativen Milieus oder Konstellationen leben: Familien mit zwei Müttern ebenso wie Angehörige von Subkulturen (zum Beispiel Gothic) zeigen Familie und Elternschaft ebenfalls als statische und harmoniestrotzende Nähebeziehung.

Zu fragen ist hier: Was wird nicht dargestellt? Der oftmals realistische Familienalltag: Bilder chaotischer Kindergeburtstage, dreckiger Kinderschuhe, riskanter Klettermanöver oder leergegessener Chipstüten – Bilder all dessen, was Kindheit eben auch ausmacht. Stattdessen wird auch dieses soziale Netzwerk von einem Mütterbild dominiert, bei dem die harmonische, innige Mutter-Kind-Dyade im Vordergrund steht. Wenig scheint übrig geblieben von dem revolutionären Charakter, den Lori Kido Lopez, amerikanische Medienaktivistin und Professorin für Medien- und Kulturwissenschaften, noch 2009 erwartet hatte, als sie vom „radical act of mommy blogging“ sprach.5 Dieser Vision lag die Vorstellung zugrunde, dass Mutterschaft jahrhundertelang durch Männer verklärt wurde und die Niederungen und Hässlichkeiten des Alltags durch euphemistische Darstellungen überdeckt wurden. Das Web 2.0 mit seinen Möglichkeiten zur Selbstpräsentation könne, so die Idee von Lopez, es Frauen ermöglichen, einen schonungslosen Einblick in ihren beschwerlichen Alltag zu geben und so zu einer neuen Wertschätzung von Care-Arbeit führen.

Diese Idee scheint sich derzeit nicht zu bewahrheiten. Vielmehr greifen die Nutzerinnen und Nutzer sozialer Netzwerke traditionelle Vorstellungen von Mutterschaft und Elternschaft auf und verstärken diese durch die tausendfache Reproduktion verschiedener Spielarten des immer gleichen Bildes: der Mutter, die kompromisslos für das Kind da ist und ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellt, damit es dem Kind gut geht. Die stylische Oberfläche der Instamoms und Mommy-Blogs führt so zurück in eine biedermeierliche Traditionskultur, in der Mutterschaft mit einem Rückzug ins Private gleichgesetzt wird und Erfüllung in einer gelingenden Balance aus Plätzchenbacken, Babyschwimmen und Tragetuchmode gesucht wird.

Der Preis der Zugehörigkeit zur Social-Media-Gemeinschaft ist das Bekenntnis zu einer bestimmten Erziehungs- und Elternschaftsnorm – wer sich selbst entsprechend dieser Norm inszeniert, kann mit Zustimmung und Bestätigung rechnen. So erfüllt sich auch in digitalen Kontexten das eherne Gesetz aller Gemeinschaften, seien sie weltanschaulicher, politischer oder kultureller Art: Der Preis der Zugehörigkeit ist die Unterwerfung unter eine Norm.

 

Helen Knauf, geboren 1972 in Braunschweig, Professorin an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Sozialwesen, Lehrgebiet Bildung und Sozialisation im Kindesalter.

 

1 Statistisches Bundesamt: Personen mit Internetaktivitäten zu privaten Zwecken nach Alter, 11.08.2020, www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-KonsumLebensbedingungen/IT-Nutzung/Tabellen/internetaktivitaeten-personen-alter-ikt.html [letzter Zugriff: 18.01.2022].
2 So der deutsche Titel des Buches von Erving Goffman: The Presentation of Self in Everyday Life, Edinburgh 1956 (Jahr der Erstveröffentlichung).
3 Helen Knauf: Die intensive Elternschaft als neues Paradigma für die Erziehung in Familien? Eine empirische Studie zu Familienblogs im Internet. Soziale Passagen 11, S. 175–190, Berlin 2019, https://doi.org/10.1007/s12592-019-00315-3 [letzter Zugriff: 18.01.2022].
4 Helen Knauf / Susanne Mierau: „Instamoms: Visuelle Inszenierungen intensiver Mütterlichkeit in Social Media. Eine Analyse der Darstellung von Müttern mit ihren Kindern auf Instagram“, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 41. Jg., Nr. 3/2021, S. 283–300, www.beltz.de/fachmedien/erziehungswissenschaft/zeitschriften/zeitschrift_fuer_soziologie_der_erziehung_und_sozialisation/artikel/47070-instamoms-visuelle-inszenierungen-intensivermuetterlichkeit-in-social-media.html [letzter Zugriff: 11.02.2022].
5 Lori Kido Lopez: „The radical act of ‚mommy blogging‘: redefining motherhood through the blogosphere“, in: New Media and Society, 11. Jg., Nr. 5, 21.07.2009, S. 729–747, https://doi.org/ 10.1177/1461444809105349 [letzter Zugriff: 18.01.2022].

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