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Die 24. Auslandsreise von Papst Benedikt XVI. in den Libanon fand in einer von politischen und religiösen Spannungen geprägten Woche statt. Der Ausbruch gewaltvoller Proteste in verschiedenen islamischen Staaten gegen westliche Institutionen, als Reaktion auf ein in den USA veröffentlichtes anti-islamisches Video, gab dem Besuch eine besondere Bedeutung.
Der Papst verstand seine Reise aber nicht als politisch, sondern betonte den eigentlichen religiösen Grund seiner Reise; die Unterzeichnung und die Übergabe des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens der Sonderversammlung der Bischofssynode für den Nahen Osten Ecclesia in Medio Oriente.
Im Mittelpunkt der Reise stand dennoch vor allem der anhaltende Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien. Bereits am ersten Tag seines Besuches rief Papst Benedikt nicht nur zur Beendung der gewaltsamen Auseinandersetzungen und zum Dialog auf, sondern erklärte auch jegliche Waffenlieferungen an Syrien als „schwerwiegende Sünde“ und setzte damit ein klares Zeichen.
Ein weiterer Themenschwerpunkt seiner Reise war der Arabische Frühling. Dieser, so Papst Benedikt XVI., sollte einen Frühling für alle Religionen darstellen, nicht allein für die Muslime. In diesem Zusammnehang betonte er insbesondere die Wichtigkeit der religiösen Koexistenz im Nahen Osten und rief sowohl Christen als auch Muslime dazu auf, Seite an Seite zu leben und sich für Frieden im Nahen Osten einzusetzen. Speziell an die Christen appellierte er, trotz der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Situation in der Region die Emigration nicht als alleinigen Ausweg zu sehen. Stattdessen sollten sie sich als Teil der arabischen Welt sehen und ihren Platz in der Gesellschaft und der Kirche einnehmen.
Besuch im Zeichen der christlich-muslimischen Beziehungen im Libanon
Die Wahl des Libanons für einen Besuch des Papstes war nicht zufällig. Bereits Papst Johannes Paul II hatte bei seinem Besuch 1997 in den Libanon die religiöse Pluralität des Staates, in dem politische Posten zwischen den Religionen aufgeteilt sind, als besonderes Markenzeichen des Landes herausgestellt. Libanon ist in der Tat das einzige Land im Nahen Osten, das die religiöse Vielfalt in seiner Verfassung verankert hat. Etwa 35 Prozent der libanesischen Bevölkerung sind Christen (davon 25 Prozent Maroniten), 35 Prozent Shiiten, 30 Prozent Sunniten und 5 Prozent Drusen.
Die religiöse Pluralität hat aber seit jeher auch zu Spannungen zwischen den Religionen im Libanon geführt. Bei seiner Begrüßung durch Christen, sunnitischen und shiitischen Muslimen und Drusen, ging Papst Benedikt XVI. auf ebendiese Spannungen ein. „Sie und ich wissen, dass dieses Gleichgewicht, das überall als Beispiel dargestellt wird, höchst labil ist. Gelegentlich droht es zu zerbrechen, da es wie ein Bogen gespannt ist oder einem Druck unterliegt, der allzu oft parteiisch (ist) (…) Deswegen ist es notwendig, echte Mäßigung mit großer Weisheit zu üben. Und die Vernunft muss über einseitige Leidenschaften obsiegen, um das Gemeinwohl aller zu fördern.“
Historisch betrachtet, war der Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 vielfältig motiviert, basierte aber überwiegend auf Machtkämpfen zwischen der muslimischen Mehrheit und der christlichen, herrschenden Minderheit. Den Christen kommt im Libanon eine Schlüsselfunktion bei der Bildung von Allianzen zu, was die Konflikte leicht verschärfen kann. Während große christliche Gruppierungen sich mit ihren alten Rivalen den Sunniten zusammenschließen, verbünden sich andere mit der shiitischen Hezbollah.
