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Leni Riefenstahl als Blaupause für Fake News?

Leni Riefenstahl als Blaupause für Fake News?

Regisseur Andres Veiel bietet in seinem neuen Dokumentarfilm Riefenstahl einen faszinierenden, kritischen Einblick in das Leben der NS-Propagandistin Leni Riefenstahl und ihr gefährliches Erbe. Veiel zeigt, wie ihre Ästhetik der Stärke und Ausgrenzung heute wieder beunruhigend aktuell wird.

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Alles fing damit an, dass die Journalistin und Moderatorin Sandra Maischberger 2002 mit Leni Riefenstahl, anlässlich ihres 100. Geburtstages, ein Interview geführt hatte, das sie selbst als gescheitert betrachtet: „Ich hatte das Gefühl, nicht an sie herangekommen zu sein.“

Neue Perspektiven auf das kontrovers diskutierte Werk der Lieblingsregisseurin von Hitler und Goebbels haben sich gut zwanzig Jahre später durch den Nachlass eröffnet, der nach dem Ableben von Leni Riefenstahl im Jahr 2003 und ihres Lebensgefährten Horst Kettner im Jahr 2016 zugänglich wurde. 700 Kisten mit Dokumenten, Fotos, Briefen, Tonbändern, Filmen fboten Sandra Maischberger die Gelegenheit, als Produzentin zusammen mit Regisseur Andres Veiel nachzuhaken. Der wiederum hat in Dokumentarfilmen wie „Balagan“, „Black Box BRD“, „Der Kick“ oder „Beuys“, aber auch im Spielfilm „Wer, wenn nicht wir“ die Aufarbeitung der Vergangenheit immer damit verbunden, auch der Gegenwart in Deutschland den Puls zu messen. Schwierige Dialoge anzustiften ist die große Leidenschaft des Regisseurs, beispielsweise zwischen Palästinensern und Israelis in „Balagan“ oder zwischen der Witwe von RAF-Opfer Alfred Herrhausen und Angehörigen von Wolfgang Grams in „Black Box BRD“. Mit Hilfe des Nachlasses von Leni Riefenstahl zettelt er jetzt eine Art Streitgespräch an, zwischen der Künstlerin Leni und der Nationalsozialistin Riefenstahl. Entstanden ist ein Film, der aus der Vergangenheit heraus in die Gegenwart strahlt, in der rechtsnational populistische Kräfte weltweit auf dem Vormarsch sind.

Sie haben jetzt mehrere Jahre Ihres Lebens mit dem Nachlass von Leni Riefenstahl verbracht: Was waren Ihre größten Bedenken, sich auf dieses Wagnis einzulassen?

Andres Veiel: Die Ausgangsfrage war, gibt es genügend neue Einsichten und Erkenntnisse im Nachlass? Es war ja absehbar, dass Leni Riefenstahl ihr großes Archiv vor ihrem Tod bearbeitet und gefiltert hat. Um so überraschter war ich, dass ich zu Beginn der Recherchen auf immer neue Materialien gestoßen bin: unbekannte Fotos und private Filme, aber auch persönliche Notizen, ein Tagebuch oder Entwürfe zu ihren Memoiren, die nicht nur das erzählten, was ich schon über Riefenstahl wusste. Dazu gehörte auch ein Konvolut von etwa 25 Seiten Kindheitsbeschreibung, das sich fundamental von den fertigen Memoiren unterschied, insbesondere, was die Gewalterfahrung mit ihrem Vater anging.

Welche Rolle spielten diese Kindheitsbeschreibungen?

