„Egal was: Die Leute, die sehr schnell nervös werden – das gilt bei einer politischen Herausforderung wie bei einer Situation im OP – das führt zu schlechteren Entscheidungen.“
Studium
Das Bundeskanzleramt sei ein schöner Arbeitsplatz, aber zu Hause sei es einfach am schönsten, erklärt Helge Braun 2014 in einem Interview. Zu Hause – das ist für Helge Braun die Universitätsstadt Gießen. Hier kommt er 1972 zur Welt, macht dort 1992 sein Abitur an der Liebigschule und studiert nach dem Wehrdienst in Koblenz an der Gießener Universität Humanmedizin. 2001 schließt er sein Studium ab und wird – ebenfalls in Gießen – wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie. Mit einer Arbeit über Herzrasen bei Operationen wird er 2007 promoviert. Der Wissenschaft bleibt er stets eng verbunden: Als Honorarprofessor unterrichtet er an den Universitäten Frankfurt und Gießen.
Aufstieg in der CDU
Helge Braun gehört mit seiner langwierigen medizinischen Ausbildung unter den Politikern eher zu einer raren Spezies: Gerade einmal zwölf Apotheker und Ärzte zählt der Bundestag in der 18. Wahlperiode. Ein Quereinsteiger ist Braun nicht. Kontakt zur Politik bekommt er bereits als Schüler durch den Vater seines besten Freundes, Adolf Roth, damals CDU-Bundestagsabgeordneter. Schon vor dem Abitur wird Braun Mitglied der Jungen Union, wo er auch seine spätere Frau Katja kennenlernt. Als JU-Chef macht er von sich reden und verärgert Teile seiner Partei, als er 1996 mit dem Slogan „Sex ist schöner in einem Land mit Zukunft“ in den Gießener Kinos wirbt. Seine JU-Karriere beendet er bei Erreichen der Altersgrenze 2007 als Bezirksvorsitzender.
Mitglied der CDU wird er 1990 und übernimmt fünf Jahre später im Alter von 23 Jahren den Ortsverein Gießen. 2004 beerbt er Volker Bouffier und wird Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Gießen, seit 2009 ist er auch Chef des Bezirksverbandes Mittelhessen. Bis heute ist er eng verbunden mit seiner Heimatstadt Gießen. Hier engagiert er sich auch kommunalpolitisch, von 1997 bis 2009 im Stadtparlament und von 2006 bis 2009 als Mitglied und Vorsitzender der CDU-Fraktion im Kreistag des Landkreises Gießen.
Im Bundestag
Den Sprung in den Bundestag schafft Braun erstmals 2002 über die Landesliste Hessen. Im Jahr zuvor hatte ihm Volker Bouffier eine Kandidatur im heimatlichen Wahlkreis angeboten. „Es war eine Lebensentscheidung“, erinnert sich Braun rückblickend.
Im Bundestag macht sich der zu diesem Zeitpunkt 29-Jährige durch seine Mitarbeit im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit schnell einen Namen als Fachmann. Das kommt auch in der Tatsache zum Ausdruck, dass er für die CDU/CSU-Fraktion das Amt des Sprechers im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung übernimmt. Zudem ist ungewöhnlich, dass er – als Parlamentsneuling – sogleich zum stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Landesgruppe Hessen gewählt wird.
Den Kontakt zur Medizin will er auch als Abgeordneter nicht verlieren und übernimmt in den sitzungsfreien Wochen Dienste in der Gießener Uniklinik. Eine herbe Niederlage erfährt er bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005, bei der er den Wiedereinzug in den Bundestag verpasst. In den folgenden vier Jahren bleibt er politisch aktiv, arbeitet jedoch wieder hauptberuflich als Narkosearzt.
War er bei der Bundestagswahl 2005 noch unterlegen, kann Braun bei den folgenden Wahlen 2009 und 2013 seinem Konkurrenten Rüdiger Veit (SPD) das Direktmandat abjagen. 2017 tritt Braun als Spitzenkandidat der CDU Hessen an und gewinnt abermals das Direktmandat.
