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Auswirkungen von COVID-­19 auf die deutsche Sicherheits­- und Verteidigungspolitik

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Die COVID-19 -Pandemie hat nicht nur enorme Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch das Potenzial, (internationale) Sicherheit und Stabilität Deutschlands zu beeinflussen. So bezeichnet das Weißbuch 2016 der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr Pandemien als eine der zehn bedeutenden sicherheitspolitischen Herausforderungen. Das Strategiedokument führt aus, dass Gesundheitskrisen durch ihre enormen sozioökonomischen Auswirkungen staatliche Versorgungsstrukturen überfordern können, wodurch es zu inneren Unruhen und letztendlich auch zum Staatszerfall kommen könne. Dies gilt insbesondere für Regionen außerhalb Europas, die von Armut und Gewalt betroffen sind und in denen lediglich fragile staatliche Strukturen bestehen.

In der jüngeren Vergangenheit rückten Krankheiten wie Aids, der SARS-Ausbruch in den Jahren 2002 und 2003 sowie die Ebola-Epidemie in Westafrika 2014 und 2015 zunehmend als Einflussfaktoren auf regionale Sicherheit und Stabilität in den Fokus. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschäftigte sich anhand von Aids erstmals im Januar 2000 mit den sicherheitspolitischen Auswirkungen einer Pandemie. Seitdem finden Gesundheitsthemen vermehrt Berücksichtigung in nationalen Strategiedokumenten und strategischen Erwägungen sicherheitspolitischer Institutionen.

Ein weiterer Wirkungszusammenhang von Gesundheit und Sicherheit liegt in den potenziellen Auswirkungen von Pandemien auf Streitkräfte und verteidigungspolitische Ressourcen. In der Geschichte waren Streitkräfte oftmals von Seuchen betroffen. Insbesondere in Kriegen brachen immer wieder Seuchen durch unzureichende hygienische Bedingungen, schlechte medizinische Versorgung, Verlagerung von Truppen sowie geringe physische Distanz in den Unterkünften aus. Die überproportionale Anzahl von Infizierten in Streitkräften führte häufig dazu, dass die Einsatzfähigkeit von Armeen abnahm und somit auch der Verlauf von Kriegen und Schlachten durch Infektionskrankheiten beeinflusst wurde. Ein aktuelles Beispiel ist die Situation an Bord des US-amerikanischen Flugzeugträgers „USS Theodore Roosevelt“. Von den circa 5.000 Besatzungsmitgliedern infizierte sich rund jeder Fünfte mit dem SARS-CoV-2-Erreger. Im Kriegsfall hätte das die Einsatzfähigkeit des Kriegsschiffes beeinträchtigen können.

 

Einsatzkontingent „Hilfeleistung Corona“

 

Auch die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik – insbesondere die Auslandseinsätze der Bundeswehr – sind durch COVID-19 mehrfach betroffen und gefordert. Bei den gegenwärtig dreizehn Auslandseinsätzen müssen sich die Soldatinnen und Soldaten vor und nach einem Einsatz in Quarantäne begeben. Die Folgen der Pandemie wirken sich teilweise direkt auf den jeweiligen Auftrag aus: So wurde beispielsweise die europäische Ausbildungsmission European Union Training Mission Mali (EUTM) phasenweise auf ein operatives Minimum reduziert und nun wieder schrittweise aufgenommen. Bei der NATO-Ausbildungsmission Resolute Support in Afghanistan findet das „Train, Advise, and Assist“ zur Unterstützung der afghanischen Streitkräfte mit Blick auf COVID-19 weiterhin eingeschränkt statt.

Streitkräfte haben Fähigkeiten, Mittel und Kapazitäten, die bei der Bewältigung von Pandemien eingesetzt werden können. Während der Ebola-Epidemie 2014 in mehreren westafrikanischen Ländern halfen sowohl inals auch ausländische Truppen. Auch bei der Bekämpfung von COVID-19 entlasteten die Streitkräfte zahlreicher Länder ihre zivilen Behörden, beispielsweise in den USA und in Mexiko, aber auch in Europa, wo das Militär in Frankreich und Spanien unter anderem dabei hilft, Infektionsketten nachzuvollziehen. In Deutschland unterstützt die Bundeswehr bereits seit März die zivilen Kräfte bei der Eindämmung des Virus, unter anderem mit dem eigens dafür geschaffenen Einsatzkontingent „Hilfeleistung Corona“: Die Bundeswehr hat Soldatinnen und Soldaten aus verschiedenen Teilstreitkräften zur Verfügung gestellt, die unter dem Kommando des Inspekteurs der Streitkräftebasis für Hilfseinsätze in Bereitschaft stehen. Hinzu kommt auch die Bereitstellung von Betten durch die Bundeswehrkrankenhäuser.

