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Zwischen Bürgerpolizei und Feindbild

Polizeibeamte und Autorität

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Laut dem Standard Eurobarometer der Europäischen Kommission hatten im Winter 2022/23 rund 78 Prozent der Deutschen Vertrauen in die Polizei, rund achtzehn Prozent vertrauten ihr nicht. Im Herbst 2019 war das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in ihre Polizei mit 85 Prozent auf einem Höchststand. Trotz einer Abnahme um sieben Prozentpunkte in den vergangenen drei Jahren bleibt das Vertrauen in die Polizei demnach groß.

Die Polizei ist Teil der Exekutive. Ihre primäre Aufgabe ist die Gewährleistung der inneren Sicherheit. Polizeibeamte müssen Autorität ausüben und zugleich bei den Bürgerinnen und Bürgern Vertrauen erwecken. Die Wahrnehmung von Autorität und Respekt ist eine Grundvoraussetzung für polizeiliches Handeln. Die Autorität der Polizei stützt sich einerseits auf ihren gesetzlichen Auftrag, andererseits auf das hohe Ansehen innerhalb der Bevölkerung. Die Amtsautorität wird Polizeibeamten zugeschrieben, weil sie gesetzlich legitimiert ist. Diese Autorität konkretisiert sich in jeder Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern.

Weil Autorität zugeschrieben wird, ist Autorität (Amtsautorität sowie personale Autorität) nur beständig, wenn diese auch von den Bürgerinnen und Bürgern bejaht wird. Vertritt das Gegenüber die Auffassung, dass Polizeibeamte nicht automatisch Autorität innehaben, so ist die Amtsautorität trotz ihrer gesetzlichen Legitimation für das Gegenüber hinfällig.1

 

Herausfordernder Polizeialltag

 

Im Vergleich zu anderen Autoritäten ist für Polizeibeamte der Umgang mit Gewalt ein integraler Bestandteil ihres Berufs. Polizeibeamte setzen das Gewaltmonopol des Staates durch – zur Not mit körperlicher Gewalt. Polizeibeamte begeben sich in Situationen, in denen Gesetzesbrüche begangen worden sind. Sie müssen Recht und Ordnung wiederherstellen und treffen dabei nicht selten auf heftige körperliche und verbale Gegenwehr.

Der Eindruck vieler Polizeibeamter ist, dass die Polizei in den letzten Jahren immer heftiger kritisiert und attackiert wird. Wer diese Polizeibeamten fragt, ob und wie sich ihr Beruf verändert habe, bekommt häufig Klagen über die zunehmende Gewalt und Respektlosigkeit zu hören, die ihnen im Polizeialltag entgegenschlage.2

In Bezug auf die massiven Angriffe auf Polizeibeamte in der Silvesternacht 2022/23 sprach der Zürcher Kriminologe Dirk Baier von einer Art „Machtspiel“ mit der durch die Polizei vertretenden Staatsgewalt. Baier nutzte hierfür auch die Begriffe „Hassobjekt“, „Freiwild“ und „Verrohungstendenzen“.3

Die Polizei und ihre Arbeit werden heute stärker hinterfragt, ihre Autorität wird häufiger infrage gestellt. Es gibt Jugendliche, die sich über unverhältnismäßige Kontrollen während des Corona-Lockdowns beschweren, Studierende, die gegen Polizeigewalt und strukturellen Rassismus protestieren. Dazu kommen radikale und extremistische Milieus der Bereiche Rechtsund Linksextremismus, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sowie bei der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates. Dort werden Polizeibeamte als „Bullen“, „Bullenschweine“, „Bastarde“ (ACAB, All Cops Are Bastards) und „Söldner der Corona-Diktatur“ diffamiert.