Andres Veiel: Nicht nur Riefenstahl, ihre ganze Generation stand noch unter dem Einfluss preußischer Erziehungsideale: Drill, harte Disziplin, heroische Kampfbereitschaft waren über Jahrhunderte Überlebensmechanismen eines kleinen Landes, das sich übermächtigen Feinden gegenübersah. Dem war Riefenstahl auch als Mädchen sehr früh ausgesetzt. Glaubt man ihren Erzählungen, wurde sie als Kind vom Vater ins Wasser geworfen, sie sollte Schwimmen lernen. Riefenstahl berichtet von der Angst zu ertrinken, von Momenten von Todesangst. In ihren Entwürfen dreht sie diese angstbesetzte Erfahrung in eine Feier des Sieges: Sie wurde später eine gute Schwimmerin, gewann Wettbewerbe. Sie identifiziert sich mit der Stärke des Vaters. Die Feier des Starken und Überlegenen setzt sich dann später fort, in den Begegnungen mit ehemaligen Weltkriegsteilnehmern am Set ihrer Bergfilme. Einer ihrer Kollegen bringt diese Erfahrung auf den Punkt: Die Schwachen seien an den Kriegserfahrungen zerbrochen, die anderen gestärkt hervorgegangen sind. Das sei Voraussetzung gewesen, sich vor der Fahne des Führers zu versammeln. Das galt auch für Riefenstahl. Ich wollte den tieferen Voraussetzungen für den Faschismus nachgehen: Warum folgen Menschen faschistischen Idealen. Warum entwickeln sie eine Sehnsucht nach einer starken Hand, nach einer Autorität, die ihnen das Gefühl einer Auserwähltheit vermitteln. Immer verbunden mit einem Feindbild, der Abwertung anderer. Damit wird es auch sehr heutig.

Wie sind Sie konkret im Schnitt vorgegangen?

Andres Veiel: Wir haben Schriftgut, ihre unzähligen Fotos und die Filme zunächst nach bestimmten Themenschwerpunkten vorsortiert – so, wie es vom Treatment her angelegt war. Es war immer klar, dass wir nicht Riefenstahls gesamte Biografie auserzählen wollten, wir mussten also von Anfang an auf den Mut zur Lücke setzen. Dann fanden sich im Nachlass viele Audio-Tapes, in denen sie wichtige Abschnitte ihrer Biografie beschrieb. Die Frage war, wie wir das in eine filmische Erzählung bringen können. Ich hatte drei großartige Editoren, die sich eigenständig auf die Suche nach einer dem Nachlass angemessenen Filmsprache machten. Ich war eher der Anwalt inhaltlicher Erzählschwerpunkte, so wollte ich unbedingt, dass die Gewalterfahrungen in der Kindheit einen Platz im Film finden. Wir haben nach innerer Stringenz gesucht, immer mit den Kernfragen: Wer ist Leni Riefenstahl? Und was bedeutet sie für heute? Eine der frühen Thesen war: Über die unbekannten Materialien des Nachlasses ein Close-Up dieser Frau zu erarbeiten. Um Riefenstahl als Prototyp zu verstehen – für die Entstehung von Faschismus bis zur Verbreitung von Fake News. Klar wäre da ein Mehrteiler denkbar gewesen. Aber mir war wichtig, eine kompakte Kinofassung zu machen, weil Kino immer noch der Raum ist, in dem ein Film konzentrierter wahrgenommen wird, in dem aus der Begegnung von Zuschauern und Zuschauerinnen Debatten entstehen.

700 Kisten Fotos, Filme, Dokumente: Wie viele andere Filme mussten Sie da zurücklassen?

 Andres Veiel: In den 18 Monaten Schnitt gab es mindestens fünf sehr unterschiedliche filmische Versionen. Manchmal haben allein schon ein anderer Anfang, zwei oder drei Umstellungen und ein anderer Schluss zu einer ganz anderen Erzählung geführt. Uns wurde sehr bald klar, dass der Film aus der Materialität des Nachlasses und seiner Leerstellen argumentieren muss. Und dass ich dem Material nichts aufzwingen kann, was dramaturgisch vielleicht wünschenswert wäre. Die großartigen Editoren hatten dabei einen freieren Blick, sie haben oft Dinge im Nachlass entdeckt, die mir nicht aufgefallen sind.

Im Film erzählt Leni Riefenstahl von den drakonischen Strafen ihres Vaters. Nachdem sie Schokolade geklaut hatte, wird sie verprügelt und stundenlang eingesperrt. Am Ende sagt sie „Stellen Sie sich mal vor, ich habe nicht eingesehen, dass ich schuldig war.“ Ist das nicht eine Blaupause für ihre spätere Uneinsichtigkeit?