Heute jedoch bestehen die Hauptspannungen zwischen Sunnis und Shias. Besonders vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien kam es in den vergangenen Monaten verstärkt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Shias, welche das Regime von Bashar al-Assad unterstützen, und Sunnis, die auf der Seite der syrischen Opposition stehen. Besonders die nördliche Stadt Tripoli ist Schauplatz von regelmäßigen bewaffneten Straßenkämpfen. Zunehmende Geiselnahmen spitzen die Situation weiter zu. Zudem zählt das Land bereits über 70.000 syrische Flüchtlinge, welche durch die anhaltende Gewalt in ihrem Heimatland im Libanon Zuflucht suchen.
Im Zusammenhang mit den Protesten gegen das von Nakoula Basseley Nakoula, einem koptischen Ägypter, in den USA veröffentlichte islam-feindliche Video, kam es am Wochenende des Papstbesuches im Libanon besonders in der nördlichen Stadt Tripoli zu gewaltsamen Ausschreitungen. Am Freitag randalierten hunderte von Demonstranten das Restaurant einer amerikanischen Fast-Food Kette in Tripoli und setzten es anschließend in Brand. Die Polizei konnte den Demonstranten nur wenig entgegensetzen. Bei den Protesten wurde eine Person getötet und mindestens 25 Personen verletzt.
Reaktionen auf den Besuch
Aufgrund der angespannten Sicherheitslage bewegte der Papst sich lediglich innerhalb von Beirut und den umliegenden Dörfern und blieb folglich dem unruhigen Norden des Landes fern. Zwar verlief der Besuch des Papstes ohne schwerwiegende Vorkommnisse, doch waren Zeugenaussagen zufolge in der nördlichen Stadt Tripoli, während Protesten gegen das anti-islamische Video, auch Rufe zu hören, welche sich deutlich gegen den Besuch des Papstes richteten.
An der abschließenden Messe am Sonntag den 16. September nahmen mehr als 300.000 Menschen teil. Unter ihnen waren nicht nur Christen, sondern auch Muslime und Drusen. Auch die shiitische Hezbollah begrüßte offiziell den Besuch des Oberhauptes der katholischen Kirche und nahm an der Abschlussmesse teil. Bei einem offiziellen Treffen mit dem Papst im Baabda Palast sprach sich der Großmufti der libanesischen Sunniten, Mohammed Rashid Kabbani, für den Verbleib der Christen in Libanon aus. Zudem waren Begrüßungsbanner und Bilder des Papstes nicht nur in und um Beirut zu finden, sondern auch in den südlichen Vororten des Libanons, dem Teil des Landes, der bekanntlich von der Hezbollah dominiert wird.
Während das Engagement der Hezbollah von manchen Seiten kritisch beobachtet wurde, betont sie selbst, dass sie sich für einen politischen Pluralismus in der Region einsetze und eines ihrer politischen Hauptziele die Präsenz der Christen im Nahen Osten sei. Kritiker sehen das Engagement der Hezbollah jedoch eher als Strategie ihrer Minderheitenpolitik. Zudem rief Hezbollah-Chef Nasrallah bereits einen Tag nach der Abreise des Papstes zu erneuten Protesten im Zusammenhang mit dem anti-islmischen Video auf. Zwar lobte er die Haltung christlicher Kleriker, welche das Video deutlich vereurteilten, doch lässt der Aufruf Nasrallahs zu massiven Protesten im ganzen Land dies als nicht maßgeblich erscheinen.
Wie manche der Golfstaaten, welche mit Waffenlieferungen nach Syrien die dortigen Rebellen in ihrem Kampf gegen das Assad-Regime unterstützen, mit der Aussage des Papstes, dass die Sendung von Waffen nach Syrien eine schwerwiegende Sünde sei, umgehen werden, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Eine maßgebliche baldige Verbesserung der Situation in Syrien ist allerdings nicht zu erwarten.
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