Die Europäische Weltraumagentur (European Space Agency, ESA) widmet sich der Erforschung und Nutzung des Weltraums. 1975 gegründet, umfasst sie heute 22 Mitgliedstaaten. Seit über vierzig Jahren fördert die ESA die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen Europas im All. Ihre Anstrengungen kommen sowohl Privatpersonen als auch Institutionen und Unternehmen zugute. Die ESA-Mitgliedstaaten arbeiten eng zusammen und teilen finanzielle sowie wissenschaftliche Ressourcen, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Mit dem europäischen Weltraumbahnhof in Kourou (Französisch-Guayana) bietet die ESA wissenschaftlichen und kommerziellen Missionen einen unabhängigen Zugang zum Weltall.
Weltraum prägt unseren Alltag, etwa durch Anwendungen wie Erdbeobachtung, Navigation oder Kommunikation. Die Raumfahrt ist unabdingbar für das tägliche Leben und die moderne Gesellschaft. Ohne Raumfahrt gäbe es keine genaue Wettervorhersage, keine zuverlässige Energieversorgung, keine sichere Navigation zu Land, zu Wasser und in der Luft, weder weltumspannende Telekommunikation noch globale Finanztransaktionen. Ohne Raumfahrt wären auch der heutige Lebensstandard und das Funktionieren der globalen Wirtschaft nicht mehr denkbar. All das ermöglicht die Raumfahrt, oft unbemerkt und im Hintergrund.
Die ESA steht im Dienst übergeordneter politischer und strategischer Vorgaben – auf nationaler, europäischer und globaler Ebene. Sie unterstützt Ziele wie den Klimaschutz, eine nachhaltige Entwicklung, den europäischen Green Deal oder die Digitalisierung. Sie ist auch ein wichtiges Werkzeug internationaler Beziehungen im Rahmen der sogenannten Weltraumdiplomatie.
Die Raumfahrt ist in mancherlei Aspekten eine etablierte Branche. Gleichzeitig erleben wir einen tiefgreifenden Wandel, der oft mit dem Begriff New Space umschrieben wird. Die neuen Entwicklungen umfassen neue Akteure – oft außerhalb des traditionellen Weltraumsektors, eine stärkere kommerzielle Orientierung, neue technische Konzepte wie Minisatelliten, Konstellationen, Künstliche Intelligenz und machine learning, einen vereinfachten Zugang zum Weltraum, etwa durch niedrigere Startkosten, und neue Finanzierungsmodelle, beispielsweise durch Risikokapital.
„Old Space“ and „New Space”
Diese neueren Entwicklungen stellen alle Beteiligten vor große Herausforderungen – auch die ESA. Unsere Antwort ist die Agenda 2025, die die strategische Ausrichtung der ESA festlegt und verschiedene Prioritäten beinhaltet. Eine davon ist die Stärkung der Partnerschaft zwischen der ESA und der Europäischen Union in Weltraumfragen. Die Beziehung dieser beiden Akteure bildet den Grundpfeiler europäischer Weltraumaktivitäten, die in Abstimmung und im Verbund mit entsprechenden nationalen Tätigkeiten durchgeführt werden. Sichtbarer Ausdruck dieser Partnerschaft sind die gemeinsamen Weltraum-Flaggschiffprojekte, wie Galileo zur Navigation, Copernicus zur Erdbeobachtung sowie die Satellitenkonstellation IRIS2 (Infrastructure for Resilience, Interconnectivity and Security by Satellite) zur sicheren Kommunikation, die ab 2024 erste Dienste für eine flächendeckende Internetanbindung bereitstellen und bis 2027 ihren vollen Betrieb aufnehmen soll. Eine weitere Priorität der ESA ist die Kommerzialisierung – mit starker Betonung von New Space. Wir schöpfen noch nicht alle Möglichkeiten des Weltraums aus, daher ist New Space ein Beitrag zu seiner besseren Nutzung. Gemäß ihrer Konvention wird die ESA ihre traditionellen, gewachsenen und einzigartigen Kompetenzen bewahren, pflegen und ausbauen. Gleichzeitig sieht sie sich selbst als Bestandteil von New Space. Es gibt keine scharfe Trennline mehr zwischen Old Space und New Space!
Ein Kernpunkt bleibt die wissenschaftliche und technische Exzellenz der ESA. Allein im Jahr 2023 wurden zwei einzigartige wissenschaftliche Missionen gestartet: mit der Raumsonde JUICE (Jupiter Icy Moons Explorer, Jupiter-Eismond-Erkunder) zur Erforschung von Jupitermonden und der Bedingungen zur Entstehung von Leben sowie dem Weltraumteleskop Euclid zur Untersuchung Dunkler Energie und Dunkler Materie, eines der größten Rätsel unseres Universums. Außerdem umkreist derzeit der ESA-Astronaut Andreas Mogensen unseren Planeten an Bord der Internationalen Raumstation ISS.
Weltraum und Sicherheit
Insgesamt gilt es, Europa einen Platz im Weltraum zu sichern, um mit der Geschwindigkeit der globalen Entwicklung mithalten zu können und seinem weltweiten politischen und wirtschaftlichen Gewicht Rechnung zu tragen. Zum einen muss Europa einen angemessenen Anteil am globalen Weltraummarkt erreichen, der sich derzeit auf 460 Milliarden US-Dollar beläuft und bis Ende der 2030er-Jahre voraussichtlich bis zu einer Billion US-Dollar betragen wird. Die ESA hat bereits mehrere Programme und Initiativen zur Förderung innovativer Unternehmen und Start-ups lanciert. Diese Anstrengungen müssen jedoch substanziell und langfristig flankiert werden, politisch und finanziell. Zum anderen muss Europa mehr Autonomie in der Weltraumexploration erlangen. Das Expertengremium High Level Advisory Group on Space Exploration hat kürzlich seinen Abschlussbericht Revolution Space veröffentlicht. Dort heißt es: „Europa sollte sich an einem mutigen […] Explorationsprogramm beteiligen, um die europäischen Werte wiederzubeleben und die europäische Führungsrolle über den Weltraum hinaus zu projizieren.“ Eine solche Position europäischer Stärke ist Voraussetzung für eine engere internationale Zusammenarbeit im Weltraum, die zentrales Ziel der ESA bleibt.
Schließlich muss sich Europa stärker um das Thema Sicherheit kümmern, wie es in der Agenda 2025 vorgesehen ist. Die Zusammenhänge zwischen Weltraum und Sicherheit werden verstärkt wahrgenommen, nicht zuletzt durch den Krieg in der Ukraine. Die ESA ist durch ihre Konvention zwar ausschließlich friedlichen Zwecken verpflichtet. Angesichts der Doppelnatur des Weltraums ist sie jedoch an einigen sicherheitsrelevanten Aktivitäten beteiligt, etwa an Galileo mit seinem öffentlich regulierten Dienst oder an Copernicus mit seinem Sicherheits- sowie Katastrophen-/Notfallmanagementdienst. Bei der ESA-Ministerratstagung 2022 in Paris haben die Mitgliedstaaten auch ein Programm zur zivilen Sicherheit durch den Weltraum beschlossen.
Ein Europa, das souveräner werden möchte, muss auch seine weltraumgestützten Infrastrukturen und Dienstleistungen schützen. Flächendeckende Konnektivität, Internetsicherheit und der Zugang zu verlässlichen Daten gehören als Basis für Sicherheit und wirtschaftlichen Erfolg dazu. Deshalb ist die ESA ein wichtiger Partner des IRIS2-Programms, das öffentlichen Institutionen und Bürgern verbesserte und sichere Kommunikationsmöglichkeiten bieten wird.
Strategischer Weitblick
Die ESA verfügt über das notwendige Know-how, die Instrumente und die Verfahren für sicherheitsrelevante Tätigkeiten. Sie versteht sich als vertrauenswürdiger Partner (trusted partner) und ist bereit, auf Wunsch der politischen Ebene entsprechende technische Lösungen zu liefern. Es sei daran erinnert, dass die Aktivitäten der ESA die nationalen Anstrengungen, Investitionen und Vorhaben ergänzen und verstärken.
All dies benötigt den Einsatz finanzieller Mittel. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass Ausgaben für den Weltraum gut investiertes Geld sind: Unabhängige Studien schätzen, dass jeder für den Weltraum ausgegebene Euro etwa fünf Euro an wirtschaftlichem Nutzen generiert. Außerdem halten sich die öffentlichen Ausgaben der ESA mit vierzehn Euro pro Jahr und Bürger Europas im moderaten Rahmen und betragen nur einen Bruchteil im Vergleich zu den Aufwendungen der USA.
Die Fülle und Relevanz der künftigen Aufgaben erfordern strategischen Weitblick und politische Führung auf höchster Ebene. Deswegen haben wir einen Weltraumgipfel vorbereitet, der im November 2023 in Sevilla stattfand. Es handelte sich um eine Abfolge offizieller Treffen von Exekutivorganen der ESA und der Europäischen Union in verschiedenen Konstellationen. Der Weltraumgipfel konzentrierte sich insbesondere auf folgende Themen: Klimaschutz und grüner Wandel einschließlich des Akzelerator-Projekts Space for a Green Future; garantierter Zugang zum Weltraum für Europa, insbesondere das Thema europäische Trägerraketen und Astronautische sowie robotische Exploration, aufbauend auf dem bereits erwähnten Bericht Revolution Space.
Die auf dem Weltraumgipfel gewonnenen Erkenntnisse dienen als Entscheidungsgrundlage für den nächsten Ministerrat der ESA im Jahr 2025, bei dem die Weichen für das weitere Vorgehen Europas in Weltraumfragen gestellt werden. Die ESA wird die dazu notwendige Vorarbeit leisten und die auf politischer Ebene gefassten Beschlüsse umsetzen – immer getragen von dem Wunsch, den Nutzen des Weltraums für alle Bürger zu erschließen.
Josef Aschbacher, geboren 1962 in Ellmau (Österreich), promovierter Geophysiker, seit 2021 Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (ESA).
Weiterführende Informationen unter:
The European Space Agency, www.esa.int/.