Andres Veiel: Das war ein interessanter Punkt, sie streitet ab, gestohlen zu haben, damit ist der sie schlagende Vater im Unrecht. Das war für uns wie eine Urszene der Realitätsverleugnung, der Schuldabwehr und damit auch der Lüge. Viel interessanter als der moralische Vorwurf, dass Riefenstahl die Unwahrheit erzählt, ist für mich die Frage, wofür steht die Lüge? Wird sie glaubhafter, weil jemand sie mit Vehemenz wiederholt, und damit eine neue Wahrheit etabliert? Damit sind wir bei der Produktion und der Wirksamkeit von Fake News. Dieses Phänomen lässt sich an Leni Riefenstahl gut beobachten.

Warum hat Leni Riefenstahl ihre Verstrickungen so konsequent geleugnet?

Andres Veiel:Da gibt es zwei Thesen, die beide plausibel sind. Die eine ist, dass die Schuld zu groß war, weil sie eines der ersten Juden-Massaker im zweiten Weltkrieg unwillentlich mit ausgelöst hatte. Sie wollte im polnischen Konskie die Beerdigung von vier getöteten, deutschen Soldaten filmen. Eine Gruppe von Juden war gezwungen worden, auf dem Dorfplatz eine Grube für die Toten auszuheben. Die grabenden Männer störten offenbar Riefenstahls ästhetisches Empfinden, sie soll gerufen haben: „Die Juden aus dem Bild“. So beschreibt es ein Adjutant nach dem Krieg. Durch ihre Regieanweisung soll die Situation eskaliert sein, die Juden wurden geschlagen, sie versuchten wegzurennen, Schüsse fielen, 22 Juden wurden erschossen. Riefenstahls Verwicklung in das Massaker von Konskie könnte eine Erklärung für ihre lebenslange Leugnung ihrer Schuld sein, die damit sehr viel größer wäre, als bisher angenommen. Die andere Entdeckung im Nachlass war: Riefenstahl blieb auch nach dem Krieg weiter der NS-Ideologie verhaftet, nicht nur der Ästhetik, sondern auch im Glauben an die Notwendigkeit einer starken Hand, an ein sittlich-moralisch überlegenes Deutschland.

Manche Kritiker haben Ihnen vorgeworfen, dass Sie Leni Riefenstahl zu viel Raum geben, sie deutlicher hätten entlarven müssen.   

Andres Veiel: Ich hatte von Anfang an ein von Distanz und Misstrauen geprägtes Verhältnis zu Riefenstahl. Trotzdem gab es auch Momente, in denen ich versucht habe, ihr auch empathisch zu begegnen, etwa bei den Gewalterfahrungen durch den Vater und andere Männer. Wir müssen begreifen, sie ist kein monströses Alien. Nein, sie ist eine von uns, kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Das entschuldigt nichts, sie ist und bleibt die Propagandistin eines Unrechtsregimes. Interessant ist, wie sie es wurde. Und warum sie sich davon nicht lösen konnte.

Bis zuletzt hat Leni Riefenstahl einen Zusammenhang zwischen Kunst und Politik geleugnet …

Andres Veiel: … das ist eine ihrer vielen Legenden. Die Verbindung zwischen Kunst und Politik hat sie konsequent bestritten, was angesichts ihrer Verbundenheit mit Hitler und der NS-Elite natürlich absurd ist. Wir haben ein Interview im Daily Express gefunden, das nicht im Nachlass war, da sagt sie 1934: „Ich habe „Mein Kampf“ schon 1931 gelesen und nach Seite eins bin ich überzeugte Nationalsozialistin geworden.“ Das widerspricht ihrer Aussage, vollkommen unpolitisch gewesen zu sein, und dass es im „Triumph des Willens“ nichts Rassistisches, nichts Antisemitisches gebe. Aber solche Filme kann nur jemand machen, der ideologisch von den NS-Idealen überzeugt ist.

Quentin Tarantino preist Leni Riefenstahl als „beste Regisseurin, die jemals lebte“. Um das zu erkennen, müsse man nur ihre Olympia-Filme sehen. Wie sehen Sie ihren Rang als Künstlerin?

Andres Veiel: Sie war eine herausragende Editorin.  Sie hatte ein feines Gespür für Bewegungsabläufe und Rhythmus. Ihre Sehnsucht nach Identifikation mit dem Schönen, Erhabenen, Überhöhten hat sich mit ihrem Talent für Rhythmus und Raum ergänzt, das sie möglicherweise durch den Tanz erworben hat. Sie war auch eine gute Regisseurin., instinktsicher hat sie Menschen engagiert, die innovativ arbeiteten. Sie hat die Aufnahmen eines Weitspringers gesehen, der eine Kamera auf seine Skier montiert hatte, und gesagt, den will ich! Sie war aber eine miserable Autorin, das zeigen die rund 25 Drehbücher im Nachlass.

Premiere hatte „Riefenstahl“ auf dem Festival in Venedig, wo 1938 auch ihr Olympiafilm ausgezeichnet wurde: Wie haben Sie das erlebt?

Andres Veiel: Venedig war der richtige Ort für die Uraufführung, es hätte keinen besseren geben können. Nicht nur, weil Riefenstahl dort in der Blüte des italienischen Faschismus gefeiert wurde. Sondern auch, weil in Italien heute eine Ministerpräsidentin an der Macht ist, die die faschistischen Wurzeln ihrer Partei relativiert, deren Parteimitglieder den faschistischen Gruß zeigen und sich zu diesem Erbe bekennen. Der Film hat in Venedig viele Debatten angestoßen – wie übrigens auch in den USA. Dort haben viele gesagt, der Film müsse jetzt in die Kinos, in einer Zeit, in der ein Präsidentschaftskandidat davon spricht, dass Migranten das amerikanische Blut verseuchen. In den USA, wie an vielen anderen Orten, wird wieder die Überlegenheit der einen über die anderen propagiert. Aus der Verachtung des vermeintlich Anderen, des Kranken, Fremden wird Ausgrenzung, wird Hass, wird Vernichtung. Wir leben in einer Zeit der Schamlosigkeit, das, was vor ein paar Jahren noch nicht offen gesagt worden wäre, wird jetzt laut herausgeschrien – und mit Wählerstimmen belohnt. Insofern ist der Film eine Warnung – er spricht aus der Zukunft zu uns.

Hat die Kunst, haben Dokumentarfilme die Kraft, die Welt zu verändern?

Andres Veiel: Kunst trägt in sich ein Versprechen, die Welt mit anderen Augen zu sehen, das Unbekannte als etwas Vertrautes, das scheinbar Bekannte als etwas Fremdes, Unbekanntes wahrzunehmen. Das kann als etwas Beglückendes, Befreiendes erlebt werden, aber auch Ängste und Widerstände hervorrufen. In diesem Sinne ist Kunst immer auch Zumutung. Wenn Menschen die Zumutung annehmen, wenn sie sich ihr gegenüber öffnen, dann hat Kunst das Potential, etwas zu verändern, wenn auch nicht gleich die ganze Welt.

Das Interview führte Anke Sterneborg

privat

Anke Sterneborg, geboren 1960 in Erlangen, Studium Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Publizistik in München und Berlin. Seit 1989 freie journalistische Arbeit über Film und Kunst u.a. für Süddeutsche Zeitung, ZEITonline, epdFilm. Diverse Veröffentlichungen u.a. in Reclam Filmklassiker, Katalog der Retrospektive Traumfrauen, Filmkonzepte Roman Polanski und Michael Haneke, Katalog Birgit Brenner, Wolfsburg 2021.

Seit 1990 regelmäßige Beiträge für rbbKultur, Portraits, Kritiken, Reportagen, „Kulturtermine“ (25 Minuten Features) unter anderem über Jean Seberg, Danny Boyle, Anton Corbijn, Clint Eastwood, Die Veränderung des filmischen Erzählens durch das Telefon, Heimat im Deutschen Film, Blindheit im Kino, Katastrophen im Kino. Zusammen mit Irene Höfer Arte-Documania-Portraits „IRIS“ über Iris Berben und „Barbara Sukowa - Spielen wie ein Kind“.

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