Kaum ein Thema ist – in bemerkenswerter Parallelität von gesellschaftlichem Diskurs und justizpolitischer Debatte – so intensiv und kontrovers beleuchtet worden wie der Umgang mit Hass und Hetze im Netz. In der Folge sind in mehreren Iterationen mit den Regelungen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) konkrete gesetzgeberische Vorgaben entstanden. So sieht § 3a NetzDG vor, dass Anbieter eines sozialen Netzwerks dem Bundeskriminalamt als Zentralstelle zum Zweck der Ermöglichung der Verfolgung von Straftaten – Inhalte übermitteln, die als strafrechtlich relevant eingestuft worden sind. Die Vorschrift sollte die Strafverfolgung im Netz revolutionieren, mehrere Hunderttausend Meldungen pro Jahr wurden erwartet. Wirkung konnte die Norm jedoch nicht entfalten. Denn das Verwaltungsgericht Köln hat mit Beschluss vom 01.03.2022 (Az. 6 L 1277/21; 6 L 1354/21) Anträgen mehrerer sozialer Netzwerke im Eilverfahren stattgegeben und festgestellt, § 3a NetzDG verstoße gegen europäisches Recht. Auch auf europäischer Ebene ist mit dem jüngst in Kraft getretenen Digital Services Act ein Handlungsrahmen gesteckt, dessen tatsächliche Auswirkungen auf die Bekämpfung digitaler Hasskriminalität abzuwarten bleiben. Ganz aktuell hat das Bundesjustizministerium Eckpunkte eines „Gesetzes gegen digitale Gewalt“ kommuniziert, das vor allem den Betroffenen von Rechtsverletzungen im digitalen Raum erleichtern soll, zivilrechtlich gegen sie vorzugehen. So sind private Auskunftsverfahren vorgesehen, in deren Folge man die Herausgabe von Nutzungsdaten digitaler Dienste verlangen kann.
Ungeachtet der Einordnung der jeweiligen Maßnahmen und Initiativen zeigt die Vielfalt der Lösungsvorschläge, dass der Königsweg zur Eindämmung von Hass und Hetze im Internet noch nicht gefunden scheint. Aus Sicht der Strafverfolgung sind jedoch zwei wesentliche Aspekte festzuhalten:
1. Strafverfolgung allein wird das Problem von Hass und Hetze im Netz nicht lösen.
Schon der Begriff der digitalen Hasskriminalität ist vielgestaltig. § 3a NetzDG nennt als meldepflichtige Sachverhalte eine große Palette von Tatbeständen von dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen über bestimmte Formen der Bedrohung bis hin zur Volksverhetzung. Diese Bandbreite lässt gleichwohl manche Tatbestände unberücksichtigt. Vor allem aber kann sie alle Sachverhalte unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit nicht adressieren. Staatsanwaltschaften verfolgen Hasskriminalität. Nicht jede pointierte, unanständige oder auch kaum erträgliche Meinungsäußerung ist nach Maßgabe der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit strafrechtlich relevant. Die Erscheinungsformen von Hass und Hetze sind vielfältig. Der Strafverfolgung kommt die Reservefunktion zu, (nur) in Fällen der eindeutigen Überschreitung strafrechtlicher Grenzen einzuschreiten. Die Bekämpfung von Hass und Hetze muss daher mehr sein als der Kampf gegen Hasskriminalität. Sie erfordert zivilgesellschaftliches Engagement, politische Kultur, zivilrechtliche Begleitung und vieles mehr. Für eine wirkungsvolle Strategie ist es daher essentiell, nicht nur nach neuen Tatbeständen oder höheren Strafen zu rufen. Gesellschaftliche Probleme lassen sich nie nur allein mit dem Strafrecht lösen.
„Gesellschaftliche Probleme lassen sich nie nur allein mit dem Strafrecht lösen.“
Markus Hartmann
2. Ohne Strafverfolgung wird die Bekämpfung von Hass und Hetze im Netz nicht gelingen
Umgekehrt gilt allerdings auch: Ohne Strafverfolgung wird sich keine Strategie als wirksam erweisen. Denn wenn Grenzüberschreitungen nicht mehr sanktioniert werden, erodiert der Boden des gesellschaftlichen Diskurses. Staatsanwaltschaften verfolgen keine Meinungen. Sie verfolgen Straftaten. Damit dies gelingt, ist in den zurückliegenden Jahren viel passiert.
