Im Oktober 2020 trat die Konrad-Adenauer-Stiftung in Hamburg mit Jun.-Prof. Dr. Tom Mannewitz zusammen, um für einen Podcast über das Thema „Die AfD – eine Herausforderung für die Demokratie?!“ zu sprechen. Herr Prof. Dr. Mannewitz ist Juniorprofessor für Politikwissenschaftliche Forschungsmethoden an der TU Chemnitz und hat seinen Forschungsschwerpunkt auf der Populismus- und Extremismusforschung. In dem von Jan-Hendrik Bremer, Tagungsleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung, geleiteten Gespräch wurde über die Auswirkungen der AfD auf unsere Parteienlandschaft, ihre Ziele und die Perspektiven der Partei gesprochen.
Zunächst gab Herr Mannewitz einen Überblick zur Geschichte der AfD, die er als eine „Geschichte der Radikalisierung“ bezeichnete. Die AfD sei ursprünglich als eine Anti-Euro-Partei im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise gegründet worden und habe eine sehr heterogene Mitgliederstruktur aus Wirtschaftsliberalen, Konservativen und auch Rechtsextremisten aufgewiesen. In den letzten Jahren habe es aber eine massive Verschiebung zum rechten politischen Rand und zu den Themen Migrationspolitik und innere Sicherheit gegeben. Diese programmatischen Veränderungen und der Erfolg der AfD seien auf die sog. Flüchtlingskrise zurückzuführen, die aus der Sicht der Partei ein „Gottesgeschenk“ gewesen sein müsse. Ohne dieses einschneidende Ereignis würde es die Partei in ihrer Form nicht geben, so Prof. Dr. Mannewitz.
Auf die von Herrn Bremer gestellte Frage, wie man die politische Ausrichtung der Partei derzeit einschätzen kann, stellte Herr Mannewitz klar, dass sie durch starke interne Konflikte, die als „Flügelkämpfe“ bezeichnet werden können, geprägt sei. Zwischen den Wirtschaftsliberalen und Konservativen der Partei, die nachfolgend als Gemäßigte bezeichnet werden, und den Rechtsextremisten, die vormals in der sog. Teilorganisation der AfD „Der Flügel“ organisiert waren, existiere ein nicht aufzulösender Konflikt über die Verfassungstreue. Bei den Gemäßigten innerhalb der Partei gebe es eine geringe Akzeptanz für die radikalen Kräfte, da sie ein Interesse daran hätten, ihre eigene Position durchzusetzen, und wegen einer drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz berufliche Nachteile fürchten würden. Trotz dieser fundamentalen Konflikte werde sich die Partei vermutlich nicht aufspalten, weil das die politische Bedeutungslosigkeit für gemäßigte Mitglieder und Rechtsextremisten bedeuten würde. Wahrscheinlicher sei, dass es einen Dauerkonflikt um die Ausrichtung der AfD geben werde.
Darüber hinaus erläuterte Herr Mannewitz, dass die AfD einen starken Einfluss auf die Debattenkultur und die repräsentative Demokratie haben würde. Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag im Jahr 2017 gebe es zum ersten Mal seit der Gründung der Bundesrepublik eine Partei rechts der Union. Die AfD habe zu einer Verrohung der Sprache geführt und mit ihren Angriffen auf Erinnerungskultur und Grundrechte politische Vorstellungen in den Bundestag gebracht, die seit dem Zweiten Weltkrieg als undenkbar galten. Vor allem durch die Obstruktionspolitik – die bewusste Störung des Gesetzgebungsprozesses – drohe eine dauerhafte Destabilisierung des Bundestages.
Zum Ende des Gesprächs wurde von Herrn Bremer die Frage gestellt, ob die AfD als ganze Partei beobachtet oder gar verboten werden sollte. Hierauf antwortete Prof. Dr. Mannewitz nur zögerlich, da er dem Verfassungsschutz nicht irgendwelche Ratschläge geben wolle. Allerdings würden sich die Anzeichen verdichten, dass in Zukunft die gesamte Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Anhänger und Sympathisanten des mittlerweile aufgelösten rechtsextremen „Flügel“ nähmen zunehmend machtvolle Positionen in der AfD ein, wodurch die Grenzen zwischen Extremisten und Gemäßigten weiter verwischen würden, was eine vollständige Beobachtung durch den Verfassungsschutz ermöglichen würde. Ein Verbot der AfD sei aber höchstunwahrscheinlich, da das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2017 bei dem Verbotsverfahren der NPD die Hürden hierfür sehr hoch gesetzt habe. Laut diesem Urteil müsse eine Partei nicht nur extremistisch sein und kämpferisch versuchen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen, sondern das Potenzial hierfür besitzen. Selbst wenn die extremistischen Kräfte die AfD also vollständig übernehmen würden, sei die Partei gegenwärtig im Sinne des Bundesverfassungsgerichts vermutlich zu unbedeutend, um verboten zu werden. Wenn Sie hingegen bedeutend genug werden würde, um eine Gefahr darzustellen, müsste die Bundesregierung gegen einen bedeutenden Teil der eigenen Bevölkerung vorgehen, was ebenfalls unwahrscheinlich sei. Von diesen Gründen abgesehen, wäre ein Verbotsverfahren auch deswegen unwahrscheinlich, weil die AfD es massiv medial für sich nutzen könnte.