Auf dem Weg in Kanzleramt
Nach seinem Wiedereinzug in den Bundestag 2009 macht Braun in Berlin rasch Karriere: Im Bundesministerium für Bildung und Forschung wird er Parlamentarischer Staatssekretär. Besonders stark engagiert sich der Mediziner im Kampf gegen die Ebola-Epidemie, die 2014 in mehreren westafrikanischen Ländern ausbricht.
Seine ruhige, effiziente Arbeitsweise schätzt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. 2013 holt sie den Hessen ins Kanzleramt und macht ihn zum Staatsminister. Als „zweiter Mann“ hinter Kanzleramtsminister Peter Altmaier avanciert Braun zu einem der engsten Vertrauten Merkels. Verdient macht er sich vor allem während der Flüchtlingskrise 2015. Während Länder und Kommunen mit der gewaltigen Aufgabe kämpfen, behält Braun den Überblick, bewahrt Ruhe und kümmert sich erfolgreich um die Koordination.
Zu seinen Aufgaben gehört auch der Bürokratieabbau. Vor allem der Anstieg von Belastungen für die Wirtschaft soll dauerhaft begrenzt werden. Unter anderem wird zur Entlastung des Mittelstands im Dezember 2014 unter Brauns Regie die „one in, one out“-Regel eingeführt, nach der mit jeder neuen Regelung eine alte abgeschafft werden muss. Zudem ist er als Koordinator zwischen Bund und Ländern einer der Architekten der Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern. Dabei beweist er stets Fingerspitzengefühl und schafft es, Kompromisse zwischen den unterschiedlichen Länderregierungen zu schließen. Seine Fähigkeit zum Ausgleich wird auch an anderer Stelle deutlich: Trotz komplexer Mehrheitsverhältnisse zwischen Bundestag und Bundesrat fallen in seine Zeit als Staatsminister nur drei Vermittlungsverfahren.
„Chef BK“
Nach der Bundestagswahl 2017 ist Braun intensiv in die Koalitionsverhandlungen involviert. Gemeinsam mit Dorothee Bär (CSU) leitet er die Arbeitsgruppe Digitales. Schon früh wird darüber spekuliert, dass er auch Kandidat für ein Ministeramt sein könnte. Gehandelt wird er als Minister für Bildung und Forschung – schließlich kennt er das Haus aus seiner Zeit als Staatssekretär und hat zudem noch immer enge Kontakte zur Wissenschaft.
Statt ihm das Wissenschaftsministerium anzuvertrauen, entscheidet sich Merkel jedoch dafür, Braun nun als Bundesminister für besondere Aufgaben die Leitung des Bundeskanzleramts zu übertragen. Gerade seine besonnene Art und seine Ausgleichsfähigkeit machen ihn zum idealen Manager und zum Garanten für eine reibungslose Regierungsarbeit. Für Braun selbst ist es seine „Wunschaufgabe“. So könne er sich als Kanzleramtsminister, der die Arbeit aller Ministerien koordiniert, um viele verschiedene Themen kümmern und Probleme lösen, während man als Ressortminister auf ein bestimmtes Politikfeld festgelegt sei.
Ein Herzensanliegen ist dem neuen „Chef BK“ jedoch die Koordination der über mehrere Ministerien verteilten Zuständigkeiten für die Digitalisierung. Hier will er mit dafür sorgen, dass der Aufbruch gelingt. Schon bei den Koalitionsverhandlungen hatte er sich dafür eingesetzt, einen rechtlichen Anspruch auf schnelles Internet ab 2025 festzuschreiben. Dabei sollten Schulen, Gewerbegebiete und ganz besonders auch die ländlichen Räume Vorrang haben. Beim Thema Digitalisierung zeigt er sich optimistisch. Denjenigen, die durch die Digitalisierung die Vernichtung von Jobs fürchten, entgegnet er, dass gerade durch die Digitalisierung mehr neue Jobs geschaffen würden. „Wir erreichen Vollbeschäftigung nicht trotz, sondern wegen der Digitalisierung“, prophezeit Braun.