Die Strafverfolgungsbehörden haben sich neu organisiert und auf das Deliktsphänomen bezogen aufgestellt. In Nordrhein-Westfalen etwa ist – neben den Fachabteilungen der örtlichen Staatsanwaltschaften – eine gesonderte Abteilung bei der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) ausschließlich mit der Aufgabe der Verfolgung bestimmter Erscheinungsformen digitaler Hasskriminalität betraut worden. In vielen Bundesländern sind ähnliche Zentralstellenfunktionen eingerichtet worden. Vor allem aber haben sich die Strafverfolger mit der Zivilgesellschaft enger vernetzt. Projekte wie „Verfolgen statt nur Löschen“, bei dem Medien, Medienaufsicht und Strafverfolgung miteinander kooperieren, haben dazu beigetragen, Hürden für die Strafanzeigenerstattung abzubauen. Die Zentralstellen haben die Aufgabe, als greif- und sichtbare Ansprechpartner der Justiz mit Organisationen und Betroffenen unmittelbar in den Austausch zu treten. Verstärkt werden auch spezielle justizielle Ansprechpartner für einzelne gesellschaftliche Bereiche und Gruppen eingerichtet. Denn die Strafverfolgung muss für die Betroffenen zugänglich sein. Die Praxis hat gezeigt, dass der Weg zu einer anonymen Behörde „Staatsanwaltschaft“ in vielen Fällen nicht beschritten wird. Wirksame Strafverfolgung benötigt daher auch personalisiertes Vertrauen der von Straftaten Betroffenen. Daher ist es richtig, wenn sich die Strafverfolgung organisatorisch öffnet.
„Staatsanwaltschaften im Netz zu finden und vor allem zu erreichen, ist jenseits der E-Mail nahezu unmöglich. Wer digitale Hasskriminalität im Netz bekämpfen will, muss im Netz präsent sein.“
Markus Hartmann
Auch wenn die gesamtgesellschaftliche Debatte innerhalb der Strafverfolgung viel bewegt hat, ist ein idealer oder auch nur solide zufriedenstellender Zustand noch nicht erreicht. Die Urheber strafbaren digitalen Hasses zu ermitteln, erfordert zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen, um die Pseudonymisierung im Netz aufzulösen. „Klaus123“ kann nicht angeklagt werden. Wer hinter einem Nickname steht, liegt vielfach nicht auf der Hand, sondern ist das Ergebnis polizeilicher Ermittlungen. Die erfolgreiche Bekämpfung digitaler Hasskriminalität erfordert daher auch einen auskömmlichen Ressourceneinsatz bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten. Viel Potential für Verbesserungen besteht auch in der Zugänglichkeit der Strafverfolgungsbehörden. Polizei und Staatsanwaltschaft müssen da sein, wo die Straftaten begangen werden. Das heißt vor allem: Kontakt-, Kommunikations- und Anzeigenwege müssen digital werden. Manche polizeiliche „Internetwache“ ist eine Kommunikations- und Usability-Katastrophe. Staatsanwaltschaften im Netz zu finden und vor allem zu erreichen, ist jenseits der E-Mail nahezu unmöglich. Wer digitale Hasskriminalität im Netz bekämpfen will, muss im Netz präsent sein. Es ist eine der drängenden Aufgaben, diesen Zustand zu ändern. Daher ist es richtig, dass in der Justiz selbst, so etwa im Technikteam der ZAC NRW, gemeinsam mit Wissenschaft und Wirtschaft an Lösungen gearbeitet wird.
Die Strafverfolgung muss sich grundsätzlich für die Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Wirtschaft weiter öffnen. Ganz besonders im vielgestaltigen Bereich der digitalen Hasskriminalität braucht es dringend mehr Forschung und Evidenz. Polizeiliche Kriminalstatistiken sind kein Abbild der tatsächlichen Lage, sie bilden das Behördenhandeln ab. Welche Strategien gegen strafbaren Hass und Hetze tatsächlich wirksam sind, kann nur eine wissenschaftliche Begleitung aufzeigen. Was die Wirtschaft betrifft bleibt zu hoffen, dass die Anbieter sozialer Medien ihrer Verantwortung stärker auch dadurch gerecht werden, dass sie selbst gegen strafbaren Hass auf ihren Plattformen aktive Kooperationsformen mit den Staatsanwaltschaften begründen.
Die Bekämpfung von digitaler Hasskriminalität bleibt eine Herausforderung für die Strafverfolgungsbehörden – jedoch eine, die sie seit geraumer Zeit aktiv annehmen. Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden nehmen die Bekämpfung der digitalen Hasskriminalität sehr ernst. Wenn es gelingt, die Strafverfolgung mit der Zivilgesellschaft weiter zu vernetzen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Input zuzulassen und die erforderlichen Ressourcen dauerhaft zur Verfügung stehen, wird die Strafverfolgung ihren unverzichtbaren Anteil an der Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet leisten.
privat
Markus Hartmann ist Leitender Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln und Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW). Die ZAC NRW führt Cybercrime-Verfahren von herausgehobener Bedeutung. Sie ist darüber hinaus zentrale Ansprechstelle für grundsätzliche, verfahrensunabhängige Fragestellungen aus dem Bereich der Cyberkriminalität für Staatsanwaltschaften, Polizei- und sonstige Behörden Nordrhein-Westfalens und anderer Länder sowie des Bundes. Ferner steht sie als Kontaktstelle für die Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Wirtschaft zur Verfügung, soweit dies mit ihrer Aufgabe als Strafverfolgungsbehörde vereinbar ist. Die Zentralstelle ist in einer hybriden Behördenstruktur aus Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft Köln organisiert.