Diese Art und Intensität der Hilfe der Bundeswehr im Inland ist vollkommen neu. Einsätze im Inneren sind zwar nichts Ungewöhnliches – so hat die Bundeswehr 2019 in 250 Fällen Amtshilfe geleistet, beispielsweise bei der Katastrophenhilfe in Hochwasserregionen oder bei Schneechaos. Für die Eindämmung der Pandemie wurden jedoch mit dem Einsatzkontingent temporär neue Strukturen geschaffen.

 

Stärkung des Verteigungsbudgets

 

Die Leistung von Amtshilfe ist im Grundgesetz Artikel 35 geregelt. Er legt fest, wie sich die Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig unterstützen, und schließt auch die Bundeswehr mit ein. Die Truppe darf sogenannte „technische“ Unterstützung leisten, wenn die zivilen Kräfte dazu nicht in der Lage sind. Hoheitliche Eingriffsbefugnisse sind dabei explizit ausgeschlossen, die Bundeswehr ist nur als zusätzliche Unterstützung im Einsatz. Verantwortlich ist innerhalb der Bundeswehr die Streitkräftebasis. Jeder Amtshilfeantrag wird von den Landeskommandos oder dem Kommando Territoriale Aufgaben auf Grundrechtskonformität und Leistbarkeit der Bundeswehr geprüft, dementsprechend entschieden und koordiniert. Von den über 1.000 Amtshilfeanträgen (Stand 12. Oktober 2020) konnten rund 67 Prozent positiv beantwortet werden.

Auch das binnen vier Wochen aufgebaute Corona-Behandlungszentrum Berlin zeigte die erfolgreiche zivil-militärische Zusammenarbeit und machte deutlich, welche Entlastung und Unterstützung die Streitkräfte in kürzester Zeit zum Bevölkerungsschutz beitragen können. Deutschland hat auch die Bereitstellung von bis zu 160 Spezialisten der Bundeswehr für Kriseneinsätze in anderen NATO- und Partnerländern für den NATO-Notfallplan Allied Hand zugesagt. Allerdings muss die Bundeswehr, die sich ohnehin an der Grenze personeller und materieller Belastbarkeit befindet, hierfür Kraftanstrengungen unternehmen.

Das Konjunktur- und Zukunftspaket der Bundesregierung zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie berücksichtigt auch den Verteidigungshaushalt. So wird die Bereitstellung von Geldern für Vorhaben der Bundeswehr in bestimmten Bereichen vorgezogen. Diese beziehen sich unter anderem auf Digitalisierungsvorhaben in der Verwaltung und Rüstungsprojekte mit hohem deutschem Wertschöpfungsanteil.

Welchen Effekt die COVID-19-Pandemie mittel- bis langfristig auf den Verteidigungsetat haben wird, ist noch offen. Die 2016 eingeleitete Trendwende bei Material, Personal und Finanzen lässt sich jedoch nur mit einem starken Verteidigungshaushalt und einer langfristigen Planung sinnvoll fortführen. Eine einsatzfähige Bundeswehr ist der Garant für die äußere Sicherheit Deutschlands und seiner Partner: Innere und äußere Sicherheit bedingen sich und müssen zusammengedacht werden.

Humanitäre Katastrophen, Gewalt und Unruhen bis hin zum Staatszerfall können die Folge der Pandemie in unterentwickelten Regionen sein. Im Sahel nutzen terroristische Gruppierungen die Krisensituation für ihre Agenda. Deutschland und die Europäische Union sind von Konflikten, Kriegen und zerfallender Staatlichkeit in diesen Regionen durch Flucht, Migration, aber auch terroristische Organisationen direkt betroffen. Die Lage wird sich durch COVID-19 weiter verschärfen.

 

Europa und die Bewältigung der Auswirkungen von COVID-19

 

Für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ist die Integration Europas ein fester Grundsatz und ein entscheidendes Instrument, um in einer Zeit zunehmender Großmachtrivalitäten das Gewicht Europas in der Welt einzubringen. Der mangelnde europäische Zusammenhalt und die unzureichende Kooperation einiger EU-Mitgliedstaaten zu Beginn der Pandemie gaben insbesondere Russland und China die Chance, mit medial aufbereiteten Hilfslieferungen sowie Desinformationskampagnen das Narrativ vom „schwächelnden Westen“ zu verbreiten.

Nach einer anfänglich zögerlichen Reaktion haben die Staaten der Europäischen Union sich unter anderem mit Hilfslieferungen oder der Versorgung von Infizierten verstärkt bei der Bewältigung der Pandemie wechselseitig unterstützt. So wurden Patienten aus anderen EU-Staaten in deutschen Krankenhäusern behandelt und Hilfslieferungen zum Beispiel von Beatmungsgeräten getätigt. Die Europäische Union spielt insbesondere bei der Abfederung der wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Pandemie eine bedeutende Rolle, wie das im Juli vereinbarte und in seiner Höhe beispiellose Finanz- und Rettungspaket verdeutlicht.

Sollte infolge der Bewältigung der immensen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie erwogen werden, in Deutschland künftig weniger für Sicherheit und Verteidigung auszugeben, ist zu erwarten, dass sich die Beziehung zu unserem wichtigsten Partner, den USA, weiterhin verschlechtert. Deutschlands Glaubwürdigkeit, internationale Vereinbarungen einzuhalten, würde abnehmen und der Bundesrepublik erheblicher Schaden zugefügt werden.

Die Weltordnung hat sich in den vergangenen Jahren durch globale Machtverschiebungen – insbesondere durch den Aufstieg Chinas – fundamental verändert. Wir leben in einer Zeit zunehmender Großmachtrivalitäten. Dabei wirkt die Pandemie wie ein Zeitraffer, der die seit einigen Jahren zu beobachtenden Entwicklungen beschleunigt und verstärkt.

Während China als Ausgangsland der Pandemie die Krise bisher scheinbar rasch überwunden hat, stecken die USA mitten in einer der schwersten Gesundheitskrisen ihrer Geschichte. Dies verstärkt den Eindruck, dass die USA zunehmend nicht mehr in der Lage sind, eine Führungsrolle zur Lösung globaler Probleme zu übernehmen. Bereits seit dem Amtsantritt Donald Trumps erodiert die Führungsmacht des Westens, insbesondere durch die Aufkündigung internationaler Abkommen und den Rückzug aus multilateralen Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation.

 

Systemkonkurrenz und Ablenkungsmanöver

 

Gleichzeitig versucht China, dieses Vakuum zu füllen. Mit einer globalen Desinformationskampagne versucht Peking, vom Ursprung der Pandemie abzulenken. Während zahlreiche Staaten der Welt mit den Auswirkungen der Pandemie beschäftigt sind, nutzt die Volksrepublik die geringe internationale Aufmerksamkeit, um seinen aggressiven Expansionskurs im Südchinesischen Meer fortzuführen und die demokratischen Rechte in Hongkong durch ein „Sicherheitsgesetz“ einzuschränken. Die Trump-Administration lässt derweil keine Gelegenheit aus, um eine Schuld Chinas bei der Verbreitung der Pandemie und den immensen Folgen hervorzuheben – auch, um vom eigenen Versagen bei der Eindämmung des Virus abzulenken.

Das COVID-19-Virus und seine Folgen verdeutlichen, dass Pandemien Sicherheit und Stabilität auf unterschiedlichen Ebenen beeinflussen – von nationalen verteidigungspolitischen Ressourcen zum europäischen und transatlantischen Zusammenhalt über die Stabilität im Krisenbogen Europas bis hin zur globalen Ebene und zur zunehmenden Großmachtkonkurrenz. Das Themenfeld Gesundheit sollte daher viel stärker als bisher ein integraler Bestandteil von Außen- und Sicherheitspolitik werden. Im Sinne dieses vernetzten Ansatzes sollten der Austausch zwischen den betreffenden Ressorts gefördert und Pandemievorsorge sowie biologische Gefahrenlagen stärker in den Sicherheitsinstitutionen berücksichtigt werden. Das bedeutet auch, dass Gesundheitsexperten in einen Nationalen Sicherheitsrat – der von der Bundesverteidigungsministerin und in der deutschen Fachpublizistik gefordert wird – integriert werden sollten. Ebenso bietet die gesellschaftlich positive Wahrnehmung der Bundeswehr in der COVID-19-Pandemie die Chance, die Befähigung und Ausstattung der Streitkräfte vor allem mit Blick auf die nationale Krisenvorsorge auszubauen.

 

Amelie Stelzner, geboren 1990 in Berlin, Referentin Bundeswehr und Gesellschaft, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.

Daniela Braun, geboren 1987 in Lindlar, Altstipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung, Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.

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