Corona-Manager
Die zweite Hälfte seiner Amtszeit wird von der Corona-Pandemie überschattet, die sich seit Januar 2020 auch in Europa ausbreitet. Als Bundesminister für besondere Aufgabe fällt es ihm zu, die Bundesrepublik durch die Pandemie zu lotsen und die Abstimmungen zwischen Bund und Ländern zu koordinieren. Dabei steht Braun für einen vorsichtigen Kurs und weiß sich darin auch mit der Bundeskanzlerin einig. Oberstes Ziel bleibt es während der gesamten Pandemie, vulnerable Gruppen zu schützen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.
Als im Herbst 2020 die Fallzahlen abermals stark ansteigen, plädiert er für schärfere Maßnahmen, kann sich bei den Beratungen mit den Bundesländern jedoch nicht durchsetzen. Verschiedentlich wird Kritik an seinem Management laut und der Vorwurf geäußert, die Bundesregierung orientiere sich in der Corona-Krise zu viel an Zahlen und Statistiken zu wenig an den psychischen, sozialen und gesellschaftlichen Kollateralschäden der Pandemie. Auch der missglückte Plan, im Frühjahr 2021 das Infektionsgeschehen durch eine „Oster-Ruhe“ abzumildern, trübt seine Bilanz. Missverstanden fühlt er sich, als er eine Reform der Schuldenbremse vorschlägt, um diese dauerhaft zu sichern.
Kandidatur für den Parteivorsitz
Bei der Bundestagswahl 2021 erleidet die Union historische Verluste, von denen auch Helge Braun selbst betroffen ist: In seinem Wahlkreis Gießen verliert es das Direktmandat, kann jedoch als hessischer Spitzenkandidat der CDU über die Landesliste abermals in den Bundestag einziehen.
Um den Neuanfang zu erleichtern, macht der CDU-Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidat Armin Laschet den Weg frei für eine neue Parteispitze. Erstmals in der Geschichte der CDU sollen die Mitglieder über den Bundesvorsitz entscheiden. Helge Braun befürwortet diesen Schritt: „Wir hatten in diesem Jahr das grundsätzliche Problem, dass die Entscheidungen der Führung von der CDU-Basis sehr kritisch gesehen wurden und am Ende auch nicht erfolgreich waren. Jetzt geht es um eine Versöhnung von Führung und Basis. Das neue Personaltableau soll von der Basis getragen werden. Deshalb ist die Mitgliederbefragung jetzt der richtige Weg.“ Im November erklärt Braun, der in den Medien zwischenzeitlich auch als Nachfolger des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier gehandelt wurde, seine Bereitschaft, für den Bundesvorsitz zu kandidieren. Bei der Mitgliederbefragung stimmen 12,1 Prozent für den Hessen. Damit belegt er nach Friedrich Merz (62,1 Prozent) und Norbert Röttgen (25,8 Prozent) den dritten Platz.
Curriculum vitae
- Geboren am 18. Oktober 1972 in Gießen; römisch-katholisch; verheiratet
- 1989–2007 Mitglied der Jungen Union; in dieser Zeit Kreis- und Bezirksvorsitzender
- seit 1990 Mitglied der CDU
- 1992 Abitur an der Liebigschule in Gießen
- 1993/94 Wehrdienst bei der Bundeswehr in Koblenz
- 1994–2001 Studium der Humanmedizin an der Justus-Liebig-Universität Gießen
- 1997–2009 Stadtverordneter in der Gießener Stadtverordnetenversammlung
- 2001–2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg (Standort Gießen)
- seit 2004 Vorsitzender des CDU Kreisverbandes Gießen
- 2002–2005 und seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages
- 2006–2009 Mitglied des Kreistages im Landkreis Gießen und Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion
- 2007 Promotion
- seit 2007 Vorsitzender des CDU Bezirksverbandes Mittelhessen
- 2009–2013 Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung
- 2013–2017 Staatsminister bei der Bundeskanzlerin
- 2018–2021 Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes