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Event reports

Die Sicht auf Israel in der Region — people-to-people Kontakte zwei Jahre nach den Abraham Abkommen

by Lina Michelsen
Eine Umfrage des KEEVOON Institute und KAS Israel zu Sichtweisen auf die Region und die Abraham Abkommen

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Die Sicht auf Israel in der Region - people-to-people Kontakte zwei Jahre nach den Abraham Abkommen

Vom 20. November bis zum 18. Dezember 2022 fand die Fußball-Weltmeisterschaft im arabischen Golfstaat Katar statt. Insgesamt sollen 1.2 Millionen Besucher für das Turnier ins Land gekommen sein, darunter auch mindestens 4.000 Israelis.[1] Die erstmalige Ausrichtung der WM durch ein Land im Nahen Osten sowie die Entscheidung Dohas, Direktflüge zwischen Israel und Katar für die Zeit des Turniers zu erlauben, ermöglichten ein bis dato beispielloses Zusammentreffen zwischen Israelis und ihren arabischen Nachbarn aus der Region. Ähnlich den Ergebnissen einer im Auftrag der KAS Israel vom KEEVOON Research Institute veröffentlichen Umfrage, gab es auch bei der WM Anzeichen für eine Diskrepanz zwischen den Normalisierungsbemühungen einiger arabischer Regierungen mit Israel auf der einen Seite und der anhaltenden Solidarität der jeweiligen Bevölkerungen dieser arabischen Staaten mit den Palästinensern auf der anderen Seite – insbesondere vor dem in den Hintergrund gedrängten Nahostkonflikt.

Kurz vor Anpfiff der WM jährte sich im September 2022 zum zweiten Mal die Unterzeichnung der Abraham Abkommen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain, welche von ähnlichen Abkommen mit Marokko und dem Sudan ergänzt worden waren. Die israelische Außenpolitik der letzten beiden Jahre stand infolgedessen im Zeichen fortschreitender Normalisierung und verstärkter Sicherheitskooperation mit seinen neuen Partnern. Zum vorläufigen Höhepunkt Israels veränderter strategischer Position in der Region kam es mit dem Negev-Gipfel Ende März 2022, bei dem die Außenminister der USA, Bahrain, Ägypten, Marokko und der VAE in Israel zusammenkamen. Die Normalisierung der Beziehungen mit Israel geht jedoch auch mit einer Verdrängung des israelisch-palästinensischen Konflikts von der regionalen Bühne und einer Abkehr von der lange geltenden Land-for-Peace Forderung der Arabischen Friedensinitiative von 2002 einher.

Von israelischer Seite wurde überdies immer wieder das Interesse nach einer Ausweitung der Abkommen oder zumindest nach einer Ausdehnung der inoffiziellen Zusammenarbeit laut. Insbesondere ein Abkommen mit Saudi-Arabien wäre der große außenpolitische Coup. Riads Entscheidung vom Juli 2022, israelischen Fluggesellschaften Flugrechte über den saudi-arabischen Luftraum zu erteilen, wurde daher in den israelischen Medien begeistert aufgegriffen. Eine ähnlich euphorische Resonanz erfuhr die Entscheidung Dohas, Direktflüge zwischen Israel und Katar für die Zeit des Turniers zu erlauben. Dies wurde als weiteres Indiz für den regionalen Trend zur Normalisierung – auch jenseits offizieller Beziehungen –  gewertet. Katar ist nicht Teil der Abraham Abkommen, und die Führung des Landes hat in der Vergangenheit immer wieder betont, dass eine Normalisierung der Beziehungen nur nach Gründung eines palästinensischen Staates möglich sei.

Israel hat in der Ausweitung der people-to-people Kontakte durch die Abraham Abkommen stets ein großes Potenzial gesehen. Eine nähere Betrachtung der effektiven Kontakte zwei Jahre nach den Abkommen macht jedoch deutlich, dass das steigende israelische Interesse an den Unterzeichnerländern nur bedingt erwidert wird. Flogen innerhalb des ersten Jahres nach der Unterzeichnung der Abkommen eine Viertelmillionen Israelis in die VAE, zählte man in Israel zwischen März und September 2022 insgesamt nur 3.600 Touristen aus Marokko, Bahrein und den VAE.

Der Hoffnung auf einen „warmen Frieden“[2] und freundschaftliche Kontakte wurde nun durch ablehnende Reaktionen einiger arabischer Fußballfans auf israelische Journalisten in Katar nun ein öffentlich wahrgenommener Dämpfer versetzt. Im Verlauf  des Turniers häuften sich in Israel Berichte über israelische Journalisten, die von Besuchern der WM  beschimpft wurden und deren Interviewwünsche ignoriert wurden.[3] „… die Fußballweltmeisterschaft in Katar (…), verdeutlicht das äußerst negative Image Israels in den Augen der Völker der Region, eine Realität, die wir oft nicht wahrhaben wollen…“ stellte Journalist Moshe Cohen jüngst in der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth fest.[4]

Die Ereignisse der letzten Wochen scheinen allerdings bezeichnend für Israels aktuelle Position in der Region. Während Israels Präsident Jitzhak Herzog vom Emir der VAE und vom König in Bahrain empfangen wurde, um die Normalisierungsabkommen weiter voranzutreiben[5], erwies sich die WM im benachbartem Katar für arabische Teams und ihre Fans auch als eine Plattform,  ihre anhaltende Solidarität mit den Palästinensern zu demonstrieren. Davon zeugten bspw. die  Präsenz palästinensischer Flaggen in den Stadien, Armbinden mit palästinensischen Symbolen sowie laute Störungen israelischer Fernsehübertragungen durch Menschen, die pro-palästinensische Slogans sangen und palästinensische Flaggen schwenkten.[6]

Diese Dynamik zeigt sich auch in einer neuen Umfrage zur öffentlichen Wahrnehmung der regionalen Beziehungen als Folge der Abraham Abkommen, die vom KEEVOON Research Institut mit Unterstützung des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung Israel durchgeführt wurde. Es handelt sich um die dritte Studie dieser Art seit 2020 und ermöglicht daher die Beobachtung regionaler Trends seit der Unterzeichnung der Abkommen. Es wurden insgesamt 2.966 Menschen aus sieben Ländern über Apps auf ihren Mobilgeräten befragt (Bahrain, Israel, Katar, Marokko, Palästinensische Gebiete (Westjordanland), Saudi-Arabien und die VAE).

Im Folgenden sind die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage, die auch in der New York Times[7] und i24 News[8] zitiert wurden, zusammengefasst:

 

Israels Position in der Region: Die Mehrheit der Befragten (mit Ausnahme der VAE, 52% positives Bild) hat nach wie vor ein negatives Bild von Israel (Bahrain: 72%, Katar: 53%, Marokko: 60%, Saudi-Arabien 72%). Die Umfrage zeigt jedoch eine gleichbleibende leichte Zustimmung zu den Abraham Abkommen in den VAE und Marokko. Für Saudi-Arabien und Bahrain zeigt sie zudem eine leichte Abschwächung der Ablehnung im Verlauf der letzten beiden Jahre (von 58% Ablehnung 2021 im Vergleich zu 51% 2022; von 60% Ablehnung 2021 im Vergleich zu 52% 2022). Andere Umfragen, wie bspw. des Washington Institutes, zeigen  jedoch einen signifikanten Einsturz der Zustimmungswerte seit der Unterzeichnung vor zwei Jahren; ein positives Bild der Abkommen nimmt dort mittlerweile eine Minderheitsposition ein.[9] In der Umfrage des KEEVOON Institute wird schließlich deutlich, dass Israelis von den befragten Ländern ein deutlich positiveres Bild haben als vice versa,[10] hinzu kommt von israelischer Seite  eine deutlich größere Zustimmung zu den Abkommen[11]. Dennoch wird den Abkommen seitens der anderen Länder in der Region ein überwiegend positiver Einfluss auf die Sicherheit der Region zugeschrieben (Ausnahme Saudi-Arabien und Bahrain). Es herrscht breite Übereinstimmung darüber, dass Israel von den Abkommen am meisten profitiert. Obwohl die Bedrohung durch den Iran gemeinhin als ein Katalysator für die Unterzeichnung der Abkommen – zumindest zwischen Israel und den VAE und Bahrain – gesehen wird, unterscheidet sich die israelische Bevölkerung in der Wahrnehmung des Iran eklatant vom Rest der Region und sieht die von Iran ausgehende Bedrohung deutlich kritischer. Von vielen Befragten hingegen wird Israel als eine größere Bedrohung für die Region als Iran wahrgenommen.

 

Die Auswirkung der Abraham Abkommen auf den Israelisch-Palästinensischen Konflikt: Während die Abkommen als eine Abkehr von der lange geltenden Land-for-Peace Forderung der Arabischen Friedensinitiative von 2002 gesehen werden, solidarisiert sich die Bevölkerung der Unterzeichnerländer (und weiterer Golfstaaten) weiterhin sehr deutlich mit den Palästinensern. Seit Unterzeichnung ist die Ablehnung der Palästinenser gegenüber den Abkommen zudem gleichbleibend hoch. Die VAE, Katar und Israel sehen die Abkommen jedoch als einen Katalysator für Friedensverhandlungen. Auch ein Drittel der Befragten in Marokko und dem palästinensischen Westjordanland ist in dieser Hinsicht optimistisch. Die Befragten in Saudi-Arabien, die Regionalmacht, die mit Abstand als wahrscheinlichster Vermittler gesehen wird, sehen die Abkommen indes weniger bedeutsam.

