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Trends und Kontinuitäten im Wahljahr 2016

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Während die Wahlforschung 2015 mit den Wahlen in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen relativ wenig zu tun hatte, kommt 2016 einiges auf sie zu: Fünf Landtagswahlen stehen an. Am 13. März 2016 finden Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt statt. Mecklenburg-Vorpommern folgt am 4. September 2016, und das Berliner Abgeordnetenhaus wird am 18. September 2016 neu gewählt.

Schien es kurz nach der Bundestagswahl 2013 so, als werde die Parteienlandschaft von Angela Merkel und der Union dominiert, ist in der Folgezeit doch einiges in Bewegung geraten. Ob „Großstadtdebatte“, die „Patriotischen Bürger gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) oder die Konflikte um die Bewältigung der Flüchtlingssituation – die Opposition hofft, aus dem Schatten der „ewigen Kanzlerin“1 treten zu können. Entsprechend umkämpft sein werden die Landtagswahlen im Vorfeld der Bundestagswahl 2017. Es lohnt sich deshalb, der Frage nachzugehen, mit welchen Trends oder Kontinuitäten im Parteiensystem wir mit Blick auf das Wahljahr 2016 rechnen können.

Im Mittelpunkt stehen dabei drei Beobachtungen der letzten Jahre: die zunehmende Personalisierung der Wahlkämpfe, die Fragmentierung der Parteienlandschaft und deren Folgen sowie die Entdeckung populistischer Schnittmengen.

 

Personalisierung der Wahlkämpfe

Die Personalisierung der Wahlkämpfe ist auf der nationalen Ebene sicherlich kein neues Phänomen,2 aber sie erfasst zunehmend auch die Landtagswahlen und ist keineswegs nur auf die großen Parteien beschränkt. Erinnert sei an die Bürgerschaftswahlen in den beiden Stadtstaaten im Februar und Mai 2015, als die schwer bedrängte FDP mit zwei medienwirksamen Kandidatinnen, Katja Suding und Lencke Steiner, ein erneutes Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde verhinderte. Auf einen personalisierten Wahlkampf kann man sich sicherlich in Baden-Württemberg einstellen. Der amtierende Ministerpräsident und Spitzenkandidat der Grünen, Winfried Kretschmann, genießt dort laut der Forschungsgruppe Wahlen ein lagerübergreifendes Ansehen, während seine Partei in der „Sonntagsfrage“ mit 27 Prozent um zehn Prozent schlechter abschneidet als die CDU.3 Dass die Grünen den Wahlkampf auf Kretschmann ausrichten werden, ist also wahrscheinlich.

Er verkörpert Werte und Ziele, die von der breiten Gesellschaft getragen werden, aber nicht zwingend von seiner eigenen Partei. Dies trifft etwa auf seine Haltung in der Flüchtlingspolitik zu: Gegenüber seiner Partei musste er die Verschärfung der Abschiebepraxis rechtfertigen. Für den Wahlerfolg einer Partei reicht also nicht mehr allein die optimale Personalisierung der Parteiinhalte durch einen Spitzenkandidaten aus, sondern inhaltliche Positionierung und gesellschaftliche Akzeptanz müssen in einer Persönlichkeit zusammenfinden.4 Darüber hinaus verstärkt die Ausrichtung der Wahlkämpfe auf die Spitzenkandidaten die Professionalisierung der Wahlkampfführung. Nur so lassen sich Kommunikationsdefizite und handwerkliche Mängel reduzieren.

Seit 2014 ist der populistischen Partei AfD der Einzug in fünf Landtage gelungen. Es ist unklar, ob es die AfD im Frühjahr 2016 schafft, in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt einzuziehen. Umfragen sehen die Partei zurzeit jeweils bei fünf bis sechs Prozent.5 Bangen muss auch die FDP, die in Sachsen-Anhalt unter „Sonstige Parteien“ geführt wird und in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf fünf Prozent kommt. In Baden-Württemberg könnte der Einzug der AfD in den Landtag zu einem Sechs-Parteien-Parlament führen und die grün-rote Landesregierung die Mehrheit kosten.6 Sollte es der AfD und der Partei Die Linke in Rheinland-Pfalz gelingen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, würde sich dort das Drei-Parteien-Parlament aus CDU, SPD und Grünen in ein Fünf-Parteien-Parlament wandeln. Und selbst für die FDP hat die Forschungsgruppe Wahlen Mitte Januar 2016 immerhin das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde vorausgesagt, sodass eine weitere Fragmentierung im Landtag zu erwarten ist.7 In dieser Konstellation hätte die SPD nach wie vor die meisten Koalitionsoptionen, allerdings wäre auch die CDU nicht mehr auf die Möglichkeit einer Großen Koalition beschränkt.8 In Sachsen-Anhalt gibt es schon seit 2011 ein Vier Parteien Parlament aus CDU, SPD, der Linken und Grünen. Mit der AfD, die in einer Umfrage von Infratest dimap von Mitte September 2015 auf fünf Prozent kommt, würde ein zusätzlicher Akteur auftreten.9 Ob sich dadurch die Koalitionsmöglichkeiten wesentlich ändern, ist jedoch fraglich, denn schon jetzt wird das „Thüringer Modell“ einer rot rotgrünen Landesregierung in Sachsen-Anhalt diskutiert. Auch hier bereitet freilich ein linker Ministerpräsident Bauchschmerzen, sodass alle Optionen nach wie vor offen sind.10

Die Fragmentierung des Parteiensystems ist kein unbekanntes Phänomen. Zuletzt schien sie durch den Aufstieg der mittlerweile fast bedeutungslos gewordenen Piratenpartei befördert zu werden. Deren Verfall zeigt aber auch, wie schnell ehemals gefeierte Politikstars in der politischen Bedeutungslosigkeit versinken können. Außerdem ist derzeit die Rolle der FDP und der Partei Die Linke zu unklar, als dass sich schon jetzt feste Koalitionsmodelle am Horizont abzeichnen könnten.

 

Populistische Schnittmengen

Nachdem 2015 der Richtungsstreit innerhalb der AfD eskaliert war, ihr einstiger Mitbegründer und Vorsitzender Bernd Lucke aus der Partei ausgetreten war und die „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (ALFA) gegründet hatte, schien es, als würde das rechtspopulistische Spektrum durch die Spaltung geschwächt werden. Lucke fürchtete, dass eine weitere Radikalisierung die Partei ins Abseits führe, und lehnte es daher ab, die Annäherung an Pegida mitzutragen. Stattdessen „verdorrt“ seine neue Partei nun „im Schatten“ der AfD.11 Die Verbindungen zu Pegida verschaffen der AfD einen öffentlichkeitswirksamen Resonanzraum zur Entfaltung populistischer Strategien. Mit der verbalen Frontstellung des „kleinen Mannes“, der sich gegen „die da oben“ wehrt, gelingt es der AfD, Protestwähler und Systemunzufriedene an sich zu binden.12 Die AfD scheint zu glauben, dass die bei Pegida Kundgebungen versammelten Teilnehmer tatsächlich die „Stimme des Volkes“ seien und nicht nur einen kleinen Ausschnitt der Gesellschaft verkörperten. Ihr Engagement zielt darauf ab, die „Altparteien“ unter Druck zu setzen und sich selbst aus der gesellschaftlichen Isolation zu befreien. Dabei nimmt sie die Pegida-Kundgebungen mitunter derart ein, dass der Eindruck entsteht, es handele sich um Veranstaltungen der AfD.13

Oft wird argumentiert, die AfD sei als „national-konservative“ und „marktliberale“ Partei vor allem ein Problem von CDU, CSU und FDP.14 Ähnliches gelte auch für Pegida. Diese Annahme führt freilich in die Irre, denn schon vor der Abspaltung Luckes befanden sich in der AfD Linkspopulisten, Antikapitalisten und politische Sektierer. Pegida und die AfD sind deshalb in den kommenden Landtagswahlen vielmehr eine Herausforderung für die Partei Die Linke. In ihrer Funktion als Protestpartei wird ihr von diesen beiden das Wasser abgegraben. Es ist deshalb denkbar, dass Die Linke in den Landtagswahlen 2016 verstärkt auf die linkspopulistische Karte setzt, um Protestwähler zurückzugewinnen, obwohl sie mit Blick auf die sich „pragmatisch“ gebende rot rot grüne Landesregierung in Thüringen und ebensolche Pläne in Sachsen-Anhalt Rücksicht nehmen muss. Die Schnittmengen mit AfD und Pegida sind jedenfalls vorhanden: Vereinfachungen, die Inszenierung von Tabubrüchen und eine Verachtung der europäischen Elite kommen auch aus der linken Ecke. Die politische „Arbeit“ mit Bewegungen ist nichts Neues für Die Linke. Damit lässt sich als Fazit festhalten: 2016 werden sich wohl die skizzierten Trends fortsetzen. Völlig neue Bewegungen im Parteiensystem sind eher unwahrscheinlich.
 

Tobias Montag, geboren 1981 in Erfurt, Koordinator Innenpolitik, Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Redaktionsschluss für diesen Beitrag war der 27. November 2015.

 

1 Etwa Broder, Henryk M.: „Die über allen Wassern schwebt – die ewige Kanzlerin“, in: Die Welt [09.08.2015].
2 Brettschneider, Frank: Spitzenkandidaten und Wahlerfolg. Personalisierung – Kompetenz – Parteien. Ein internationaler Vergleich. – Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2002.
3 Forschungsgruppe Wahlen e.V.: Politbarometer Extra 11/2015. Repräsentative Umfrage in Baden-Württemberg – KW 47.
4 Lange, Nico: „Stabil, weil beweglich. Was die Wahlergebnisse 2013 und 2014 für die künftige Entwicklung des Parteiensystems aussagen“, in: Die Politische Meinung, 59. Jahrgang, 529/2014, S. 97–101.
5 Siehe www.wahlrecht.de/umfragen/landtage [24.11.2015].
6 Forschungsgruppe Wahlen e.V.: Politbarometer Extra 11/2015.
7 Dies.: Politbarometer Extra 01/2016. Repräsentative Umfrage in Rheinland-Pfalz – KW 03.
8 Hennecke, Hans Jörg: „Wählermarkt und Koalitionsmarkt. Der strategische Zielkonflikt im deutschen Parteienwettbewerb“, in: Baus, Ralf Thomas (Hrsg.): Zur Zukunft der Volksparteien. Das Parteiensystem unter den Bedingungen zunehmender Fragmentierung. – Sankt Augustin, Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2009, S. 147–163.
9 www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/sachsen-anhalt.htm [24.11.2015].
10 Bingener, Reinhard: „Links blinken, aber wohin fahren?“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung [04.08.2015].
11 Steffen, Tilmann: „Verdorrt im Schatten der AfD“, in: Zeit Online [23.11.2015].
12 Grabow, Karsten / Lange, Nico, u. a.: Spiel über Bande. Wie EU-Gegner nationale Politik beeinflussen, Analysen & Argumente Nr. 168, Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2015.
13 „Erfurts Pegida heißt AfD“, in: FAZ.net [08.10.2015].
14 Etwa Niedermayer, Oskar: „Eine neue Konkurrentin im Parteiensystem? Die Alternative für Deutschland“, in: ders. (Hrsg.): Die Parteien nach der Bundestagswahl 2013. – Wiesbaden: Springer VS, 2015, S. 206.