Dass bestimmte radikale und extremistische Milieus Polizeibeamte ablehnen und ihre Autorität infrage stellen, ist allgemein bekannt. Eine massive Gefährdung der Autorität der Polizei wäre es, wenn diese Ablehnungshaltung, diese Feindbilder auf größere Teile der Gesellschaft übergriffen. Um dies zu verhindern, sind Transparenz, eine sensible Fehlerkultur aufseiten der Polizei, jedoch auch eine gesamtgesellschaftliche Debatte über Ablehnungshaltungen gegen die Polizei unabdingbar.4

Polizeibeamte werden deutschlandweit pro Tag Opfer von mehr als 200 Angriffen.5 In der Hauptstadt Berlin werden täglich durchschnittlich zwei Polizeibeamte Opfer einer Gewalttat.6

 

Sinkende Hemmschwelle

 

Eine lautstarke Minderheit erklärt Polizeibeamte permanent in den Sozialen Netzwerken zu „Feinden“, macht sie zu personifizierten, zu entmenschlichten Hassobjekten. Enthemmte Sprache in den Sozialen Netzwerken senkt die Hemmschwelle für Gewalt gegen Polizeibeamte. In den letzten Jahren ist das Thema Gewalt gegen Polizeibeamte von den Medien und der Politik (etwas) breiter in der Öffentlichkeit thematisiert worden. Das Bundeskriminalamt veröffentlicht hierzu jährliche Lagebilder. Zu den Gewalttaten gegen Polizeibeamte nennt das aktuelle Bundeslagebild für den Berichtszeitraum 2021 insgesamt 39.649 Fälle von Gewalttaten; dadurch wurden 88.626 Polizeibeamte Opfer von Gewalt, davon waren 79,3 Prozent männlich und 49,5 Prozent zwischen 25 und 35 Jahren alt. 87 Prozent der Polizeibeamten, die Opfer von Gewalttaten wurden, waren von Widerstand und tätlichem Angriff betroffen.7

Polizeibeamte schützen – mit ihrem Leben und mit ihrer Gesundheit – die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, unsere Demokratie, unsere freiheitliche demokratische Grundordnung. Polizeibeamte riskieren für unsere Demokratie, für unseren Rechtsstaat, tagtäglich ihr Leben. Polizeibeamte befinden sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Bürgerpolizei und Feindbild. Wer einen Polizeibeamten angreift, greift unsere Demokratie an, unsere Bundesrepublik Deutschland.

Gewalt gegen Polizeibeamte muss mit der vollen Härte des Rechtsstaats beantwortet und ein gesamtgesellschaftlicher Konsens zur Ächtung der Gewalt gegen Polizeibeamte, Rettungskräfte und andere Menschen, die den Staat vertreten, erzielt werden. Wir müssen die schützen, die uns schützen!

 

Stefan Goertz, promovierter Staatswissenschaftler, Professor für Sicherheitspolitik, Schwerpunkt Extremismus- und Terrorismusforschung, Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei, Lübeck.

 

1 Vgl. Matthias Weber: „Relevanz von Autorität und Respekt für polizeiliches Handeln. Wie entstehen polizeiliche Autorität und Respekt und wie können sie in polizeiliches Handeln integriert werden?“, in: SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis, Nr. 4/2020, S. 15.

2 Tanjev Schulz: Dein Freund, dein Feind? Zur Wahrnehmung der Polizei in der Mediengesellschaft, Bundeszentrale für politische Bildung, 02.08.2021, www.bpb.de/themen/innere-sicherheit/dossier-innere-sicherheit/335489/dein-freund-dein-feind/ [letzter Zugriff: 03.05.2023].

3 Uwe Pagels: „Mob sucht ‚Machtspiel‘ mit Polizei“. Interview mit Dirk Baier, in: Bayerischer Rundfunk, 03.01.2023, www.br.de/nachrichten/bayern/experte-ueber-silvester-gewalt-mob-sucht-machtspiel-mit-polizei,TRsUPM7 [letzter Zugriff: 03.05.2023].

4 Ebd.

5 „Polizisten in Deutschland zunehmend Opfer von Gewalt“, in: Handelsblatt, 28.05.2020, www.handelsblatt.com/politik/deutschland/angriffe-polizisten-in-deutschland-zunehmend-opfer-von-gewalt/25868692.html [letzter Zugriff: 03.05.2023].

6 Ebd.

7 Vgl. Bundeskriminalamt: Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte. Bundeslagebild 2021, Wiesbaden 2022, S. 4.

 

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