 

Die Ausgestaltung der Abraham Abkommen und people-to-people Kontakte: Die Umfrage zeigt, dass die Befragten in den Bereichen Sicherheit und Handel das größte Potenzial der Abkommen für die Region sehen. Den people-to-people Kontakten und Tourismus wird ein geringerer Stellenwert beigemessen. Trotz weiterhin großer Ablehnung gegenüber Israel sieht eine Mehrheit der Befragten aus den VAE, Marokko und Katar das Land als einen potenziellen Partner in den Bereichen Handel, Sicherheit und Technologie. Bilaterale Beziehungen mit Israel sind daher auch durch ein gutes Stück Pragmatismus geprägt. Eine Umfrage des Washington Institutes, welche trotz Ablehnung der Abraham Abkommen auf eine steigende Offenheit für Geschäftsbeziehungen mit Israelis in Teilen des Golfs hinweist, bestätigt diese Einschätzung.[12]

 

Globale Herausforderungen und Sicherheit: 76-93% der Befragten in den Golfstaaten blicken der Zukunft und den Entwicklungen in ihrem Land positiv entgegen. In Israel und Marokko ist jeweils die Hälfte der Bevölkerung optimistisch. Einzig palästinensische Befragte im Westjordanland haben einen mehrheitlich pessimistischen Ausblick. Die Ergebnisse zeigen auch, dass „hard-power-Bedrohungen“ wie Terrorismus und die Gefahr eines nuklearen Krieges mehr Beachtung finden als Klimawandel, steigende Lebenshaltungskosten und Pandemien. Energiesicherheit ist zudem keine Priorität.

 

Externe Akteure in der Region: Die USA werden nach wie vor als der wichtigste externe Akteur in der Region wahrgenommen sowie als einziger externer Akteur mit signifikantem Einfluss auf die regionale Stabilität. Sie liegen damit deutlich vor der EU, China und Russland. Diese Einschätzung schlägt sich sowohl in den hohen Zustimmungsraten als auch in den Antworten zu möglichen Vermittlern in regionalen Konflikten nieder. Für Israel sind die USA nach wie vor der einzig mögliche Vermittler im Konflikt mit den Palästinensern. Deutschland wird in allen befragten Ländern sehr positiv wahrgenommen, das Gleiche gilt auch für die EU. Beide Akteure spielen beim Thema regionale Stabilität – laut Ergebnissen der Umfrage –  jedoch keine Rolle. Die Golfstaaten sehen Saudi-Arabien als klaren Stabilitätsgarant und als möglichen regionalen Vermittler. Auch die Arabische Liga genießt nach wie vor großen Rückhalt als möglicher Vermittler in der Region. Während 63% der Israelis ein negatives Bild von Russland haben, erzielt es in den anderen befragten Ländern Zustimmungsraten zwischen 44-75%.

Eine Bilanz der people-to-people Kontakte auf der Grundlage der Umfrage des KEEVOON Institute und anderer oben angeführter Institute nach zwei Jahren Abraham Abkommen zeigt, dass sich die anfängliche Aussicht auf einen „warmen Frieden“ bisher wenig bestätigen konnte. Ein Großteil der Menschen in den Unterzeichnerstaaten und anderer Staaten in der Region stehen den Abkommen und der sukzessiven Normalisierung mit Israel – ohne Lösungsansätze im israelisch-palästinensischen Konflikt – weiterhin ablehnend gegenüber.

 

[1] Anfänglichen Schätzungen zufolge könnten es jedoch bis zu 20.000 israelische Besucher gewesen sein.

[2] Im Gegensatz zum als „kalt“ geltender Frieden mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994).

[3]https://www.jpost.com/middle-east/article-723449, https://www.reuters.com/world/middle-east/arabs-shun-israeli-media-qatar-world-cup-dashing-hopes-warming-2022-11-21/

[4] https://www.ynetnews.com/article/sjlkb24vs

[5] Meeting UAE president, Herzog assures him all Israelis support Abraham Accords | The Times of Israel Herzog: „Die Abraham-Abkommen sind in Israel auf allen Seiten des politischen Spektrums nationaler Konsens.“

[6] https://www.nytimes.com/2022/12/07/sports/soccer/palestine-flag-world-cup.html

[7] https://www.nytimes.com/2022/11/10/world/middleeast/qatar-israelis-world-cup.html

[8]https://www.i24news.tv/en/news/israel/diplomacy/1670163841-analysis-a-glass-one-fifth-full-not-four-fifths-empty

[9]https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/arab-public-opinion-arab-israeli-normalization-and-abraham-accords. Die Umfrage zeigt, dass mehr als zweidrittel der Befragten in Bahrain, Saudi-Arabien und den VAE ein negatives Bild von den Abraham Abkommen haben; https://www.arabbarometer.org/2022/09/how-do-mena-citizens-view-normalization-with-israel/

[10] Israel und VAE: 65% vs. 52% haben ein positives Bild; Israel und Bahrain: 51% vs. 20%; Israel und Marokko: 66% vs. 30%; Israel und Saudi-Arabien: 47% vs. 21%; Katar bildet hier die Ausnahme 46% der Befragten sehen Israel positiv, in Israel sehen nur 45% Katar in einem positiven Licht.

[11] 85% Zustimmung zu den Abkommen in Israel, 52,8% Zustimmung in Durchschnitt für VAE, Bahrain, Marokko, Saudi-Arabien und Katar.

[12]https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/arab-public-opinion-arab-israeli-normalization-and-abraham-accords

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